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Nr. 496 Ministerkonferenz, Wien, 31. März 1859[a] - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 31. 3.), Bach (Unterschrift fehlt; statt dessen Notiz Ransonnets: hat bereits Einsicht genommen, vgl. Anm. ), Thun 18. 10., Toggenburg (BdE. fehlt, da Toggenburg zum Zeitpunkt der Zirkulation des Protokolls – vgl. Anm. – nicht mehr Minister war), Bruck 18. 10., Kempen (BdE. fehlt, da Kempen zum Zeitpunkt der Zirkulation des Protokolls – vgl. Anm. a ), Thun 18. 10., Toggenburg (BdE. fehlt, da Toggenburg zum Zeitpunkt der Zirkulation des Protokolls – vgl. Anm. – nicht mehr Minister war), Bruck 18. 10., Kempen (BdE. fehlt, da Kempen zum Zeitpunkt der Zirkulation des Protokolls – vgl. Anm. – nicht mehr Mitglied der Ministerkonferenz war), Nádasdy 19. 10., Für Se. Exzellenz den Herrn Ersten Generaladjutanten Sr. Majestät Kellner 20. 10.

MRZ. – KZ. 3642 –

Protokoll der zu Wien am 31. März 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen v. Buol-Schauenstein.

[I.] Über das Halten christlicher Dienstboten von Seite der Juden

Der Finanzminister brachte zur Kenntnis der Konferenz den Inhalt eines soeben erhaltenen Schreibens des zur Negoziierung einer Staatsanleihe in London anwesenden Ministerialrats Freiherrn v. Brentano, worin der sehr ungünstige, auf den Abschluß jenes Geschäfts nachteilig wirkende Einfluß geschildert wird, welchen das Gerücht von dem Wiederaufleben des Verbotes der Haltung christlicher Dienstboten von Seite der Juden in Österreich (Hofdekret von 18171) bei der jüdischen Geldaristokratie dort hervorgebracht hat2. Er stellte an den Minister des Inneren die Anfrage, ob es nicht möglich wäre, diese ungünstige Wirkung wenigstens für den gegenwärtigen kritischen Moment durch eine offiziöse Erklärung in den öffentlichen Blättern, daß eine Maßregel jener Art nicht beabsichtigt werde, zu beheben.

Der Minister des Inneren , von der hierwegen auch unter der hiesigen Judenschaft künstlich hervorgerufenen Agitation in Kenntnis gesetzt, hat aus Anlaß einer ihm gemachten mündlichen Vorstellung zweier Abgeordneter der Wiener Judengemeinde nicht nur || S. 237 PDF || denselben die beruhigende Erklärung gegeben, die Regierung denke nicht daran, das beregte Verbot wieder in Wirksamkeit zu setzen, sondern auch bereits die Einrückung eines Artikels in das heutige Abendblatt der Wiener Zeitung veranlaßt, worin die Versicherung gegeben wird, daß die von der Times und verschiedenen deutschen Zeitungen gebrachte Nachricht über die Reaktivierung des Hofdekrets von 18173 eine durchaus grundlose sei4. Hiermit glaube er, vorderhand dem Wunsche des Finanzministers zuvorgekommen zu sein, womit sich dieser auch sofort für befriedigt erklärte.

In der Hauptsache selbst, fuhr der Minister des Inneren fort, scheine ihm ein Rückblick auf die bisherige Gesetzgebung und auf einige im Zuge befindliche spezielle Verhandlungen in betreff dieses Gegenstands angezeigt zu sein5. Das ursprünglich kirchliche Verbot der Christen, sich bei Juden als Dienstboten zu verdingen, kommt in den österreichischen Staaten zuerst im Jahre 1725 als staatliches Verbot, gültig für Böhmen, Mähren und Schlesien6, im Jahre 1773 für Galizien7, vor, in welchen Ländern kompakte Judengemeinden von jeher bestanden. In Niederösterreich beziehungsweise Wien, wo nur einzelne Juden mit Toleranz oder zeitlicher Bewilligung sich aufhalten durften, bestand nach dem Patente von 1782 eine solche Beschränkung in Haltung der Dienstboten nicht8.

Im Jahre 1815 kam aus Anlaß der Beschwerde eines bischöflichen Konsistoriums über die lässige Handhabung jenes Verbotes die Frage im allgemeinen zur Verhandlung und gab der Vereinigten Hofkanzlei Gelegenheit, auf die Aufhebung dieses Verbotes anzutragen. Die hierauf erteilte Ah. Entschließung vom Jahre 18179 verordnete aber, es habe bei demselben für alle Länder, wo es besteht, zu verbleiben. Eine Vorstellung des Prager Guberniums dagegen wurde zurückgewiesen, doch wurden später mit Ah. Entschließung von 1828 und 1830 für die beiden Hauptstädte Prag und Brünn Ausnahmen von dem gedachten Verbote zugestanden10. Es waren sonach bis 1848 nur die genannten Kronländer mit Ausnahme der beiden Hauptstädte von dem diesfälligen Gesetze betroffen.

Infolge der Ereignisse von 1848 faktisch und durch die Reichsverfassung vom 4. März || S. 238 PDF || 184911 gesetzlich emanzipiert, glaubte sich die österreichische Judenschaft an keine jener Beschränkungen mehr gebunden, welche ihr durch allgemeine oder spezielle Gesetze vor 1848 waren auferlegt worden. Auch die Behörden faßten im allgemeinen die Sache so auf, und die Juden wurden fast überall zum freien Aufenthalt, ja zum Erwerb unbeweglichen Eigentums zugelassen, bis infolge der Aufhebung der Reichsverfassung durch das Ah. Kabinettschreiben vom 31. Dezember 1851 12 die Frage wieder in Anregung kam, wie sich die staatsbürgerlichen Verhältnisse der Juden hiernach zu gestalten haben13. Sie ward durch die kaiserliche Verordnung vom 2. Oktober 1853, RGBL. Nr. 190, einstweilen dahin gelöst, daß vom Tage der Kundmachung dieser Verordnung bis zur bevorstehenden definitiven Regelung der staatsbürgerlichen Verhältnisse der Juden die in jedem Kronlande bis zum 1. Jänner 1848 bestandenen, die Besitzfähigkeit der Juden beschränkenden Vorschriften provisorisch wieder in Wirksamkeit zu treten haben14. Hieraus ist der Schluß zu ziehen, daß bis zu jenem Zeitpunkte andere, vor 1848 bestandene Beschränkungen der bürgerlichen Verhältnisse der Juden bezüglich der Toleranz, des zeitlichen Aufenthalts, des Ghetto etc., also auch der Haltung von Dienstboten, nicht wieder in Wirksamkeit zu treten haben, welche von dem Minister des Inneren in einem eigenen au. Vortrage von 1854 vertretene Ansicht auch mit der darauf erteilten Ah. Entschließung die Ah. Genehmigung Sr. Majestät erhielt15.

Gleichwohl hat man in Galizien das Verbot des Haltens christlicher Dienstboten bei den Juden auch nach dem Jahre 1848 mit Rücksicht auf die dortigen Volkssitten im allgemeinen aufrecht erhalten und durch eine Statthaltereiverordnung vom Jahre 1853 den Bestand dieses Verbots mit der Milderung ausgesprochen, daß es den Kreisämtern vorbehalten bleibe, in einzelnen Fällen davon zu dispensieren16. Ein gegen diese Verordnung eingebrachter Rekurs wurde vom Ministerium des Inneren im Einvernehmen mit dem Kultusministerium zurückgewiesen und den Behörden die Weisung gegeben, bis zur allgemeinen Regelung der Judenverhältnisse keine dieser vorgreifende Verfügung zu treffen17.

Seither kamen über diesen Gegenstand nur zwei Angelegenheiten zur Verhandlung beim Ministerium des Inneren: nämlich die Abschaffung mehrerer Christendirnen aus Judenhäusern in Sambor, welche jedoch nicht auf Grundlage des Verbots von 181718, sondern aus polizeilichen Rücksichten erfolgte und gerechtfertigt ist, weil es lüderliche Dirnen waren; dann der Antrag wegen Republizierung der Verordnung von 1853 aus Anlaß einer Beschwerde eines Pfarrers in Czernowitz, welcher Antrag, zwischen dem Ministern des Inneren und dem Minister für Kultus verhandelt, zu einer || S. 239 PDF || Meinungsdifferenz zwischen beiden führte. Während nämlich ersterer im Sinne der Aufrechthaltung des faktischen Standes bis zur definitiven Regelung des Judenwesens sich dafür aussprach, daß der Verordnung von 1853 eine Erweiterung durch Ermächtigung der Bezirksämter zur Bewilligung der Haltung von christlichen Dienstboten gegeben werde, war der Kultusminister der Meinung, daß, nachdem das Verbot von 181719 auf einer Ah. Entschließung Sr. Majestät beruht und von Sr. Majestät bisher noch nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist, den Ministerien und Landesbehörden nicht zustehe, von dessen Handhabung, wenn sie verlangt wird, abzusehen, vielmehr die Ah. Entscheidung darüber einzuholen sei, ob es fortan unbedingt oder etwa mit Beschränkung auf weibliche, im Haushalte lebende Dienstboten aufrecht zu halten ser20.

Nach dieser Darstellung des Sachverhaltes liegt – bemerkte der Minister des Inneren weiter – kein äußerlicher Anlaß vor, welcher das Gerücht von der durch die Regierung beabsichtigten Reaktivierung der Verordnung von 181721 begründen könnte; es scheint vielmehr, daß durch einen Mißbrauch des Amtsgeheimnisses über die zwischen den Ministerien in der eben berührten Verhandlung obwaltende Differenz die Agitation unter den Juden hervorgerufen worden sei. Zwar soll, wie der Finanzminister bemerkte, der Anlaß dadurch gegeben worden sein, daß einer kranken jüdischen Wöchnerin die christliche Amme ihres Kindes weggenommen wurde; allein, wäre dies wirklich der Fall gewesen, so hätte hierwegen nicht heimlich agitiert, sondern im ordentlichen Instanzenzuge die Abhilfe bei der höhern Behörde angesucht werden sollen, was, soweit dem Minister des Inneren bekannt, bisher nicht geschehen ist.

Es handelt sich sonach gegenwärtig um die Austragung der obenerwähnten Differenz zwischen dem Kultus- und dem Minister des Inneren. Nachdem der Kultusminister erklärt hatte, dem Antrage, die Sache im administrativen Wege durch Erweiterung der Statthaltereiverordnung von 1853 abzutun, nicht beitreten zu können, weil es sich um die Erläuterung und Anwendung eines von Sr. Majestät gegebenen Gesetzes handelt und ihm darum zu tun ist, die nun schon auch von anderen Seiten als vom Erzbischofe in Olmütz, vom Bischofe in Leitmeritz und Csanád vorgekommenen Anfragen nach einer festen Norm erledigen zu können, so muß die Sache jedenfalls der Ah. Entscheidung Sr. Majestät unterzogen werden.

Der Minister des Inneren deutete dabei an, daß bei dieser Gelegenheit vielleicht direkt auf die völlige Aufhebung des Verbots von 181722 angetragen werden könnte, und die Mehrheit der Konferenz war geneigt, auf diese Idee einzugehen, nachdem insbesondere der tg. gefertigte Vorsitzende bemerkt hatte, daß die Zusicherung der Nichtreaktivierung eines Gesetzes, das bisher – in Galizien wenigstens – wirklich in Wirksamkeit war, nicht wohl stattfinden könne, daß also, wenn die Regulierung der gesamten staatsbürgerlichen Verhältnisse der Juden nicht bald sollte erfolgen können, die ausdrückliche Behebung eines Gesetzes wünschenswert wäre, das dem Interesse der Juden und Christen gleich nachteilig ist.

|| S. 240 PDF || Allein, die sowohl vom Minister des Inneren als vom Handelsminister hervorgehobene Erwägung, daß die Lösung einer einzelnen Frage der Judenverfassung vorgreifen und, falls sie im liberalen Sinne erfolgte, ungemessene Erwartungen unter den Juden für die Zukunft erregen dürfte, bestimmte die Mehrheit der Konferenz, dem Antrage des Ministers des Inneren auf Belassung des Status quo nach seiner Auffassung beizutreten. Hiernach wird der Minister des Inneren sich hierwegen die Ah. Entscheidung Sr. Majestät erbitten und sich angelegen sein lassen, das Operat über definitive Reglung der staatsbürgerlichen Verhältnisse der Juden nach Zulaß der Größe und Schwierigkeit des Gegenstands so bald als möglich zum Vortrage zu bringen23.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, am 23. Oktober 1859.