MRP-1-3-05-0-18570228-P-0384b.xml

|

Nr. 384b Bestimmungen über den Wirkungskreis des Generalgouverneurs im lombardisch-venezianischen Königreiche, Mailand, 28. Februar 1857. (Beilage zu: MRP-1-3-05-0-18570205-P-0384.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; Beilage zum Originalprotokoll v. 5. 2. 1857.

MRZ. – KZ. –

[Tagesordnungspunkte]

§ 1

Dem Generalgouverneur, Stellvertreter Sr. k. k. apost. Majestät im lombardisch-venezianischen Königreiche, unterstehen sämtliche Zweige der Zivilverwaltung; er übt zugleich die Oberaufsicht über die Gerichte im Lande.

§ 2

Die Landesbehörden verbleiben in ihrer gegenwärtigen Einrichtung.

a Beisatz nach dem Vorschlage des Finanzministers: „Die Statthalter hören jedoch auf, die Präsidenten der Finanzpräfekturen zu sein, da der Generalgouverneur der gemeinschaftliche Mittelpunkt sein wird, dem alle untergeordnet sind“.

Nach Ansicht des Minister des Inneren wäre die Frage über die künftige Stellung der Statthalter zu den Finanzpräfekturen der Lösung der diesfalls anhängigen prinzipiellen Verhandlung vorzubehalten,1.

§ 3

Der Geschäftsverkehr geht von den Statthaltereien, Oberlandesgerichtspräsidien und Finanzpräfekturen mit Einschluß der Giunta del Censimento2 an die Ministerien und die übrigen Zentralstellen. Der diesen Landesbehörden eingeräumte selbständige Wirkungskreis verbleibt denselben ungeschmälert.

§ 4

Der Generalgouverneur wacht in allen Zweigen der Verwaltung darüber, daß die Gesetze, Verordnungen und Dienstvorschriften beobachtet und der vorgeschriebene Instanzenzug zwischen den einzelnen Behörden eingehalten werde. Er kann von den Behörden die ihm notwendig scheinenden Nachweisungen verlangen, um über die Regelmäßigkeit der Geschäftsbesorgung unterrichtet zu bleiben.

§ 5

Die bisher dem Wirkungskreise der Ministerien und Zentralstellen vorbehaltenen Angelegenheiten mit Ausnahme der im folgenden Paragraphe aufgeführten Gegenstände werden künftig vom Generalgouverneur entschieden werden. Die Landesbehörden haben ihre Anträge in diesen Angelegenheiten dem Generalgouverneur zur Genehmigung vorzulegen und sohin dessen Verfügungen in seinem Namen zur Ausführung zu bringen.

§ 6

An die Ministerien und Zentralstellen überhaupt sind zu leiten: a) alle der Ah. Schlußfassung vorbehaltenen Gegenstände und Ernennungen; b) Anträge auf organische oder legislative Bestimmungen sowie Anträge, welche die Erläuterung oder Abänderung von Gesetzen oder von Verordnungen der Zentralstellen betreffen; c) alle Angelegenheiten, worüber eine vorläufige Rücksprache der betreffenden Zentralbehörde mit andern Zentralstellen oder der Obersten Rechnungskontrollbehörde zu pflegen ist; d) Verfügungen, wenn sie von besonderer und prinzipieller Wichtigkeit sind, oder wenn sich ihre Wirkungen über die Grenze des lombardisch-venezianischen Königreiches hinaus erstrekken, oder wenn sie mit allgemeinen Maßregeln, die für den gesamten Kaiserstaat oder für andere Kronländer ergriffen wurden, im unmittelbaren Zusammenhange stehen; e) Verhandlungen über Rekurse in Parteisachen, worüber im regelmäßigen Instanzenzuge zu entscheiden kommt; außerdem insbesondere f) an das Ministerium des Inneren: die Angelegenheiten, welche die Zentralleitung des Gefängniswesens betreffen; g) an das Finanzministerium: alle Angelegenheiten, die sich auf den öffentlichen Kredit, die Staatsschuld, die hiezu vorhandenen Institutionen und auf allgemeine Finanzmaßregeln beziehen; alle Dispositionen über die Einnahmskassen und ihre Filialen; die Verhandlungen über den Ankauf und Verkauf von Realitäten, über Verpachtungen und Mieten, Tax- und Steuernachsichten, Nachsichten von Kassenabgängen, Rechnungsmängeln und Gefällsstrafen, soweit sie nicht im Wirkungskreis der Präfektur gelegen sind.

Welche Angelegenheiten aus den Wirkungskreisen der Ministerien für Kultus und Unterricht, dann für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten und der Obersten Polizeibehörde diesen Zentralstellen vorbehalten bleiben, wird nachträglich festgesetzt werden. Im Justizfache wird der Wirkungskreis des Generalgouverneurs durch den § 11 bestimmt.

Die Kontrollbehörden verbleiben unverändert in ihrem bisherigen Wirkungskreise.

§ 7

Der Generalgouverneur ist berechtigt, Gegenstände, welche er im eigenen Wirkungskreise zu erledigen befugt war, an das betreffende Ministerium oder die oberste Zentralstelle zur Entscheidung zu leiten, wenn aus einem solchen Vorgange eine fachgemäßere Erledigung oder sonst eine Förderung des Dienstesinteresses zu erwarten steht.

§ 8

Der Generalgouverneur wird nach eigenem Ermessen in wichtigen Angelegenheiten die Vorsteher der Landesbehörden zu gemeinsamen Beratungen berufen. Wenn solche Angelegenheiten das Interesse beider Verwaltungsgebiete betreffen, oder sonst von allgemeiner und höherer Bedeutung sind, insbesondere in Fällen, in denen Meinungsverschiedenheiten obwalten, wird der Generalgouverneur die gemeinsame Beratung mit den Vorstehern der Landesbehörden aus beiden Verwaltungsgebieten anordnen.

§ 9

Alle Maßregeln zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung oder zur Unterdrückung von Ruhestörungen, insoweit solche nicht von den Landesbehörden ausgehen können, stehen dem Generalgouverneur zu, weshalb ihm außer den Polizeibehörden || S. 277 PDF || auch die im Lande stationierten Gendarmerieregimenter sowie die gesamte Militärpolizeiwache untergeordnet sind.

§ 10

Die Disziplinargewalt über die Beamten steht zunächst dem unmittelbaren Vorsteher der betreffenden Behörde zu und ist von demselben vorschriftsmäßig auszuüben. Der Generalgouverneur ist jedoch berechtigt, bei wahrgenommenen Ordnungswidrigkeiten die Einleitung des Disziplinarverfahrens und die Suspension eines Beamten auch gegen die Ansicht des Vorstehers der Behörde aufzutragen, die Durchführung der Untersuchung zu überwachen und die Vorlage der Verhandlungsakten zu jeder Zeit anzuordnen. Die Disziplinarerkenntnisse über solche Beamte, die vom Generalgouverneur ernannt worden sind, werden bei der betreffenden Landesbehörde gremialiter, und falls es sich um Dienstesentlassung handelt, unter Zuziehung zweier Justizräte geschöpft. Die auf Entlassung, Degradierung oder Versetzung auf eigene Kosten lautenden Erkenntnisse über Beamte dieser Kategorie sind jedoch dem Generalgouverneur zur Bestätigung vorzulegen. Bei Justizbeamten ist nach § 11 vorzugehen.

§ 11

Im Justizfache ist der Generalgouverneur berechtigt, alle Gerichte und Anstalten der Justizverwaltung zu untersuchen und sich von ihrer Tätigkeit und ihrem Zustande zu überzeugen. Er wird die wahrgenommenen Mängel und Gebrechen dem betreffenden Oberlandesgerichtspräsidenten der Abhilfe wegen mitteilen, und wenn solche nicht erfolgt, den Gegenstand zur weiteren Verfügung an den Justizminister leiten. Sollten dem Generalgouverneur über Justizbeamte begründete Daten vorliegen, welche eine Disziplinarbehandlung des Betreffenden notwendig erscheinen lassen, so teilt er selbe dem Präsidenten des betreffenden Oberlandesgerichtes zur weiteren Amtshandlung mit, wovon dieser dem Generalgouverneur das Ergebnis bekanntzugeben hat. Glaubt letzterer, sich damit nicht beruhigen zu können, so leitet er die Verhandlung an den Justizminister.