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Nr. 319 Ministerkonferenz, Wien, 27. November 1855 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Buol 1. 12.), Bach, K. Krauß, Toggenburg, Bruck, Grünne; abw. Thun.

MRZ. – KZ. 4231 –

Protokoll der am 21. November 1855 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. Apost. Majestät abgehaltenen Konferenz.

I. Reduktion des Armeeaufwandes. Druck: Akten – Krimkrieg 1/3, Nr. 49

Se. Majestät der Kaiser geruhten zu eröffnen, daß der Finanzminister zum Behufe der Regelung des Staatshaushaltes die dringende Notwendigkeit dargestellt hatte, den vom Armeeoberkommando ursprünglich mit 151 Millionen veranschlagten Militäraufwand für 1856 auf den Betrag von 120 Millionen zu ermäßigen1. Se. Majestät wünschten nun die Meinungen der Konferenzglieder darüber zu vernehmen, ob die zur Erzielung einer solchen Aufwandsverminderung erforderliche Reduktion der Streitkräfte mit Hinblick auf die dermalige politische Lage auch opportun erscheine, oder ob vielleicht der Aufschub einer so tiefeingreifenden Maßregel nötig wäre.

Der Minister des Äußern schickte voraus, daß man bei der Wandelbarkeit der politischen Verhältnisse überhaupt wohl niemals, selbst mitten im Frieden, werde mit Gewißheit behaupten können, daß Österreich durch lange Zeit in keinen großen Krieg werde verwickelt werden. Dermal, wo mehrere europäische Großmächte tatsächlich im Kriege begriffen sind, müßte man daher umsomehr von der Frage um diese Gewißheit abstrahieren, und es könne sich somit nur um die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit handeln, daß Österreich in naher Zukunft einen Krieg werde führen müssen. Graf Buol müsse nach reiflicher Prüfung der politischen Situation erklären, daß ihm der Fall der Notwendigkeit einer Kriegsführung für Österreich dermal nicht wahrscheinlich vorkomme, und man selbst als gewiß annehmen könne, daß Rußland uns nicht angreifen werde. Die Notwendigkeit, die k. k. Armee schon im nächsten Frühjahre schlagfertig bereitzuhalten, sei daher – nach menschlicher Voraussicht – nicht vorhanden. Ja, der gegenwärtige Moment, wo der Kaiser der Franzosen soeben 20.000 Mann der || S. 189 PDF || Garde aus der Krim zurückberufen hat, scheine der Vornahme von Reduktionen oder Zurückverlegung von Truppenkörpern österreichischerseits vom politischen Standpunkt ehera günstig. Unter diesen Umständen könne Graf Buol den Zeitpunkt nur für ganz geeignet halten, um dem Staatsschatze durch Verminderung des Militäraufwandes jene ergiebige Erleichterung zu verschaffen, deren er in so hohem Grade bedürftig ist.

Der Minister des Inneren äußerte, die hier zum Grunde liegende, rein politische Frage habe soeben von kompetenter Seite ihre Beantwortung gefunden. Die in Rede stehenden Reduktionen seien nur eine weitere Konsequenz der von Sr. Majestät bereits vor einigen Monaten verfügten2; dieselben beruhen auf der Voraussetzung, daß Österreich baller Wahrscheinlichkeit nachb zu keiner direkten Aktion bei dem bestehenden Konflikte genötigt werden wird. Minister Baron Bach glaube, cnachdem unter dieser Voraussetzung nunmehr die politische Frage in den Hintergrund trete und die finanzielle Seite in erster Linie erscheinec, daß dbei der gegenwärtigen Lage der Sached zu den fraglichen Reduktionen ohne Bedenken geschritten werden dürfte.

Der Finanzminister setzte auseinander, daß eine ergiebige Beschränkung des so hochgestiegenen Militäraufwandes selbst aus dem politischen Gesichtspunkte unausweichlich notwendig sei, weil eine noch länger fortgesetzte, übermäßige Anstrengung aller finanziellen Hilfsmittel die österreichische Regierung gerade in dem, vielleicht noch fernen, entscheidenden Augenblicke ohne die Mittel lassen würde, um mit Energie einzuschreiten. Nach der Darstellung des Grafen Buol haben wir aller Wahrscheinlichkeit nach eine etwas ruhigere Periode vor uns. Diese müsse man wohl benützen, um sich finanziell etwas zu rangieren. Der Grund, warum der Finanzminister auf die Einhaltung der Ziffer von 120 Millionen einen so großen Wert legt, ist der, weil es ihm nur bei einer solchen Beschränkung möglich sein würde, das noch immer sehr groß bleibende Defizit zu decken, ohne im Lauf des Jahres 1856 zu neuen Kreditoperationen schreiten zu müssen, welche nur äußerst schwer und mit den lästigsten Opfern durchgeführt werden könnten.

Der Erste Generaladjutant Sr. Majestät äußerte, die Beantwortung der politischen Frage über die Wahrscheinlichkeit einer aktiven Kriegsführung von Seite Österreichs liege außer dem Bereiche der ihm Allerhöchstenortes gestellten Aufgabe. Er müsse sich darauf beschränken, die Tragweite und die Folgen einer weiteren Armeereduktion in militärischer Beziehung gegenwärtig zu halten. Graf Grünne reassumierte hierauf in Kürze den Inhalt seiner am 25. Oktober und || S. 190 PDF || 20. November d. J. hinsichtlich der Armeereduktionen an Se. Majestät erstatteten Vorträge und hob vor allem heraus, daß bei Reduktionen die eventuellen Deckungsmodalitäten des Armeebedarfs an Mannschaft, Pferden, Rüstung, Montur, Verpflegung etc. für den Fall einer plötzlichen Augmentation wohl zu berücksichtigen seien; damit nicht solche Objekte reduziert werden, die man sich im Falle des Bedarfes nur mit großem Zeit- und Geldaufwande wieder verschaffen kann. Am leichtesten sei, – wenn der Grundbuchstand vollzählig ist – die Verminderung bei der Infanterie wieder zu ersetzen, und es komme nur auf die Zeit an, die erforderlich ist, um die einberufenen Urlauber auf den – in Galizien allerdings sehr ausgedehnten Aufstellungsrayon zu bringen. eDer Grundbuchstand der meisten Infanterieregimenter aber sei, weil im vorigen Jahre eine Rekrutierung nicht stattgefunden, bereits gegenwärtig derart herabgesunken, daß diese Regimenter erst nach einer nächsten Rekrutierung dem Befehle zur Annahme des Kriegsstandes nachzukommen vermögene . Anders verhält es sich mit den Pferden der Artillerie und Trains. Sind die Bespannungen einmal verkauft, so muß man im Falle eines eintretenden größeren Bedarfes dieselben Pferde, obgleich sie mittlerweilen abgenützt wurden, um bedeutend höhere Preise zurückkaufen und braucht zur Aufstellung wenigstens vier bis fünf Monate. Man verliert also an Zeit und an Qualität der Pferde und zahlt endlich selbst an Geld mehr, als durch die Ersparung des Futters während einiger Monate gewonnen wurde. Diese Erfahrung sei erst vor zwei Jahren gemacht worden. fDie Folge wird lehren, daß die Schwierigkeiten, mit welchen man bei der letzten Remontierung zu kämpfen hatte, durch Unterlassung des Ausfuhrverbots im entscheidenden Augenblick bei der nächsten noch bei weitem bedeutender erscheinen werden, indem die durch die letzte Reduktion aus der Armee ausgereihten Pferde zu tausenden von Agenten Frankreichs und Englands aufgekauft und außer Land geführt wurdenf Die Folge wird lehren, daß die Schwierigkeiten, mit welchen man bei der letzten Remontierung zu kämpfen hatte, durch Unterlassung des Ausfuhrverbots3 im entscheidenden Augenblick bei der nächsten noch bei weitem bedeutender erscheinen werden, indem die durch die letzte Reduktion aus der Armee ausgereihten Pferde zu tausenden von Agenten Frankreichs und Englands aufgekauft und außer Land geführt wurden. Noch bedenklicher vom militärischen Standpunkt aus ist eine Reduktion bei der Kavallerie, wo nebst der Zeit zur Aufstellung der Pferde noch acht bis neun Monate für die Dressur der Remonten4 zu rechnen sind, mithin die Kavallerie auf dem Kriegsschauplatze, nur um vieles später vollzählig erscheinen kann. Wenn man daher im nächsten Frühjahre oder Sommer in den Fall kommen könnte, die Kavallerie, das Fuhrwesen und die Artilleriebespannungen zu Operationen zu verwenden, müsse FML. Graf Grünne, nicht bloß vom militärischen Standpunkte, sondern selbst im Interesse der Finanzen – dessen hohe Wichtigkeit er sich vollkommen gegenwärtig halte – von einer großen Reduktion des dermal 87.000 Stück betragenden Pferdestandes abraten5.

|| S. 191 PDF || Der Minister des Äußern bemerkte hierauf, mit Bezug auf seine frühere Erörterung, daß die Wahrscheinlichkeit eines nahen Krieges für Österreich dermal nicht vorhanden sei und man sich durch die bloße Möglichkeit kriegerischer Operationen im nächsten Frühjahre nicht abhalten lassen dürfte, die von den dringendsten Rücksichten gebotenen Reduktionen jetzt vorzunehmen, weil man ja sonst gar nie dazukommen würde. Momentan würde das Gewicht Österreichs in der politischen Waagschale durch die Beibehaltung des dermaligen vollen Armeestandes vielleicht gekräftigt, allein man dürfte sich über die Möglichkeit, noch lange so gerüstet zu bleiben, keinen Illusionen hingeben – ebensowenig als unsere Alliierten und Gegner sich darüber täuschen. Die politische Lage Österreichs werde durch die Reduktionen nicht gefährdet, wohl aber die finanzielle, durch deren Unterlassungstief erschüttert und deswegen müsse Graf Buol die Bitte des Finanzministers pflichtgemäß unterstützen. Andererseits werde gdoch wohlg die österreichische Regierung, wenn die Wendung der Verhandlungen oder die veränderte politische Lage es erheischt, hauch nach erfolgter Reduktionh immerhin eine militärische Demonstration machen können, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen.

Der Erste Generaladjutant Sr. Majestät glaubte sich gegen diese letztere Voraussetzung verwahren zu müssen, indem er darauf hinwies, daß die Regierung sich eben durch die Reduktionen der Mittel berauben würde, durch eine Offensive jenseits der Grenze eine Demonstration zu machen.

Der Minister des Äußern entgegnete hierauf, daß auch geringere Demonstrationen, z. B. Truppenzusammenziehungen etc. unter gewissen Umständen genügen dürften, um einen politischen Zweck zu erreichen6.

iDerMinister des Inneren bemerkt rücksichtlich des Pferdeausfuhrverbotes, daß dessen Erlassung im abgelaufenen Sommer mit Rücksicht auf die bereits früher der englischen Regierung gemachten Zusicherungen unterblieben sei; nach seiner Ansicht werde aber die seitdem wirklich erfolgte Ausfuhr an Pferden bedeutend überschätzt, da selbe nach den eingeholten Zollausweisen die sonst gewöhnliche Ausfuhr von 10/m Stück jährlich höchstens um 20% übersteigt, was den Grundstand an Pferden in der Monarchie nicht wohl angegriffen haben kann. Übrigens müsse er bemerklich machen, daß noch zu keiner Zeit ein so kolossaler Pferdeankauf als bei den letzten Rüstungen in Österreich stattgefunden habe und daß der bemerkte Abfall hiebei wohl zum Teile auch in der gesteigerten Schnelligkeit des Ankaufes und dem Mangel gehöriger Verpflegung und Wartung seinen Grund haben mochte. Er sehe daher durch das bisher unterlassene Ausfuhrverbot die künftige Ausrüstung nicht für gefährdet an; für die Zukunft sei aber die Erlassung des Verbots bereits eingeleiteti Der Minister des Inneren bemerkt rücksichtlich des Pferdeausfuhrverbotes, daß dessen Erlassung im abgelaufenen Sommer mit Rücksicht auf die bereits früher der englischen Regierung gemachten Zusicherungen unterblieben sei; nach seiner Ansicht werde aber die seitdem wirklich erfolgte Ausfuhr an Pferden bedeutend überschätzt, da selbe nach den eingeholten Zollausweisen die sonst gewöhnliche Ausfuhr von 10/m Stück jährlich höchstens um 20% übersteigt, was den Grundstand an Pferden in der Monarchie nicht wohl angegriffen haben kann. Übrigens müsse er bemerklich machen, daß noch zu keiner Zeit ein so kolossaler Pferdeankauf als bei den letzten Rüstungen in Österreich stattgefunden habe und daß der bemerkte Abfall hiebei wohl zum Teile auch in der gesteigerten Schnelligkeit des Ankaufes und dem Mangel gehöriger Verpflegung und Wartung seinen Grund haben mochte. Er sehe daher durch das bisher unterlassene Ausfuhrverbot die künftige Ausrüstung nicht für gefährdet an; für die Zukunft sei aber die Erlassung des Verbots bereits eingeleitet.

|| S. 192 PDF || Der Justizminister jtrat den vom Minister des Äußern ausgesprochenen Ansichten vollkommen bei undj sprach gleichfalls seine Überzeugung von der Notwendigkeit aus, dem Grundübel des kolossalenk Defizits (an welches sich so viele andere Übell knüpften) durch wesentliche Beschränkung des Militäraufwandes zu steuern. mDieser Ansicht schloß sich auch der Handelsminister anm .

Nachdem Se. Majestät darauf hinzudeuten geruhten, daß die Zurückverlegung von fünf Grenzbataillons aus den Donaufürstentümern in ihre respektiven Grenzbezirke den doppelten Vorteil gewähren würde: die Finanzen bei weitem mehr zu erleichtern, als es durch die Rückverlegung einer gleichen Zahl anderer Truppen geschehen könnte – und zugleich dem Grenzlande eine Menge Familienväter und arbeitende Hände zurückzugeben –, bemerkte Minister Graf Buol , daß eine Reduktion in jener Gegend ihm vom politischen Standpunkt aus minder wünschenswert erschiene, besonders wenn es nicht tunlich wäre, den entstehenden Abgang durch Nachschub anderer Truppen wenigstens dem Anschein nach einigermaßen zu ersetzen.

Der k. k. Erste Generaladjutant Sr. Majestät glaubte dagegen, daß der Rückmarsch dieser Bataillons (5000 Mann) in die benachbarte Militärgrenze unter den mancherlei anderen Bewegungen und Reduktionen kaum Aufsehen erregen dürfte, und auch der Finanzminister sprach sich mit Lebhaftigkeit für diese Maßregel aus, wodurch ungefähr 600.000 fl. jährlich in Silber erspart werden könnten7.

Schließlich geruhten Se. k. k. apost. Majestät zu befehlen, daß die Verhandlung wegen Erlassung des Pferdeausfuhrverbotes, da es den Reduktionen vorausgeschickt werden müsse, möglichst beschleunigt werde8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, 3. Dezember 1855.