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Nr. 244 Ministerkonferenz, Wien, 12. September 1854 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 13. 9.), Bach 3. 10., Thun, K. Krauß; abw. Baumgartner.

MRZ. – KZ. 3337 –

Protokoll der am 12. September 1854 in Wien abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Klage des Schankwirts Ignaz Gröller in Persenbeug gegen den dortigen Kaplan wegen Ehrenbeleidigung

Der Minister des Kultus und Unterrichtes Graf v. Thun brachte folgenden Fall zum Vortrage: Der Kaplan in Persenbeug hielt am ersten Sonntag in der Fasten eine Predigt über die Sünden der Zeit, worin er mit Rücksicht auf den Umstand, daß der dortige Wirt Ignaz Gröller in der Nacht vom Faschingdienstag auf Aschermittwoch bis zwei Uhr morgens bei sich tanzen ließ, diesen Vorfall, zwar ohne den Gastwirt zu nennen, aber in solcher Weise rügte, daß für die Zuhörer nicht zweifelhaft sein konnte, auf wen sich seine Worte bezogen. Der Kaplan wurde deshalb von dem Wirte bei dem Bezirksgericht in Krems der Ehrenbeleidigung angeklagt, welches die Klage angenommen und den Geklagten, da es sich bloß um eine Übertretung handelte, gleich zur Hauptverhandlung vorgeladen hat. Der Kaplan hat um Fristerstreckung angesucht und die Sache dem Bischof angezeigt, welch letzterer sie an den Kultusminister mit der Bemerkung leitete, daß die Diözesanen1 bezüglich ihrer in der Kirche gehaltenen Reden und dabei gemachten Äußerungen nur dem bischöflichen Gericht unterstehen.

Der Kultusminister seinerseits hat diese Angelegenheit dem Justizminister mitgeteilt, welcher in seiner Rücknote mit Beziehung auf die bestehenden Gesetze erklärte, keine Macht zu besitzen, einen anhängigen Prozeß in einer privatrechtlichen Sache niederzuschlagen; übrigens habe er über die Note des Kultusministers an den Vorsteher des Gerichts in Krems geschrieben, derselbe möchte || S. 316 PDF || zur Beseitigung dieser jedenfalls unliebsamen Angelegenheit möglichst dahin trachten, daß der Kläger von seiner Klage abstehe. Hierüber wird noch die Antwort des Gerichtsvorstehers erwartet. Der referierende Minister Graf Thun hält es nicht für wahrscheinlich, daß die Angelegenheit in dieser Weise werde beigelegt werden können, und ist überdies der Ansicht, daß, wenn es auch der Fall wäre, nicht minder die Notwendigkeit erwiesen vorläge, einer Wiederholung ähnlicher Skandale vorzubeugen. Indem er anerkennt, daß nach den bestehenden Gesetzen die Regierung nicht in der Lage sei, den Prozeß niederzuschlagen, ist er der Ansicht, daß, wenn der Seelsorger die Übertretung eines Kirchengebotes, durch welches öffentliches Ärgernis in der Gemeinde gegeben wurde, von der Kanzel, also in Ausübung der Seelsorge, rüge, es durchaus unzulässig sein sollte, diesen Vorgang als eine der Beurteilung des weltlichen Richters unterliegende Ehrenbeleidigung zu behandeln und dem Katholiken das Recht einzuräumen, seinen Seelsorger wegen des Gebrauchs, den er von seiner kirchlichen Disziplinargewalt gemacht hat, vor die Schranken des weltlichen Gerichtes zu fordern. Würde er auch freigesprochen, so müsse doch schon die Verhandlung, die Einvernehmung von Zeugen, das dadurch verursachte Aufsehen usw. sehr demoralisierend wirken. Der Minister Graf Thun ist des Dafürhaltens, daß in Fällen wie der gegenwärtige, es dem Bischof, welchem eine Disziplinargewalt über seine Diözesanen zusteht, überlassen werden dürfte, zu beurteilen, ob der Seelsorger in der rechten Weise vorgegangen oder ob die gegen ihn erhobene Beschwerde gegründet und was infolge derselben den kirchlichen Vorschriften gemäß zu verfügen sei. Einen Anhaltspunkt zu dieser Auffassung glaubt der Referent selbst im § 489 des Strafgesetzbuches vom 27. Mai 1852 2 zu finden, insofern darin ausgesprochen ist, daß sich auch durch öffentliche Bekanntmachung ehrenrühriger Tatsachen derjenige einer Ehrenbeleidigung nicht schuldig macht, der dazu „durch besondere Umstände“ genötigt war. Könnte auf diese Art nicht Abhilfe geschafft werden, dann meint der referierende Minister, wäre wenigstens anzuordnen, daß über solche Fälle das unterste Gericht die Klage nicht annehme, sondern diese höheren Orts vorgelegt werde. Der Minister Graf Thun beabsichtigt, in diesem Sinne die entsprechenden Anträge an Se. Majestät au. zu richten. Dieser Ansicht stimmten die übrigen Konferenzglieder nicht bei.

Der Justizminister bemerkte, daß die Meinung des Bischofs, in welchem Sinne sich auch der geklagte Kaplan ausgesprochen hat, niemand hätte dareinzureden, was auf der Kanzel gesagt wurde, worüber nur dem Bischof Verantwortung schuldig sei, nicht gebilligt werden könne, indem z. B. ein Geistlicher die Untertanen des Gehorsams zu entbinden wagen könnte, was denn offenbar geahndet werden müßte, und zwar nicht von dem Bischof, sondern von der weltlichen Obrigkeit. Der Justizminister meint, daß gegenwärtig in der zur Sprache gekommenen Sache nichts zu verfügen, sondern vor allem abzuwarten wäre, was für einen Erfolg die Bemühungen des Gerichtsvorstandes in Krems zur Beseitigung des Prozesses haben werden. Aus dem noch zu erwartenden Berichte werde hervorgehen, ob die dem Kaplan zur Last gelegten Äußerungen wahr sind oder || S. 317 PDF || nicht und ob das Faktum einer Ehrenbeleidigung oder nur eine zulässige geistliche Rüge von der Kanzel war. Sollte der erste Richter die Äußerung des Kaplans für eine Ehrenbeleidigung erklären und eine Untersuchung und Aburteilung stattfinden, dann kann an die höheren Behörden rekurriert und in der letzten Auflösung selbst bei Sr. Majestät auf Ag. Nachsicht der Strafe — hier wahrscheinlich eine Geldstrafe — au. angetragen werden. Überhaupt, bemerkte der Justizminister, wären noch mehrere Fälle dieser Art abzuwarten, bevor auf eine gesetzliche Verfügung angetragen wird, indem es eine sehr mißliche Sache sei, aus einem einzelnen Falle gleich auf ein neues Gesetz anzutragen.

Der Minister des Inneren bemerkte, daß in Dingen, welche einen Konflikt zwischen der kirchlichen und weltlichen Gewalt in Aussicht stellen, es am ratsamsten sei, denselben soviel wie möglich aus dem Wege zu gehen oder dieselben tunlichst zu beseitigen zu trachten, statt solche Sachen auf die prinzipielle Spitze zu treiben. Von der Überzeugung ausgehend, daß man auch auf der Kanzel sich weltlicher Strafen schuldig machen könne, könne der oberwähnte Grundsatz des Bischofs nicht angenommen und gutgeheißen werden. Es wäre am besten, wenn der gegenwärtige Fall nach der Einleitung des Justizministers durch die Zurücknahme der Klage abgetan werden könnte. Es sei daher zunächst das Resultat jener Einleitung abzuwarten. Sollte aber von der Klage nicht abgestanden werden, so bliebe nichts anderes übrig, als darüber zu verhandeln und das Urteil zu sprechen, gegen welches es den Parteien unbenommen bleibt, den Rekurs zu ergreifen. Der Minister des Inneren bemerkte weiter, daß der in der Rede stehende Geistliche als solcher gefehlt hat. Er habe die Handlungsweise des Wirtes rügen können, ohne das Individuum zu bezeichnen oder es gar von der Kanzel herab zu beleidigen. Hätte der Kaplan den Vorgang des Wirtes seinem Pfarrer angezeigt und dieser denselben zur Kenntnis der Obrigkeit gebracht, so wäre der Wirt gestraft worden, und die Sache wäre ordnungsmäßig abgetan. Gegenwärtig stehe aber noch nicht fest, ob die gegen den Kaplan vorgebrachten Beschuldigungen wahr sind oder nicht. Sind sie es nicht, so wird ihn der Richter freisprechen. Jedenfalls sei aber der vorliegende Fall nicht geeignet, um eine legislative Verfügung hervorzurufen.

Dieselbe Ansicht sprach auch der vorsitzende Minister der auswärtigen Angelegenheiten mit dem Beifügen aus, es scheine keinem Zweifel unterworfen zu sein, daß ein Geistlicher auf der Kanzel Handlungen, wie die hier erwähnte, begehen könne, welche nach den weltlichen Gesetzen strafbar sind, und bestehen Strafgesetze gegen solche Handlungen, so müssen dieselben auch in Anwendung kommen. Derselbe erklärte sich jedoch wie die beiden Vorstimmen für das Abwarten des Erfolges der von dem Justizminister eingeleiteten Vernehmung des Vorstands des Kremser Bezirksgerichts3.

II Löschung der Oktavalhaftung der Dominikalgüter in Krain, einem Teil Kärntens und des Küstenlandes

Der Justizminister Freiherr v. Krauß brachte hierauf die (MCZ. 2683 ex 1854) umständlich auseinandergesetzte Meinungsverschiedenheit zum Vortrage, || S. 318 PDF || welche sich zwischen dem Ministerium des Inneren einerseits und dem Justiz- und dem Finanzministerium andererseits bezüglich der Löschung der Oktavalhaftung der Dominikalgutskörper in Krain, einem Teile Kärntens und des Küstenlandes ergeben hat4.

Die streitige Frage ist die, ob in Illyrien, wo während der französischen Herrschaft das Untertansband und die Patrimonialgerichtsbarkeit aufgehoben wurden, die nach der Reokkupierung mit der Wiederherstellung des Untertansverhältnisses wieder in Kraft gesetzte Haftung der Oktava sich bloß auf die Untertansforderungen im engeren Sinne, d. i. die von Prägravationen bei geleisteten Diensten und Giebigkeiten herrührenden oder auch auf Ersatzansprüche der Untertanen gegen die vormaligen Obrigkeiten aus der geführten Jurisdiktion — einschließlich der Waisen- und Depositenverwaltung —, erstrecke5. Das Ministerium des Inneren behauptet, die Oktava hafte für diese Ersatzansprüche nicht, weil die eigentliche Patrimonialgerichtsbarkeit als solche nicht wiederhergestellt, sondern nur einzelne Dominien mit der Führung der Gerichtsbarkeit als Bezirksobrigkeiten jure delegatorio betraut wurden, und beruft sich diesfalls auf den Absatz d der Ah. Entschließung vom 26. Jänner 1830, Hofkanzleidekret vom 4. Februar 1830, Nr. 2449, JGS.6. Dasselbe glaubt daher, daß bei den betreffenden Dominien die Oktava sogleich gelöscht werden könne, wenn innerhalb des gesetzlichen Termins (30. September 1854) keine Untertansforderungen im engeren Sinne angemeldet worden sind7. Die Gegengründe des Justizministeriums, mit welchen auch das Finanzministerium einverstanden ist, erscheinen (MCZ. 2683/1854) angeführt und reduzieren sich im wesentlichen auf folgende Hauptpunkte: Die Oktava haftete vor der französischen Okkupation in Illyrien ebenso wie in allen andern Provinzen nicht bloß für die Prägravationsforderungen der Untertanen, sondern auch für die Jurisdiktion, was auch durch das Patent vom 10. Februar 1853, RGBL. Nr. 26, indirekt ausgesprochen und von dem Minister des Inneren nicht in Abrede gestellt wird. Bei der Reokkupation wurden aber durch die Organisierungsverordnungen vom 26. Juli und 23. November 1814 alle auf das Untertansverhältnis Bezug habenden Gesetze, daher auch jene über die Oktava, wieder in volle Kraft gesetzt und durch das Hofdekret vom 20. September 1814, Nr. 1102, JGS. die Haftung der Bezirksobrigkeiten für die Besorgung || S. 319 PDF || der Gerichtsbarkeit ausdrücklich ausgesprochen8. Diese Haftung ist nach unseren Vorschriften, wie der Justizminister bemerkte, keine bloß persönliche, sondern eine am Gutskörper selbst haftende. Überdies ist die Haftung in betreff der Waisen- und Depositengelder in der Landtafel ausdrücklich vorgeschrieben. Das Hofkanzleidekret vom 4. Februar 1830 habe hieran nichts geändert, indem es sich nur darum handelte, ob außer den eigenen Untertanen des Bezirksdominiums auch die übrigen Jurisdizenten auf die Oktava Anspruch machen können, welche Frage verneinend entschieden wurde. Die Praxis des Klagenfurter Appellationsgerichtes hat dies auch so gehalten, indem viele Ersätze aus der Gerichtsbarkeit durch die Oktava hereingebracht wurden.

Die weitere Streitfrage wegen der Haftung der Dominien für die Grundbuchsführung behebt sich beinahe gänzlich durch die Auflassung des dreijährigen Termins zur Anmeldung von Ansprüchen, indem jetzt die Grundbuchsdominien auf Grund der appellatorischen Bestätigung, daß keine Syndikatsbeschwerde eingebracht wurde, die Löschung der Oktava sogleich erwirken können. Aus diesen hier kurz angeführten, in der MCZ. 2683/1854 umständlicher enthaltenen Gründen glaubte der Justizminister bei seiner dort ausgesprochenen Ansicht beharren zu sollen. Der Minister des Inneren kam aus den ebendort angeführten Gründen, welche in der Konferenz vorgelesen wurden, auf seinen dort gestellten Antrag gleichfalls zurück.

Bei der Abstimmung hierüber vereinigte sich der Minister des Kultus und des öffentlichen Unterrichtes mit dem Antrage des Ministers des Inneren, während der vorsitzende Minister der auswärtigen Angelegenheiten , bemerkend, nicht genug tief in die diesfälligen gesetzlichen und administrativen Verhältnisse eingeweiht zu sein, sich der Äußerung einer positiven Meinung über den in der Rede stehenden Gegenstand enthalten zu sollen glaubte9.

A[h]. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 10. Oktober 1854.