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Nr. 308 Ministerkonferenz, Wien, 2. Oktober 1855 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 2. 10.), Bach (9. 10), Thun (II/III), K. Krauß, Bruck; abw. Toggenburg.

MRZ. – KZ. 2656 –

Protokoll der zu Wien am 2. Oktober 1855 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Gnadengabe für die Bezirksrichterswitwe Marie Polak

Der Justizminister referierte über die laut seines Vortrags vom 19. September 1855, KZ. 3322, MCZ. 3028, zwischen ihm und dem Finanzminister wegen des Antrags auf Beteilung der Bezirksrichterswitwe Marie Polak mit einer Gnadengabe von jährlich 200 f. obwaltende Meinungsdifferenz. Während der Finanzminister auf seiner Einsprache gegen diese Beteilung – der Exemplifikation wegen – beharrte, erklärte der Minister des Inneren mit Rücksicht auf andere ähnliche Fälle, wo die Ah. Gnade Sr. Majestät den Notstand der Zurückgelassenen solcher aus dem ehemals herrschaftlichen in den Staatsdienst übernommenen Beamten zu lindern geruht haben, daß auch das vorliegende Gesuch der Witwe Polak der Ah. Gnade empfohlen zu werden verdiene1.

Der Kultusminister war bei der Besprechung dieses Gegenstandes nicht anwesend.

II. Erläuterung wegen Bestrafung einer Handlung, die als Verbrechen konstituiert, aber als Übertretung angesehen wurde

Es ist vorgekommen, daß eine Handlung grober Unsittlichkeit, welche nach dem Gesetze als Verbrechen zu behandeln gewesen wäre, von einem Bezirksgerichte lediglich als Übertretung angesehen und abgeurteilt worden ist. Da die bestehende Strafprozeßordnung2 nichts enthält, wodurch ein solcher Mißgriff remediert werden könnte, so beabsichtigt der Justizminister – zur Aufrechterhaltung und gehörigen Anwendung der Strafgesetze – Sr. Majestät eine Erläuterungsvorschrift vorzuschlagen, wonach die Gerichtshöfe erster Instanz verpflichtet werden, wenn ihnen ein solcher Fall bekannt wird, hievon die Anzeige an das Oberlandesgericht zu machen, welches nach Erwägung aller Verhältnisse zu entscheiden hat, ob die als Übertretung bestrafte Handlung ein Verbrechen sei und als solches einer neuerlichen Untersuchung und Aburteilung unterliege, wobei dann der bereits abgeführte Untersuchungsakt zu benützen und bei Ausmaß der Strafe auf die schon ausgestandene Strafe der Übertretung Rücksicht zu nehmen sein würde.

Der Minister des Inneren , welchem sich der tg. gefertigte Minister des Äußern anschloß, nahm Anstand, diesem Vorschlage beizutreten, weil er besorgt, || S. 139 PDF || daß behufs der Ausführung dieser Anordnung eine lästige Kontrolle werde geübt und die ohnehin mit Geschäften überhäuften Bezirksämter mit einer neuen Schreiberei durch Vorlegung von Ausweisen über die bei ihnen verhandelten Übertretungen werden bebürdet werden müssen – ein Nachteil, der ihm viel größer zu sein scheint als das Unglück, wenn hier und da ein Verbrecher mit einer geringeren Strafe davonkommt. Auch war er der Ansicht, daß das Obergericht schon nach dem Gesetze berufen sei, in solchen Fällen die richtige Anwendung der Strafgesetze zu verfügen.

Der Justizminister versicherte aber das Gegenteil und wies auf das Hofdekret vom 20. Jänner 1823, Justizgesetzordnung Z. 1920, hin, welches eine mit der vorgeschlagenen Verordnung übereinstimmende Anordnung enthält. Auch ist er weit entfernt, hiermit eine neue Belastung der Bezirksämter mit Ausweisen etc. zu veranlassen, welche die Gerichtshöfe erster Instanz von ihnen als koordinierte Stellen nicht einmal abfordern dürften, sondern er beabsichtigt nur, daß dem Gesetze genüge geschehe, wenn Aburteilungen der bemerkten Art im anderen Wege zur Kenntnis der Gerichtshöfe gelangen. Ihm stimmten der Kultus- und der Finanzminister bei3.

III. Stempelfreiheit für Urteilsbeweggründe

Nach der bestandenen Gerichtsordnung4 wurden die Beweggründe eines Zivilrechtsurteils nur auf Verlangen der Partei hinausgegeben, welche dafür den Stempel wie für Abschriften entrichten mußte. Nach dem Gesetze vom 3. Mai 1853 5 müssen jedoch die Beweggründe zugleich mit dem Urteile ex officio hinausgegeben werden. Sie erscheinen somit als integrierende Teile einer ämtlichen Ausfertigung, die nach dem Gesetze in einigen Fällen selbst dem Stempel unterliegt. Da überdies das Urteil in anderen Fällen nach dem Werte des Streitgegenstandes einer nicht unbedeutenden Perzentualgebühr unterworfen ist, so erachtete der Justizminister – gegen die Meinung des Finanzministers, welcher diese Ausfertigungen fortan dem Stempel unterworfen wissen will –, daß die Beweggründe nunmehr stempelfrei ausgefertigt werden sollen und wird hiernach unter Beitritt der übrigen Stimmen der Konferenz den Antrag bei Sr. Majestät stellen6.

IV. Pensionserhöhung für den Distriktskommissär Johann Anton Vaj

Der Minister des Inneren referierte über die Meinungsdifferenz, die laut Vortrag vom 29. September 1855, KZ. 3410, MCZ. 3108, über das Pensionserhöhungsgesuch des Distriktskommissärs Johann Anton Vaj zwischen ihm und dem Finanzminister obwaltet. Er verkannte nicht die Richtigkeit der Einwendung des letzteren gegen die beantragte Erhöhung der Pension; allein er glaubte dieselbe mit Rücksicht auf die ausgezeichnete politische Haltung des Bittstellers und auf || S. 140 PDF || die Ah. Geneigtheit Sr. Majestät, solche besonders bei Italienern zu belohnen, im Wege der Gnade befürworten zu dürfen. Der Justizminister stimmte ihm bei; die übrigen getrauten sich nicht beizutreten, nachdem Vaj das Normalmäßige hat und einer Unterstützung nicht bedarf. Eher schiene dem Kultusminister eine Ehrenauszeichnung für denselben angezeigt7.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Ischl, 14. Oktober 1855.