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Nr. 39 Ministerkonferenz, Wien, 6. Oktober 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 6./14. 10.), Thun 9. 10., Bruck 11. 10., Nádasdy 10. 10., Gołuchowski 10. 10., Crenneville; abw. Hübner.

MRZ. – KZ. 3546 –

Protokoll der zu Wien am 6. Oktober 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Über den evangelischen Konvent in Käsmark

Der tg. gefertigte Ministerpräsident las einen in mehreren hiesigen Zeitungen vom heutigen Tage enthaltenen Artikela, wornach bei einem am 27. v.M. zu Käsmark abgehaltenen evangelischen Konvente des Theißer Distrikts von dem pensionierten Hofrate v. Zsedényi der Antrag gestellt worden, Se. Majestät zu bitten, die Wirksamkeit der mit dem Ah. Patente vom 1. September 1859 (RGBL. Nr. 160)1 gegebenen evangelischen Kirchenverfassung und der mit Ministerialverordnung vom 2. nämlichen Monats und Jahres (RGBL. Nr. 161) erlassenen provisorischen Vollzugsvorschrift zu suspendieren, sofort eine Synode behufs der Ausarbeitung einer Verfassung einzuberufen und bis dahin die Verhältnisse der Evangelischen auf den vor dem März 1848 bestandenen Fuß zurückzuführen, indem sie bei dem bloß negativen Oberaufsichtsrechte der weltlichen Staatsgewalt in evangelicis nicht verpflichtet seien, eine ihnen von dieser oktroyierte Kirchen- und Schulverfassung anzunehmen. Dieser Antrag soll in der Versammlung einstimmig angenommen und der weitere Beschluß gefaßt worden sein, ihn den sieben Superintendenzen mitzuteilen, um, falls sie demselben beiträten, eine gemeinschaftliche Deputation an Se. Majestät behufs der Überreichung der obigen Vorstellung abordnen zu können2. Im Ah. Auftrage Sr. Majestät forderte der tg. Gefertigte die Konferenz auf, ihre Ansicht über diesen Vorgang und über die hierwegen zu treffenden Maßregeln auszusprechen.

Der Kultusminister bemerkte, er habe vorausgesehen, daß die neue Kirchenverfassung nicht ohne Opposition und ohne Kampf werde durchzuführen sein und daß sie, welche das Kirchenregiment in die Hände von Leuten legen will, denen wirklich um bkirchliche Interessen und kirchliche Ordnungb zu tun ist, von anderen, die politische Tendenzen verfolgen, zum Anlaß solcher Agitationen werden mißbraucht werden. || S. 136 PDF || Es sei darum zu bedauern, daß ein in dem ursprünglichen Entwurfe enthaltener Paragraph, wornach evangelische Konvente nur mehr in der durch das Patent geregelten, gesetzmäßigen Weise abgehalten werden dürfen, als von selbst verstanden beseitigt worden; dieser Paragraph würde cnun mit Vorteil in Anwendung gebracht werden können, um der Wiederholung ähnlicher Demonstrationen vorzubeugen.c Gleichwohl kann die Regierung nicht anders, als vom Standpunkte des Patents vom 1. September aus ddie fernere Abhaltung von Distriktualkonventen in den bisher bestandenen Superintendenzen als ungesetzlich anzusehen und zu behandelnd . Hätte sich die Versammlung in Käsmark, die gleich andern, die etwa sonst noch angesagt oder schon abgehalten worden, noch vor dem Erscheinen des Patents einberufen sein mochte, darauf beschränkt, die bis dahin aufgelaufenen kurrenten Geschäfte abzumachen, so wäre dagegen nichts zu erinnern, edaß aber das Ah. Patent von denselben zurückgewiesen werde, kann nicht gestattet werden.e Der Kultusminister beabsichtigt, in einem der Konferenz demnächst vorzutragenden Erlasse den Statthaltereien, die es betrifft, die Anweisung zu geben, Versammlungen der Evangelischen, welche auf anderen als den patentmäßigen Grundlagen zusammenkommen, ffür unstatthaft zu erklären.f Weiters glaubte er Se. Majestät bitten zu sollen, geinen älteren, noch in Ah. Händen befindlichen au. Vortrag, welchem mehrere Ah. signierteg Gesuche der Evangelischen um Restitution in den Stand vor 1848 [beiliegen], durch Hinweisung auf das Patent vom 1. September zu erledigen, fernerh Deputationen ungesetzlicher Versammlungen nicht anzunehmen geruhen. Schriftliche Eingaben derselben aber wären in diesem Sinne motiviert zu erledigen und die Erledigungen zu veröffentlichen. Auf diese Art würde die Regierung, beharrend auf ihren Verfügungen, zugleich die Gutgesinnten, denen es um die Sache, nicht um Parteidemonstrationen zu tun ist, ermutigen und der Opposition, die allerdings vorherzusehen war, die Spitze abbrechen.

Im wesentlichen waren alle Stimmführer der Konferenz mit den Anträgen des Kultusministers einverstanden. Der Justizminister las einen von dem genannten Zsedényi erhaltenen Brief vor, worin auf die Folgen aufmerksam gemacht wird, welche die Nichtberücksichtigung der beschlossenen Vorstellung mit sich brächte3. Als solche werden angegeben: die allgemeine Abdankung aller evangelischen Würdenträger, Verweigerung der Annahme fremder und Zurückweisung der etwa von der Regierung ernannten Pastoren von Seite der Gemeinden. Der Justizminister glaubte nicht, daß man es bis zu diesem äußersten treiben werde; sollte es dennoch versucht werden, so würde der Regierung || S. 137 PDF || doch nichts erübrigen, als auf den Bestimmungen des Patents, dessen Wirksamkeit nicht mehr in Frage gestellt werden darf, mit Festigkeit zu beharren und den Verlauf solche Umtriebe ruhig abzuwarten, die schließlich doch nur zum eigenen Schaden der Opponenten ausfallen müssen. Im übrigen würde er glauben, daß Konvente, welche vor dem Erscheinen des Patents einberufen worden sind, insofern nicht für ungesetzlich erklärt werden könnten, als sie sich nicht, wie der Käsmarker, zu Übergriffen solcher Art haben verleiten lassen. Der Finanzminister war unter allen Umständen für das strenge Festhalten an den Bestimmungen des Patents umsomehr, als dasselbe die öffentliche Meinung für sich hat und Bestrebungen, wie die von Käsmark berichtete, bloß als Fühler der regierungsfeindlichen Partei angesehen sind, denen gleich im Anfange mit Entschiedenheit begegnet werden muß, um vor neuen Versuchen abzuhalten. Zu bedauern ist nur, daß die Behörden ihre Schuldigkeit nicht getan zu haben scheinen; denn es konnte wohl nicht verborgen bleiben, was man auf der Versammlung beabsichtige; dem hätte bei gehöriger Wachsamkeit und Energie vorgebeugt oder in der Versammlung selbst entgegen getreten werden sollen. Der Minister des Inneren endlich, ebenfalls für ein entschiedenes Vorgehen der Regierung stimmend, vermöchte dermal bei dem Mangel der nötigen Daten über Zeit und Art der Einberufung und die Befugnisse der Versammlung nicht zu entscheiden, ob diesfalls den Behörden etwas zur Last falle. Hätte die Versammlung bzw. Zsedényi seinen Wirkungskreis überschritten und der lf. Kommissär, der ihr beiwohnte, seine Schuldigkeit nicht getan, so sollte gegen den einen wie gegen den andern nach den Gesetzen vorgegangen werden. Das Erscheinen der Zeitungsartikel über diesen Vorgang macht es aber auch nötig, denselben von Seite der Regierung in dem nach Art. IV des ministeriellen Programms4 zur Verteidigung ihrer Politik zu gründenden halboffiziellen Organe zu beleuchten und ohne Polemik zwar, aber mit Anführung der entscheidenden Tatsachen und gesetzlichen Bestimmungen als gesetzwidrig darzustellen.

Nachdem dieses halboffizielle Organ zur Zeit nicht besteht, behielt sich der Kultusminister vor, wegen Veröffentlichung entsprechender Aufsätze in den ungrischen, dann in der Wiener Zeitung das Erforderliche einzuleiten5.

II. Behandlung der eidbrüchigen italienischen Beamten; Dienstpragmatik

Auf die Anfrage des tg. gefertigten Ministerpräsidenten , was bezüglich der in die Lombardie und nach Sardinien entwichenen venezianischen Beamten verfügt worden, erinnerte der Minister des Inneren , daß ihm bisher Fälle dieser Art nicht vorgekommen seien, daß aber, wenn sie vorgekommen, gegen solche eidbrüchige Beamte ohne weiters mit der Entsetzung vorzugehen sein würde6.

Bei diesem Anlasse machte er auf die Unzulänglichkeit der Mittel aufmerksam, welche nach der bestehenden Dienstpragmatik zur Entfernung von Beamten zu Gebote stehen, deren Wirksamkeit anerkannt schädlich ist. Als eines der vorzüglichsten Hindernisse erscheint die zur Entlassung erforderliche Zustimmung der Justizräte. Diese sind wohl über Dienstvergehen des Beamten zu urteilen kompetent und geeignet, nicht aber || S. 138 PDF || über die Beschaffenheit und die Wirkungen seiner ämtlichen Verwendung nach außen hin. Hierüber sollte die vorgesetzte Oberbehörde allein und im Interesse des Ah. Dienstes und der Regierten zu entscheiden haben.

Da nach der Bemerkung des Justizministers eine Verhandlung wegen Revision der Dienstespragmatik im Zuge sein soll, so behielt sich der Minister des Inneren vor, auf diesen Gegenstand seinerzeit wieder zurückzukommen7.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 16. Oktober 1859.