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Nr. 35 Ministerkonferenz, Wien, 15. September 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 16. 9.), Nádasdy, Crenneville; anw. Hübner; abw. Thun, Bruck, Gołuchowski.

MRZ. – KZ. 3719 –

Protokoll [der Ministerkonferenz] vom 15. September 1859 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten Grafen Rechberg.

I. Kaiserliche Verordnung vom 12. Mai 1859 über die Verzehrungssteuer vom Wein

Der Justizminister referierte in Vertretung des abwesenden Finanzministers infolge mündlichen Ah. Auftrages über die Frage, ob die Wirksamkeit der kaiserlichen Verordnung vom 12. Mai 1859 über die Ausdehnung der Verzehrungssteuerpflichtigkeit von Wein und Most schon mit 1. November 1859 in Wirksamkeit zu treten oder aber bis 1. Mai 1860 ausgesetzt zu bleiben hätte1.

Graf Nádasdy las den sich hierauf beziehenden Vortrag des Ministerstellvertreters Ritter v. Rueskefer seinem vollen Inhalte nach vor2 und äußerte, daß er (Justizminister) in dieser sehr gründlichen Darstellung noch zwei weitere Motive für die bereits in der Konferenz am 7. l.M.3 übereinstimmend mit dem Antrage des Finanzministers abgegebenen Meinung finde, daß die oberwähnte kaiserliche Verordnung ungeachtet der dagegen erhobenen Ansprüche mit 1. November d.J. in Vollzug zu setzen wäre. Diese Motive sind die Höhe des für 1860 präliminierten Defizits von 34 Millionen und die mannigfaltigen Verwicklungen, Rechtsstreite und Verluste für das Ärar, welche sich nebst dem verminderten Gefällsertrage infolge der Reszission der Abfindungsverträge etc. bei einem sechsmonatlichen Aufschube des Vollzugs ergeben würden. Graf Nádasdy stimme daher für die Ah. Erlassung eines Ah. Handschreibens nach dem Entwurfe II4.

Die übrigen Konferenzglieder verkannten zwar nicht die geltend gemachten, allerdings erheblichen Rücksichten, welche gegen einen Aufschub dieser Besteuerungsmaßregel streiten; allein, sie fanden, daß dieselben durch die vorhandenen Gründe der höheren Politik, welche diesen Aufschub zur Notwendigkeit machen, überwogen werden. Die mehreren Stimmen in der Konferenz erklärten sich daher für den Entwurf I, welcher dem Vortrage v. Rueskefers beiliegt5.

II. Verordnung über die Aufhebung des Belagerungszustandes im Venezianischen

Der Justizminister erhielt hierauf die Zustimmung der Konferenz zu dem auf der Beilagea von ihm formulierten Artikel II der Ministerialverordnung über die Aufhebung || S. 123 PDF || des Belagerungszustandes im Venezianischen6, welcher Artikel von dem Entwurfe des Ministers Grafen Gołuchowksi sich im wesentlichen nur dadurch unterscheidet, daß die Delegation des Landesgerichts zu Venedig nicht bloß bezüglich der Untersuchung, sondern auch der Verhandlung und Entscheidung der Straffälle ausgesprochen wird. Der Polizeiminister äußerte hiebei namens des Ministers des Inneren, daß er die vom Justizminister vorgeschlagene Textierung als eine wesentliche und selbst notwendige Verbesserung anerkennen müsse.

FML. Graf Crenneville behielt sich vor, hierüber bdie hohe Genehmigung des durchlauchtigsten Chefs des Armeeoberkommandos nach Anhörung höchstseiner Justizreferenten einzuholen,b stimmte jedoch sub spe rati bei7.

III. Vertretung des Polizeiministers durch den Ministerpräsidenten

Der Ministerpräsident teilte mit, daß er über Ersuchen des Polizeiministers die Vertretung desselben in der Konferenz für die Dauer seiner drei- bis viertägigen Abwesenheit übernommen habe8.

IV. Beratungen in ungarischen Angelegenheiten

Es wurde beschlossen, daß zu den am 6. k.M. beginnenden Vorberatungen in ungarischen Angelegenheiten nebst dem bereits eingeladenen Grafen Emil Dessewffy noch Graf Anton Szécsen, Graf Georg Apponyi und Georg v. Mailáth cder Jüngerec einzuladen wären, und FML. Graf Crenneville übernahm es, sich diesfalls schriftlich an den letzteren zu wenden. Minister Baron Hübner wird an Graf Szécsen schreiben9.

V. Heimkehr ungarischer Kriegsgefangener in Verona

FML. Graf Crenneville referierte, es dwerden im Laufe der Woche zu Verona 3000 ungarische Soldaten aus der Gefangenschaft eintreffen, und es bestehe der Verdacht, daß unter denselben auch einiged gefährliche Indiviuden, welche nicht zur Klasse der Kriegsgefangenen gehören, edie in die sogenannte piemontesisch-ungarische Legion übergetreten waren,e sich einschleichen wollen. Diese 3000 Mann müßten daher jetzt individuell geprüft werden, und wenn gegen einzelne davon Inzichten streiten, wären dieselben festzuhalten, bis deren Nationale etc. in beruhigender Weise erhoben, oder Umstände dargetan sind, die deren Außerlandschaffung rechtfertigen.

|| S. 124 PDF || Die Konferenz war mit diesem Vorgange einverstanden10.

VI. Notizen über Mitglieder des Ah. Erzhauses

Der Polizeiminister teilte mit, er habe aus Anlaß einiger, zwar gutgemeinter, aber taktloser Notizen über kaiserliche Prinzen, welche nach fremdländischen in Wiener Blättern erschienen sind, den Redaktionen einschärfen lassen, bei Aufnahme von Mitteilungen über Personen des durchlauchtigsten Erzhauses mit der größten Vorsicht zu Werke zu gehen und den diesen höchsten Personen schuldigen Respekt sich stets vor Augen zu halten.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 30. Oktober 1859.