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Nr. 371 Ministerkonferenz, Wien, 5. November 1856 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 5./12. 11.), Bach, Thun, K. Krauß, Toggenburg, Bruck.

MRZ. – KZ. 4157 –

Protokoll I der zu Wien am 5. November 1856 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Behandlung der politischen Flüchtlinge des lombardisch-venezianischen Königreichs

Der Minister des Inneren brachte in Gemäßheit der Konferenzberatungen vom 21. und 28. Oktober, dann 2. November d. J. (sub Nr. II, I und I) den Entwurf des Ah. Kabinettschreibens in Vortrag, welches wegen Aufhebung des auf das Vermögen der politischen Flüchtlinge aus dem lombardisch-venezianischen Königreiche gelegten Sequesters, dann wegen Behandlung dieser Flüchtlinge selbst an den Feldmarschall Grafen Radetzky zu erlassen wäre1.

Mit dem ersten Teile des Entwurfs, die Aufhebung des Sequesters betreffend, erklärte sich die Stimmenmehrheit der Konferenz unbedingt, der Justizminister aber unter dem Vorbehalte einverstanden, daß sich das Ärar gegen allfällige Ansprüche der wieder in den Besitz ihres Vermögens eingesetzten Eigentümer auf Schadenersatz aus dem Titel einer mangelhaften oder nachteiligen Verwaltung desselben durch den Sequester, mittelst einer entsprechenden Klausel in der Art sicherstelle, wie dies bei der Nachsicht der Konfiskation rücksichtlich der politischen Verbrecher in Ungern geschehen ist2. Hat man sich bei den letzteren zu der Erklärung veranlaßt gefunden, daß sie sich mit der Zurückgabe des Vermögens in dem Stande, wie es sich befindet, ohne Rechnungslegung etc. begnügen müssen, obwohl es sich damals um die Zurückgabe eines Vermögens handelte, das bereits Eigentum des Ärars war, so erschiene im gegenwärtigen Falle eine solche Vorsicht umso notwendiger, als das Vermögen der italienischen Flüchtlinge niemals eingezogen worden, sondern nur unter der Verwaltung des ärarischen Sequesters gestanden, mithin den Bestimmungen unterworfen ist, welche das ABGB. über die Verwaltung fremden Eigentumes statuiert3. Will man also bei einem solchen Gnadenakte sich nicht auch noch der Gefahr aussetzen, in zahlreiche, lästige und kostspielige Rechnungsprozesse verwickelt zu werden, so wäre es geraten, denselben durch den Beisatz von vornehinein zu begegnen: „daß das Vermögen in dem Stande, wie es sich zur Zeit der Übergabe befindet, mit den eingehobenen, noch vorhandenen und nicht im Interesse des Eigentümers verwendeten Einkünften übergeben werde“.

|| S. 200 PDF || Der Minister des Inneren bemerkte dagegen, adaß bisher in den Fällen der Sequesterauflassung zufolge der Ah. Entschließung vom 8. Februar 1856 nach dem Grundsatze vorgegangen worden sei, daß das sequestrierte Vermögen samt der nach Abzug der eigentlichen Sequesterauslagen verbliebenen reinen Einkünfte, so wie selbe in den von den Verwaltungsbehörden gelieferten Ausweisen nachgewiesen werden, in dem Stand, in dem es sich zur Zeit der Rückstellung befindet, zurückzustellen und daß dieser Grundsatz auch in der Zukunft festzuhalten sei. Er meint jedoch, daß es nicht notwendig ist, dies in das bezügliche Ah. Handschreiben aufzunehmen, daß vielmehra daß bisher in den Fällen der Sequesterauflassung zufolge der Ah. Entschließung vom 8. Februar 18564 nach dem Grundsatze vorgegangen worden sei, daß das sequestrierte Vermögen samt der nach Abzug der eigentlichen Sequesterauslagen verbliebenen reinen Einkünfte, so wie selbe in den von den Verwaltungsbehörden gelieferten Ausweisen nachgewiesen werden, in dem Stand, in dem es sich zur Zeit der Rückstellung befindet, zurückzustellen und daß dieser Grundsatz auch in der Zukunft festzuhalten sei. Er meint jedoch, daß es nicht notwendig ist, dies in das bezügliche Ah. Handschreiben aufzunehmen, daß vielmehr ihm ein solcher Beisatz überflüssig und anstößig erscheine. Überflüssig, weil es in der Natur der Sache und im Gesetze gegründet ist, daß ein sequestriertes Vermögen mit den vorhandenen, nicht für es selbst verwendeten Einkünften restituiert werde; weil bferner bei den mittlerweile infolge einzelner Gnadenakte stattgefundenen Übergaben von den beteiligten ein Anspruch auf Schadenersatz etc. nicht erhoben wurdeb, und weil soweit es die von dem Vermögen der ungrischen Rebellen hergeholte Analogie betrifft, diese hier keine Anwendung finden dürfte, nachdem bei jenen, während es Eigentum des Ärars war, Entäußerungen stattgefunden haben möchten, für welche das Ärar natürlich nicht zu haften gesonnen war, während solche Verhältnisse bei dem sequestrierten Vermögen der Italiener nicht eintraten. Anstößig aber wäre eine Klausel dieser Art, weil sie als eine nicht durch die Notwendigkeit gebotene Beschränkung des Ah. Gnadenakts caufgefaßt werden könnte und soc den Eindruck desselben schwächen würde. dEs verstehe sich übrigens von selbst, daß der bei den bisherigen Sequesteraufhebungen im Sinne der Ah. Entschließung vom 8. Februar 1856 beobachtete Vorgang auch in der Folge zu beachten und daß in dieser Richtung die geeigneten Weisungen an die politischen- und Finanzbehörden zu erlassen sein werden, ohne daß es hiezu eine Erwähnung in dem fraglichen Ah. Handschreiben bedingtd . Ebensowenig wie der Minister des Inneren legte der Finanzminister einen Wert auf einen solchen Beisatz. Er erklärte sich damit für befriedigt, wenn in dieser Beziehung künftig so wie bisher in den einzelnen Fällen vorgegangen und hiernach dem Feldmarschall Graf Radetzky die Weisung gegeben wird.

Im zweiten Teile des Entwurfs, die persönliche Behandlung der Flüchtlinge betreffend, hatte der Minister des Inneren seinen ursprünglichen Antrag (Konferenzprotokoll vom 28. Oktober 1856/I) dahin modifiziert, daß dem Feldmarschall die Ah. Ermächtigung erteilt werde, fernerhin – ohne Beschränkung auf einen Termin – Gesuche um straffreie Rückkehr oder Wiederverleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft anzunehmen und bewilligend zu erledigen, wenn die Bewerber ihre künftige loyale Haltung reversieren. Ein Mehreres vorzuschlagen, vermöchte er aus den in der || S. 201 PDF || Konferenz vom 28. v. M. angeführten Gründen nicht. Nur ist er wie damals so auch jetzt nicht entgegen, daß die k. k. Missionen angewiesen werden, die bei ihnen einlangenden eGesuche italienischer Flüchtlinge um Entlassung aus dem österreichischen Staatsverbande (beziehungsweise Regelung ihrer staatsbürgerlichen Eigenschaft) anzunehmen und behufs der entsprechenden Amtshandlung an die kompetenten Behörden des Inlandes (nämlich im Wege des General­gouvernements an das Ministerium des Inneren) zu leitene, womit sich auch schließlich der tg. gefertigte Minister des Äußern gegen das einverstanden erklärte, daß diese Weisung im geeigneten offiziosen Wege zur Kenntnis der Beteiligten gelange. In der Hauptsache war die Mehrheit der Konferenz durch den Antrag des Ministers des Inneren zu diesem Punkte befriedigt. Nur bezüglich der Stilisierung wünschte der Justizminister , daß die Rückkehrswerber ihre Treue zu reversieren haben sollten, was der Minister des Inneren durch Aufnahme des Beisatzes „treue“ zu „loyale Untertanen“ (fedeli e leali) berücksichtigte, dann, daß nach des Justiz- und des Handelsministers Antrage statt des Ausdrucks „bewilligend zu erledigen“ einfach gesagt werden möchte „zu bewilligen“ – wogegen jedoch der Minister des Inneren auf dem von ihm gebrauchten Ausdrucke verharrte, um dem Feldmarschall vollständig klar zu machen, daß es ihm nur zustehe, solche Gesuche zu bewilligen, nicht aber abzuweisen, daher nach wie vor Gesuche, welche er zu bewilligen Anstand nähme, der höheren Entscheidung zu unterziehen. Der angeregten Schwierigkeit, den Ausdruck „bewilligend zu erledigen“ genau im Italienischen zu geben, glaubte der Finanzminister durch die Formel: „di accogliere ed evadere adesivamente“ begegnen zu können.

Schließlich kam der Handelsminister auf seinen in der Konferenz vom 28. Oktober 1856 gemachten Antrag zurück: daß, um die Flüchtlingsfrage zum vollständigen Abschlusse zu bringen, in dem Ah. Kabinettschreiben an den Grafen Radetzky auch noch ausgesprochen werden möge, daß alle diejenigen, welche nicht schon durch die Ah. Entschließung von 18505 als Ausgewanderte erklärt worden sind und von der ihnen eröffneten Gelegenheit zur Rückkehr keinen Gebrauch gemacht haben, als gesetzlich ausgewandert angesehen werden. Se. Majestät geruhten in der unter Allerhöchstihrem Vorsitze abgehaltenen Konferenz vom 2. d. M.6 die Ah. Geneigtheit zu erkennen zu geben, daß die Flüchtlingsangelegenheit nunmehr mit einem Male zum vollständigen Abschlusse gelange. Sie kann es nicht, so lange das staatsrechtliche Verhältnis derjenigen unentschieden ist, die von der seither so oft gebotenen Gelegenheit zur Rückkehr keinen Gebrauch machen können oder wollen, und die nicht schon durch die Ah. Entschließung von 1850 als Ausgewanderte zu betrachten sind. Ihre zweifelhafte Stellung ist nur geeignet, die Verlegenheiten der k. k. Regierung in internationaler Beziehung zu verlängern, zumal da die vorgeschlagene Weisung an die k. k. Missionen zur Liquidierung der Untertanschaft sich wieder nur in Ansehung der Einzelnen wirksam || S. 202 PDF || zeigen würde, die sich eben melden wollen. Es schiene daher dem Handelsminister zu dem beabsichtigten Zwecke einer vollkommenen Abtuung dieser Angelegenheit unumgänglich notwendig zu sein, die in dem besprochenen Falle befindlichen Individuenf als gesetzlich Ausgewanderte zu erkennen, welcher Ausspruch übrigens keine Amnestie in sich schließen würde, die allerdings nicht in Bausch und Bogen erteilt werden könnte, sondern nur die Wirkung hätte, daß die betreffenden Individuen sowohl in Absicht auf ihre Person als auf ihr Vermögen als Ausländer betrachtet würden und die österreichische Staatsbürgerschaft nur im Wege der gewöhnlichen Einwanderungs­bewilligung wieder erlangen könntenf . Der Minister des Inneren aber erklärte sich gegen diesen Antrag aus den bereits in der Konferenz vom 28. Oktober 1856 angeführten Gründen und zwar gegenwärtig umso mehr, nachdem die Erwirkung der Bewilligung zur Rückkehr in die k. k. Staaten an keinen Termin mehr gebunden, sondern dem Feldmarschall das unbeschränkte Recht dazu eingeräumt werden soll. Hiermit und durch die an die k. k. Missionen im Auslande zu erlassende Weisung wegen Regelung der Untertanschaftsverhältnisse der sich meldenden Exilierten oder bereits als ausgewandert erklärten Flüchtlinge ist allen die Gelegenheit geboten, sich entweder die Rückkehrbewilligung oder die gEntlassung aus dem österreichischen Staatsverbandeg zu erwirken. Einen Termin zur Erwirkung der Rückkehrbewilligung aber glaubte der Minister des Inneren nicht vorschlagen zu sollen, weil, zeuge der bisherigen Erfahrung, nicht dieser sondern die allgemeine politische Lage die Flüchtlinge bestimmt, von der ihnen eröffneten Gelegenheit Gebrauch zu machen.

Die übrigen Votanten traten sofort der Ansicht des Ministers des Inneren bei, der Kultusminister i nsbesondere mit der Bemerkung, daß er nur aus Rücksicht auf das Entfallen eines bestimmten Termins zur Einbringung der Rückkehrgesuche von seiner in der Konferenz vom 28. v. M. geäußerten Beistimmung zu dem bezüglichen Antrage des Handelsministers zurücktrete7.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Venedig, 2. Dezember 1856 8.