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Nr. 55 Ministerkonferenz, Wien, 1. November 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 1. 11.), Thun 2. 11., Bruck 2. 11., Nádasdy 3. 11., Gołuchowski 4. 11., Thierry 5. 11., Scudier 6. 11.

MRZ. – KZ. 3854 –

Protokoll der zu Wien am 1. November 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Beitrag zum Schillerfonds

Der Ministerpräsident teilte mit, daß Se. Majestät der Schillerstiftung statt des Ertrags der Festvorstellungen in den k. k. Hoftheatern, in denen Benefizvorstellungen normalmäßig unstatthaft sind, einen Betrag von 3000 fr. zu widmen geruht haben, was der Polizeiminister zur öffentlichen Kenntnis bringen wird1.

II. Finanzfragen

Der Finanzminister gab eine Übersicht der finanziellen Verhältnisse nach dem Schlusse des Verwaltungsjahres 1859 und beim Beginne des Jahres 18602.

Beim Ausbruche des italienischen Kriegs erhielt er zur Bestreitung der außerordentlichen Auslagen durch das Anlehena von 200 Millionen Gulden von der Nationalbank 133 Millionen, durch das lombardisch-venezianische Anlehen per 70 Millionen nach Abfall der Lombardie 30 Millionen, zusammen 163 Millionen3. Die Militärdotation betrug 306 Millionen, hievon ab das präliminierte Ordinarium 106 [Millionen], so fallen auf das Extraordinarium 200 Millionen, mithin waren noch ca. 40 Millionen zu bedecken, was mit Zuhilfenahme aller Einkommensquellen und einer weiteren Entlehnung von 20 Millionen des Bankschatzes auch gelang. Beim Eintritt des Jahres 1860 sind also alle Hilfsquellen erschöpft. Das Budget für dieses Jahr würde, wenn der Militäraufwand mit 106 Millionen angenommen wird, gleichwohl nur ein Defizit von 33 Millionen aufweisen, das wohl ohne Schwierigkeit gedeckt werden könnte4. Allein, jene Voraussetzung ist durch das erst vor wenigen Tagen eingelangte Militärbudget getäuscht worden, indem vom Armeeoberkommando eine Summeb von 170 Millionen verlangt wird, was den Abgang auf 103 Millionen erhebt, welchen der Finanzminister unter den dermaligen Verhältnissen zu bedecken außerstand ist. Da jene Forderung sich vornehmlich auf einen mit 568.000 Mann und 87.000 Pferden ausgewiesenen Armeestand basiert, so glaubte || S. 209 PDF || der Finanzminister vor allem die Frage anregen und der Ah. Entscheidung unterziehen zu sollen, ob denn dieser ungeheure Stand auch jetzt noch, im Frieden, beibehalten werden müsse.

Die politischen Verhältnisse, bemerkte der Minister des Äußern , sind von der Art, daß ein Krieg im nächsten Jahre nicht bevorstehen dürfte. Die Armee ließe sich also auf den Friedensstand reduzieren; höchstens würde im Venezianischen eine größere Truppenzahl nötig sein, um ein allfälliges Einschreiten in den Herzogtümern5 zu ermöglichen. Nachdem übrigens die Erfahrung des letzten Kriegs gelehrt hat, daß mit einem großen Truppenstande ohne Geld nichts auszurichten ist, so erscheint es im Interesse der künftigen Wehrfähigkeit dringend geboten, die Zeit des Friedens unverweilt zu allen möglichen Einschränkungen zu benützen. In ähnlicher Weise sprachen sich die übrigen Minister aus. Der Kultusminister hielt es für eine Lebensfrage, der bisherigen Finanzwirtschaft, die das Reich um allen Kredit bringt, ein Ziel zu setzen, und der Justizminister warf die Frage auf, ob denn die politischen Verhältnisse von der Art sind, daß man einen Staatsbankrott herbeiführen muß. Wenn Österreich in einem Friedensjahre, wo alle Mächte entwaffnen, um der Armee willen mit einem Defizit von 100 Millionen auftritt, so ist es unmöglich, seinen Kredit zu erhalten. Ein Krieg ist wohl nur in Italien denkbar. Dort ist bekanntermaßen Kavallerie nur wenig zu verwenden; wozu also ein Pferdestand von 87.000? Se. Majestät mögen also auszusprechen geruhen, die Militärverwaltung müsse im Jahre 1860 mit 100–105 Millionen auslangen, und ihre Sache sei es, Vorschläge zu machen, wie sie damit auslangen könne. Der Minister des Inneren hob hervor, daß eine Steuererhöhung unmöglich sei, ohne bei der herrschenden Mißstimmung die Existenz des Staates aufs Spiel zu setzen, und der Polizeiminister möglich wäre, wenn die im letzten Kriege hervorgetretenen Übelstände in der Truppenbeförderung durch Herstellung eines zweiten Eisenbahngeleises und Ausfüllung der Eisenbahnlücke zwischen Nabresina und Casarsa beseitigt werden (letzteres dürfte nach der Bemerkung des Finanzministers bis April 1860 geschehen sein)6. GM. Scudier bemerkte, daß die Reduzierung des Armeestandes von politischen Rücksichten abhänge. Allein, selbst wenn schon in diesem Verwaltungsjahre die Reduktion auf den Friedensstand erfolgte, könnte mit einer Dotation von 105 Millionen nicht ausgelangt werden, weil 20 Millionen für bereits bestellte und gelieferte Nachschaffungen an Kriegsmateriale bezahlt werden müssen, weil die Beibehaltung der supernumerären Offiziere allein drei Millionen erfordert, eine gleiche Summe für die von Sr. Majestät anbefohlene Reorganisierung der Infanterie in Anspruch genommen wird und eine cnamhafte Reduktion des Pferdestandes (bei der Kavallerie und Artillerie) c ohne Gefährdung der Abrichtung nicht ausführbar ist. Für das Jahr 1861 ließe sich, wenn nicht außerordentliche Ereignisse eintreten, mit 105 Millionen Gulden das Auslangen finden.

|| S. 210 PDF || Nach diesen Erklärungen beschloß der Ministerpräsident , diese Angelegenheit in einer Konferenz bei Sr. Majestät in Vortrag zu bringen7.

Ob und welche Reduktionen im 1860er Budget der übrigen Ministerien zu bewirken wären, hängt nach der Bemerkung des Ministers des Inneren davon ab, ob die von ihm in früheren Konferenzen, namentlich am 22. Oktober8 beantragten Reduktionen der politischen Behörden etc. im Prinzip die Ah. Genehmigung erhalten werden, welche daher zu erbitten wäre. Nachdem aber der Ministerpräsident bemerkt hatte, daß selbst das Ministerium hierüber noch kein Gutachten abzugeben vermöge, bis nicht die Anträge über die von den Gemeinden zu übernehmenden Geschäfte vorliegen werden, so beschränkte man sich auf den schon in der Konferenz vom 26. Oktober gefaßten Beschluß, die in der Denkschrift des Finanzministers niedergelegten Anträge (mit Ausscheidung der Zusammenziehung der ungrischen Statthaltereiabteilungen9 und des die Militärverwaltung betreffenden, von Graf Crenneville beanständeten Zusatzes10) der Budgetkommission pro 1861 zur Bearbeitung und eventuellen Vergutachtung mitzuteilen, nachdem noch der Justizminister bemerkt hatte, daß er, obwohl er im Personal des Ministeriums deine Unterstaatssekretärs-d, zwei Hofrats-, eine Sektionsrats- und mehrere Konzipistenstellen eben aus Ersparungsrücksichten unbesetzt gelassen, dennoch in den Gerichtsstellen jetzt schon eder Erwähnung würdigee Ersparungen nicht beantragen könne, weil, solange die Geschäfte sich nicht vermindern, kein Beamter erspart, kein Gehalt herabgesetzt werden kann. Selbst wenn noch in diesem Jahre die erwarteten Geschäftsreformen in Ausführung kämen, würde sich doch die finanzielle Wirkung erst nach einem Jahre bemerkbar machen, weil man die durch die Reduktion dienstlos werdenden Beamten aus Humanitätsrücksichten nicht ohne Begünstigungsjahr entlassen kann. Ob dies, entgegnete der Minister des Inneren , bei dem Stande unserer Finanzen zugestanden werden könne, sei noch die Frage. fÜbrigens bemerkte der Justizminister, wenn in Preußen mit 17 bis 18 Millionen Einwohnern und 5100 Quadratmeilenf das Justizbudget 11 Millionen Taler beträgt, so sei das österreichische, gwelches 35 Millionen Seelen und beinahe 12.000 Quadratmeilen zähltg, mit 15 Millionen Gulden gewiß nicht zu hoch. Übrigens werde der Justizminister bei seinem Gutachten über Zusammenlegung oder Reduktion der Behörden sich stets von der Rücksicht leiten lassen, ob die daraus resultierende ziffermäßig nachzuweisende Ersparung wirklich so bedeutend ist, daß sie die Nachteile überwiegt, welche mit solchen Reduktionen in politischer und administrativer Hinsicht hverbunden sindh .

III. Wiederholte Beeidigung der Beamten

Gemäß der Aufforderung des Ministerpräsidenten in der Konferenz vom 29. Oktober11, Absatz XI, erstattete der Justizminister sein Gutachten über die Einstellung der Eideserneuerung schon beeideter Beamten.

Sie gründet sich auf das Hofdekret vom 8. April 1816 12, ward bezüglich der Justizbeamten durch Patent vom 28. Juni 1850, RGBL. Nr. 258, §§ 30 und 31, dahin abgeändert, daß dieselben bei Beförderung nur an den ersten Dienst- und Richteramtseid zu erinnern sein, jedoch schon mit Ah. Kabinettschreiben vom 12. September 1851 13 und mit Patent vom 3. Mai 1853 RGBL. Nr. 81 wiederhergestellt. So wenig nun zu verkennen ist, daß die öftere Wiederholung des Eides dessen Bedeutung verringert, so glaubte der Justizminister doch nicht, deren Abstellung beantragen zu können, weil sie erst vor wenigen Jahren durch ein kaiserliches Patent wieder eingeführt worden ist und zu einer abermaligen Änderung, welche schon des schnellen Wechsels wegen die Würde des Gesetzes und des Gesetzgebers beeinträchtigen würde, keine dringende Veranlassung vorliegt. Sollte die Konferenz dieses Bedenken nicht teilen, so würde der Justizminister zwar im Prinzip sich für die einmalige Beeidigung erklären, jedoch darauf bestehen, daß jenes Bedenken, das die Ah. Person Sr. Majestät betrifft, zur Ah. Kenntnis gebracht werde.

Die Konferenz sprach sich hiernach dafür aus, den Antrag vorderhand bis zum Eintritte einer passenden Gelegenheit auf sich beruhen zu lassen, indem sie sich ebenfalls im Prinzip für die Vereinfachung erklärte14.

IV. Gesetz wegen der Judenehen

Kam der infolge des Konferenzbeschlusses vom 29. Oktober15 (Absatz VIII) ausgearbeitete Entwurf einer kaiserlichen Verordnung in betreff der Judenehen in Vortrag. Derselbe wurde in der Hauptsache einstimmig angenommen, jedoch im Eingang über Antrag des Kultusministers die Erwähnung der Veranlassung und Motivierung igegen die Meinung des Justizministers, welcher jedoch der Mehrheit willig beitrati, weggelassen. jNach dem Erachten des Kultusministersj sollte auch § 3 wegbleiben und Gegenstand einer abgesonderten Ah. Entschließung und Weisung an die Behörden sein, um nicht zu dem Glauben Anlaß zu geben, als ob etwa viele Personen wegen unbefugter Eheschließung in Untersuchung und Strafe wären, kwährend vielmehr tatsächlich nicht ein Fall vorliegek. Die Mehrheit der Konferenz entschied sich jedoch für die Beibehaltung des § 3, da der Zusatz des Wörtchens „etwa“ schon andeutet, daß nicht viele sein können, und dieser noch durch einen vom Polizeiminister weiter beantragten Einschub, „wenn deren etwa noch anhängig sein sollten“, verstärkt werden könnte16.

V. Wegen zweier Judenknaben in Raab

Über eine vom Polizeiminister mitgeteilte Notiz wegen beabsichtigter Taufe zweier Judenknaben in Raab wurde die Einholung näherer Auskünfte beliebt.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 13. November 1859.