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Nr. 468 Ministerkonferenz, Wien, 19. August 1858 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 19. 8.), gesehen Bach 23. 8., Thun, Toggenburg, Bruck 26. 8., gesehen Kempen 25. 8., Nádasdy 26. 8., Für Se. Exzellenz den Herrn Ersten Generaladjutanten Sr. Majestät Kellner 26. 8.

MRZ. – KZ. 3271 –

Protokoll der zu Wien am 19. August 1858 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Befreiung der Beamtenbezüge etc. von dem Landesfondszuschlag zur Einkommensteuer

Der Minister des Inneren beantragte die Befreiung der Bezüge der Staats-, Fonds- und ständischen Beamten, der Pensionen etc. derselben und ihrer Hinterlassenen von der Entrichtung der Landes- und Grundentlastungsfondszuschläge zur lf. Einkommensteuer vom 1. November 1858 an, da dieselbe eine Konsequenz der bereits mit Ah. Entschließung von 18531 angeordneten Befreiung jener Bezüge von den Kommunalbeiträgen ist und dafür noch viel gewichtigere Motive als für diese sprechen, auch der sich daraus ergebende Entgang von 101.000 fr. jährlich aus den Überschüssen und Reserven der Landesfonds ohne Schwierigkeit gedeckt werden kann2.

Die Konferenz war mit diesem Antrage einverstanden3.

II. Errichtung von Kumulativwaisenkassen

Gegenstand der Beratung war der beiliegende, vom Minister des Inneren mit den Ministern der Justiz und der Finanzen vereinbarte Entwurf einer kaiserlichen Verordnung über die Errichtung gemeinschaftlicher Waisenkassena,4.

Der Kultusminister verkannte nicht die Zweckmäßigkeit und Dringlichkeit der Errichtung beziehungsweise Wiederherstellung der gemeinschaftlichen Waisenkassen; allein, er trug Bedenken, dem vorliegenden Antrage beizustimmen, so lange nicht mit der definitiven Regelung des Gemeindewesens und des Grundbesitzes auch die Grundlage || S. 117 PDF || wieder hergestellt sein wird, auf welcher der Bestand der früheren Waisenkassen beruhte5. Diese waren nämlich durch die gesetzliche Haftung der Gutsinhabung mit der Oktava des Gutskörpers gegen Defraudationen und Unglücksfälle gesichert, und eine ähnliche Haftung kann den Gemeinden und großen Grundbesitzern, wenn von ihnen die Übernahme der Waisenkassen verlangt und angenommen wird, wieder auferlegt werden. Aber dies setzt die vollständige Regelung ihrer gesetzlichen Verfassung voraus. Im vorliegenden Entwurfe ist dagegen von einer Haftung nicht die Rede: daß der Staat, der nun die Verwaltung der Waisenkassen in die Hand nehmen soll, eine solche Haftung übernehme, ist wenigstens nirgends ausgesprochen, und der Reservefonds, dem im § 13 zunächst die Bestimmung dafür zugedacht wird, kann erst im Verlauf der Jahre, nach dem Anwachsen der Interkalarzinsen etc. in Wirksamkeit treten. Es fehlen also wenigstens für die ersteren Jahre die Grundbedingungen einer garantierten Gebarung, welche noch überdies in die Hände eines schlecht bezahlten, jeder Versuchung preisgegebenen Beamten gelegt ist, der, wo nicht geradezu zur Veruntreuung, doch gewiß zur Parteilichkeit und Willkür bei Elozierung der Kapitalien verleitet werden würde. Fänden sich gegenwärtig schon einzelne große Grundbesitzer, welche die Verwaltung kumulativer Waisenkassen unter Haftung mit ihrem Besitztum übernehmen wollten, so möge sie ihnen anvertraut und den Vormündern gestattet werden, die Gelder in solchen anzulegen; außerdem aber könnte der Kultusminister nicht dafür stimmen, daß dieses Institut, so wünschenswert auch dessen baldige Rekonstruierung im Interesse des landwirtschaftlichen Realkredits sowohl als der Pflegebefohlenen wäre, ohne diese besondere Haftung und ein dieselbe vertretendes Organ wieder ins Leben trete.

In ähnlicher Weise sprach sich der Handelsminister aus. Während die alten kumulativen Waisenkassen noch in der Abwickelung begriffen und rücksichtlich des übergebenen Standes durch die Haftung der ehemaligen Gutsherrschaften gedeckt sind, würden nach dem vorliegenden Entwurfe neue entstehen, bei denen eine gleiche Garantie nicht geboten ist. Denn, daß der Staat die Bürgschaft dafür nicht übernimmt, geht aus § 12, wornach Vorschußleistungen aus dem Staatsschatze unzulässig sind, und aus der Widmung des Reservefonds (§ 13) unzweideutig hervor. Ein solches Institut, welches überdies ohne Intervention des Vormunds operiert, erscheint aber nirgends wünschenswert und in Ländern, wo das Grundbuchwesen nicht so vollkommen wie in den deutschslawischen Provinzen geregelt ist, kaum ausführbar; es bestand dort auch bisher nicht, und es hat sich noch kein Bedürfnis darnach geltend gemacht. Wo es aber früher bestand, getragen durch die Haftung der Gutsherrschaft und das Vertrauen in den mit allen Verhältnissen vertrauten Amtsverwalter, würde es durch eine Einrichtung nach dem vorliegenden Entwurfe nur sehr unvollkommen ersetzt und allen den Übelständen verfallen, die bereits von der Vorstimme hervorgehoben worden; es würde die Bezirksämter mit einer neuen Geschäftsvermehrung, einer ihnen bisher ganz fremden Tätigkeit belasten und den Beamten nur Gelegenheit zur Begünstigung einzelner Parteien geben.

|| S. 118 PDF || Mit der dem Entwurfe zum Grunde liegenden Verfügung, die Pflegschaftsgelder dem Tilgungsfonds zu entziehen, wäre der Handelsminister einverstanden; er würde sie aber vorderhand, wie bisher, in der Singularbehandlung unter Mitwirkung der Tutoren belassen und rücksichtlich der kleineren Beträge, die nicht zur Elozierung im einzelnen geeignet sind, falls sie wirklich so beträchtlich wären, wie vorausgesetzt wird, deren Einlegung in Sparkassen anordnen.

Kumulativwaisenkassen aber könnten seines Erachtens in einem Bezirke nur dann bestellt werden, wenn deren Gebarung in die Hand einer aus Vertretern der bezirksgewählten Waisenkommission gelegt und durch die Haftung des Besitztums des ganzen Bezirks gedeckt wird.

Der Chef der Obersten Polizeibehörde und der Generaladjutant Sr. Majestät FML. Freiherr v. Kellner erkannten ebenfalls die Notwendigkeit einer Haftung für die Waisengelder an.

Selbst der Minister des Inneren mußte die Notwendigkeit einer ausreichenden und unzweifelhaften Garantie für die Waisenkassen zugeben, obwohl er dieselbe zum großen Teil in den bereits bestehenden allgemeinen Gesetzen über die Haftung für Amtshandlungen überhaupt begründet findet, in denen nicht nur nichts geändert, sondern denen noch in der Bestimmung des Reservefonds eine wesentliche Verstärkung zugegangen ist. Bis zur definitiven Ah. Entscheidung über das Syndikatsgesetz6, setzte der Justizminister hinzu, würde nämlich bei Malversation oder Vernachlässigung zunächst der schuldtragende lf. Beamte zum Ersatz verhalten, und bei dessen Unvermögenheit die Ah. Gnade zur Vergütung des Schadens aus dem Staatsschatze in Anspruch genommen werden. Insofern wäre also für die erstere Zeit des Bestands der Waisenkassen für eine Haftung gesorgt.

Um nun also den Vorteil der gemeinschaftlichen Waisenkassen dem landwirtschaftlichen Realkredit und den Pflegebefohlenen so bald als möglich zuwenden zu können und nicht von der endlichen Lösung der Gemeindefrage abhängig machen zu müssen, deren vollständige Durchführung in den einzelnen Kronländern, für welche spezielle Gemeindeordnungen auszuarbeiten beantragt sind, noch sehr geraume Zeit erfordern wird, würde der Minister des Inneren unter Beistimmung der Minister der Justiz und der Finanzen, dann des tg. gefertigten vorsitzenden Ministers des Äußern den vorliegenden Entwurf, gegen dessen vorgetragenen Inhalt sonst kein Anstand erhoben wurde, als eine Übergangsmaßregel bezielend, der Ah. Genehmigung Sr. Majestät mit dem Vorbehalte empfehlen, daß außer dem Reservefonds bseinerzeit nach geordneter Gemeindeverfassung die Gemeindenb des Bezirks für die Kasse zu haften habe und durch eine aus Vertretern der Gemeinden bestellte Waisenkommission repräsentiert werden. cFür dermalen und bisher zur Organisierung der Gemeinden wäre die kumulative Anlegung der nicht individuell fruchtbringend gemachten Pupillengelder den dermal bestehenden lf. Waisenbehörden nach den in dem Verordnungsentwurf angetragenen Modalitäten zu gestatten und die zwangsweise Anlage in dem Tilgungsfonds aufzulassen. Der Minister des Inneren ist überzeugt, daß diese Maßregel allseitig als eine sehr zeitgemäße und wohltätige werde begrüßt werden.c Für dermalen und bisher zur Organisierung der Gemeinden wäre die kumulative Anlegung der nicht individuell fruchtbringend gemachten Pupillengelder den dermal bestehenden lf. Waisenbehörden nach den in dem Verordnungsentwurf angetragenen Modalitäten zu gestatten und die zwangsweise || S. 119 PDF || Anlage in dem Tilgungsfonds aufzulassen. Der Minister des Inneren ist überzeugt, daß diese Maßregel allseitig als eine sehr zeitgemäße und wohltätige werde begrüßt werden.,7

III. Kompetenz in Ehedispenssachen

Der Kultusminister referierte über eine zwischen ihm und den Ministern des Inneren und der Justiz obwaltende Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Kompetenz, wegen Erteilung der Dispens von den Ehehindernissen des Gattenmordes, der Unmündigkeit und des Ehebruchs Vortrag an Se. Majestät zu erstatten.

Der Kultusminister nahm diese Kompetenz für sich in Anspruch, weil das Ehegesetz8 von ihm im Einvernehmen mit dem Justizminister bearbeitet und von Sr. Majestät dessen Durchführung ihm im gleichen Einvernehmen übertragen worden ist, die Frage über Zulässigkeit einer Ausnahme von dessen Bestimmungen also, obwohl streng genommen keine Kultussache, doch mehr zur Kompetenz eines derjenigen Ministerien gehört, welches bei der Bearbeitung des Ehegesetzes tätig war, als zur Kompetenz des Ministeriums des Inneren; weil die Rücksichten, welche bei der Würdigung solcher Dispensgesuche zu beachten sind, doch zum großen Teile auf Religion und Sittlichkeit sich beziehen und, so weit es Akatholiken betrifft, die Dispenserteilung auch vom kirchlichen Standpunkte gewürdigt werden muß, also unzweifelhaft zur Kompetenz des Kultusministers gehört, weil endlich der letztere bereits in dem Falle war, über ein derlei Dispensgesuch Vortrag an Se. Majestät zu erstatten und Allerhöchstdieselben die Resolution darauf zu erteilen geruht haben9.

Die Minister des Inneren und der Justiz hielten dagegen das Ministerium des Inneren dazu für berufen, weil früher – vor dem Erscheinen des neuen Ehegesetzes – die Ehedispensen bei den politischen Behörden angesucht und erteilt wurden, auch ihrer Natur nach ohne konfessionellen Charakter wie alle anderen Nachsichten von bürgerlichen Verboten, wie die Erteilung der politischen Ehekonsense etc., als besondere Gnadenakte zum Ressort des Inneren gehören dürften. Indessen erklärte der Minister des Inneren , dwenn von den von dem Justizminister angeregten prinzipiellen Bedenken abgesehen werden wolle,d gegen die Zuweisung dieser Angelegenheit an das Kultusministerium nichts weiter einwenden zu wollen, und die übrigen Stimmen der Konferenz sprachen sich – mit Ausnahme des Justizministers – für die Kompetenz des Kultusministeriums aus, teils wegen des natürlichen Zusammenhangs der Materien und weil auch dieses Ministerium eine politische Behörde ist, teils weil – wie der Chef der Obersten Polizeibehörde bemerkte- Se. Majestät durch Annahme und Resolvierung eines in einer solchen Angelegenheit vom Kultusminister erstatteten Vortrags die Sache bereits entschieden haben dürften10.

IV. Bátaszéker Stiftungsplatz

In der zeuge des Vortrags vom 28. Juli 1858, KZ. 3032, MCZ. 2687, wegen Besetzung eines Bátaszéker Stiftungsplatzes in der Theresianischen Akademie11 zwischen den Ministern des Unterrichts und des Inneren streitigen Wahl zwischen den beiden Kandidaten Adolph Böhm Ritter v. Bawerk und Emil, angeblich Edlen v., Less haben sich die mehreren Stimmen der Konferenz für Böhm erklärt, nachdem Less seinen Adel nicht nachweisen konnte, dieser Nachweis aber für den fraglichen Stiftplatz unbedingt erforderlich und ohne Zweifel in der betreffenden Konkursausschreibung ausdrücklich vorgeschrieben worden ist12.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Laxenburg, 5. September 1858.