Einleitung - Retrodigitalisat (PDF)

Von Stefan Malfèr

Die Reise des Kaiserpaares nach Ungarn - Retrodigitalisat (PDF)

|| S. 11 PDF || Kaiser Franz Joseph I. war ein reisefreudiger Monarch1. Aber abgesehen von individueller Neigung gehörten Kaiserreisen zum festen Instrumentarium der Machtrepräsentation. Ausgenommen davon waren natürlich private Reisen, etwa zu Sommer- oder Jagdaufenthalten oder aus familiären Gründen. Die politischen Reisen waren entweder außen- oder innenpolitischer Natur. Zur ersten Gruppe gehörte etwa das Treffen mit Zar Alexander II. in Weimar Anfang Oktober 18572 und die aus der Reiseoffensive nach dem verlorenen Krieg von 1859 hervorgegangenen Reisen des Jahres 1860 nach Baden-Baden, Teplitz und Warschau, die alle der Durchbrechung der außenpolitischen Isolation Österreichs dienten3. Als Mischform könnte die Teilnahme des Kaisers an der feierlichen Eröffnung der Gesamtstrecke der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn zwischen Wien und München im August 1860 bezeichnet werden4.

Ausgesprochen innenpolitisch motiviert waren die großen Reisen nach Lombardo-Venetien und nach Ungarn 1856/57. Beide dauerten mehrere Monate und sollten dazu dienen, das durch die revolutionären Ereignisse von 1848 und die nachfolgenden Kriege samt Belagerungszustand zutiefst erschütterte Verhältnis der dortigen Bevölkerung zur Dynastie zu verbessern und politisch verlorenes Terrain aufzuholen. Zu beiden Reisen brach nicht nur der Kaiser, sondern das Kaiserpaar auf. Die italienische Reise dauerte vom 17. November 1856 bis zum 12. März 1857 und führte Franz Joseph und Elisabeth über || S. 12 PDF || Laibach, Triest, Venedig (Aufenthalt 25. November 1856 bis 3. Jänner 1857), Padua und Verona nach Mailand (Aufenthalt 15. Jänner bis 2. März 1857). Das Paar kehrte über Mantua, Treviso, Udine, Görz und Laibach nach Wien zurück. Auf der Rückreise wurde übrigens auch die Adelsberger Grotte besichtigt5. Der Zweck der Reise sollte nicht nur durch die Anwesenheit des Herrschers, sondern durch gezielte positive, Vertrauen fördernde Maßnahmen erreicht werden. Dazu gehörten die Aufhebung von Gütersequestrationen für italienische Revolutionäre, Begnadigungen, die Niederschlagung von Hochverratsprozessen, aber auch sozialkaritative Maßnahmen ebenso wie die Förderung von Kunst und Wissenschaft. Der politisch wichtigste Schritt während des italienischen Aufenthaltes war, gewissermaßen als Abschiedsgeschenk, die Berufung des als liberaler geltenden kaiserlichen Bruders, des Erzherzogs Ferdinand Maximilian, zum Generalgouverneur des lombardisch-venezianischen Königreichs an Stelle des alten Feldmarschalls Radetzky am 28. Februar 1857 6. Den politischen Hintergrund und das letztliche Scheitern dieser gutgemeinten Maßnahme hat Brigitte Mazohl in ihrem Werk über die österreichische Verwaltung in Lombardo-Venetien ausgeleuchtet7.

Die Reise nach Ungarn wies viele Parallelen zur italienischen auf. Der Zweck war der gleiche, sie begann als Reise des Kaiser- (bzw. Königs)paares und wurde von flankierenden Maßnahmen begleitet. Die Umstände bewirkten freilich auch Unterschiede. Zuerst wurde in der Hauptstadt Ofen das ah. Hoflager aufgeschlagen (4. Mai 1857), von wo aus ein Ausflug nach Waitzen (20. Mai) und eine erste Rundreise im Zentrum des Landes, in der großen ungarische Tiefebene, unternommen wurde (23. bis 29. Mai). Sie führte nach Jászberény und, gegen den Uhrzeigersinn, nach Szegedin, Gyula, Großwardein, Debreczin und zurück nach Ofen. Dann erzwang ein trauriges Ereignis in der kaiserlichen Familie eine Unterbrechung. Am 12. Mai erkrankte die erst zehn Monate alte Erzherzogin Gisela an Durchfall und Fieber, genas aber wieder. Kurze Zeit später erkrankte auch die zweijährige Erzherzogin Sophie. Sie erlag der Krankheit und verstarb am 29. Mai. Am 30. Mai begab sich die Familie nach Laxenburg, die Leiche des verstorbenen Kindes wurde in der Ofener Schloßkirche aufgebahrt und am 1. Juni nach Wien überführt und in der Kapuzinergruft beigesetzt. Die Reise wurde erst nach gehöriger Trauerzeit und nach weiteren Verzögerungen fortgesetzt, doch reiste nun Franz Joseph allein, ohne Elisabeth. Vom 8. bis zum 15. August unternahm er eine zweite Rundreise, die ihn durch die südwestlichen Komitate nach Ödenburg, Keszthely, Veszprim, Stuhlweisenburg und zurück nach Wien führte. Es folgte vom 23. August bis 5. September die dritte Rundreise durch || S. 13 PDF || den Norden des Landes nach Preßburg, Balassa-Gyarmath, Rima-Szombath, Leutschau, Eperies, Kaschau, Miskolcz, Erlau, Gödöllő und zurück nach Wien8.

Der erwünschte innenpolitische Erfolg der Ungarnreise von 1857 stellte sich nicht ein. Das lag vor allem daran, daß der Kaiser, aber auch seine Berater nicht daran dachten, die Politik Ungarn gegenüber zu ändern. Die neoabsolutistischen Vorstellungen von Reichseinheit ohne jedwede föderalistische Abschwächung waren noch zu stark verankert und durch keine Mißerfolge in Frage gestellt. Erst die Ereignisse von 1859 brachten hierin – sehr langsam – eine Wende9. Im Sommer 1857 war man nicht einmal bereit, eine von zahlreichen angesehenen ungarischen Magnaten unterzeichnete Denkschrift entgegenzunehmen. Die von Graf Emil Dessewffy in kurzer Frist verfaßte, loyal gehaltene Petition wurde innerhalb weniger Tage von 131 altkonservativen Magnaten, aber auch von einigen der liberalen Partei Nahestehenden heimlich unterzeichnet und sollte vom Fürstprimas Kardinal Scitovszky überreicht werden. Bei der Audienz informierte der Kardinal den Kaiser über den Inhalt, doch nahm Franz Joseph die Petition nicht entgegen10. Man war nicht bereit, den zerrissenen Gesprächsfaden aufzunehmen, womit ein nachhaltiger Erfolg der Reise unmöglich gemacht wurde.

Auch die Ernennung eines Ungarn zum Minister war nur eine Geste, nicht aber Zeichen einer neuen Politik. Am 18. Mai 1857 wurde Karl Freiherr v. Krauß, seit 1851 Justizminister, || S. 14 PDF || des Amtes enthoben und zum Ersten Präsidenten des Obersten Gerichts- und Kassationshofes ernannt, gleichzeitig wurde der Präsident des Obersten Urbarialgerichtes, Franz Graf Nádasdy, zum Justizminister ernannt. Scitovszky interpretierte diese Ernennung Nádasdys als Frucht seiner Unterredung mit dem Kaiser11.

Die Ungarnreise gehört, ungeachtet der Tatsache, daß sie letztlich keinen nachhaltigen Erfolg zeitigte, zu den wichtigen Themen der Ministerkonferenzprotokolle dieser Monate. Die eingangs erwähnten begleitenden Maßnahmen wurden nämlich in der Konferenz ausführlich besprochen und vorbereitet, viel ausführlicher als bei der Italienreise, und ihre Durchführung beschäftigte wiederholt die Minister. Die Konferenz vom 20. März 1857, an der auch Erzherzog Albrecht, der Generalgouverneur in Ungarn, teilnahm, war ausschließlich diesem Thema gewidmet. Von wem und wann zum ersten Mal die Anregung zur Reise ausgesprochen wurde, ist nicht sicher. Es ist aber auch unerheblich, die Idee lag in der Luft. Gewiß ist, daß sie nicht nur Befürworter hatte. Skeptisch äußerte sich z. B. der Vizepräsident des Reichsrates, Norbert v. Purkhart. Er fand die Reise bedenklich, weil die Altkonservativen „ihr Haupt erheben wollen“, und der Chef der Obersten Polizeibehörde, FML. Johann Franz Freiherr Kempen v. Fichtenstamm, stimmte ihm „im Innersten“ zu12. Erzherzog Albrecht war unsicher über den politischen Erfolg, wie aus dem vorbereitenden Schriftverkehr hervorgeht13. Der Kaiser hielt es für notwendig, übertriebene Erwartungen von vornherein mit scharfen Worten zurückzuweisen. Er eröffnete die Ministerkonferenz vom 20. März damit, er wolle an den Prinzipien der bisherigen Politik unabänderlich festhalten und nicht ein Haarbreit von ihnen abweichen. Unter dieser Voraussetzung sollten dann „Erleichterungen und Begünstigungen“ gewährt werden, und es war an Erzherzog Albrecht, sie zu nennen und zu verteidigen. Im wesentlichen handelte es sich um drei Bereiche: Steuererleichterungen, symbolträchtige Geschenke und Begnadigungen.

Langfristig dürften die Begnadigungen am ehesten zur Beschwichtigung des angespannten Verhältnisses zwischen Franz Joseph und den Ungarn beigetragen haben. Zur Aussöhnung ist es ja, wenn auch erst später, doch gekommen. Sie allein nahmen Bezug auf die schmerzlichen historischen Ereignisse von 1848/49 und waren als Beitrag gedacht, die Vergangenheit zu überwinden, auch wenn das uralte Gnadenrecht des Herrschers eine solche Interpretation nicht automatisch beinhaltete. Im Handschreiben an den Justizminister wurden die Gnadenakte ausdrücklich so begründet: „Um über die politischen Verirrungen einer traurigen Vergangenheit und insbesondere über die seit dem Jahre 1848 in verschiedenen Teilen Meines Reiches gegen die bestehende Staatsordnung vorgekommenen Umtriebe für immer den Schleier der Vergessenheit zu ziehen …“. Immerhin wurden bei der in Ofen am 8. Mai 1857, fünf Tage nach dem feierlichen Empfang des Herrscherpaares, unterzeichneten und am 10. Mai publizierten Amnestie über 540 Personen begnadigt, indem 213 in Freiheit kamen und bei 330 der Prozeß oder die Untersuchungen niedergeschlagen wurden14. Dieser Amnestie folgte mit Handschreiben vom 23. Mai || S. 15 PDF || 1857 die Rücknahme der kriegsrechtlichen Vermögenskonfiskationen, ein für die betroffenen Familien sehr wichtiger Gnadenakt. Auch den im Ausland befindlichen verurteilten Revolutionären wurde Hoffnung gemacht, indem sie bei den diplomatischen und konsularischen Vertretungen Bittgesuche um Strafnachsicht, Rückkehrbewilligung und Nachsicht des Vermögensverfalls einreichen konnten15. Die politisch gesehen wichtigste Person, die im Zug dieser Gnadenakte zurückkehren konnte, war Gyula Graf Andrássy. Der 1851 in Abwesenheit zum Tod Verurteilte wurde zehn Jahre nach der Begnadigung von 1857 und der Erlaubnis zur Rückkehr ungarischer Ministerpräsident (1867–1871) und war anschließend neun Jahre lang Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußeren (1871–1879). Es war das ranghöchste Amt, das der Kaiser und König Franz Joseph I. zu vergeben hatte. Diese Karriere war nicht nur aus der Sicht Andrássys, sondern auch aus der Sicht des Herrschers ohne Zweifel bemerkenswert.

Auch ein Geldgeschenk, das der hohe Besuch mitbrachte, hatte mit der Vergangenheit zu tun. Es wurde zwar nicht ausgesprochen, aber alle wußten Bescheid: der Steuerzuschlag, der 1851 eingeführt worden war, um den Wiederaufbau des durch die aufständischen Truppen zerstörten königlichen Schlosses in Buda zu finanzieren, wurde eingestellt. Mehr noch, die bisher eingezahlten 800.000 Gulden sollten nicht für den Bau, sondern für Landeszwecke verwendet werden. Der Löwenanteil von 300.000 Gulden sollte für den dringend notwendigen Bau einer Landesirrenanstalt, weitere 240.000 Gulden zur Förderung der Land- und Forstwirtschaft durch Errichtung von Lehranstalten, Stipendien, Prämien und zur Herstellung des Musterweingartens in Ofen, der Rest der Summe für Stiftplätze im Theresianum, für Versorgungsstipendien für Beamtenkinder, für Künstlerstipendien und für das Nationalmuseum verwendet werden16. Neben diesem „Mitbringsel“ wurden in der Ministerkonferenz viele andere finanzielle Investitionen, Hilfen, Begünstigungen und Erleichterungen besprochen und dann zum Teil gewährt, manche erst im Lauf der Reise oder auch erst später. Unterstützt wurden der Bau der Leopoldstädter Kirche in Pest – die St.-Stephans-Basilika –, die medizinische Fakultät und das tierärztliche Institut. Den Landwirtschaftsvereinen und verschiedenen Gebietskörperschaften wurde die Rückerstattung von Vorschüssen erlassen17. Die Vergütung für die Militäreinquartierung wurde neu geregelt, was vor allem für Pest eine große Erleichterung bedeutete18.

Am schwierigsten gestalteten sich die Regierungsgespräche über Steuererleichterungen, obwohl Erzherzog Albrecht sie seinem Wunschkatalog vorangestellt hatte. Er forderte Erleichterungen bei der Grundsteuer, bei der Erwerb- und Personalsteuer und beim Steuerzuschlag für die Landeserfordernisse. Der Finanz- und der Innenminister reagierten hinhaltend. Sie verwiesen auf die bestehenden Instrumente für notwendige Steuernachlässe und auf bereits in Gang befindliche Verhandlungen. Natürlich sagten sie zu, alles zu prüfen, und ganz ohne Ergebnis blieben diese Gespräche nicht. Man verzichtete auf die, offenbar kaum einbringlichen, Rückstände beim Kriegszuschlag und senkte den Landesbeitrag19. || S. 16 PDF || Eine nachhaltige Besserung des Verhältnisses der Steuerzahler zum ungeliebten Wiener Zentralstaat wurde dadurch sicher nicht erzielt.

Insgesamt wurden am 20. März in der Ministerkonferenz 29 Punkte angesprochen. Es waren nach der Wortwahl des Kaisers „Erleichterungen und Begünstigungen, die mit den obersten Regierungsgrundsätzen vereinbarlich sind“, also Geschenke und Entgegenkommen, ohne die Politik zu ändern. Das Grundproblem wurde nicht angegangen, und deshalb ist die Reise in ihrem hauptsächlichen politischen Anliegen gescheitert20. Vielleicht war sie durch andere Elemente doch ein notwendiger Schritt auf dem langen Weg von 1849 bis 1867. Zum ersten Mal sahen viele in Ungarn die junge Kaiserin/Königin; das durch das traurige Familienereignis ausgelöste Mitleid mag versöhnlich gewirkt haben; die Begnadigungen räumten emotionelle Hürden weg.

Eine politische Reise kann die Bestätigung einer gelungenen Problemlösung sein. Sie kann vielleicht die Lösung eines Problems befördern. Sie kann aber keinesfalls an die Stelle einer wirklichen Problemlösung treten.

Noch einmal Ungarn: die Regelung der kirchlichen Verhältnisse der Evangelischen - Retrodigitalisat (PDF)

Der vorliegende Band enthält die Protokolle zu vier am 30. und 31. Dezember 1857 und am 4. und 6. Jänner 1858 abgehaltenen Konferenzen, die einen tiefen Einblick in die Unsicherheit zulassen, welche im Zentrum des Reiches über die gegenüber Ungarn im allgemeinen und den ungarischen Evangelischen im besonderen einzuschlagende Politik herrschte21. Alle vier Konferenzen fanden unter dem Vorsitz des Kaisers statt. Anwesend waren nicht alle Minister, nicht einmal der Vorsitzende der Ministerkonferenz Carl Ferdinand Graf Buol-Schauenstein, sondern nur der Minister für Kultus und Unterricht Leo Leopold Graf v. Thun und Hohenstein, der Innenminister Alexander Freiherr v. Bach und, nur bei den ersten beiden Sitzungen, der Justizminister Nádasdy, der aber wohl nicht als Justizminister, sondern als „Ungar“ beigezogen war. Dafür waren der Generalgouverneur in Ungarn Erzherzog Albrecht, seine rechte Hand in Zivilangelegenheiten Sektionschef Stephan Freiherr v. Hauer und, offenbar als Vertrauensmann, der ehemalige ungarische Hofkanzler Anton Graf Mailáth v. Székhely, der kein Amt innehatte, anwesend. Die anderen Minister und Leiter von Zentralstellen waren nicht eingeladen, es handelte sich um eine nur Ungarn und nur die evangelischen Kirchen betreffende Angelegenheit. Die Protokolle sind bei den ordentlichen Ministerkonferenzprotokollen eingefügt und indiziert.

Es ging um die seit langem anstehende Regelung der kirchlichen Verhältnisse der Evangelischen in Ungarn, ein überaus komplexer Gegenstand, der einerseits im Zusammenhang mit der allgemeinen Religionspolitik, andererseits im ungarischen Kontext zu sehen ist. Die Revolution von 1848 hatte in den österreichischen Ländern den gesetzlich anerkannten || S. 17 PDF || Kirchen und Religionsgesellschaften und in Ungarn den christlichen Religionsgemeinschaften gleiche Rechte zugesagt. In der Pillersdorfschen Verfassung vom 25. April 1848 war ausdrücklich „die Beseitigung der in einigen Teilen der Monarchie noch gesetzlich bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religionskonfessionen“ in Aussicht gestellt worden. Das kaiserliche Patent vom 3. März 1849 hatte für die österreichischen Länder die Rechte der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften bestätigt22. Dieser Passus überstand sogar die neoabsolutistische Wende von 1851/5223. All das hatte bei allen Konfessionen Überlegungen und Gespräche zur Neuordnung ihres Verhältnisses zum Staat ausgelöst, und die Regierung war auch teilweise darauf eingegangen24. Allerdings war bis 1857 nur das Verhältnis zwischen dem Staat und der katholischen Kirche neu geregelt worden, nämlich im Konkordat vom 18. August 1855 25. Gerade der Abschluß des Konkordats hatte aber die Lösung der Frage auch für die anderen großen Konfessionen virulent gemacht, weil sie darin die Bevorzugung der katholischen Kirche und eine Zurücksetzung der eigenen Konfession erblickten.

Kultusminister Thun war in diesen Jahren auch nicht untätig geblieben. Nachdem sich das Projekt einer evangelischen Reichskirche, also der gemeinsamen Regelung für alle evangelischen Konfessionen und für alle Reichteile, wegen des Widerstandes aus Ungarn als undurchführbar erwiesen hatte, konzentrierte sich das Ministerium auf die Vorbereitung der Regelung der beiden evangelischen Konfessionen, der Lutheraner und der Reformierten, in Ungarn26.

Die Reise des Kaisers nach Ungarn hatte wohl auch Hoffnungen in diese Richtung geweckt. Der Stand der Dinge war in formaler Hinsicht folgender. Kultusminister Thun hatte einige Monate nach der Aufhebung des Belagerungszustandes in Ungarn am 1. Mai 1854 eine Vertrauensmännerversammlung einberufen, die im Mai 1855 zusammengetreten war. Aus den schon lange laufenden Vorarbeiten des Ministeriums und den Ergebnissen dieser Versammlung war 1856 ein ministerieller Gesetzentwurf hervorgegangen, der den Superintendenzen zur freien Meinungsäußerung und zur Beratung in den jeweiligen Konventen übermittelt worden war. Ein Ergebnis gab es zum Zeitpunkt der Reise noch || S. 18 PDF || nicht. Vor diesem Hintergrund ist auch die Deputation zu sehen, die der Kaiser am 20. April 1857 in Wien empfing und die u. a. um die Abhaltung einer Synode bat27. Gewiß haben die Vertreter der beiden evangelischen Konfessionen auch bei den Audienzen während des Aufenthaltes Franz Josephs im Lande ihre Anliegen vorgetragen.

Am 14. Mai 1857 legte Kultusminister Thun seinen Vortrag über die Ergebnisse der Beratungen der Konvente vor und beantragte zugleich die Einberufung von Synoden. Der Vortrag – obwohl während des Aufenthaltes des Kaisers im Lande vorgelegt – hatte keinerlei Konsequenzen während der Reise. Er wurde zunächst dem Reichsrat zur Begutachtung übermittelt, der nach überraschend kurzer Zeit, am 26. Juni, darüber beriet und den Antrag des Ministers befürwortete. Der Reichsratspräsident aber – es war der erst vor kurzem, am 2. Februar 1857, ernannte Erzherzog Rainer –, durch dessen Vortrag die Beratungen des Reichsrates dem Kaiser zur Kenntnis zu bringen waren, sprach sich am 30. Juli 1857 entschieden gegen die Abhaltung von Synoden zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus und empfahl eine „eindringliche und umfassende Verhandlung im Wege der Ministerkonferenz“28. Nun ruhte – scheinbar – die Sache ein halbes Jahr, doch ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der Kaiser den Generalgouverneur Erzherzog Albrecht damit befaßte. Auch Albrecht war aus politischen Gründen gegen die Einberufung der Synoden zu diesem Zeitpunkt. Zu gut kannte er die Stimmung im Lande und befürchtete offensichtlich, daß solche Versammlungen das Einfallstor oppositioneller Politik waren, die, einmal ermöglicht, nicht mehr in den Griff zu bekommen sein würde. Er bereitete sich gut auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit Thun vor. Damit sind wir bei den Konferenzen vom Dezember 1857 und Jänner 1858 angelangt. Es war wohl schon bewußte Taktik, daß dabei Albrechts Adlatus Hauer und Graf Mailáth anwesend waren, nicht aber die übrigen Teilnehmer der Ministerkonferenz, die Minister Buol, Karl Ludwig Freiherr v. Bruck, Georg Ritter v. Toggenburg, der Generaladjutant FML. Carl Graf Grünne und der Chef der obersten Polizeibehörde Kempen.

Thun beantragte also die Einberufung von Synoden. Als formal notwendiger Schritt hatte, so Thun, die Befragung der Konvente über Zusammensetzung, Ort und Beratungsgegenstände der Synoden vorauszugehen. Die Konferenzen vom 30. und 31. Dezember 1857 waren der Erörterung dieser Fragen gewidmet. Alle Teilnehmer waren kompetent und gaben ausführliche rechtshistorische und klare politische Äußerungen ab, es war eine wirklich intensive Diskussion. Auf der einen Seite stand Thun, auf der anderen standen Albrecht und seine Anhänger. Bach stand in der Mitte. Erzherzog Albrecht, Mailáth, und Nádasdy waren gegen die Einberufung der Synoden zum jetzigen Zeitpunkt, Hauer äußerte sich dazu nicht, war aber selbstverständlich der Meinung Albrechts. Bach unterstützte in diesem Punkt Thun. Heftiger war der Widerspruch gegen die vorherige Befragung der Konvente. Alle Aufregung sei zu vermeiden, mahnte Albrecht. Die Konvente würden natürlich Ofen-Pest vorschlagen, und diesen Ort müßte die Regierung ablehnen. Hier blieb Thun ganz allein. Die Beratungsgegenstände seien ohnehin klar. Auch darüber || S. 19 PDF || wollte niemand die Konvente befragen. Nur bei der Zusammensetzung der Synoden fand Thun Unterstützung bei Bach und bei Mailáth. Insgesamt hatte Thun also zwar nicht gewonnen, aber noch nicht verloren. Am 4. Jänner 1858 lenkte der Kaiser die Beratungen von den bisherigen formalen auf die inhaltlichen Fragen. Welches Ergebnis sollten die Synoden zeitigen? Was wollte die Regierung erreichen? Dabei kam es zum Eklat. Thun erläuterte, ganz konsequent zu allen seinen Vorschlägen seit 1850, den Plan einer zwar presbyterial-synodalen, also von unten nach oben organisierten Kirche, die jedoch unter eine starke Staatsaufsicht gestellt werden sollte. Das Oberaufsichtsrecht des Staates sollte so ausgebaut werden, daß eine wie immer geartete politische Tätigkeit der Kirchen unterbunden werden konnte. Dies sollte erreicht werden durch den Einbau eines konsistorialen Elements, nämlich durch die Einsetzung je eines Oberkirchenrates für die Lutheraner und für die Reformierten durch den Kaiser, dann durch die kaiserliche Bestätigung sämtlicher Funktionen bis hinunter zu den Pfarrern, durch die Einsendung der Beratungsprotokolle aller Gremien an die politischen Behörden und schließlich durch die Neueinteilung der Superintendenzen nach der politischen Gliederung. Der springende Punkt im Vorschlag Thuns war, daß diese Elemente, in der richtigen Erwartung, die Synoden würden sie ablehnen, wenn es sich nur um ministerielle Vorschläge handelte, vom Kaiser schon vorher zu oktroyieren wären. Alles andere, die weitere innere Organisation könne den Synoden überlassen werden.

Diese Eröffnungen ermöglichten es Erzherzog Albrecht, in einer heftigen Entgegnung den Antrag Thuns auf Einberufung der Synoden ganz zu Fall zu bringen. Die Vorschläge würden einen völlig neuen Weg weisen, argumentierte er. Man könne nicht die wesentlichen Punkte imperativ anordnen und die Synoden nur über unwesentliche Fragen beraten lassen. Es sei gegen die gemachten Zusicherungen und würde das Vertrauen der Evangelischen in die Regierung vernichten. Man sieht, daß Erzherzog Albrecht, der sonst wohl nichts gegen imperative Anordnungen hatte und der auch wußte, wie gering das Vertrauen der Protestanten und des in den Kirchen prominent vertretenen ungarischen Adels in die Regierung bereits war, hier auch taktisch argumentierte. Seine Stellungnahme war so massiv, daß die Sache eigentlich entschieden war. Angesichts dessen stellte sich Bach, taktisch geschickt, auf die Seite Albrechts. Thun, ein harter Diskutierer, verteidigte natürlich seinen Standpunkt. Dem Kaiser blieb nichts anderes übrig, als die Sitzung zu unterbrechen: „Nach einer noch länger fortgesetzten Diskussion […], wobei jeder Stimmführer seine frühere Ansicht festhielt, geruhten Se. Majestät der Kaiser die Beratung zu schließen.“ Am 6. Jänner eröffnete der Kaiser die Fortsetzung mit der getroffenen Entscheidung, es sei nicht ratsam, vor Abhaltung der Synoden mit den umfassenden „Dekretierungen“ hervorzutreten. Thun hatte also verloren, der Kaiser gegen ihn entschieden. Den Ausweg aus der Pattsituation wies Minister Bach durch einen Verfahrenstrick. Der Kultusminister möge doch zuerst „eine umständliche Darstellung der den Synoden von Seite der Regierung zur Beratung zuzuweisenden Gegenstände und Fragepunkte“ ausarbeiten. Genau mit diesem Auftrag an Thun schloß der Kaiser die Konferenz.

Diese kurze Zusammenfassung der Inhalte und der Sitzungsdynamik der Konferenzen von Ende 1857 und Anfang 1858 kann und will nicht die Lektüre dieser spannenden Dokumente ersetzen. Bemerkenswert ist, daß sich Thun übers Jahr schließlich doch durchsetzte. Den kaiserlichen Auftrag vom 6. Jänner 1858 ignorierte er im Grunde und || S. 20 PDF || schritt gleich an die volle Ausarbeitung dessen, was er im Sinn hatte, nämlich ein kaiserliches Patent zur Regelung der kirchlichen Verhältnisse der Evangelischen und eine innere Kirchenordnung. Der begleitende Vortrag sollte eine umfassende Erläuterung der Verhältnisse und der Entwicklung der Verhandlungen seit dem vielzitierten, als Basis anerkannten 26. Gesetzartikel des Landtages von 1790/1791 bieten, in dem Kaiser Leopold II. im Verfolg des Toleranzpatents Kaiser Josefs II. die Autonomie der evangelischen Kirchen in Ungarn garantiert hatte. Mit der Ausarbeitung beauftragte Thun seinen Fach- und Vertrauensmann für diese Frage, den Sektionsrat Josef Andreas Zimmermann. Ergebnis war der berühmte, als Staatsschrift bezeichnete Vortrag vom 4. September 1858 mit den Patent- und Statutenentwürfen, die nach eingehender Beratung in der Ministerkonferenz und im Reichsrat am 1. und 2. September 1859 erlassen wurden. In diesem Protestantenpatent von 1859 waren alle Positionen, die Thun in den Konferenzen zur Jahreswende 1857/58 vertreten hatte, im wesentlichen verwirklicht. Jedoch erschien das Patent zu einem für die Regierung höchst ungünstigen Zeitpunkt. Der soeben verlorene Krieg gegen Piemont und Frankreich schwächte das neoabsolutistische Regime und beflügelte die ungarische Opposition. Der Kampf um die Kirchenautonomie wurde sogar einer der Kristallisationspunkte des ungarischen Widerstandes. Daran ist das Protestantenpatent von 1859 gescheitert29. Die Kontrahenten von 1857/58, Erzherzog Albrecht und Thun, saßen aber im selben Boot. Albrecht wollte 1857/58 aus Vorsicht gar nichts tun, Thun wollte endlich die Frage lösen, natürlich nach seinen Vorstellungen, und damals wohl zu einem noch nicht so verfahrenen Zeitpunkt wie nach Solferino. Beider Politik erwies sich als verfehlt. Beide mußten in der Folge 1860 ihre Posten verlassen.

Ob es die richtige Politik gegeben hätte, ist eine nicht zu beantwortende Frage. Zahlreich waren jedenfalls die Konfliktfelder innerhalb des zu lösenden Problems. Die Konfessionen selbst – Lutheraner und Reformierte – waren untereinander nicht immer einer Meinung. Die nationale Frage spielte herein und barg Sprengstoff: die Ungarn fürchteten die Zentrifugalkraft der Nationalitäten, die Slowaken fürchteten die Magyarisierung, die Deutschen waren in dieser Frage gespalten. Es ging auch um politische und soziale Macht. Die Frage lautete, ob der in den evangelischen Kirchen so einflußreiche ungarische Adel weiterhin seine Stellung behalten würde. Ideologie und Theologie spielten eine Rolle: ob die Kirchen nach dem konsistorialen oder nach dem presbyterial-synodalen Prinzip einzurichten waren, berührte religionsinterne und theologische Fragen, spielte aber auch ins ideologisch-politische Feld. Die an eine alte Verfassung gewohnten Ungarn setzten konsistorial mit hierarchisch-absolutistisch gleich und lehnten es folgerichtig ab. Dagegen sahen die konservativen Vertreter des Regimes im presbyterial-synodalen Prinzip parlamentarisch-konstitutionelles Denken, bei dem die Revolution nicht mehr weit schien30. Schließlich ist die Frage in die gesamtpolitische Lage einzubetten. Damit sind wir wieder bei den Konferenzen im vorliegenden Band, wo sich zwischen Personen, die sich grundsätzlich und ideologisch vollkommen innerhalb des Regimes bewegten, eine tiefe Kluft über den taktisch einzuschlagenden Weg aufgetan hatte.

Der Staat und die katholische Kirche - Retrodigitalisat (PDF)

Die Regelung des Verhältnisses zu den evangelischen Kirchen war nicht das einzige religionspolitische Thema in den Ministerkonferenzen dieser Monate. Immer wieder gab es konfessionsbezogenen Gesprächsstoff. Harmlos war die eine oder andere Durchführungsbestimmung des 1855 mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossenen Konkordats31. Kontroversiell wurde es immer dann, wenn Kultusminister Thun einen die Religionen betreffenden Gegenstand vor die Konferenz brachte und dabei bis hart an die Grenzen einer Bevorzugung der katholischen Kirche ging oder diese Grenzen überschritt. Regelmäßig wurde diese Haltung von anderen Mitgliedern der Ministerkonferenz und letztlich von der Mehrheit zurechtgerückt. Das Oberaufsichtsrecht des Staates in allen konfessionellen Angelegenheiten und die Gleichbehandlung der Konfessionen durch den Staat waren Grundsätze, die auch in dieser Zeit, die man von außen als unter der Herrschaft des Konkordats stehend empfand, nicht vergessen waren und die wiederholt eingefordert wurden. Als Thun die Wiedererrichtung einer theologischen Fakultät an der Universität Innsbruck beantragte und zugleich vorschlug, sie durch die Jesuiten betreiben zu lassen, stimmte die Ministerkonferenz zwar grundsätzlich zu, beharrte jedoch auf der Bedingung, daß „der überwachende Einfluß der Regierung“ gewahrt werden müsse. Da Thun etwas ausweichend antwortete, beharrte Buol, der den Vorsitz führte, darauf, „daß nur unter der Bedingung der Unterordnung der Fakultät unter die allgemeinen Kontrollvorschriften der Antrag auf deren Übergabe an die Jesuiten zur Ah. Genehmigung geeignet sein dürfte“32. So geschah es dann auch33.

Als ein von den Bischöfen vorgelegter Entwurf über die Regelung der theologischen Studien zur Erledigung anstand, wollte Thun die kaiserliche Kenntnisnahme erwirken, die Ministerkonferenz plädierte für die kaiserliche Genehmigung, und man einigte sich auf „genehmigende Kenntnisnahme“34.

Auch bei der von Kardinal Joseph Othmar Ritter v. Rauscher für die Erzdiözese Wien vorgelegten Taxordnung für Verhandlungen vor dem kirchlichen Ehegericht beharrte die Ministerkonferenz auf dem Aufsichts- und Überwachungsrecht der Regierung und fand auch sonst mehrere Bestimmungen ungenügend35. Als Thun fast beleidigt meinte, er sehe keinen zureichenden Grund, die Vorlage des Kardinals nicht zu genehmigen, und die Regierung möge doch einen Gegenentwurf ausarbeiten, griff diese den Ball sofort auf und lud den Finanzminister dazu ein, dessen Entwurf dann tatsächlich, nach Verhandlungen mit dem Kardinal, genehmigt wurde. So kam es, daß die Taxordnung des Ehegerichtes der Erzdiözese Wien, später ausgeweitet auf andere katholische österreichische Diözesen, aus der Feder des protestantischen Finanzministers Bruck stammte. Justizminister Krauß formulierte bei dieser Diskussion klar den Grundsatz der staatlichen Religionspolitik. Es müsse „der Unterschied zwischen geistlichen und Vermögensangelegenheiten festgehalten werden. Die Taxen treffen das Vermögen der Untertanen, sie sind eine Besteuerung, und || S. 22 PDF || das Besteuerungsrecht ist ein landesfürstliches Hoheitsrecht. Überläßt es der Landesfürst in einzelnen Fällen an jemand andern, so behält er sich doch vor, auf dessen Ausübung überwachenden Einfluß zu nehmen und zu beurteilen, ob die Modalitäten, unter denen es geübt werden will, den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen und den Verhältnissen der Bevölkerung entsprechen und ob damit nicht eine die letztere drückende und über den eigentlichen Zweck der Auflage hinausgehende Einnahme erzielt werden will.“36

Einen kleinen Erfolg konnte Thun in der Fortgeltung einer alten Regel verzeichnen, nach der der weltliche Arm beim Vollzug geistlicher Anordnungen mitzuwirken hatte. Ein Seelsorger konnte nämlich von der Ortsobrigkeit verlangen, daß ihm ein Pfarrkind zwecks Ermahnung vorgeführt werde. Innenminister Bach, die Mehrheit der Ministerkonferenz, ja sogar der Chef der Obersten Polizeibehörde sahen, daß diese Verfügung durch das Konkordat nicht gedeckt, also obsolet war. Thun meinte aber, sie entspreche durchaus dem Geist des Konkordats und diene nur der Aufrechterhaltung der Disziplin. Der Kaiser folgte in diesem Punkt der Ansicht Thuns37.

Ohne Ergebnis blieb auch der folgende Interventionsversuch der Ministerkonferenz. Das Kultusministerium war mit einer Beschwerde über einen kalvinischen Pastor konfrontiert, der einen Mann aus der Gemeinde, der eine Katholikin heiraten wollte, von der Kanzel herab gerügt hatte, weil er den Revers betreffend die katholische Erziehung der Kinder unterschrieben hatte. Thun fand keinen Handlungsbedarf gegenüber diesem etwas fundamentalistischen Pastor und wollte den Ball an das Konsistorium zurückspielen. Würde ein katholischer Pfarrer etwas Derartiges tun, müsse auch der Bischof entscheiden und nicht die Staatsverwaltung, meinte Thun. Die Mehrheit der Konferenz war hingegen der Ansicht, die landesfürstlichen Behörden wären sehr wohl berufen, darüber zu entscheiden, und Bruck, der Protestant, forderte sogar, die Regierung solle das Verhalten des Pastors mißbilligen. Zu einer Entscheidung kam es nicht, die Sache wurde mit Hinweis auf die Verhandlungen über die evangelische Kirchenverfassung vertagt38.

Das Konkordat brachte der katholischen Kirche großen Einfluß auf die Schule. Dies führte am 2. Jänner 1858 zu einer heftigen Auseinandersetzung über die Bestellung zweier Lehrer für die neu gegründete Wiener Handelsakademie und zu intensiven Bemühungen, einen Ausweg zu finden39. Thun glaubte, zwei vom Verwaltungsrat für die Fächer Mathematik und Handelsrechnung vorgeschlagene Lehrer, einen Juden und einen Protestanten, mit Hinblick auf den Artikel VII des Konkordats nicht bestätigen zu können. In den für die katholische Jugend bestimmten Mittelschulen und Gymnasien dürften nur Katholiken unterrichten. Finanzminister Bruck, dem die Errichtung dieser Handelsschule ein großes Anliegen war und der sich schon im Vorfeld sehr für Kompromisse eingesetzt hatte, verlangte mit sehr ernsten und energischen Worten, „diese Angelegenheit durch || S. 23 PDF || irgend ein Auskunftsmittel beizulegen, damit der üble Eindruck vermieden werde, den die Maßregel der Regierung einer gemeinnützigen Anstalt gegenüber ohne Zweifel im Publikum hervorbringen würde“. Die Schule sei durch freiwillige Beiträge von Teilnehmern aller Konfessionen für Schüler aller Konfessionen ermöglicht worden. Nicht konfessionelle Rücksichten, sondern die fachliche Tüchtigkeit solle bei der Auswahl der Lehrer ausschlaggebend sein. Alle anwesenden Minister waren auf Brucks Seite. Der Ausweg wurde schließlich in der Teilung der Schule gefunden. Das Vorbereitungsjahr wurde als Mittelschule nach Artikel VII geführt, die zweijährige höhere akademische Fachschule war nicht dem Konkordat unterworfen, und hier konnten auch nichtkatholische Lehrkräfte angestellt werden.

Auch anläßlich einer durch das Konkordat bzw. das Ehegesetz für Katholiken von 1856 notwendig gewordenen Rechtsanpassung für Nichtkatholiken wurde ein Antrag Thuns von allen anderen mit dem Argument der Parität abgelehnt. Man könne nicht Kinder verschiedener Religionsbekenntnisse verschieden behandeln40.

Eine ganz außerordentlich heftige Kontroverse zum Thema Gleichbehandlung der Religionsbekenntnisse löste der Antrag Thuns im März 1858 aus, die formalen Bestimmungen beim Religionswechsel abzuändern41. Für die österreichischen Länder galt, daß, wer von einer christlichen Konfession in eine andere wechseln wollte, zuerst durch zweimalige Erklärung vor dem eigenen Seelsorger und vor zwei Zeugen die Absicht zum Übertritt kundzutun hatte42. Nach Thuns Entwurf aber sollte der Ein- oder Übertritt in die katholische Kirche ohne Formalitäten möglich sein. Das war eine klare Bevorzugung dieser Konfession. Die Minister warfen Thun vor, sein Vorschlag würde die Proselytenmacherei fördern und den religiösen Frieden stören. Kompliziert wurde die Angelegenheit durch den Umstand, daß in der Frage des Austritts aus der katholischen Kirche eine Meinungsverschiedenheit zwischen den österreichischen Bischöfen und dem Heiligen Stuhl herrschte. Die Bischöfe wollten an der Erklärung vor dem eigenen Seelsorger festhalten, damit dieser dem Aus- bzw. Übertrittswilligen ins Gewissen reden konnte, der Heilige Stuhl hatte schon in den Konkordatsverhandlungen gefordert, die Austrittserklärung habe vor den politischen Behörden zu geschehen. Diese Meinungsverschiedenheit bot den Ausweg, die Sache nach Rom zu verweisen und damit auf die lange Bank zu schieben. In der Tat blieb es – bis zum Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse vom 25. Mai 1868 – beim Erlaß von 1849. Der Antrag Thuns vom März 1858 lief also ins Leere, doch hat er uns ein Aktenstück beschert, das ein beeindruckendes Zeugnis der langfristigen josefinisch-liberalen Religionspolitik der österreichischen Zentralverwaltung gegen die ultramontane Religionspolitik Thuns darstellt. Nach einer kurzen Einführung Thuns hielt Bach ein fulminantes Referat gegen die Absichten des neuen Entwurfs. Die Sitzung wurde unterbrochen. Drei Tage später legte Bruck ein schriftliches Votum vor, das ins Protokoll eingefügt wurde. Es bezeugt die tiefe Betroffenheit und den Zorn Brucks über Thuns Ansichten, und verlangt energisch, der Staat möge das, was er der katholischen Kirche gewährt habe, den Protestanten nicht weiter vorenthalten. Bruck wies im Zusammenhang mit der endlich zu lösenden || S. 24 PDF || interkonfessionellen Frage auch auf das Image Österreichs in Deutschland hin. Kürzer, aber nicht minder eindeutig äußerten sich Justizminister Nádasdy, Handelsminister Toggenburg und der Vorsitzende Buol-Schauenstein, der an die Gleichheit aller vor dem Gesetz und an die Zusage der Gleichberechtigung der Religionsgenossenschaften erinnerte. Auch Kempen und Kellner traten der Mehrheit bei. Thun wies in seiner Replik die Vorwürfe zurück, äußerte auch angebliche praktische Argumente, blieb aber im Wesentlichen bei seiner Ansicht, die darauf hinauslief, eine theologische Argumentation zur Grundlage für das Staatsrecht zu machen. Mit dem Hinweis auf die katholische Lehre von den Sakramenten und daraus abgeleitet auf das Seelenheil bestritt er das Gleichheitsprinzip. Dieser fundamentalistische Ansatz wurde von den anderen Ministern und ebenso dann auch vom Reichsrat einmütig zurückgewiesen. Das Protokoll endet mit einer Replik Brucks auf die Replik Thuns, in der Bruck noch einmal die Kritik am Konkordat zitierte, und mit dem Hinweis Kellners auf die 600.000 Akatholiken in der Militärgrenze.

Dieses Protokoll und auch die anderen Beispiele zeigen, daß die Spitzen der Zentralverwaltung entschieden die Gleichberechtigung der Religionsbekenntnisse als ein wichtiges, staatstragendes Prinzip gegen die einseitige Bevorzugung der katholischen Kirche anerkannten.

Reformen - Retrodigitalisat (PDF)

Es gab kaum ein Gebiet des öffentlichen Lebens, in dem die Regierungen seit 1849 nicht Reformen in die Wege geleitet hatten. Sie betrafen einerseits den Verwaltungsapparat, die Behörden. Diese Reformen waren durch die Abschaffung der vormärzlichen Patrimonialverwaltung ausgelöst worden, deren Agenda aus der Hand der Grundherrschaften und ihrer sogenannten Wirtschaftsämter in die Hand oft neu zu schaffender staatlicher – man verwendete den Ausdruck „landesfürstlicher“ – Behörden oder an die autonomen Gebietskörperschaften übergehen sollten, angefangen von der Ortsgemeinde. Der Wandel erforderte eine umfangreiche legistische Tätigkeit – Gesetze, Patente, Verordnungen, Statute usw. – und anschließend die durchführende Organisationstätigkeit43. Aber auch in materiellrechtlicher Hinsicht war es eine Reformperiode, ausgelöst teils durch das Unterbleiben von Reformen vor 1848, teils durch die Ereignisse der Revolutionszeit selbst oder einfach durch neue Vorstellungen auf vielen Gebieten. Hier ist vor allem die liberale Wirtschaftsgesetzgebung zu nennen. Ein dritter Reformansatz zielte auf die Stärkung der Reichseinheit durch Zentralisierung der Verwaltung und durch Rechtsvereinheitlichung. Das Grundanliegen der Regierung seit Schwarzenberg war ja die Schaffung eines starken, einheitlichen Staates. Der Staat sollte nicht mehr aus historischen Ländern mit ihren gewachsenen Unterschieden und Privilegien zusammengesetzt sein, die letztlich nur in der Person des Landesfürsten vereint waren, sondern der Staat sollte selbst die Einheit sein, die nach innen in gleichgeschalteten Kronländern, im Grunde Provinzen, organisiert war. Zu diesem Zweck waren viele Verordnungen und Vorschriften, in denen es große || S. 25 PDF || regionale Unterschiede gab, zu vergleichen, zu prüfen, zusammenzuführen und dann unter Außerkraftsetzung der älteren Normen neu zu erlassen, nunmehr gültig „für das ganze Reich“. Diese Vereinheitlichung war ein wesentlicher Teil von „Österreichs Neugestaltung“, wie man das Vorhaben propagandistisch bezeichnete. Gerade 1857 erschien jener Teil der „Ethnographie der österreichischen Monarchie“, des großen Werkes des bedeutenden Statistikers Karl (Carl) Czoernig, seit 1852 Freiherr von Czernhausen, Sektionschefs im Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten und Direktor der Administrativen Statistik, in dem als §§ 97–120 unter dem Titel „Österreichs Neugestaltung“ die Entwicklung und die Reformen seit 1848 dargestellt waren. Noch im selben Jahr wurde dieser Text als selbständiges Buch in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei gedruckt, 1858 erschien er bei Cotta in Stuttgart und Augsburg44.

Für die österreichischen Länder war der Prozeß der Vereinheitlichung schon seit langem im Gange, die vereinigte Hofkanzlei hatte hierin Vorarbeit geleistet. Dennoch gab es auch zwischen diesen Ländern noch beträchtliche Unterschiede. Schwieriger war die Rechtsvereinheitlichung bei jenen Ländern, die entweder abweichende starke historische Traditionen hatten, wie die Länder der Stephanskrone mit ihrer alten ständischen Verfassung und die italienischen Teile des Reiches, oder die noch nicht so lange zu Österreich gehörten, wie Galizien oder Krakau. So wurden viele Reformen und Vorschriften zuerst nur für die österreichischen Länder in Kraft gesetzt und später in den genannten Ländern durch eigene „Einführungspatente“ übernommen. Ein besonderes Kapitel war die Vereinheitlichung der Heeresergänzung, auf die unten im Abschnitt über die Armee eingegangen wird.

Nicht alle Reformvorhaben gelangten zur Gesetzesreife. Von jenen, die tatsächlich im ersten Jahrzehnt der Regierung Kaiser Franz Josephs I. in Kraft traten, wurden viele in der konstitutionellen Zeit ab 1861 bzw. ab 1867 von den Parlamenten oder den Landtagen revidiert. So manche Neuordnung aus den 1850er Jahren blieb jedoch lange oder sehr lange in Kraft45. Auch in Ungarn zeitigten manche der Reformen der 1850er Jahre, obwohl grundsätzlich abgelehnt, positive Nachwirkungen, schufen „Rahmenbedingungen für eine Verbürgerlichung“ und erhielten mitunter eine „zweite Chance“ nach 186746. Im vorliegenden Band sind vier Beispiele aus der Kategorie der Rechtsvereinheitlichung durch Übernahme von früher für die österreichischen Kronländer erlassenen Vorschriften in den Ländern der Stephanskrone bzw. in Galizien enthalten. Drei Protokollpassagen sind von lakonischer Kürze und nur im Kontext des großen (letztlich gescheiterten) Versuch der Errichtung eines Einheitsstaates verständlich.

Am 7. April 1857 brachte Justizminister Krauß die „Einführung der für deutsche Kronländer bestehenden Notariatsordnung in Ungern, Kroatien, Slawonien, Woiwodina, Siebenbürgen und Galizien“ zur Sprache und erhielt ohne Diskussion die Zustimmung der Ministerkonferenz, den entsprechenden Antrag und das Einführungspatent dem Kaiser || S. 26 PDF || vorlegen zu dürfen47. Der Fall ist auch ein gutes Beispiel für den oft mühsamen Behördenweg, den eine Materie zu durchlaufen hatte.

Das Notariat war eine ins italienische Hochmittelalter zurückreichende Einrichtung, die in Österreich nur bedingt rezipiert worden war. 1850 war es im Zug der Neuordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit wiederbelebt worden. Die Notariatsordnung vom 29. September 1850 war aber nur für die österreichischen Länder erlassen worden48. Sehr bald aber wurde sie wieder in Frage gestellt. Das Notariat geriet in die Auseinandersetzung um die Kompetenzen bei der Neuordnung der Verwaltung. In der Ministerkonferenz vom 24. April 1852 mußte Justizminister Krauß das Institut der Notare gegen heftige Angriffe seitens des Innenministers Bach, dem auch Minister Thun beitrat, verteidigen. Nur in Italien und in größeren Städten sei es beizubehalten, meinte Bach, auf dem flachen Lande aber sei es den neu aufzustellenden gemischten Bezirksämtern zu übertragen. „Für Ungarn und Galizien würde er das Institut der Notare geradezu für gefährlich, für ein Depot der regierungsfeindlichen Parteien halten.“49 Ende 1852 entschied der Kaiser doch für die Beibehaltung, allerdings unter Aufhebung des Notariatszwanges, und gab eine neue Notariatsordnung in Auftrag50. Krauß veranlaßte daraufhin eine Enquete. Im April 1854 konnte er den neuen Entwurf in der Ministerkonferenz vorlegen. Es brauchte ein weiteres Jahr, bis der Reichsrat seine Begutachtung abgeschlossen hatte. Am 21. Mai 1855 wurde die neue Notariatsordnung genehmigt, ebenfalls nur für die österreichischen Kronländer51. In der Folge befragte der Justizminister die Landesautoritäten der übrigen Länder über die Einführung des Institutes. In der Ministerkonferenz am 7. April 1857 konnte er berichten, daß sich mit Ausnahme des Banus von Kroatien alle zustimmend geäußert hatten, außerdem hätten die Handelskammern von Pest und Agram die Notare als ein dringendes Bedürfnis bezeichnet. Es gab, wie gesagt, keine Diskussion mehr. Bach, der 1852 gegen die Einführung in Ungarn und Galizien gesprochen hatte, meldete sich nicht zu Wort. Der Vortrag des Justizministers wurde natürlich nicht sofort resolviert, sondern zuerst dem Reichsrat zu Begutachtung übergeben. Der Reichsrat schlug vor, die Anzahl und die Amtssitze die Notare nicht nur provisorisch, wie es der Justizminister beantragte, sondern sofort definitiv festzulegen. Der Kaiser folgte dem Reichsrat, wodurch sich die Sache noch einmal um mehrere Monate verzögerte. Im Oktober 1857 legte Justizminister Nádasdy, der inzwischen Krauß nachgefolgt war, die entsprechende Verordnung vor. Sie wurde wiederum dem Reichsrat zur Stellungnahme überwiesen. Schließlich wurde die Notariatsordnung mit kaiserlichem Patent vom 7. Februar 1858 in Ungarn, Siebenbürgen, || S. 27 PDF || der serbischen Woiwodschaft mit dem Temescher Banat, Kroatien-Slawonien und in Galizien mit Krakau und der Bukowina eingeführt, zugleich wurden die Anzahl und die Amtssitze mit Ministerialerlaß vom 16. Februar 1858 kundgemacht52. Die somit erzielte Rechtseinheit war aber nur von kurzer Dauer. In den Ländern der Stephanskrone wurden zwar die Notare in den folgenden Monaten bestellt, und die Notariatsordnung trat im Lauf des Jahres 1859 in den einzelnen Territorien zu verschiedenen Zeitpunkten in Wirksamkeit. Doch schon das Oktoberdiplom versprach die Wiederherstellung der früheren Justizverwaltung in Ungarn, was mit den Beschlüssen der Judexkurialkonferenz von 1861 verwirklicht wurde53. Damit wurde die Notariatsordnung in Ungarn außer Kraft gesetzt. In Siebenbürgen galt sie theoretisch bis zum Ausgleich von 1867. Für beide Gebiete galt dann die ungarische Notariatsordnung von 1874. In Kroatien-Slawonien, das im Separatausgleich von 1868 eine rechtliche Sonderstellung erhielt, blieb die österreichische Notariatsordnung von 1855 bis zum Ende der Monarchie in Kraft54. In Cisleithanien kam es 1871 zu einer Novellierung der Notariatsordnung.

Nur wenige Zeilen des Ministerkonferenzprotokolls vom 5. Mai 1858 beanspruchte die Einführung des Forstgesetzes vom 3. Dezember 1852 in den ungarischen Ländern. Innenminister Bach referierte seinen diesbezüglichen Vortrag, die Konferenz stimmte zu. Dahinter verbarg sich aber ein großes und wichtiges Jahrhundertgesetz. Schon in den 1840er Jahren hatte man die Arbeiten an der Kodifizierung der in unterschiedlichen Waldordnungen festgelegten Bestimmungen für Waldnutzung und Waldschutz aufgenommen. Die Grundentlastung, durch die große Waldflächen ins Eigentum der Gemeinden übergingen, verstärkte das Bedürfnis nach einer möglichst reichseinheitlichen Regelung. Darüber hinaus wurde auch der Zustand der Wälder als schlecht empfunden, was auf eine wachsende Beanspruchung der Wälder und auch auf eine Sensibilisierung dem Wald gegenüber schließen läßt, wie aus der Diskussion im Ministerrat anläßlich der Gesetzesvorlage im Dezember 1850 hervorgeht55. Der Entwurf eines allgemeinen Forstgesetzes stammte vom österreichischen Bergrat und Professor der Forstwissenschaften Rudolf v. Feistmantel56. Das Forstgesetz von 1852 unterstellte den gesamten Wald, unabhängig von der Art des Besitzes, der staatlichen Einwirkung. Die Aufsicht wurde den politischen Behörden übertragen, die aber zur „Zuziehung der Beteiligten“ verhalten waren. Es folgte dem Grundsatz der Walderhaltung im Interesse der Allgemeinheit, ohne gleichzeitig den Eigentümer zu bevormunden. Es galten das Rodungsverbot, das Aufforstungsgebot und das Waldverwüstungsverbot. Das sogenannte || S. 28 PDF || Reichsforstgesetz von 1852 genoß hohe Wertschätzung57. Es blieb in Cisleithanien bis zum Ende der Monarchie und darüber hinaus, in der Republik Österreich sogar bis 1975, in Geltung.

Im April 1857 beantragte Innenminister Bach die Einführung des Gesetzes auch in den ungarischen Ländern. Die Ministerkonferenz und der Reichsrat befürworteten den Antrag. Am 24. Juni 1857 unterzeichnete Franz Joseph das Einführungspatent58. Ab 1. Jänner 1858 galt das Forstgesetz also auch in Ungarn. Hier war es allerdings nicht so lange in Geltung wie in Cisleithanien, vielmehr wurde schon 1879 ein neues ungarisches Forstgesetz erlassen59.

Ebenfalls von lakonischer Kürze ist das Ministerkonferenzprotokoll betreffend die Einführung einiger Bestimmungen des Stempel- und Taxgesetzes in den ungarischen Ländern60. Der Gegenstand fügt sich aber bestens in den großen Zusammenhang der Rechtsvereinheitlichung. Das Steuer- und Abgabenwesen war ein weites Feld für Reformen. Abgesehen von den Schwächen und von der sozialen Schieflage des vormärzlichen Steueraufkommens erforderten die dem Staat seit 1848 zugefallenen neuen Aufgaben zusätzliche Mittel: die Verstaatlichung der Verwaltung, die Einführung der Gendarmerie, der stark erhöhte Aufwand für die Armee61. Eine wichtige Einnahmequelle waren die Gebühren von Rechtsgeschäften. Sie waren im ersten Teil des Stempel- und Taxgesetzes von 1840 geregelt. Dieses Gesetz stellte zwar eine beachtliche Kodifizierungsleistung dar, war aber im Aufkommen unzureichend und sozial ungerecht, indem es die großen Vermögen schonte62. Schon im Februar 1850 gelang der beachtliche Wurf eines neuen Gebührengesetzes, das den ersten und umfangreichsten Teil des Gesetzes von 1840 ablöste. Damit war ein effizientes und flexibles Instrument geschaffen, das zu einem sozial differenzierten Steueraufkommen im Bereich der Verkehrssteuern führte63. Dieses Gesetz wurde sofort, noch im Jahr 1850, auch in den ungarischen Ländern eingeführt64. Der zweite, kürzere Teil des Gesetzes von 1840 handelte von sehr unterschiedlichen Abgaben wie der Dienstverleihungstaxe oder den Zahlungen, die für das Privileg der Abhaltung von Wochenmärkten, für die Gründung einer Aktiengesellschaft, für die Errichtung eines Fideikommisses usw. zu leisten waren. Dieser Teil blieb in Kraft, galt aber nicht in den || S. 29 PDF || ungarischen Ländern. Nach gehöriger Vorberatung wurde nun in Dezember 1857 auch dieser Teil auf die ungarischen Länder ausgedehnt65.

Während bei den bisher genannten Beispielen gerade einmal die Tatsache der Übernahme eines Gesetzes in den ungarischen Ländern protokolliert wird, bietet das vierte Beispiel eine ausführliche inhaltliche Ergänzung zur Thematik, sodaß die Ministerkonferenzprotokolle zur substantiellen Primärquelle werden. Es ging um einen Paragraphen des ABGB. und um das Wuchergesetz von 1803, inhaltlich gesehen um ein wirtschaftspolitisches Thema. Der Paragraph 994 des ABGB. legte entsprechend dem Wuchergesetz von 1803 die gesetzliche Obergrenze für Hypothekarkreditzinsen mit 5% fest. Das ABGB. war in den ungarischen Ländern im Jahre 1853 in Kraft gesetzt worden – ein wesentlicher Schritt hin zu einem einheitlichen Rechtsraum66. Da aber hier die gesetzliche Obergrenze für solche Kredite 6% betragen hatte, bewirkte die Einführung des ABGB., daß Gelddarleihen auf Hypotheken nun weniger Zinsen abwarfen. Die Kreditgeber suchten auf andere Kreditformen auszuweichen, und bei den Kreditnehmern entstand, so Erzherzog Albrecht, eine „Geldklemme“. Die großen Grundbesitzer, um die es hauptsächlich ging, kamen schwerer zu Geld. Daher schlug der Generalgouverneur als Zugeständnis an das Land vor, hier den § 994 des ABGB. aufzuheben.

Ein solches Zugeständnis fand keine Befürworter in der Ministerkonferenz, im Gegenteil, der Justizminister regte an, überhaupt das ganze österreichische Wucherpatent von 1803 auch in den ungarischen Ländern einzuführen. Nur Finanzminister Bruck vertrat eine andere Meinung, er wollte die gänzliche Freigabe des Geldverkehrs, also überhaupt die Aufhebung des Wuchergesetzes und der entsprechenden Paragraphen des ABGB. Aus dieser Fragestellung ergab sich eine zweitätige intensive Diskussion über die Verhältnisse in Ungarn und über die wirtschafts-, sozial- und rechtspolitischen Aspekte der gesetzlichen Regelung d. h. Beschränkung des Zinsfußes oder aber seiner Freigabe67. Diese Diskussion reichte ins 18. Jahrhundert zurück und wiederholte sich seither in größeren Abständen. Sollte es eine gesetzliche obere Grenze des Zinsfußes für verliehenes Geld geben, oder sollte es dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden, wieviel an Zinsen bedungen wurden? Je nach der Antwort veränderte sich auch der Begriff des Wuchers, der im ersten Fall die Überschreitung der gesetzlichen Obergrenze bedeutete, im zweiten Fall auf die unmoralische Übervorteilung des Gläubigers, z. B. den Mißbrauch seiner Notlage, eingeschränkt war. Die Mehrheit der Minister lehnte sowohl die Zinsfreigabe überhaupt als auch eine Ausnahme für Ungarn ab. Bruck stand mit seiner Meinung noch ganz allein da. Erst im Lauf der 1860er Jahre setzte sich die wirtschaftsliberale Ansicht in dieser Frage immer mehr durch, bis schließlich 1866 auch der Kaiser überzeugt werden konnte68.

Vorerst, Anfang 1858, blieb alles beim Alten, jedoch trug der Kaiser dem Justizminister auf, das Wuchergesetz von 1803 „mit tunlichster Beschleunigung einer Revision zu unterziehen, || S. 30 PDF || um dasselbe mit den entsprechenden Verbesserungen in allen Kronländern einführen zu können“. Auch das war also ein Schritt hin zur Rechtsvereinheitlichung, der jedoch aus politischen Gründen dann nicht umgesetzt wurde.

Andere Reformen konnten gleich von Anfang an im gesamten Umfang des Reiches eingeführt werden. Dazu gehörte z. B. die einschneidende Reform des Paßwesens und damit die Verwirklichung der Reisefreiheit im Februar 185769. Bis dahin mußte für jede Reise auch innerhalb des Staates ein neuer Paß ausgestellt werden, und dieser mußte immer wieder vorgewiesen, hinterlegt oder vidiert werden. Statt dessen konnte man nun für Inlandsreisen bei den Bezirksämtern eine für ein Jahr gültige Legitimationskarte bzw. für Auslandsreisen bei den Kreisämtern einen für drei Jahre gültigen Reisepaß beantragen. Man hatte ein Recht auf diese Dokumente, und wer in ihrem Besitz war, konnte ungehindert reisen. Die kaiserliche Verordnung vom 9. Februar 1857 formulierte es so: „Alle Paßrevisionen haben sich künftig auf die Grenze des Staatsgebietes zu beschränken, es hat daher im Inneren desselben von den bisherigen Vorweisungen, Vidierungen und ämtlichen Hinterlegungen der Reisepässe an bestimmten Orten abzukommen.“ Das war in der Tat eine große Erleichterung für den Personenverkehr, ein Stück Liberalisierung, und zugleich wieder ein Schritt in Richtung Einheit des Staates. Der Hintergrund der Maßnahme waren die allgemeine Intensivierung des Verkehrs durch den Eisenbahnbau, die Zunahme der gewerblichen und industriellen Tätigkeit, man denke an die immer beliebteren Industrieausstellungen, und schließlich die Bemühungen, einen mitteleuropäischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Die meisten deutschen Staaten hatten schon mit der Dresdener Konvention vom 21. Oktober 1850 die Einführung von Paßkarten vereinbart70. Die österreichische Verordnung von 1857 schuf die Voraussetzung, daß nun auch die Habsburgermonarchie dieser Konvention beitreten konnte, auch wenn bis dahin noch einmal zwei Jahre vergingen71.

Ebenfalls sofort für den ganzen Umfang des Reiches galten die Gesetze zum Schutz der gewerblichen Marken und zum Schutz der Muster und Modelle für Industrieerzeugnisse72. Beide Gesetze waren für Österreich Neuland. Geschützt waren bis dahin nur im Rahmen des Urheberrechts das literarische und künstlerische Eigentum und im Rahmen des Patentrechts die Erfindungen, sofern sie eine gewerbliche Anwendung zuließen73.

|| S. 31 PDF || Ungeschützt waren aber die äußere Form eines gewerblichen oder industriellen Erzeugnisses, also ihr Design, und die Firmenbezeichnung oder Marke des Erzeugers oder des Händlers. Der große Aufschwung von Gewerbe, Industrie und Handel ließ einen Schutz auch der Marken und Muster geboten erscheinen, und die Handelskammern und die industriellen Kreise drängten nach einer entsprechenden Gesetzgebung, so wie sie im Ausland teilweise bereits bestand. Nach Befragung der Handelskammern und der Landesbehörden legte Handelsminister Toggenburg die Gesetzentwürfe vor. Aus dem Protokoll der Ministerkonferenz ist deutlich die Unsicherheit zu entnehmen, die bei den Ministern über die Frage herrschte, zum Beispiel beim Innenminister. Bach war zuerst gegen das Musterschutzgesetz, ließ sich aber vom Handelsminister überzeugen. In der abschließenden Diskussion am 9. Juni 1857 fand er seine Bedenken gegen das Gesetz durch die Erläuterungen und Aufklärungen des Handelsministers in der Hauptsache behoben, betonte aber, daß der Wunsch von den Industriellen ausgegangen sei, daher könne man ihm schwer entgegentreten. Auch Bruck und Nádasdy stimmten nur mit Hinweis auf diese ausdrücklichen Wünsche für das Gesetz. Auf weniger Bedenken stieß das Markenschutzgesetz. Die Skepsis der Ministerkollegen dürfte den Handelsminister veranlaßt haben, zuzuwarten, jedenfalls legte er die Gesetze erst ein Jahr später dem Kaiser vor. Auch im Reichsrat gab es Bedenken, schließlich aber doch eine Mehrheit dafür, und am 7. Dezember 1858 sanktionierte der Kaiser beide Gesetze. Das Markenschutzgesetz trat am 1. Jänner 1859, das Musterschutzgesetz am 1. März 1859 für den Umfang des ganzen Reiches in Wirksamkeit. In Cisleithanien war das Markenschutzgesetz immerhin bis 1890, das Musterschutzgesetz bis zum Ende der Monarchie in Geltung.

Für eine weitere Reform wurden 1857 entscheidende Schritte gesetzt, nämlich für die Einführung einer neuen Währung, die die seit 1750 bestehende Konventionswährung ablösen sollte74. Der Beginn der Vorbereitung liegt ebenso wie die tatsächliche Einführung der neuen „österreichischen Währung“ außerhalb des Zeitraums des vorliegenden Bandes, doch werden hier die wesentlichen Durchführungsgesetze diskutiert. Die neue, ab 1. November 1858 geltende österreichische Währung war kein vollständiger Bruch mit der früheren Konventionswährung. Beide waren reine Silberwährungen, und die wesentlichen Münzen hießen vorher und nachher Gulden und Kreuzer. Es gab zwar auch Vereinsgoldmünzen, sie waren aber reine Handelsmünzen und kein Zahlungsmittel75. Neu war der Übergang zum metrischen Pfund und zum Dezimalsystem, indem nun das Pfund zu 500 Gramm das Basisgewicht für die Ausmünzung war, der Feingehalt in Tausendstelteilen ausgedrückt und der Gulden in 100 Einheiten geteilt wurde, jedenfalls zukunftsweisende Modernisierungsschritte. Neu war der Münzfuß, nämlich 45 Gulden aus einem || S. 32 PDF || Pfund = 500 Gramm reinen Silbers statt 20 Gulden aus einer Kölner Mark = 233,85 Gramm. 100 Gulden Konventionsmünze entsprachen daher 105 Gulden österreichischer Währung, ein nicht allzusehr ins Gewicht fallender Unterschied. Dagegen war die Neukreuzer genannte Scheidemünze der neuen österreichischen Währung, bei der 1 Gulden 100 Kreuzer ergab, gerade einmal halb so viel wert wie ein alter Kreuzer Konventionsmünze als der 60. Teil des alten Guldens.

Die neue Währung entsprang dem Wunsch, das Münzwesen unter den deutschen Staaten und Österreich, das mit ihnen durch den Handelsvertrag von 1853 verbundenen war, zu vereinheitlichen. Die Staaten des Deutschen Zollvereins und Österreich vereinbarten im Münzvertrag vom 24. Jänner 1857 die Einführung eines Vereinstalers als gemeinsame Münze und die Ordnung der Landeswährungen nach nur mehr drei Münzfüßen. Es gab die norddeutsche Talerwährung, die süddeutsche Währung in Gulden und die österreichische Währung ebenfalls in Gulden. Der Durchbruch zu einer wirklich gemeinsamen Währung gelang nicht, der Vereinstaler ersetzte nicht die Landeswährungen. In Österreich war Finanzminister Bruck der Hauptbefürworter des Abschlusses des Münzvertrags und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit der Währungsumstellung. Die Annäherung im Münzwesen war Teil seiner langfristigen Deutschlandpolitik, also der Bemühungen um eine großdeutsch-großösterreichische wirtschaftliche Einigung76.

Bruck verfolgte mit dem Münzvertrag noch ein weiteres Ziel, die Währungssanierung, also die Rückkehr zu der seit 1848 sistierten freien Umtauschbarkeit zwischen den Banknoten und dem Silbergeld. Der Vertrag enthielt nämlich die Bestimmung, daß kein Staat Papiergeld mit Zwangskurs ausgeben dürfe, und daß bereits umlaufendes bis zum 1. Jänner 1859 eingezogen werden müsse77. Diese Bestimmung konnte der Finanzminister als Druckmittel sowohl gegen die Nationalbank als auch im Kampf um einen ausgeglichenen Staatshaushalt einsetzen.

Die Verhandlungen über den Münzvertrag waren schon im Sommer 1856 abgeschlossen. In der Ministerkonferenz gab es zwar einige Bedenken, erbittert aber war der Widerstand im Reichsrat, vor allem seitens des früheren Finanzministers Philipp Freiherrn v. Krauß78. Bruck setzte sich jedoch gegen alle Widerstände durch. Der Vertrag wurde am 24. Jänner 1857 in Wien unterzeichnet und vom Kaiser am 30. April 1857 ratifiziert. Die Durchführung verlief in drei Schritten. Am 13. Juni 1857 legte Bruck in der Ministerkonferenz ein kaiserliches Patent zur Regelung des Münzwesens vor, das die Voraussetzungen für die technische Durchführung der Umstellung schuf, also die gesetzlichen Grundlagen der Prägung der neuen Münzen. Es wurde genau redigiert, aber ohne größere Diskussion || S. 33 PDF || angenommen79. Am 10. Dezember 1857 wurde, nach gehöriger Vorbereitung durch eine interministerielle Kommission, jenes kaiserliche Patent besprochen, das die rechtliche Umsetzung anordnete. Es besagte, daß die Münzen österreichischer Währung ab dem 1. November 1858 das ausschließliche gesetzliche Zahlungsmittel waren und daß nicht nur die Staatsausgaben und -einnahmen, sondern die Bücher der Gemeinden und aller unter Staatsaufsicht stehenden Körperschaften, Vereine und Anstalten für öffentliche Zwecke, namentlich Banken usw. in dieser Währung zu führen waren. Auch dieses Patent wurde in der Ministerkonferenz ohne größere Diskussion gebilligt. Nur hinsichtlich der Benennung der Scheidemünze wurde Bruck überstimmt. Er, dann Justizminister Nádasdy und der Vorsitzende Buol-Schauenstein plädierten für die Bezeichnung „Cent“, was der Unterteilung des Guldens in 100 statt wie bisher in 60 Teile entsprach. Die Mehrheit war aber für die Beibehaltung des Wortes „Kreuzer“ und wollte die Kupferscheidemünze „Neukreuzer“ nennen, obwohl die Dezimaleinteilung des Guldens und damit „die völlige Neugestaltung des für den Kleinverkehr der breiten Bevölkerung so wichtigen Scheidemünzensystems“80 eine sehr starke Veränderung des Wertes zwischen altem und neuem Kreuzer bedeutete81. Die abschließende Besprechung fand in der Ministerkonferenz am 29. Dezember 1857 statt82. Eine Wortmeldung Toggenburgs problematisierte den Zusammenhang zwischen Währungsumstellung und Währungssanierung. Der Patententwurf wurde im Reichsrat in mehreren Punkten heftig angegriffen, doch setzte sich schließlich Bruck im wesentlichen durch. Am 27. April 1858 sanktionierte der Kaiser das Patent und genehmigte gleichzeitig die Bezeichnung „Neukreuzer“83. Nach der technischen und rechtlichen Umstellung war als dritter Schritt die Anpassung aller Gesetze und sonstigen Bestimmungen erforderlich, in denen konkrete Geldbeträge genannt waren, d. h. die Umrechnung dieser Beträge von der Konventions- zur österreichischen Währung. Betroffen waren das Strafgesetz, die Beamtengehälter, diverse Taxen und Tarife, die Steuern, Zölle usw. Diese Umrechnungen beschäftigten wiederholt die Ministerkonferenz, das erstemal am 6. April 1858 betreffend das Strafgesetz84.

Die Einführung der österreichischen Währung bewirkte eine Vereinfachung im Münz- und Geldwesen, indem mehrere ältere Zahlungsmittel außer Kraft gesetzt wurden, die Umrechnung zu den anderen Währungen der deutschen Staaten erleichtert wurde und das Dezimalsystem Einzug hielt. Die großen wirtschaftspolitischen Ziele Brucks erreichte sie nicht. Zur großdeutschen Einigung ist es bekanntlich nicht gekommen, und die Wiederaufnahme der Barzahlungen durch die Oesterreichische Nationalbank ab 1. Jänner 1859 fiel rasch dem Krieg mit Sardinien und Frankreich zum Opfer. Die österreichische Währung galt 34 Jahre lang. Ab 1892 wurde sie durch die Kronenwährung auf Goldbasis abgelöst85.

|| S. 34 PDF || Ein weites Feld für Reformen war das Steuerwesen. Finanzminister Bruck hat es erfolglos zu beackern versucht, und dieser Mißerfolg hat auch sein vorrangiges Ziel, die Währungssanierung, in weitere Ferne gerückt, indem das permanente und hohe Haushaltsdefizit als grundlegender Faktor des Mißtrauens der Finanzkreise eben auch nicht durch höhere Steuereinnahmen gesenkt werden konnte. Harm-Hinrich Brandt hat die Umstände und die Ursachen des Scheiterns der Bruckschen Steuerreformpläne eingehend dargestellt und analysiert86. Der Widerstand des Großgrundbesitzes und die Opposition der konservativen Bürokratie, die sich in den Stellungnahmen des Reichsrates artikulierte, brachten alle Pläne zu Fall. Ein Beispiel dafür ist die Debatte in der Ministerkonferenz am 23. September 1857. Anläßlich der Steuerausschreibung für das Verwaltungsjahr 1858 beantragte Bruck die Erhöhung der Grundsteuer. Thun opponierte heftig gegen die isolierte Erhöhung dieser Steuer. Das sei ungerecht, wenn schon müsse man auch die anderen direkten Steuern erhöhen. Der Finanzminister meinte daraufhin, er halte zwar die Erhöhung der anderen direkten Steuern vor Einführung von Reformen nicht für angemessen, „würde sie jedoch beliebt, so hätte er dagegen auch weiter nichts einzuwenden“. So einigte sich die Ministerkonferenz auf die Erhöhung aller direkten Steuern. Das Projekt wurde aber im Reichsrat so heftig angegriffen, daß es zu Fall kam. Der Kaiser folgte dem Reichsrat, und alles blieb beim alten87.

Eisenbahnen und Weltwirtschaftskrise - Retrodigitalisat (PDF)

Reformen haben meistens eine lange Vorbereitungszeit. Manchmal aber sind Regierungen zu raschem Handeln aufgefordert. Kaiser Franz Joseph legte Wert darauf, daß alles nach dem „ordentlichen Geschäftsgange“ abgehandelt werde, eine durchaus löbliche Einstellung im Sinn einer korrekten und verantwortlichen Verwaltung und des Rechtsstaates88. Manchmal aber genügen die üblichen Vorgänge und Instrumente nicht, um eine Gefahr abzuwenden. Dann braucht eine Regierung Mut, Entschlossenheit und Phantasie.

Solche bewies die Regierung 1857 in der sogenannten „ersten Weltwirtschaftskrise“89. Die Krise, eine für den Kapitalismus typische Konjunkturüberhitzungs- und dadurch induzierte Spekulationskrise, hatte ihren Ausgang 1856 in den Vereinigten Staaten genommen und war auf den alten Kontinent übergesprungen. In Wien gelang es der Regierung, die Ausbreitung der Krise auf die Monarchie abzumildern und Zusammenbrüche zu verhindern. Ein Hauptverdienst daran hatte Finanzminister Bruck, doch hätte er allein ohne die Zustimmung der anderen Minister und des Kaisers nicht handeln können. Selbst der sonst oft heftig opponierende Reichsrat spielte mit, allerdings wurde er hier weniger involviert, weil es sich nicht um grundsätzliche, sondern um operative Entscheidungen handelte. Die Losung gab Bruck mit dem schönen Satz aus: „Außerordentliche Zustände machen auch außerordentliche Mittel der Abhilfe notwendig.“90 Österreich war durchaus || S. 35 PDF || krisenanfällig, denn der österreichische Finanzmarkt war überfüllt mit neuen Eisenbahnaktien. Das sogenannte Eisenbahnkonzessionsgesetz von 185491 – die den privaten Bahnbau ermöglichende und fördernde „Verordnung des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten vom 14. September 1854 betreffend die Erteilung von Konzessionen für Privat-Eisenbahnbauten“92 – hatte im damaligen wirtschaftlichen Leitsektor eine enorme Investitionstätigkeit ausgelöst, und die Besitzer sehr großer Kapitalsummen und einer großen Zahl an entsprechenden Aktienpapieren hofften auf satte Gewinne. Diese Finanzblase drohte zu platzen, wenn der Wert der Aktien durch hastige Verkäufe unter pari, also unter den Nennwert sank. Die Folgen wären nicht nur gewesen, daß „die Aktionäre der Gefahr namhafter Verluste ausgesetzt“ wurden, sondern auch, daß der Fortschritt beim Bau der großen Verbindungslinien, an denen der Staat sehr interessiert war, gehemmt worden wäre. Des weiteren bestand die Gefahr, daß die Krise auch den Kurs der Staatspapiere drücken könnte, und dieses von Bruck geschickt ins Treffen geführte Argument erwies sich mehrmals als ausschlaggebend für die Regierungsmitglieder, zu handeln. Der Regierung standen mehrere Instrumente zur Verfügung. Sie suchte Spekulationskapital abzuschöpfen und aus dem Verkehr zu ziehen, um den Wert der im Umlauf verbleibenden Aktien zu erhalten. Sie vergab vorerst keine neuen Baukonzessionen mehr, um den Markt vor einer weiteren Konjunkturüberhitzung zu schützen. Schließlich half sie einigen Bahngesellschaften direkt durch Finanzhilfen und durch Erleichterungen bei der Erfüllung der in den Konzessionsverträgen vereinbarten Ziele.

Der Finanzminister hatte sich schon zu Jahresbeginn 1857 zu Stützungskäufen veranlaßt gesehen. Dies geschah im eigenen Verantwortungsbereich, allerdings mit Zustimmung des Kaisers, und ohne Befassung der Ministerkonferenz, die übrigens von Anfang Februar bis Anfang März 1857 gar nicht zusammentrat. Der Kaiser befand sich in Mailand, und Bruck begleitete ihn93. In der Ministerkonferenz wurde über die Krise zum ersten Mal am 8. Mai 1857 gesprochen, und zwar sehr offen und ausführlich. Den Anlaß dazu boten die Finanzkreise selbst bzw. Handelsminister Toggenburg. Die Westbahngesellschaft und ihre Bank, die Credit-Anstalt, ersuchten um die Erlaubnis, das in der Konzessionsurkunde vereinbarte Aktienkapital von 65 Millionen Gulden um 15 Millionen Gulden verringern zu dürfen. Außerdem baten sie, vom Bau der Flügelbahn Linz-Passau entbunden zu werden. Toggenburg brachte diese Ansuchen in die Konferenz mit dem Antrag, sie abzulehnen. Zum Bau der Bahn bis Passau habe sich die Regierung Bayern gegenüber vertraglich verpflichtet. Die Reduktion des Aktienkapitals – sie sollte in Form des Rückkaufs von ausgegebenen Aktien erfolgen – lehnte er ab, weil dadurch auch das für den Weiterbau || S. 36 PDF || notwendige Baukapital geschmälert werde und weil er die Maßnahme, die er als „bisher unerhörten Vorgang“ bezeichnete, für sinnlos hielt. Seine Meinung geht aus der ursprünglichen Fassung des Protokollführers noch deutlicher hervor als aus der korrigierten Fassung: „Wenn ein Kreditpapier, dem eine 5 %ige Verzinsung garantiert ist, künstlicher Mittel bedarf, um sich zu halten, so wird es, wie die Erfahrung anderwärts gelehrt hat, wenn jene erschöpft sind, desto rascher sinken, und keine Kraft der Welt wird vermögen, den Fall aufzuhalten.“94 Die Krise werde vorübergehen, und wenn die Credit-Anstalt die Aktien einfach halte, würden sie nach der Krise wieder an Kurswert gewinnen.

In bezug auf den Weiterbau der Strecke Linz-Passau trat die Konferenz sofort der Meinung Toggenburgs bei. Die internationalen Verpflichtungen hatten Vorrang. In bezug auf den Aktienrückkauf folgte die Konferenz aber Finanzminister Bruck, der den Fall ins Allgemeine hob. Er erläuterte den Kollegen, welche Schritte er bereits unternommen habe und daß es unbedingt nötig sei, den Finanzmarkt von der Überfüllung mit Aktien zu befreien und gleichzeitig mit weiteren Baukonzessionen vorerst innezuhalten. Bruck gelang es, die Mehrheit der Konferenzteilnehmer von diesem „anderen Weg“ zu überzeugen, nicht zuletzt durch den Hinweis auf die Gefahr, daß auch die Staatsanleihepapiere mitgerissen werden könnten. Die 15 Millionen der Westbahngesellschaft waren nur ein kleiner Teil der Aktien, um die Bruck den Finanzmarkt entlasten wollte. Insgesamt waren seit 1854 Aktien in der Höhe von einer halben Milliarde Gulden ausgegeben worden. Im Lauf des Jahres 1857 sollten laut den verschiedenen Konzessionsurkunden weitere 160 Millionen begeben werden. Damit wäre tatsächlich eine enorme Finanzblase entstanden. Daß den Eisenbahngesellschaften erlaubt wurde bzw. sie veranlaßt wurden, vorerst keine weiteren Aktien zu emittieren bzw. das Aktienkapital zu reduzieren, daß diese 160 Millionen also zurückgehalten wurden, verhinderte tatsächlich das allzu heftige Übergreifen der Krise95.

Die Sitzung vom 8. Mai hatte ein interessantes Nachspiel. Die Anfrage der Westbahngesellschaft und der Credit-Anstalt haben uns ein überaus interessantes Protokoll beschert, das die Meinung der Minister zur Finanz- und Wirtschaftskrise in großer Klarheit vermittelt. In formaler Hinsicht ging es aber nur um eine informelle Auskunft, der Rückkauf selbst mußte erst in der Generalversammlung beantragt werden. Der von der Mehrheit der Ministerkonferenz getragene Beschluß ermächtigte den Handelsminister bloß, der Westbahngesellschaft mitzuteilen, daß die Regierung nichts dagegen habe, daß der Rückkauf auf die Tagesordnung der Generalversammlung gesetzt werde, und den Finanzminister, der Credit-Anstalt mitzuteilen, er werde den Vorschlag seinerzeit beim Kaiser befürworten. Franz Joseph, der übrigens gerade die Ungarnreise angetreten hatte und sich in Budapest befand, erhielt das Protokoll elf Tage später, am 19. Mai, und fühlte sich übergangen. Er beauftragte – ein wohl einmaliger Fall – den Reichsratspräsidenten, das Ministerkonferenzprotokoll im Reichsratspräsidium zu begutachten. Erzherzog Rainer antwortete am 6. Juni, der Beschluß der Ministerkonferenz wäre nicht zu genehmigen, die Minister hätten „jede vorläufige Meinungsäußerung zu unterlassen“ und nur „die ordnungsmäßige Amtshandlung vorzubehalten“. In diesem Sinn resolvierte der Kaiser das || S. 37 PDF || Protokoll am 7. Juni, einen Monat nach der Sitzung. In Krisenzeiten ist ein Monat eine lange Zeit. Toggenburg und Bruck hatten längst schon den Beschluß durchgeführt, und da sie durchaus erfahrene Politiker und Verwaltungsleute waren, hatten sie ihre Aufträge so erfüllt, daß „die ordnungsgemäße Amtshandlung“ nicht unterlaufen worden war. Sie konnten sich rechtfertigen, und der Kaiser nahm das zur Kenntnis96.

Die Krisenberatungen der Regierung wurden am 13. Mai 1857 fortgesetzt. Es lag der Entwurf für eine Regierungserklärung vor, vorerst keine neuen Konzessionierungen von Eisenbahnunternehmungen zu erteilen97. Toggenburg und Bruck wollten die Vorgangsweise auch auf andere Industrieaktienunternehmungen ausdehnen. Auch dieses Protokoll informiert uns sehr klar über die Ansichten der Minister. Die Erklärung blieb zwar im Reichsrat hängen, doch handelte die Regierung de facto danach. Die Konjunkturbremse hatte auch negative Auswirkungen. Die Investitionstätigkeit verringerte sich, der Eisenbahnbau wurde langsamer, manche Strecken wurde erst später begonnen oder eröffnet. Die Monarchie konnte sich der Krise keineswegs zur Gänze entziehen.

Eine dritte Möglichkeit war die direkte Unterstützung einiger Gesellschaften, die bereits Strecken bauten. So wurde der durch die Krise bedrängten Nordbahngesellschaft erlaubt, den Bau der westgalizischen Strecke von Krakau bis Przemyśl an die von polnischen Adeligen getragene Carl-Ludwigs-Bahngesellschaft abtreten zu dürfen98. Im April 1858 – die internationale Finanzkrise war noch nicht überwunden – wurde für drei Gesellschaften ein ganzes Maßnahmenpaket geschnürt99. Die Ministerkonferenz befürwortete erstens die „Einteilung der Bahnen in Strecken oder Sektionen der Art, daß, wenn eine solche vollendet ist, der aus deren Betrieb sich über die garantierten 5 1/5 % ergebende Ertragsüberschuß unter die Aktionäre verteilt werden darf“. Dahinter verbarg sich der Schlüssel zum privaten Eisenbahnbau. Die Grundlage des staatlich konzessionierten privaten Bahnbaus nach der Konzessionsverordnung von 1854 war nämlich das (erfolgreiche) Angebot des Staates an die privaten Kapitaleigentümer, ihr Geld in den Eisenbahnbau zu investieren und ihnen dafür einen Mindestgewinn, in der Regel eine Verzinsung von 5 %, zu garantieren100. Eisenbahnaktien sollten eine sichere Geldanlage sein. Mit 5 % war das Kapital schon ab der Einlage auch während der Bauzeit verzinst. Nach Aufnahme des Betriebs erhoffte man eine höhere Dividende. Die in Rede stehende Maßnahme ermöglichte eine höhere Dividende nicht erst nach Fertigstellung der gesamten Linie, sondern schon nach der (gewinnbringenden) Inbetriebnahme einer Teilstrecke. Dieser Gewinn sollte nach der Konzessionsurkunde dem Baukapital zufließen, nach dem neuen Vorschlag aber eben schon vorzeitig an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Das machte den Besitz solcher Aktien interessant, hob ihren Wert und wirkte damit der Krise entgegen. Zweitens gestattete man den Gesellschaften zur Verbesserung des Betriebsergebnisses die Frachttarife anzuheben, drittens in gewissen Streckenabschnitten die Linien vorerst nur eingleisig zu bauen. Gegen die vorzeitige Dividendenausschüttung sprach sich Innenminister Bach aus, sie verstoße || S. 38 PDF || gegen die Grundregeln einer ordentlichen Geschäftsgebarung. Die Minister Toggenburg und Bruck konnten ihn dann aber doch überzeugen, daß die Maßnahme ausnahmsweise erforderlich war.

Schließlich wurde für drei Eisenbahngesellschaften und für den Österreichischen Lloyd eine direkte Finanzspritze im Wege der Credit-Anstalt ermöglicht, indem die Bank zur Auflage einer (beim Publikum beliebten) Lotterieanleihe ermächtigt wurde, deren Erlös den Gesellschaften als Kredit gegeben werden sollte101.

Nicht alle diese Maßnahmen gingen direkt von der Regierung aus. Die Eisenbahngesellschaften und Banken waren selbst initiativ, um die Mittel zur Fortführung der mit dem Staat vereinbarten Bauten zu sichern und natürlich auch um die Aktionäre zu halten und die erhofften Gewinne nicht zu verlieren. Sie brauchten aber für viele Maßnahmen die behördliche Genehmigung. Es kam alles in allem zu einem gelungenen Zusammenspiel aller Kräfte, der Wirtschaft und der Regierung, um die Auswirkungen der Krise auf die Habsburgermonarchie abzufedern. Es ist im wesentlichen zu keinen Zusammenbrüchen gekommen, und an den wichtigsten Strecken wurde kräftig weiter gebaut. Gleichzeitig behielt Finanzminister Bruck auch stets das Ziel der Währungssanierung im Auge. Der Kampf gegen die Finanzkrise war auch ein Kampf gegen ein Sinken des Kurses der Staatsobligationen und gegen einen Wirtschaftseinbruch102. Allerdings kam es kurz nach dem Abklingen der Finanzkrise Ende 1858 mit der Neujahrsansprache Kaiser Napoleons III. und dem Krieg von 1859 zu einem Ereignis, das die Monarchie in eine ganz andere, nämlich außenpolitische und militärische, und dadurch das neoabsolutistische Regime Kaiser Franz Josephs I. in seine finale politische Krise führte.

Eines ist sicher: die Ministerkonferenzprotokolle des vorliegenden Bandes dokumentieren die Rückwirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1857 auf die Monarchie sowie die Denkungsweise und die Argumente der Minister sehr ausführlich und offen.

Die Armee und die Gendarmerie in der Ministerkonferenz - Retrodigitalisat (PDF)

Militär und Polizei nahmen innerhalb der neoabsolutistischen Verwaltung eine Sonderstellung ein. Die Polizeibehörden ressortierten ursprünglich zum Ministerium des Inneren. Das galt auch für den auf Vorschlag Bachs im Jänner 1850 errichteten besonderen Exekutivkörper Gendarmerie – eine militärisch organisierte, im gesamten Umfang des Reiches tätige Landessicherheitswache – in bezug auf ihre Verwendung. In bezug auf ihre innere Organisation als militärischer Wachkörper war die Gendarmerie dem Kriegsministerium unterstellt103. Polizei und Gendarmerie waren also durch den Innen- bzw. Kriegsminister im Ministerrat vertreten. Das änderte sich. Im Mai 1852 wurde die Oberste Polizeibehörde errichtet. Die Polizeiagenden wurden mit wenigen Ausnahmen aus dem Innenministerium herausgelöst und der neuen Behörde übertragen, auch die Gendarmerie wurde ihr unterstellt. Chef der neuen Behörde wurde der Generalinspektor der Gendarmerie, || S. 39 PDF || FML. Johann Franz Freiherr Kempen v. Fichtenstamm104. Entscheidend war die Bestimmung, daß die Oberste Polizeibehörde dem Kaiser unmittelbar untergeordnet war. Kempen war nicht ordentliches Mitglied der Ministerkonferenz105. Zu Jahresbeginn 1853 wurden das Kriegsministerium und das Amt des Kriegsministers aufgelassen und die Militäradministration dem Armeeoberkommando eingegliedert, das natürlich auch dem Kaiser unmittelbar unterstand. Zur Vertretung von Angelegenheiten der Armee in der Ministerkonferenz wurde nur von Fall zu Fall der Erste Generaladjutant des Kaisers oder ein Vertreter bestimmt106. Auch Kempen nahm vereinzelt an Ministerkonferenzen teil. Die Vertreter der Armee und der Polizei kamen aber nur in die Ministerkonferenz, um ihre Interessen zu wahren oder wenn es aus irgendeinem Grund vom Kaiser angeordnet war, sie beteiligten sich jedoch nicht an den Besprechungen über sonstige Themen und Probleme der zivilen Verwaltung. Diese Sonderstellung war zugleich Ausdruck der Machtfülle des Kaisers und der Abwertung der Ministerkonferenz. Diese hatte in den Jahren 1853 und 1854 nur fünf ordentliche Mitglieder, ab 1855 sechs, da Andreas Freiherr v. Baumgartner, zugleich Finanz- und Handelsminister, durch Bruck als Finanz- und durch Toggenburg als Handelsminister abgelöst wurde107.

Anfang 1857 wurden innerhalb kurzer Frist die Vertreter von Militär und Polizei wieder zur ständigen Teilnahme an den Ministerkonferenzen angewiesen. Der Armeebefehl vom 25. Jänner 1857, mit dem ein neues Organisierungsstatut für die Armee verlautbart wurde, enthielt nämlich die Anordnung, daß der Erste Generaladjutant des Kaisers und der Armee, FML. Carl Graf v. Grünne, als Vorstand der Militärzentralkanzlei in der Ministerkonferenz die Angelegenheiten der Armee zu vertreten habe und bei seiner Verhinderung durch einen anderen General der Militärkanzlei zu ersetzen sei108. Auch wenn aus dieser Formulierung die ständige Teilnahme nicht zwingend hervorging, war es offenbar so gemeint, denn ab diesem Zeitpunkt nahm ständig ein General der Militärzentralkanzlei an den Ministerkonferenzen teil. Grünne selbst war zum erstenmal am 20. März 1857 anwesend (Besprechung von Maßnahmen anläßlich der Reise nach Ungarn), ließ sich aber schon in der Sitzung davor und auch in der Folge fast immer vertreten, meistens durch || S. 40 PDF || FML. Friedrich Freiherr Kellner v. Köllenstein, gelegentlich durch FML. Karl Freiherr Schlitter v. Niedernberg. Der Chef der Obersten Polizeibehörde Kempen wurde mit Handschreiben vom 20. März 1857 zum ständigen Mitglied der Ministerkonferenz ernannt109, die damit nunmehr acht Mitglieder hatte. Kempen war nicht erfreut darüber. Er notierte im Tagebuch: „Als ich heute bei Graf Grünne eintrat, brachte er mir lachend das allerhöchste Handschreiben entgegen, gemäß dessen ich künftig den Ministerberatungen als Mitglied beizuwohnen habe. Dieses ist nun erstens unzweckmäßig und zweitens für mich sehr zeitraubend. Nun, solange es geht, in Gottes Namen!“110

Der Wunsch nach ständiger Vertretung der Armee in der Ministerkonferenz war vom Militär selbst ausgegangen, wobei sowohl das Armeeoberkommando als auch die Militärzentralkanzlei diese Rolle übernehmen wollten. Erzherzog Wilhelm schrieb, wenn das Armeeoberkommando Einfluß auf seine vielfältigen Verhandlungen mit den Ministern nehmen solle, müsse es selbst im Ministerrat (sic!) vertreten sein111. Schlitter, der das neue Organisationsstatut entworfen hatte, argumentierte, daß der Erste Generaladjutant, also die Militärzentralkanzlei die militärischen Interessen in der Ministerkonferenz zu vertreten habe. Dort würden vorwiegend wichtige Fragen, die alle Staatsinteressen berühren, vor allem Organisationsfragen zur Sprache kommen, weshalb jenes Organ, dem die Zentralleitung und Überwachung des Dienstes der Armee sowie Organisierungsarbeiten übertragen seien, am besten dazu befähigt sei112. Der Kaiser folgte dann dieser Argumentation. Aus der Sicht der Regierung stellt sich die Sache aber jedenfalls so dar, daß die Militärs selbst, unabhängig von der Rivalität zwischen Armeeoberkommando und Militärzentralkanzlei, die faktische Bedeutung der Ministerkonferenz sahen, sonst hätten sie nicht daran teilnehmen wollen.

Von wem die verpflichtende Teilnahme des Chefs der Obersten Polizeibehörde ausging, ist nicht sicher. Kempen selbst war es nicht, und er hielt im Tagebuch diesbezüglich auch keine Vermutung fest. Der verstorbene Präsident des Reichsrates Karl Friedrich Freiherr Kübeck v. Kübau war der Meinung gewesen, Kempen solle an der Ministerkonferenz teilnehmen; Kempen hatte es verhindert113. Innenminister Bach, dem die Polizei weggenommen worden war, und Finanzminister Bruck, der die enormen Ausgaben für die Gendarmerie sah, waren jedenfalls Gegner der Sonderstellung der Obersten Polizeibehörde. Vielleicht konnten sie den Kaiser während des Aufenthaltes in Mailand in diesem Punkt beeinflussen. Kempen war nicht unumstritten. Seiner Absetzung im Sommer 1859 war ein jahrelanger Intrigenkampf vorausgegangen114. Auffällig ist jedenfalls die Parallelität zwischen Armee und Polizei. Wenn es die Armee für besser hielt, in der Ministerkonferenz ständig vertreten zu sein, mochte das wohl auch für die Polizei gelten.

|| S. 41 PDF || Rechtlich hatte sich an der herabgestuften Stellung der Ministerkonferenz nichts geändert. Sie war keine Behörde, und nach wie vor legte der Kaiser die Ministervorträge über alle Gegenstände allgemeiner Natur, nachdem sie in der Ministerkonferenz behandelt waren, dem Reichsrat vor. Dennoch konnte ihre faktische Bedeutung als Zusammenkunft der Minister, als Kabinett und damit trotz allem in gewisser Weise als Regierung nicht übersehen werden. Der oben geschilderte Fall der Irritation Franz Josephs über den „Beschluß“ der Ministerkonferenz vom 8. Mai 1857 ist geradezu ein Beweis dessen. Wäre die Ministerkonferenz in einer tatsächlich so inferioren Stellung gewesen, dann hätte der Kaiser einen Beschluß dieser Nicht-Behörde ja ignorieren können. Demgegenüber zeigt gerade die Nichtgenehmigung dieses einen Beschlusses und die Begründung der Nichtgenehmigung, daß der Kaiser ansonsten die Beratungen der Ministerkonferenz und ihre de facto Beschlüsse tatsächlich zu Kenntnis nahm, auch wenn natürlich erst die Ah. Entschließung über einen Ministervortrag neue Fakten schuf.

Das innere Motiv der Beiziehung der Vertreter von Militär und Polizei muß die Notwendigkeit oder der Vorteil gewesen sein, die Spitzen der zentralen Behörden zu regelmäßigen Konsultationen zu versammeln. Diese Notwendigkeit wurde ab 1852 eine Zeitlang geleugnet, und zwei zentrale Bereiche konnten eine Sonderstellung erlangen. 1857 scheint der Nutzen der gemeinsamen Beratung wieder in den Vordergrund getreten zu sein. Es war auch ein Machtkampf, denn die Ministerkonferenz hat den Kampf gegen ihre Entmachtung nie aufgegeben115. Die Beiziehung hat das faktische Gewicht des Gremiums Ministerkonferenz gehoben. Es war für die Minister nun auch leichter, eine Forderung oder eine Kritik an Armee, Polizei und Gendarmerie auszusprechen. Im Gegenzug waren die Vertreter der Militärkanzlei und der Obersten Polizeibehörde nicht mehr reine Interessenvertreter, sondern beteiligten sich auch an Debatten zu anderen Gegenständen. Ihr Stimmverhalten war unterschiedlich, keineswegs verstärkten sie immer nur eine Position. Die ständige Beiziehung ist demnach nicht als weitere Degradierung, sondern als Aufwertung der Ministerkonferenz zu interpretieren. Es liegt auf dieser Linie, daß es zwei Jahre später, im Sommer 1859, zur Ernennung eines Polizeiministers und am 20. Oktober 1860 auch eines Kriegsministers gekommen ist.

Gleich bei der ersten Besprechung eines die Armee betreffenden Themas in der Ministerkonferenz seit der neuen ständigen Teilnahme eines Vertreters der Militärzentralkanzlei zog dieser den Kürzeren. Der Kaiser wollte die Bitte der päpstlichen Regierung erfüllen, einen Teil der Kosten der österreichischen Okkupationstruppen im Kirchenstaat zu übernehmen. Dadurch sollte aber das Budget des Kaiserstaates nicht zusätzlich belastet werden. Der Finanzminister schlug vor, einfach die Okkupationstruppen zu reduzieren. Der Erste Generaladjutant Graf Grünne sprach sich dagegen aus. Der Kaiser behielt sich die Entscheidung vor, entschied dann aber für die von Bruck angetragene Truppenreduktion116.

Überhaupt war zu dieser Zeit der Einfluß Brucks auf den Kaiser in finanzieller Hinsicht gewichtiger als der Einfluß Grünnes in bezug auf die Dotation für die Armee. Bei aller Nähe zur Armee hat Franz Joseph eingesehen, daß die Staatsfinanzen in Ordnung kommen || S. 42 PDF || mußten. Wiederholt hat er die Armee zur Sparsamkeit aufgefordert, war aber in der Durchführung nicht konsequent genug. Erst die parlamentarische Mitbestimmung ab 1861 hat zu einer nachhaltigen Reduktion der Armeekosten geführt. Im übrigen wurde der Kampf zwischen dem Finanzministerium und der Militärzentralkanzlei um die Dotation für die Armee für 1858 nicht in der Ministerkonferenz ausgetragen, nur einmal wird das Thema angedeutet, wenn Bruck die Erfordernisse der Armee mit 100 Millionen Gulden begrenzt wissen wollte117.

Die wichtigste und umfangreichste Besprechung betreffend die Armee im vorliegenden Band galt dem Heeresergänzungsgesetz, das schließlich am 29. September 1858 erlassen wurde118. Für die regelmäßige Ergänzung des stehenden Heeres durch Rekruten war die Armeeverwaltung, anders als bei dem durch Werbung ergänzten Söldnerheer, von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit den politischen Behörden angewiesen. Sie waren für die Konskription, d. h. die Erfassung der Bevölkerung zuständig. Aus den von der politischen Bezirksbehörde zur Verfügung gestellten Liste wurden, nach Ausscheidung der Untauglichen, der Befreiten und derer, die sich freikauften, die nötigen Rekruten ausgelost. Das Heeresergänzungsgesetz war, als eine die gesamte männliche Bevölkerung und die politischen Behörden betreffende Materie, politischer Natur und vom Innenminister vorzulegen, natürlich in Absprache mit den Militärbehörden. Die Arbeit wurde 1850 begonnen und dauerte ganze acht Jahre. Die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes hatte sich aus der Idee der Reichseinheit ergeben. Es galten nämlich unterschiedliche Rekrutierungsvorschriften jeweils in den sogenannten altkonskribierten österreichischen Ländern, in Tirol, in Triest, in Dalmatien, in Lombardo-Venetien und in Ungarn, die auch eine ungleichmäßige Inanspruchnahme der Bevölkerung zur Folge hatten. In den altkonskribierten Ländern wurden, so rechnete das Innenministerium aus, 58.000 Rekruten mehr ausgehoben als nach den Bevölkerungszahlen auf sie entfielen, entsprechend weniger in den anderen Ländern. Nach weitläufigen Erhebungen durch die politischen Landesstellen arbeitete das Ministerium des Inneren einen Gesetzentwurf aus, der mit den Landesstellen, mit den Zentralbehörden und zuletzt mit der Militärzentralkanzlei beraten wurde. Das hauptsächliche Interesse der Armee bestand darin, die Befreiungstitel zu verringern und die gebildeten Schichten für den Militärdienst heranzuziehen. Trotz der eingehenden Vorbereitung gab es noch genug Diskussionsstoff, als der Entwurf endlich im Jänner 1858 in die Ministerkonferenz kam, sodaß sich die Beratungen bis April hinzogen. Kontrovers war die Frage, ob es eine strafweise Einreihung in die Armee geben sollte. Toggenburg und Thun wollten sie beibehalten, doch Bach, Kempen, Kellner und Buol waren dagegen, weil die Armee, wie es Kellner formulierte, keine Korrektionsanstalt war. Diskutiert wurde die mindeste Körpergröße der Rekruten. Die Mehrheit war für 59 ½ Zoll, das Militär wollte || S. 43 PDF || 60 Zoll, weil ein kleinerer Mann mit voller Ausrüstung den Marsch verzögere, und setzte sich damit durch. Gegen das vom Militär gewünschte Eheverbot für alle nicht definitiv Befreiten bis zum 22. Lebensjahr wehrten sich erfolglos der Kultus- und der Handelsminister. Auch die Herabsetzung des Alters der Eltern als Befreiungstitel für den einzigen Sohn von 70 auf 60 konnten die Minister nicht erreichen.

Die härtesten Diskussionen verursachten die Befreiungstitel für Studierende, die die Armee vor allem zurückdrängen wollte. Eine Bemerkung des Generaladjutanten Kellner führte dabei sogar zu einer geharnischten Entgegnung und Rücktrittsdrohung Thuns. Kellner hatte „den aus der Revolution hervorgehenden Grundsatz der Lehr- und Lernfreiheit“ als Parole, als „Hauptschiboleth der Revolutionsmänner“ bezeichnet. Thun entgegnete: „Es ist unmöglich, ein Departement der Staatsverwaltung zu führen, wenn die von der Regierung selbst angenommenen leitenden Grundsätze preisgegeben und jeden Augenblick in Frage gestellt werden können. Die Einrichtung der Studien in der österreichischen Monarchie ist das Ergebnis einer vieljährigen eindringlichen Beratung und als solches von Sr. Majestät Ah. genehmigt worden. Sie muß daher von allen Organen der vollziehenden Gewalt als mit Ah. Genehmigung bestehend angenommen und, wo es vorkommt, beobachtet werden. Alle Ausfälle auf die aus der Revolution hervorgegangene Lehr- und Lernfreiheit müssen entfallen, denn nicht der Revolution, sondern der Ah. Sanktion Sr. Majestät verdankt die gegenwärtige Studieneinrichtung ihren Bestand.“ In der Sache verteidigten die zivilen Minister die Befreiungen mit dem Bedarf des Staates an tüchtigen Beamten. Kempen hielt dagegen, daß „der Bedarf an Intelligenzen überall sich zeigt, mithin auch die Armee einen Teil […] davon beanspruchen darf.“ Der Vertreter der Armee Kellner zeigte sich nicht minder wortgewaltig als Thun: „Die Befreiung der Studenten vom Militärdienste bloß aus dem Grunde, weil sie bei Universitäten oder andern Unterrichtsanstalten immatrikuliert sind und dort studieren, ist mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit gegen die übrigen Untertanen Sr. Majestät aller, selbst der höchsten Stände nicht zu vereinbaren, und es ist überhaupt nicht einzusehen, wie gerade das k. k. Heer auf den, ihm überdies nur durch’s Los zufallenden intelligenteren Teil der Bevölkerung allein verzichten soll, dasjenige Heer, in dem das von Sr. Majestät aufgestellte Prinzip der Monarchieeinheit sich bereits als verkörpert darstellt und das den eisernen Ring bildet, der die heterogenen Kronländer der Monarchie umschließt und zusammenhält, wie dies die ältere Geschichte und jene der Jahre 1848 und 1849 genugsam nachweiset.“ Ein Kompromiß wurde schließlich darin gefunden, daß nur Schüler bzw. Hörer mit ausgezeichnetem Erfolg befreit waren und daß der Besuch einer technischen oder landwirtschaftlichen Akademie kein Befreiungstitel war. Im wesentlichen hatten sich aber die zivilen Minister durchgesetzt.

Eine längere, in ein eigenes Protokoll ausgelagerte Frage119 betraf das VI. Hauptstück mit einigen Sonderbestimmungen für die Marine. Der Hintergrund dazu war die ebenfalls schon seit 1850 diskutierte Idee der Einführung der sogenannten Marineinskription. Darunter verstand man die Erfassung und Eintragung aller Personen der Küstengebiete, die einen mit der Schiffahrt zusammenhängenden Beruf ausübten, also Seeleute, Schiffszimmerleute, Schiffsschmied usw., in ein eigenes Register. Diese Personen sollten zur Ableistung der Wehrpflicht bei der Marine verpflichtet werden, im Gegenzug aber eine verkürzte || S. 44 PDF || Dienstzeit haben und das Anrecht auf eine Pension erlangen, die auch auf ihre Witwen überging. Von der Marineinskription erwartete man sich eine allgemeine Hebung der österreichischen Handelsmarine und eine bessere Verschränkung zwischen Handels- und Kriegsmarine. Das Marineoberkommando wollte die Marineinskription natürlich selbst leiten und durchführen. Das System wäre eine Ausnahme vom Heeresergänzungsgesetz gewesen und mußte daher in der Vorbereitung dieses Gesetzes bedacht werden. Handelsminister Toggenburg beantragte nun ein Marineinskriptionsgesetz und die entsprechende Formulierung des VI. Hauptstücks mit allen Ausnahmen. Er wurde sekundiert von seinem Vorvorgänger Bruck, dem nunmehrigen Finanzministers, und er wußte das Marineoberkommando hinter sich. Bruck ging sogar einen Schritt weiter und beantragte, die Marine aus dem Heeresergänzungsgesetz ganz herauszunehmen und ein eigenes „Marineinskriptions- und -konskriptionsgesetz“ zu erlassen. Der Vertreter der Militärzentralkanzlei wandte sich entschieden gegen die Ausnahme, gegen die Errichtung eines eigenen Marineergänzungsbezirkes und gegen jede Federführung durch das Marineoberkommando. Auch die Ergänzung der Marine war ausschließlich durch das Armeeoberkommando zu veranlassen. Hier wurde der Konflikt um eine Sonderstellung der Marine innerhalb der bewaffneten Macht sichtbar, der gerade in diesen Jahren durch die Ernennung des Erzherzogs Ferdinand Maximilian zum Marineoberkommandanten seinen Höhepunkt erreichte.

Mit größter Entschiedenheit trat Bruck für das Projekt der Marineinskription ein. Ihm ging es um die Förderung der Handelsmarine und indirekt um die Großmachtstellung Österreichs: „Die ganze seefahrende Welt leidet Mangel an tüchtigen Seeleuten, weil sich der Verkehr und deshalb die Zahl der Schiffe weit schneller vermehrt, als die seetüchtige Bevölkerung, die nur aus den Küstenbewohnern genommen werden kann. Österreich ist noch so glücklich, an seiner langgestreckten Seeküste eine hinreichende Zahl von Seeleuten für die Bemannung seiner Schiffe zu besitzen. Die Folge ist, daß die fremden Seestaaten ordentlich Jagd machen auf die österreichischen Matrosen. […]. Nur durch die Marineinskription, durch die Befreiung vom Dienst im Landheere, durch die kurze dreijährige Dienstzeit auf den k. k. Kriegsschiffen – mit der Verpflichtung jedoch, im Kriege bis zum 40. Jahre einberufen zu werden -, durch die Kreierung des Pensionsfonds nach dem vorgeschlagenen Patente, nur durch diese Mittel allein kann man der österreichischen Seeschiffahrt die nötige Mannschaft bewahren und dadurch dem Staate für den Kriegsfall die erforderliche eingeübte, mit dem wahren Seedienste vertraute Mannschaft sichern, die er im Frieden nicht zu bezahlen braucht. Bei einem dreijährigen Dienste werden fast dreimal mehr Seeleute auf den Handelsschiffen zum Kriegsdienst gebildet, dadurch wird schnell die ganze Handelsmarine dazu abgerichtet sein. Dies muß der Staat durch die bezügliche Gesetzgebung anstreben, nicht aber durch Landdienst, achtjährige Kapitulation etc. die jungen kräftigen Matrosen aus dem Lande treiben, die Handelsschiffahrt dadurch verkümmern, um im Fall des Kriegs nur den älteren, gebrechlich gewordenen Teil der Seebevölkerung zur Verfügung zu haben. Halbe Maßregeln sind dabei nachteiliger als gar keine.“ Die übrigen Minister hielten sich bedeckt. Man hat den Eindruck, sie wollten sich nicht in eine Angelegenheit mischen, die letztlich die kaiserlichen Brüder unter sich ausmachen mußten. So besprach man die Sache genau, beschloß aber nur zu bitten, „Se. Majestät geruhen über die darin vertretenen Grundsätze nach Einvernehmung Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Marineoberkommandanten zu entscheiden“.

|| S. 45 PDF || Das Heeresergänzungsgesetz und das Marineinskriptionsgesetz wurden nach der Beratung in der Ministerkonferenz noch im Reichsrat begutachtet, der sie mit einigen Änderungsvorschlägen befürwortete. Das Heeresergänzungsgesetz sanktionierte der Kaiser am 29. September 1858, das andere wies er zurück. Gescheitert ist das Projekt der Marineinskription am heftigen Widerstand der Militärzentralkanzlei, auch an der größeren Nähe des Kaisers zur Landmacht, letzten Endes aber wohl auch am Geld. Der Reichsrat formulierte nämlich seine Bedenken gegen die staatliche Verpflichtung zur Pensionsvorsorge durch die geplante „umfassende Pensions- und Versorgungsanstalt für die Seeleute und deren Angehörige“120, und der Kaiser verwies den Gesetzentwurf in die Beratung zurück mit dem Auftrag, „insbesondere die Einführung von Lohnabzügen für den Pensionsfonds“ zu prüfen.

Das Heeresergänzungsgesetz von 1858 war nur zehn Jahre lang in Kraft und wurde 1868 durch das parlamentarisch zustande gekommene cisleithanische Wehrgesetz bzw. den entsprechenden ungarischen Gesetzartikel abgelöst. Die beiden Sammelprotokolle im vorliegenden Band sind dennoch interessant, unabhängig von der relativ kurzen Geltungsdauer des Gesetzes, weil sie zu mehreren sozialpolitischen Fragen ausführliche und pointierte Aussagen der beteiligten Minister enthalten.

Auch über die Gendarmerie wurde in der Ministerkonferenz gesprochen, und jedesmal begann es mit einer von Bach vorgetragenen Kritik121. Am 20. April 1857 – Kempen war erst seit einem Monat regelmäßig anwesend – beantragte der Minister des Inneren, die Publikation der Quartalsausweise über die Tätigkeit der Gendarmerie einzustellen, mit der Begründung, sie enthielten „mitunter so ungeheure Ziffern über die vorgekommenen Verhaftungen, Anhaltungen und Anzeigen wegen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, daß, wenn sie als richtig angenommen werden müßten, sich ein sehr trauriges Bild des moralischen Zustandes der Monarchie ergäbe“122. Kempen verteidigte die Richtigkeit der Ziffern und wies darauf hin, daß die Gendarmerie gegen alle Verdächtigen vorgehen müsse, während die Gerichte nur die Überwiesenen verurteilen könnten. In der Sache gab er nach und stimmte zu, die Ausweise nicht mehr an die Presse zu geben. Dem Tagebuch vertraute er an, Bach habe gegen die Veröffentlichung der Statistiken der Gendarmerie protestiert „offenbar aus Scheelsucht über ihre Leistungen und um die Verderbtheit der Bevölkerung nicht durch Ziffern sichtbar zu machen“123.

Als der Kaiser in der Ministerkonferenz am 27. Juni 1857 die Klagen über die drückenden Steuerzuschläge für Landes- und Gemeindebedürfnisse zur Sprache brachte, die ihm während der Reise nach Ungarn vorgetragen wurden und die u. a. auch durch die Einquartierung der Gendarmerie verursacht wurden, benützte Bach diese Gelegenheit zu einer weiteren Kritik an der Gendarmerie124. Das fortwährende Anwachsen der diesbezüglichen Kosten rühre „mitunter von übertriebenen Anforderungen von Seite der Gendarmeriekommanden her“. Kempen versuchte den Spieß umzudrehen und konterte, die Verteuerung || S. 46 PDF || der Einquartierung der Gendarmerie rühre „mitunter daher, daß die politischen Behörden bei dem Abschluß der Mietverträge die notwendige Vorsicht außer acht lassen“. Die gegenseitigen Vorwürfe müssen heftig gewesen sein, da sie sogar durch die in der Regel distanzierte Sprache der Protokolle harsch durchscheinen. Der Kaiser wies Bach und Kempen an zu prüfen, ob die Kostensteigerungen durch eine Pauschalierung verringert werden konnten.

Auch bei einem ganz anderen Thema zeigte sich die Konfliktlinie zwischen den für Sicherheit zuständigen Vertretern von Armee und Polizei und den Ministern der zivilen Verwaltung, die für Innovationen offener waren, nämlich bei der Stadterweiterung.

Startschuß für die Wiener Stadterweiterung - Retrodigitalisat (PDF)

1857 wurden die entscheidenden Schritte zum Jahrhundertprojekt der Wiener Stadterweiterung getan. Die Idee, die innere Stadt zu erweitern, weil sie für die zunehmende Bevölkerung und für den Wirtschaftsaufschwung zu klein geworden war, reichte weit zurück. Lange Zeit hielt man daran fest, die Umwallung beizubehalten und nur Teile des freien Raumes davor, des Glacis, zu verbauen. Immer öfter wurde aber auch der Gedanke ventiliert, auf die Mauern und Befestigungsanlagen zu verzichten und den gesamten Raum zwischen den Häusern der inneren Stadt und jenen der Vorstädte einzubeziehen. Die Militärs glaubten, auf die Mauern, Bastionen und sonstigen militärischen Nutzbauten sowie auf den freien Exerzierplatz nicht verzichten zu können. Die Ablehnung konnte auch grundsätzlicher Art sein, gespeist aus einem konservativen Kulturpessimismus. Polizeiminister Kempen kommentierte die Auflassung der Stadtbefestigung mit den Worten: „Abermalen will man eine Schranke fallen lassen zwischen einst und jetzt. Das Sichere will man entblößen und alles nivellieren.“125 Die Erneuerer dagegen sahen hier viel Platz für öffentliche Prunkbauten, breite Straßen, Parks und für Grundstücke, durch deren Verkauf man die zur Errichtung der öffentlichen Bauten erforderlichen Mittel gewinnen konnte. Es war übrigens keine genuine Wiener Diskussion. In vielen Metropolen und kleineren Städten gab es ähnliche Bestrebungen. Die mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Städte mit den engen Gassen, den beengenden Stadtmauern, oft an breiten Flußbetten gelegen, erwiesen sich als zu klein für das Zeitalter der Industrialisierung. Über Stadterweiterung, Stadtsanierung, Flußregulierung sprach man in Barcelona, Paris, Turin, Berlin, Dresden, München und in vielen anderen Städten126. In Pest hatte man schon am Ende des 18. Jahrhunderts begonnen, die Stadttore und die Mauern zu schleifen, an deren Stelle dann der Kleine Ring entstand. Auf Initiative des Palatins Erzherzog Josef wurde 1808 die königliche || S. 47 PDF || Verschönerungskommission eingesetzt, der Architekt József Hild wurde mit der Regulierung der Stadt betraut127.

In Wien schien die Lage um die Mitte der 1850er Jahre verworren und ausweglos. Keine der unterschiedlichen Interessengruppen konnte sich durchsetzen. Dies änderte sich, als Innenminister Bach die Sache in die Hand nahm. Allerdings ging er vorsichtig und geheim vor, um nicht die Militärpartei auf den Plan zu rufen. Er sammelte einen kleinen Stab von Beamten um sich, die konkrete Überlegungen anstellten. Er lancierte Zeitungsartikel zur Vorbereitung der öffentlichen Meinung. Vor allem aber gelang es ihm, den Kaiser für die Idee einer vom Monarchen ausgehenden Vergrößerung und Verschönerung der Residenzstadt zu gewinnen. Sie sollte die Einheit des Reiches und die zentralistische Staatsidee symbolisieren128. Ein wichtiger Stichtag wurde der 14. April 1857. An diesem Tag präsidierte der Kaiser der Ministerkonferenz und eröffnete am Ende der Sitzung, die vor allem der Vorbereitung der Ungarnreise gegolten hatte, überraschend und von sich aus seine „Willensmeinung […], daß die schon so lang schwebende und immer dringender werdende Frage über die Erweiterung der innern Stadt Wien zu einer entschiedenen Lösung gebracht werde“. Er gab auch gleich die Eckpunkte bekannt, nämlich daß die Befestigungen im Inneren Wiens aufgegeben und auf dem freien Platz gehörige Rücksicht auf die zu errichtenden öffentlichen Bauten genommen werde. Zur Umsetzung dieses Willens sei eine Kommission einzusetzen, über deren Zusammensetzung und Instruktion ihm Vortrag zu erstatten sei129. Die kaiserliche Willensmeinung wurde von den Teilnehmern der Konferenz ohne Diskussion zur Kenntnis genommen. Nun kam es öfter vor, daß Franz Joseph etwas recht entschieden formulierte, das dann im ruhigen Gang der Verwaltung doch verschleppt wurde. Außerdem war eine Ministerkonferenz eine vertrauliche Sitzung, von der die Öffentlichkeit nichts zu hören bekam. Dementsprechend hat Kempen diese Eröffnung des Kaisers im Tagebuch nur nebenhin erwähnt130 und eine kaiserliche Urgenz zwei Monate später gar nicht notiert131. Im nachhinein muß man aber sagen, daß an diesem 14. April 1857 Franz Joseph seinem Kabinett die Grundsatzentscheidung bekanntgab, die er getroffen hatte. Sie war im Sinne Bachs und gegen die Militärs ausgefallen, und genau nach dieser Grundsatzentscheidung wurde die innere Stadt Wien erweitert, und sie prägt bis heute das Bild Wiens. Bach konnte nun seinen Plan weiterführen. Eine Kommission mit eigener Instruktion wurde übrigens nicht eingesetzt, wohl um zu verhindern, daß die Militärzentralkanzlei, die in einer solchen Kommission wohl vertreten sein mußte, schon jetzt opponieren konnte. Statt dessen verständigte || S. 48 PDF || sich Bach, ohne vom Kaiser dafür gerügt zu werden, mit Bruck und Toggenburg und legte drei Monate später, am 11. Juli 1857, den im Ministerium des Inneren ausgearbeiteten Entwurf eines kaiserlichen Handschreibens an den Innenminister vor, mit dem die Erweiterung, Regulierung und Verschönerung der Residenz- und Hauptstadt Wien angeordnet wurde und zugleich die Leitlinien formuliert wurden, nach denen dies zu geschehen habe132. Auch jetzt hatten die Vertreter von Militär und Polizei die Ernsthaftigkeit des Vorgangs noch nicht ganz begriffen. Kellner war laut Protokoll wie die anderen Teilnehmer mit dem Entwurf grundsätzlich einverstanden, fügte aber doch eigenhändig hinzu, „insoferne der Ah. Wille Sr. Majestät sich bereits dahin kundgegeben haben sollte, daß die Wälle der inneren Stadt niederzureißen seien“. Diesem Vorbehalt entsprach die folgende skeptische Bemerkung Kempens im Tagebuch: „Die ganze Verhandlung lieferte einen schönen Traum, der nicht so bald wirklich werden wird. Ich jedenfalls glaube, den Anfang nicht zu erleben.“133 Er täuschte sich. Als er 1863 im 71. Lebensjahr starb, war der konkrete Erweiterungsplan gebilligt, waren die Mauern und Bastionen gefallen, der Franz-Josefs-Kai und der Stadtparkt eröffnet, die Ringstraße war im Bau, die evangelische Schule und die Handelsakademie auf dem Karlsplatz waren errichtet, der Grundstein zur neuen Hofoper war gelegt.

In der Ministerkonferenz am 11. Juli 1857 mußten sich Kellner und Kempen damit begnügen, ihre Skepsis zum Ausdruck zu bringen und ihre unmittelbaren Interessen zu wahren, etwa daß für die an die Stadtmauer angebaute Militärbäckerei vorgesorgt werden müsse, in der Brot für 25.000 Mann gebacken werde und die „keinen Augenblick entbehrt werden“ könne. Die Minister kamen den Wünschen einigermaßen entgegen134. Der Reichsrat, dem der Vortrag mit dem Entwurf des Handschreibens zur Begutachtung übergeben wurde, stimmte zu, und letztlich mußte auch das Militär, dem der Kaiser doch noch die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumte, ohne daß dadurch Wesentliches geändert wurde, zustimmen135. Am 20. Dezember unterzeichnete Franz Joseph das Handschreiben an Bach, und am 25. Dezember 1857 wurde es – ein „Weihnachtsgeschenk“ des Monarchen – in der Wiener Zeitung publiziert136. Tags zuvor hatte Bach, schon die nächsten Schritte bedenkend, die Modalitäten der öffentlichen Ausschreibung für die bevorstehenden Arbeiten in der Ministerkonferenz zur Sprache gebracht137. Die Konferenz erklärte sich vollkommen einverstanden. Die Konkursausschreibung wurde am 31. Jänner 1858 in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Die Ringstraßenära war eingeläutet.

Pressepolitik - Retrodigitalisat (PDF)

Die Italienreise, die Reise nach Ungarn, die Verschönerung der Residenz- und Hauptstadt … diese Aktivitäten galten unter anderem auch der Imagepflege. Das Regime des immer || S. 49 PDF || noch jungen Kaisers wollte gut dastehen. Das Konzept der Einheit des Staates schien doch so schön zu sein. Um so ärgerlicher war es, wenn die Zeitungen durch kritische Artikel die Regierung – wie man es empfand – herabsetzten. Der konkrete Anlaß ist unbekannt, doch ergriff der Kaiser am 2. Mai 1857, kurz vor Antritt der Ungarnreise, die Initiative. Der Zustand der österreichischen Journalpresse sei in mancher Beziehung als nachteilig, ja traurig zu bezeichnen. Manche Artikel lösten diplomatische Reklamationen aus, oder sie seien regierungsfeindlich und förderten bei den unteren Volksklassen gefährliche Gesinnungen. Er befahl, über diesen Gegenstand in der Ministerkonferenz zu beraten und Anträge zu stellen138.

Es war nicht der einzige derartige in den Ministerratsprotokollen dokumentierte Ausbruch des Kaisers. Ein ziemlich langer Lernprozeß war nötig, um die Pressefreiheit und die damit verbundene Möglichkeit der Kritik an der Regierung zu akzeptieren139. Einen Monat später legte der Vorsitzende und Minister des Äußern Graf Buol, in dessen Ressort bereits das „Preßkomitee“ zur Überwachung der ausländischen Presse existierte, einen Vorschlag zur Errichtung eines „Zentralkomitees“ zur Überwachung und Leitung der inländischen Presse vor, der in fünf Sitzungen im Juni und Juli 1857 besprochen wurde140. Das Zentralkomitee sollte „unter dem Vorsitz des Ministeriums des Inneren“ stehen (der Vorschlag war offensichtlich mit Bach abgesprochen) und aus je einem Vertreter der in der Ministerkonferenz repräsentierten Zentralstellen bestehen. Es sollte eine eigene Behörde mit administrativen Kompetenzen sein. Es hatte der Ministerkonferenz zu berichten, die über die Anträge des Zentralkomitees Mehrheitsbeschlüsse zu fassen hatte. Der Vorschlag Buols löste einerseits eine Grundsatzdebatte über die Pressepolitik der Regierung aus, andererseits eine kontroverse Debatte über die von Buol gewählte Konstruktion. Grundsätzlich waren alle mit einem zentralen Überwachungsorgan einverstanden, die Mehrheit auch damit, daß es lenken und leiten sollte. Diesbezüglich äußerten aber Thun und Toggenburg Bedenken. Es könne nicht in der Absicht der Regierung sein, jede Opposition zu unterdrücken, sagte Thun, und Toggenburg meinte, dann könne man nur mehr in ausländischen Blättern ein Urteil über die Zustände im Inneren lesen. Thun war auch skeptisch, ob die angestrebte Leitung angesichts der Masse der täglich erscheinenden Blätter möglich sei. Man lasse, so beide Minister, wenigsten die großen Zeitungen ihren Weg gehen. Eine schöne Formulierung dessen, was sich die Regierung wünschte, lieferte Bach in der Sitzung vom 20. Juni. Es sei nicht zweifelhaft, „was die Regierung von der periodischen Presse will, nämlich eine würdevolle, wohlwollende Beurteilung der öffentlichen Zustände, Unantastbarkeit des monarchischen Prinzips und des Staatsbestandes, der Religion und Sittlichkeit“. Die periodische Presse habe sich in dieser Hinsicht „von Schwankungen nicht frei halten können“.

|| S. 50 PDF || Heftiger umstritten waren die Formalia. Kempen und Kellner wollten keinesfalls, daß das Zentralkomitee eine Behörde sei, dies wirke sich störend auf den Gang der gesetzlichen Behörden aus, das Komitee könne nur ein Beirat und Hilfsorgan für die legalen Behörden – Statthaltereien, Polizei, Gerichte – sein. Ebensowenig könne sich die Ministerkonferenz durch Beschlußfassung über Anträge des Komitees in die Exekutive einmischen. In der Tat enthielt der Antrag Buols eine kaum versteckte Aufwertung der Ministerkonferenz. Buol konterte, wenn das Komitee nicht eine administrative Strafgewalt ausüben könne, dann würde er lieber seinen ganzen Vorschlag zurückziehen. Heftig wehrte sich Buol auch gegen die von Kempen vorgeschlagene Verschmelzung des Preßkomitees beim Außenministerium mit dem geplanten Zentralkomitee. Auch andere Vorschläge formaler Natur waren kontrovers, z. B. die Zeitungen zu zwingen, die Leitartikel vom Verfasser unterzeichnen zu lassen.

Die Mitglieder der Ministerkonferenz waren also weder inhaltlich noch formal einer Meinung über die Pressepolitik. Gerade deshalb bietet dieses Protokoll interessante Einblicke in die Standpunkte der Teilnehmer zu Fragen der öffentlichen Meinung und der Journalistik. Das Sammelprotokoll zeigt auch deutlich die Unsicherheit und Hilflosigkeit des Regimes gegenüber der öffentlichen Meinung auf, ebenso die inneren Spannungen unter den rivalisierenden Kräften.

Buol legte seinen Vorschlag mit den in der Ministerkonferenz vorgenommenen Änderungen dem Kaiser vor, der den Vortrag an den Reichsrat weiterleitete. Dort ließ man kein gutes Haar an den Vorschlägen. Sie würden nicht auf die Wünsche des Kaisers eingehen. Das Zentralkomitee sollte, wenn schon, der Obersten Polizeibehörde unterstellt werden, und nicht dem Ministerium des Inneren. Der Kaiser reagierte auf die Entwicklung der Debatte und auf die heftigen Meinungsunterschiede seiner Berater damit, daß er nichts tat. Der Akt blieb liegen, das Zentralkomitee wurde nicht errichtet. Im Ergebnis konnte die Presse „ihren Weg gehen“, nicht frei, aber auch nicht durch ein weiteres Organ zusätzlich überwacht und geleitet. Das einzige konkrete Ergebnis des Vorstoßes des Kaisers war die vom Finanzminister propagierte Wiedereinführung des Zeitungsstempels, eine Abgabe, die vor allem die kleinen Blätter drückte, aber dem Fiskus für jede verkaufte Zeitung 1 Kreuzer bescherte141. Bruck konnte als erwartete Einnahme aus dem Zeitungsstempel in den Staatsvoranschlag für 1859 die schöne Summe von 517.040 Gulden einsetzen142.