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Nr. 223 Ministerkonferenz, Wien, 20. Mai 1854 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • Sonderprotokoll; RS.; P. Wacek; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 21. 5.), anw. Bach, Baumgartner, Thun, K. Krauß; außerdem anw. Kempen, Bamberg, Werner. Der Mantelbogen dieses Protokolls fehlt und damit auch die BdE.

MRZ. – KZ. fehlt –

Protokoll der am 20. Mai 1854 in Wien abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Abschluß der Wirksamkeit der Kriegsgerichte in Wien und Prag über Zivilpersonen

Der Minister des Inneren brachte den Abschluß der Wirksamkeit der Kriegsgerichte in Wien und Prag usw. über Zivilpersonen und die Einstellung der öffentlichen Kundmachung der kriegsrechtlichen Urteile über Zivilpersonen überhaupt in jenen Orten, wo die Kriegsgerichte nach Aufhebung des Belagerungszustandes noch fortbestehen, zum Vortrage1.

Zu der Besprechung über diesen ebenso wichtigen als dringenden Gegenstand wurden, um eine Einigung der Ansichten leichter und schneller, als es im schriftlichen Korrespondenzwege geschehen könnte, zu erzielen, der Chef der Obersten Polizeibehörde FML. Freiherr Kempen v. Fichtenstamm, der Generaladjutant Sr. Majestät des Kaisers und Chef der 3. und 4. Sektion bei dem k. k. Armeeoberkommando GM. v. Bamberg und der Generalauditor bei dem Obersten Militärgerichtshofe Werner eingeladen.

Der Minister des Inneren glaubte vor allem, die bezüglich der Aufhebung des Belagerungszustandes erflossenen, auf Ah. Entschließungen Sr. Majestät beruhenden Ministerialverordnungen in Erinnerung bringen zu sollen. Diese sind: Die Ministerialverordnung vom 16. August 1853, RGBL. Nr. 162. Nach dieser Verordnung sind in Wien und Prag und in den böhmischen Festungen die vor dem 1. September 1853 anhängig gewesenen unmittelbaren oder delegierten oder aus Komplizitäten hervorgehenden kriegsgerichtlichen Untersuchungen gegen Zivilpersonen von den Kriegsgerichten mit möglichster Beschleunigung zu Ende zu führen. Die nach diesem Zeitpunkte sich ergebenden Untersuchungen gehören vor die Zivilgerichte. Der § 4 dieser Verordnung bestimmt: „Insoweit in den anhängigen Hochverratsuntersuchungen Zivilpersonen aus Ungarn, Galizien oder anderen im Belagerungszustande befindlichen Gebietsteilen vor das Kriegsgericht in Wien gestellt werden, hat dasselbe im Wege der Delegation für das zuständige Kriegsgericht des im Ausnahmezustande befindlichen Kronlandes das Amt zu handeln2.“ Ministerialverordnung vom 11. April 1854, RGBL. Nr. 89. Nach dieser Verordnung sind in Galizien, Krakau und Bukowina die am 1. Mai 1854 anhängig || S. 242 PDF || gewesenen oder aus Komplizitäten etwa noch hervorgehenden kriegsrechtlichen Untersuchungen gegen Zivilpersonen von den Kriegsgerichten mit möglichster Beschleunigung zu Ende zu führen und zu erledigen. Die nach diesem Zeitpunkte sich ergebenden Untersuchungen gehören ohne Ausnahme vor die Zivilgerichte. Nach der Ministerialverordnung vom 11. April 1854, RGBL. Nr. 87, sind in Ungarn und in der serbischen Woiwodschaft die am 1. Mai 1854 anhängig gewesenen oder aus Komplizitäten noch hervorgehenden kriegsrechtlichen Untersuchungen gegen Zivilpersonen von den Kriegsgerichten mit möglichster Beschleunigung zu Ende zu führen und zu erledigen. Die nach diesem Zeitpunkte sich ergebenden Untersuchungen, auch gegen Zivilpersonen, gehören, insoweit sie nicht die der kriegsrechtlichen Verhandlung bis zur Aktivierung der neuen Zivilgerichte vorbehaltenen strafbaren Handlungen des Hochverrates, der Majestätsbeleidigung, der Beleidigung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses, der Störung der öffentlichen Ruhe, des Aufstands, Aufruhrs, des Auflaufs, der wörtlichen oder tätlichen Beleidigung der Wache betreffen, vor die Zivilgerichte. Die Militärstandrechte gegen Raubmord, Mord und Brandlegung bleiben bis zur Aktivierung der neuen Gerichte.

Im lombardisch-venezianischen Königreiche sind nach der Ministerialverordnung vom 21. April 1854, RGBL. Nr. 97, alle Untersuchungen, insoweit sie nicht aus Ah. Gnade aufgelassen wurden und am 1. Mai d. J. durch rechtskräftige Urteile noch nicht geschlossen waren, an die Zivilgerichte übergegangen mit Ausnahme der Untersuchungen über den Hochverrat, Aufstand und Aufruhr, die von dem Kriegsgerichte in Mantua fortgesetzt und von diesem am 1. Juni d. J. an den Spezialgerichtshof werden abgetreten werden3.

Nach dieser Darstellung des gesetzlichen Sachverhaltes bemerkte der Minister des Inneren, daß hiernach der Belagerungszustand in dem größten Teile der Monarchie (hier und in Böhmen schon seit dem 1. September 1853, also seit neun Monaten) aufgehoben sei und daß es nicht vorliege, inwiefern in Wien und Prag und den böhmischen Festungen4 die anhängigen Untersuchungen bereits zu Ende geführt und erledigt worden sind. Aus der „Prager Zeitung“ vom 17. d. M. habe der referierende Minister vielmehr entnommen, daß kriegsrechtliche Untersuchungen dort noch fortan statthaben müssen, weil mit dem erwähnten Blatte zwei kriegsrechtliche Todesurteile kundgemacht beziehungsweise durch Anschlagung derselben auf den Galgen vollzogen worden sind5. Dem Minister des Inneren scheint es bei den im Mittel liegenden Ah. Entschließungen wegen Aufhebung des Belagerungszustandes nicht passend und ratsam zu sein, daß dieser Zustand, namentlich in Wien und Prag, länger als absolut notwendig fortdauere und nicht etwa auf unbestimmte Zeit, wegen der zur Judikatur der Kriegsgerichte kommenden Komplizitäten, ausgedehnt werde. Eine solche Fortdauer mache den übelsten Eindruck, besonders im Auslande, und gebe zu der Voraussetzung Anlaß, daß der Belagerungszustand zwar nominell aufgehoben ist, aber faktisch || S. 243 PDF || und virtuell im ausgedehnteren oder beschränkteren Maße noch immer fortdauere. Der Minister des Inneren stellte daher der Erwägung der Konferenz anheim, ob nicht die fernere Wirksamkeit der Kriegsgerichte, namentlich in Wien und Prag, ganz einzustellen und selbst Komplizitäten, wo es die Untersuchung nur immer zulässig macht, an die Zivilgerichte zu verweisen wären, ferner ob in Beziehung auf die Vorlage und Bestätigung von Urteilen nicht die allgemeinen Vorschriften wieder handzuhaben wären, endlich ob die Publikation der kriegsrechtlichen Urteile, nur die in den Militärgesetzen gegründeten Fälle ausgenommen6, nicht ganz zu unterbleiben hätte.

Da diese Fragen nicht bloß die Ziviljudikatur, sondern auch die Militärgerichtsbarkeit näher angehen, wurde vor allem der GM. v. Bamberg um die Äußerung seiner Meinung angegeben, auf welche Art mit Wahrung aller Rücksichten die Sache in das rechte Geleise gebracht werden könnte. Derselbe bemerkte, daß das Kriegsgericht in Prag nach einem von dort eingegangenen Berichte vom 4. Mai d. J. seine Wirksamkeit, da alle abhängigen Untersuchungen beendet sind, bereits eingestellt habe. Die von dem Minister des Inneren erwähnten Kundmachungen von Todesurteilen in der „Prager Zeitung“ müssen nur Kontumazialurteile sein, welche gegen abwesende oder flüchtige Verbrecher nach Verlauf der Vorladungszeit gefällt und in Vollzug gesetzt worden sind. Das Kriegsgericht in Wien habe die bereits anhängigen Untersuchungen und Komplizitäten zu beendigen. Im Delegationswege werden demselben nur wenige Untersuchungen zuwachsen, es müßte nur aus Siebenbürgen geschehen, wo an dem Belagerungszustande nichts geändert wurde7, oder aus Ungarn bis zur Aktivierung der neuen Behörden8. Gegenwärtig sind bei dem hiesigen Kriegsgericht Untersuchungen gegen 128 Inquisiten anhängig, von denen 90 dem Abschlusse nahe sind, so daß mit Ende Juni d. J. die Zahl der übrigbleibenden auf 38 herabkommen wird. Darunter sind der Militärjurisdikation ursprünglich angehörige Individuen, nämlich Militärs, zehn, und es bleiben daher nur noch 28 Zivilinquisiten zu erledigen, von denen 23 aus Ungarn sind und wegen Komplizität dem hiesigen Kriegsgerichte zugewiesen wurden, fünf aber der eigenen Kompetenz desselben angehören. Diese Fälle dürften wohl in naher und kurzer Zeit zur Erledigung kommen. Die hierauf neu vorkommenden Complices werden den Zivilgerichten übergeben werden.

Die Kriegsgerichte in Galizien haben nur die anhängigen oder aus Komplizitäten hervorgehenden Untersuchungen zu beenden. Diese werden dort nach erhaltenen berichtlichen Nachrichten nächstens abgelaufen [sein] und ihr Ende erreicht haben.

|| S. 244 PDF || Die Kriegsgerichte in Ungarn haben ebenfalls nur die anhängigen Untersuchungen zu beendigen und einige in der Verordnung angeführte Untersuchungen nur so lange zu führen, bis die neuen Gerichte daselbst aktiviert sein werden.

Im lombardisch-venezianischen Königreiche ist die diesfällige Sache bereits geordnet.

Was nun zunächst die Publikation der kriegsrechtlichen Urteile anbelangt, erklärte sich der GM. v. Bamberg für die Unterlassung solcher Publikationen, mit Ausnahme jener Fälle, für welche die Publikation schon durch Militärgesetze vorgeschrieben ist, wie der standrechtlichen Urteile über die Verbrechen des Raubes, Mordes und der Brandlegung dort, wo militärische Standrechte noch bestehen (zum Zwecke der damit beabsichtigten Abschreckung). Gegen diese beschränkte Publikation, bemerkte der Minister des Inneren, könne nicht wohl etwas eingewendet werden, weil standrechtliche Urteile auch bei Zivilpersonen nach den diesfalls bestehenden Gesetzen kundzumachen sind, dann Todesurteile überhaupt.

Bezüglich des Abschlusses der Wirksamkeit der Militärgerichte äußerte der GM. v. Bamberg seine Meinung dahin, daß die gegenwärtig schon anhängigen Prozesse, welche ohnedies im kurzen ihrer Erledigung werden zugeführt werden, noch von den Militärgerichten, jedoch ohne Publikation zu beendigen, denselben aber keine neuen mehr, selbst Komplizitäten nicht, zuzuweisen wären. Der Chef der Obersten Polizeibehörde FML. Freiherr v. Kempen sprach sich gleichfalls für die Unterlassung der Publikationen aus, welche für alle Urteile in den Militärgesetzen keineswegs vorgeschrieben sind und sich von selbst gemacht haben, mit der oberwähnten Beschränkung aus. Jene bei den Militärgerichten noch anhängigen Prozesse gegen Zivilpersonen, welche nicht bald abgetan werden könnten, wären so wie die damit verbundenen Komplizitäten an die Zivilgerichte zu überweisena . Der Justizminister Freiherr v. Krauß erklärte sich ebenfalls für die Unterlassung der Publikationen. Sie waren in der schwierigen Zeit, in welcher sie entstanden sind, durch die Umstände geboten, um nämlich damit abzuschrecken. Die Publikation hat mit den Todesurteilen begonnen, was gesetzlich war, später aber wurden die Publikationen auf alle Militärurteile ausgedehnt, welcher Vorgang aber durch kein Gesetz gerechtfertigt erscheint, daher ungesetzlich ist. Der Belagerungszustand hat aufgehört, die Zivilbehörden sollen ihr Amt handeln, und die erwähnten Publikationen sind zu unterlassen. Bezüglich der Frage, ob Prozesse, die im Zuge sind, den Militärgerichten entzogen werden können, äußerte der Justizminister seine Meinung dahin, daß neue Fälle und Komplizitäten, die jetzt erst in Untersuchung kommen, unzweifelhaft dem ordentlichen Zivilgerichte zugewiesen werden müssen. Fälle, die dem Abschlusse nahe sind, wären von den Militärgerichten der Erledigung zuzuführen, Fälle dagegen, bezüglich welcher die Untersuchung erst begonnen hat und die noch nicht zum Abschlusse reif sind, könnten an die Zivilgerichte abgetreten werden. Hiermit wäre allerdings eine Verzögerung verbunden, || S. 245 PDF || weil der neue Richter und der Staatsanwalt sich erst mit dem Falle vertraut machen müßten. Allein dies dürfte nicht hindern, erst frisch begonnene Fälle an den Zivilrichter zu leiten.

Was die Fälle aus Ungarn betrifft, so dürften diese nicht an den ungarischen Zivilrichter zu leiten sein, weil die ungarischen Gerichte zuviel zu tun haben und die Untersuchung hier bereits im Zuge ist. Bezüglich der ungarischen Fälle wäre daher für eine Delegation die Vorsorge zu treffen.

Der Justizminister war einverständlich mit dem Minister des Inneren schließlich der Ansicht, daß, da der Belagerungszustand aufgehoben ist, wieder die allgemeinen Militärnormen bezüglich der Vorlage der Akten und des Instanzenzuges in Wirksamkeit zu treten und jene Kompetenz des Kriegsherrn wieder stattzufinden hätte, welche ihm nach den Gesetzen überhaupt zusteht.

Was die Publikation der kriegsrechtlichen Urteile anbelangt, war die Konferenz einstimmig der Ansicht, daß diese Publikation mit Ausnahme der durch das Gesetz bestimmten Fälle zu unterlassen wäre. Bezüglich der weiteren Punkte stimmten die übrigen Konferenzmitglieder (der Finanz- und Handelsminister, der Minister Graf Thun und der tg. gefertigte Minister des Äußern) den diesfälligen Anträgen des Justizministers bei.

Der Minister des Inneren wird nun über den Gegenstand der Frage mit Benützung der geäußerten Ansichten und gelieferten Daten die Ah. Schlußfassung Sr. Majestät au. erbitten9.

A[h]. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, 22. Juli 1854.