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Nr. 375 Ministerkonferenz, Wien, 16. November 1856 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Buol 17. 11.), Bach 19. 11., Thun 19. 11., K. Krauß, Toggenburg, Bruck 20. 11., Kempen 21. 11.

MRZ. – KZ. 4549 –

Protokoll der zu Wien am 16. November 1856 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät abgehaltenen Konferenz.

I. Grundsätze des neuen Paßsystems

Infolge Ah. Aufforderung referierte der Minister des Inneren umständlich über den Stand der Verhandlungen wegen Einführung eines neuen Systems in bezug auf die Reisepässe der In- und Ausländer, zeigte, daß das gegenwärtige System der wiederholten Paßvidierungen im Inneren dem Zwecke einer verläßlichen Beobachtung der Fremdenbewegung im Inneren des Kaiserstaates nicht entspreche, motivierte seine Anträge wegen Beschränkung der Paßrevision auf die Einbruchsstationen an den Staatsgrenzen und wegen Erfolgung von Paßkarten an die Inländer in Verbindung mit der strengen Handhabung der Fremdenmeldung durch die Quartiergeber. Der Hauptgrund, warum diese Angelegenheit noch nicht der Ah. Schlußfassung unterzogen werden konnte, liege darin, daß die Oberste Polizeibehörde die Beibehaltung der Paßrevision in Wien, Krakau, Czernowitz, Pest, Triest, Mailand und Venedig notwendig findet, während der Minister des Inneren der Meinung ist, daß die Paßrevision im Inneren der Monarchie allenthalben und ausnahmslos abzustellen wäre.

Der Chef der Obersten Polizeibehörde äußerte hierauf, daß, wenn auch die Paßrevision in allen Provinzialhauptstädten aufgegeben werden sollte, es ihm bedenklich schiene, diese Kontrolle der Fremdenbewegung im Zentrum des Kaiserstaates abzustellen, zumal die neuen Einrichtungen im Meldungswesen, welche an die Stelle der Revision treten sollen, noch nicht ganz ausgemittelt sind. Der Minister des Inneren bemerkte, daß der Entwurf der Vorschrift über die Fremdenmeldung avon dem Ministerium des Inneren im Einvernehmen mit der Obersten Polizeibehörde bereits festgestellt seia und eine größere Strafsanktion als die dermal für die unterlassene Meldung festgesetzte die beste Bürgschaft für eine genaue Kontrolle der Fremdenbewegung gewähren werde1.

Der Minister des Äußern erklärte, daß er insbesondere von seinem Standpunkte aus lebhaft wünschen müsse, daß die wiederholten Revisionen ausländischer Pässe im Inlande – welche fortwährend vielen und strengen Tadel hervorrufen und als Abhaltungsgrund vom Besuch der k. k. Staaten gelten – ausnahmslos abgestellt werden und man sich darauf beschränke, die Reisedokumente an der Staatsgrenze zu prüfen. Dem Grafen Buol scheine es aber auch wünschenswert, in der Erteilung von Pässen zu || S. 219 PDF || Reisen ins Ausland an Inländer Erleichterungen eintreten zu lassen, und zwar namentlich auf die beschleunigte Erledigung der Paßverleihungsgesuche zu wirken, da es bei dem gegenwärtigen Geschäftsgange vorkommt, daß z.B. Pässe zum Besuche eines Seebades erst zu einer Zeit erfolgt werden, wo die Badezeit bereits verstrichen ist. Mit Hinblick darauf würde es diesem Minister angezeigt erscheinen, die frühere Gepflogenheit – wonach die Staatskanzlei und später das Ministerium des Äußern eigene Pässe zu Reisen ins Ausland an Inländer erfolgte – wieder aufleben zu lassen. Dermal würden vom Minister des Äußern nur die Pässe für die zu seinem Ressort gehörigen Beamten und die zum engeren Ah. Hofstaat gehörigen Personen ausgefertigt. Durch eine Ausdehnung dieser Ermächtigung wäre für brücksichtswürdige oderb dringende Fälle ein erwünschtes Auskunftsmittel gewonnen, wobei sich von selbst verstünde, daß der Minister des Äußern nur solche Personen mit Pässen beteilen würde, die ihm persönlich als unbedenklich bekannt sind. Von jeder derlei Ausfertigung würde auch sofort die beteiligte Behörde des Inlandes verständigt werden. Der Minister Graf Buol erklärte es ferner für sehr wünschenswert, daß die k. k. Missionen im Auslande ermächtigt würden, den österreichischen Reisenden ihre Pässe ausnahmsweisec auch nach anderen Ländern zu vidieren, als wohin sie ursprünglich lauten, um den dermaligen oft sehr lästigen Hemmungen der Bewegung der Reisenden zu begegnen. Im Inlande aber sollte ohne besondered Gründe die Erfolgung von Reisepässen niemals verweigerte oder verzögert werden, welches letztere häufig dann eintritt, wenn der Paßwerber sich an seine entfernte Heimatbehörde wenden muß. Der Chef der Obersten Polizeibehörde bemerkte in letzterer Beziehung, daß, wenn der Paßwerber von jeder Statthalterei ohne Rücksprache mit seiner Heimatbehörde einen Paß erhalten kann, viele Mißbräuche stattfinden werden. So habe Se. kaiserliche Hoheit der Herr Erzherzog Albrecht2 dagegen Einsprüche erheben müssen, daß an Ungarn Reisepässe ins Ausland von der niederösterreichischen Statthalterei ohne Rücksprache erfolgt werden, weil bedenkliche Individuen, welchen man in Ofen den Paß verweigert hatte, sich denselben in Wien anstandslos erwirkten. Der Minister des Inneren stimmte mit jenem des Äußern dahin überein, daß den Inländern, welche nicht militärpflichtig und nicht konfiniert sind, in Absicht auf die Erlangung von Reisepässen die angedeuteten Erleichterungen zugestanden werden könnten. fAuch dürften die Grenzbehörden ermächtigt werden, bei fehlendem Visum der österreichischen Mission sonst unbedenklichen Personen die Weiterreise ins Inland zu gestattenf .

Se. Majestät der Kaiser geruhten am Schlusse der Beratung über diesen Gegenstand die Ah. Willensmeinung dahin auszusprechen, daß die Verhandlungen über das neue Paßsystem nunmehr mit aller Tätigkeit zu Ende zu führen seien, und zwar auf der Grundlage, daß 1. alle Paßrevisionen, mit Ausnahme jener an der Staatsgrenze, zu entfallen || S. 220 PDF || haben; 2. ein zweckmäßiges Meldungssystem mit entsprechender Strafsanktion eingeführt werde; 3. den Inländern alle zulässigen Erleichterungen zur Erwirkung von Reisepässen ins Ausland zugewendet werde; 4. der Minister des Äußern die übrigens nicht zu publizierende Ermächtigung erhalte, nebst den ihm bereits zur Paßerteilung zugewiesenen Personen noch anderen ihm persönlich bekannten Inländern Reisepässe in das Ausland zu erteilen3.

II. Stellung der Länderchefs gegenüber den Finanzlandesdirektionen in Siebenbürgen, Kroatien etc

Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu befehlen, daß der Finanzminister ein Gutachten über die Frage erstatte, ob nicht zum allgemein herzustellenden einträchtigen Zusammenwirken der politischen und finanziellen Organe den Landeschefs in Siebenbürgen, der Woiwodschaft und Kroatien mit Slawonien dieselbe Stellung den Finanzlandesdirektionen gegenüber einzuräumen wäre, welche den übrigen Statthaltern zukömmt; dann, ob nicht – nach dem von Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Albrecht geäußerten Wunsche – ein ähnliches Verhältnis zwischen den Vizepräsidenten der fünf ungarischen Statthaltereiabteilungen und den bezüglichen Finanzlandesdirektionsabteilungen einzuführen wäre4.

III. Kundmachung über die Niederschlagung der Hochverratsuntersuchung von Mantua

Der Minister des Inneren referierte, daß der Generalgouverneur Feldmarschall Graf Radetzky die Anfrage an ihn gerichtet habe, ob die von Sr. Majestät Ag. bewilligte Niederschlagung des ersten Mantuaner Hochverratsprozesses sich auf alle Beteiligten mit einziger Ausnahme der Kontumazierten erstrecke (wie es der Wortlaut des Ah. Handschreibens andeutet), oder ob nicht vielleicht auch die Flüchtlinge auszunehmen wären, wie Graf Radetzky seinerzeit au. angetragen hatte. Damit habe Feldmarschall Graf Radetzky die weitere Anfrage verbunden, ob jetzt auch diese Begnadigung im Namen Sr. Majestät auszusprechen wäre. Der Minister glaubte, daß die erstere Anfrage bejahend zu erledigen, die öffentliche Kundmachung des Gnadenaktes aber jetzt noch nicht Platz greifen dürfte.

Se. Majestät der Kaiser geruhten, diese Anträge des Ministers Baron Bach mit dem Ah. Beisatze zu genehmigen, es sei die Erledigung der Anfragen des Feldmarschalls || S. 221 PDF || bis zu dem geeigneten Zeitpunkte der Veröffentlichung während der Reise Sr. Majestät im lombardisch-venezianischen Königreiche aufzuschieben5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Mailand, 9. Februar 1857.