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Nr. 103 Ministerkonferenz, Wien, 15. u. 19. März 1853 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • Sammelprotokoll; RS.; P. Marherr (15. 3.), Wacek (19. 3.); VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 19. 4.), Bach 18. 4., Thun 16. 4., K. Krauß, Baumgartner, Bamberg; abw. Stadion.

MRZ. – KZ. –

Protokoll der am 15. und 19. März 1853 zu Wien abgehaltenen Ministerkonferenzen unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Entwurf eines Patents über die Verkündigung des Belagerungszustandes

Gegenstand der Beratung war der im Einvernehmen mit den Ministern der Justiz und des Kriegs, dann dem Chef der Obersten Polizeibehörde von dem Minister des Inneren ausgearbeitete Entwurf eines Patents über den Belagerungszustand1. Hierbei haben sich – außer einigen unbedeutenden Stil- und Schreibfehlerberichtigungen – nachstehende Bemerkungen, Anträge und Beschlüsse ergeben.

Zum Eingang des Patentsentwurfs wurde bemerkt: Der Chef der Obersten Polizeibehörde habe statt des Ausdrucks „Verkündigung des Belagerungszustands“, welcher sich strenggenommen nur auf eine Festung, nicht auf ein ganzes Land etc. beziehen könne, die Worte „Verkündigung der Kriegsgesetze“ beantragt. Die Konferenz erklärte sich aber einstimmig mit GM. Bamberg für die Beibehaltung des Ausdrucks „Belagerungszustand“, weil derselbe faktisch bereits im Gebrauche ist, allgemein verstanden und durch die folgenden speziellen Bestimmungen vollständig erklärt wird, so daß darüber, was nach diesem Gesetze unter „Belagerungszustand“ zu verstehen sei, kein Zweifel mehr obwaltet.

Zum § 2 machte GM. Bamberg zuvörderst darauf aufmerksam, daß hier, und wo er sonst noch vorkommt, statt des „Kriegsministers“ diejenige Benennung werde zu wählen sein, welche Se. Majestät der zur Zentralleitung der Militäradministration bestimmten Behörde demnächst zu verleihen geruhen werden2.

|| S. 4 PDF || Sofort wurde in merito zur Abstimmung über den alternativen Antrag geschritten, ob die Befugnis zur Verhängung. des Belagerungszustands dem Minister des Inneren einvernehmlich mit den Chefs der Zentralmilitäradministration und der Obersten Polizeibehörde einzuräumen oder aber über deren Antrag dem Ah. Obersten Armeekommando vorzubehalten sei, wie dies der Chef der Polizeibehörde beantragt hat. Die Konferenz erklärte sich einstimmig mit GM. Bamberg für die erste Alternative, nämlich für die Befugnis der Minister bzw. Chefs der Militär- und Polizeizentralstellen zur Verkündigung des Belagerungszustands, weil eine so wichtige und folgenreiche Maßregel, welche die teilweise Suspension der Grundgesetze des Reiches involviert, zwar nur vom Ah. Landesfürsten selbst ausgehen sollte, jedoch, um das Gehässige derselben von der Ah. Person des Monarchen abzuwenden und eine später erfolgende Aufhebung jenes Ausnahmezustands als einen eigenen Akt der souveränen Milde in umso hellerem Lichte strahlen zu lassen, zweckmäßiger den unmittelbaren Organen der Ah. Regierungsgewalt übertragen werden dürfte. Ohnehin werden dieselben, wenn sie sich am Ah. Hoflager befinden, nicht leicht mit einer solchen Verfügung vorgehen, ohne sich die Ah. Befehle zu erbitten; für Fälle aber, wo Se. Majestät vom Sitze der Zentralstellen entfernt sind, dürfte jedenfalls die von der Majorität der Kommission angetragene Berechtigung notwendig sein. Wenn übrigens Se. Majestät diesem Antrage die Ah. Genehmigung nicht zu erteilen, sondern den Ministern und Chefs, deren der § 2 erwähnt, nur das Recht einzuräumen fänden, den Antrag auf Verkündigung des Belagerungszustands zu erstatten, alsdann wäre aber auch nach dem von der Konferenz einstimmig geteilten Erachten des Finanzministers die Entscheidung hierüber nur dem Ah. Landesfürsten selbst, als der Urquelle aller Staatsgewalt, vorzubehalten, nicht aber, nach dem Antrage des Chefs der Polizei, dem Obersten Armeekommando zu überlassen, weil dieses letztere nicht immer und notwendig in der Ah. Person des Souveräns vereinigt ist, sondern auch an jemanden andern übertragen werden kann, welchem weiters keine Regierungsgewalt zusteht.

Im § 3 handelt es sich um die Frage, ob der Belagerungszustand auch vom Militärkommandanten allein (nach dem Antrage des Kriegsministers und des Chefs der Polizei) verhängt werden kann, wenn zwischen dem Statthalter und dem Militärkommandanten diesfalls kein Einverständnis erzielt werden kann.

Mit Rücksicht auf § 4, welcher für den Fall der schon ausgebrochenen Ruhestörung dem Militärkommandanten allein dieses Recht zugesteht, erachtete die Konferenz einhellig, daß es im § 3 bei der Forderung des gemeinsamen Einverständnisses zwischen Militärkommandanten und Statthalter zu verbleiben hätte, weil letzterer als der eigentliche Chef der Verwaltung und Repräsentant des Ah. Landesfürsten in der Provinz bei einer so wichtigen Maßregel unmöglich übergangen werden kann. Das Amtsansehen, ja die Existenz des Statthalters wäre vernichtet, wenn – den Fall des § 4 ausgenommen – er sich der Entscheidung des Militärkommandanten unterwerfen müßte.

Zu §7, Absatz 7, beantragte der Kultusminister die Hinweglassung der Worte „gegen angemessene Entschädigung“, weil es sich zum Teil wohl selbst versteht, daß für Benützung der Eisenbahnen etc. zu militärischen Zwecken die || S. 5 PDF || Vergütung zu leisten ist, während es vielleicht doch zweifelhaft sein dürfte, ob auch für die Einstellung des Betriebs Entschädigung zu leisten sei. Die Richtigkeit der Bemerkung erkennend, verstand sich der Minister des Inneren unter Beitritt der übrigen Stimmen zur Beseitigung dieser teils als überflüssig, teils als bedenklich beanständeten Worte.

§ 11. Hier wünschte der GM. Bamberg vor allem, daß Zivilpersonen in allen Fällen nach dem Militärstrafgesetze abgeurteilt werden sollten, damit man nicht nötig habe, sich zweier Gesetzbücher zu bedienen. Ohnehin stimmt das in Antrag gebrachte neue Militärstrafgesetzbuch in allen nichtmilitärischen Verbrechen und Vergehen mit dem Zivilstrafgesetze vollkommen überein, und es ist bereits gesetzlich ausgesprochen, daß Zivilpersonen in allen auf die Kriegsgewalt sich beziehenden Verbrechen dem Militärstrafgesetze unterworfen seien. Das neue Militärstrafgesetz dürfte übrigens in kurzer Zeit erscheinen3. In der Voraussetzung nun, daß dieses neue Militärstrafgesetz bis zum Erscheinen des gegenwärtigen Gesetzentwurfs bereits publiziert sein und sonach den kriegsrechtlichen Urteilen werde zum Grunde gelegt werden, stimmten sämtliche Minister dem Antrage des GM. Bamberg bei.

Weiters kam die Frage über die Zusammensetzung der Kriegsgerichte mit Rücksicht auf den in margine beigesetzten Separatantrag des Justizministers zur Abstimmung. Die Motive dieses Antrags sind bereits in dem Protokolle über die Beratung des Entwurfs bei der Ministerialkommission umständlich aufgeführt4. Der Justizminister beharrte fernerhin bei demselben, und sowohl der Finanzminister als [auch] der Minister des Äußern traten ihm bei. Auch GM. Bamberg verkannte nicht, daß der Antrag des Justizministers geeignet wäre, dem Untersuchten aus dem Zivilstande größere Garantien zu gewähren. Allein es darf andererseits nicht übersehen werden, daß eine solche Zusammensetzung des Kriegsgerichts, wie die vom Justizminister beantragte, einen nicht hinlänglich begründeten Zweifel in die Unbefangenheit, Rechtlichkeit und Gesetzkenntnis der Militärgerichtspersonen voraussetzt und daß es der strengen Konsequenz entbehren würde, wenn im Belagerungszustande, unter dem Kriegsgesetze und bei dessen unbedingter Anwendung auf alle Personen, einem Kriegsgerichte Zivilrichter systemmäßig beigegeben werden wollten. Endlich entsteht noch der Zweifel, ob Richter aus dem Zivilstande immer und überall für das Kriegsgericht zu bekommen seien. Die Erfahrung in Ungern und Italien hat den Votanten belehrt, daß solche Richter entweder gar nicht zur Hand oder wegen offenkundiger Befangenheit nicht beizuziehen waren. Indem daher GM. Bamberg vorzugsweise für die Zusammensetzung der Kriegsgerichte nach den für die Armee geltenden Gesetzen stimmte, erklärte er zugleich, daß, falls die Einsetzung || S. 6 PDF || gemischter Gerichte bzw. die Beigebung von Zivilrichtern angeordnet werden sollte, zugleich bestimmt werden müßte, das Kriegsgericht sei auch ohne Beisitzer aus dem Zivilrichterstande kompetent, wenn solche Beisitzer aus was immer für Ursachen nicht zugezogen werden könnten.

Der Ansicht des GM. Bamberg über die Zusammensetzung der Kriegsgerichte nach Militärgesetzen traten die Minister des Inneren und des Kultus bei – letzterer mit der Bemerkung, daß es dem Gerichtsherrn freistehen müsse, bei eintretendem Bedarfe, wie dies z. B. Ende 1848 in Wien unter Feldmarschall Fürst Windischgrätz der Fall war, sich auch geeigneter Zivilrichter bei den Kriegsgerichten zu bedienen.

§ 14. Die Vorlegung der Todesurteile an den Obersten Militärgerichtshof hätte nach dem Separatvotum des Chefs der Polizeibehörde zu unterbleiben. Der Minister des Inneren machte dagegen bemerklich, daß gerade die rücksichtslose Vollstreckung der keine Berufung zulassenden kriegsrechtlichen Urteile (den Fall des Standrechts ausgenommen) eines der wesentlichsten Gravamina gegen den Belagerungszustand, wie er faktisch bisher gehandhabt wurde, bilde und daher einer Abhilfe umso dringender bedürfe, als die Vollziehung solcher Urteile in der Regel und bei immer länger andauerndem Belagerungszustande – standrechtliche Verurteilungen, wie bemerkt, ausgenommen – nicht unverschieblich zu sein scheint. Hat im Belagerungszustande das Militärstrafgesetz allgemein für alle Personen ohne Unterschied des Standes zu gelten, so mögen ihnen auch diejenigen Rechtsmittel zugute kommen, und es mögen diejenigen Kautelen vor der Vollstreckung der Urteile in Anwendung kommen, welche nach dem Militärstrafgesetze zulässig sind. Es ist dies nur eine Forderung der Konsequenz, und da es auch von dem GM. Bamberg als eine solche anerkannt wurde, so behielt sich der Minister des Inneren vor, eine neue, mit den hierauf bezüglichen Bestimmungen des Militärstrafgesetzes harmonierende Fassung der §§ 13 und 14 vorzuschlagen.

Die §§ 15–18 hätten schon nach dem Antrage des Kriegsministers und des Chefs der Obersten Polizeibehörde zu entfallen gehabt. Wird die Zusammensetzung des Kriegsgerichts nach dem Antrage des Justizministers Ah. genehmigt, so sind die Bestimmungen dieser Paragraphe wirklich ganz entbehrlich, daher für diesen Fall von allen Votanten auf deren Hinweglassung angetragen wurde. Aber auch wenn das Kriegsgericht bloß nach den für die k. k. Heere bestehenden Gesetzen konstituiert wird, ergeben sich nach dem Urteile des GM. Bamberg wesentliche Bedenken gegen die Beibehaltung der gedachten Paragraphe. Der darin zugelassene schleppende Umzug durch alle Gerichtsinstanzen bis zum Ministerium hinauf über die in der Regel sehr einfache Frage der Kompetenz ist mit dem militärstrafgerichtlichen Verfahren so wenig vereinbarlich und dem Zwecke der Verhängung des Belagerungszustands, welcher möglichst schnelle Abtuung der Prozesse erheischt, so abträglich, daß es fürwahr besser wäre, lieber gleich die Zivilgerichte in ihrer Wirksamkeit zu belassen. Ist einmal der Belagerungszustand erklärt, so weiß jeder, Militär oder Zivilist, daß er dem Kriegsgesetze verfällt; die Kompetenz des Militärgerichts ist daher nicht zweifelhaft und kann im allgemeinen nicht angefochten werden. || S. 7 PDF || Insofern aber, wie der Justizminister entgegnete, in einzelnen Fällen diese Kompetenz darum bestritten wird, weil entweder das Faktum vor Verkündigung des Belagerungszustandes oder außerhalb des Umkreises desselben begangen worden ist, so haben ja nach der Ansicht des GM. Bamberg die Militärgerichte wie alle anderen die Pflicht, diese Verhältnisse zu würdigen und sich selbst die Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit gegenwärtig zu halten.

Es wären daher seines Erachtens diese Paragraphe (15–18) in jedem Falle hinwegzulassen. Hiermit waren auch die Minister des Inneren und des Kultus einverstanden.

Fortsetzung und Schluß am 19. März 1853. Vorsitz und Gegenwärtige wie in der Sitzung am 15. März 1853.

Bezüglich der §§ 13 und 14 bemerkte der Minister des Inneren , daß es, nachdem er die darauf bezüglichen Bestimmungen des Militärstrafgesetzes eingesehen und gefunden hat, daß sie der vorgeschlagenen Textierung dieser Paragraphe nicht entgegen sind, bei der Textierung dieser Paragraphe verbleiben dürfte, nur wären im § 14,2. Absatz, nach dem Worte „Todesurteile“ noch die Worte „gegen Zivilpersonen“ hinzuzusetzen, weil es sich hier zunächst um die Normierung des Rechtszuges für die Zivilpersonen handelt, wogegen nichts erinnert wurde.

Zu § 19 (neu 15) hat der Leiter der Militäradministration GM. Bamberg , ohne bezüglich der Bestimmungen dieses Paragraphes eine Anderung in Antrag zu bringen, lediglich den Wunsch ausgesprochen, daß die den Militärstand näher angehenden Verbrechen zusammengetan und der Schluß dieses Paragraphes nach dem Worte „Privateigentum“ etwa zu lauten hätte: „dann der Ausspähung, der Verleitung der Truppen zum Treuebruche, zur Desertion oder zu anderen Verletzungen der Dienstpflicht, endlich wegen Waffen- und Munitionsverheimlichung usw.“, welchem Wunsche der Minister des Inneren bei der definitiven Feststellung des Textes Rechnung zu tragen sich vorbehalten hat.

Im § 22 (neu 18), erste Zeile, ist statt des Wortes „oder“ das Wort „und“ zu setzen und in der letzten Zeile das Wort „unverweilt“ zu löschen beschlossen worden.

Zu § 24 (neu 20) ist bemerkt und angenommen worden, daß in dem Kontexte des Gesetzes überall, wo der Ausdruck „Kriegsminister“ oder „Kriegsministerium“ vorkommt, statt desselben, da diese Behörde einer Reorganisierung unterliegt, der Ausdruck „Chef des Kriegswesens“ einstweilen zu gebrauchen wäre, statt dessen nach erfolgter Organisierung jene Bezeichnung aufzunehmen sein wird, welche Se. Majestät der für die Armeeadministration bestellten obersten Behörde zu verleihen geruhen werden.

Schließlich fand sich die Ministerkonferenz noch zu dem au. Antrage bestimmt, Se. Majestät möchten das vorliegende Gesetz über den Belagerungszustand gleichzeitig mit dem Militärstrafgesetzbuche kundmachen zu lassen geruhen. Eventuell unter dieser Voraussetzung habe sich die Konferenz (§§ 11–14) für die Aburteilung der Zivilpersonen nach dem Militärstrafgesetze ausgesprochen5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 7. Jänner 1856 6.