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Nr. 10 Ministerrat, Wien, 13. Mai 1852 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 14. 5.), Bach 15. 5., Thun, K. Krauß, Baumgartner 15. 4. [sic!]; abw. Thinnfeld, Csorich, Stadion.

MRZ. – KZ. 3337 – (Prot. Nr. 9ᵃ/1852) –

Protokoll der am 13. Mai in Wien abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Rede des Ministers Graf Thun bei einer juridischen Promotion

Der Justizminister Freiherr v. Krauß fand sich bestimmt, die Aufmerksamkeit der Ministerkonferenz auf einen Vorfall zu leiten, welcher bei der vor einigen Tagen unter den Auspizien Sr. Majestät abgehaltenen juridischen Disputation stattgefunden und ein allgemeines Aufsehen, ja, wie der Justizminister in Erfahrung gebracht, eine allgemeine Entrüstung hervorgerufen hat. Bei der erwähnten Feierlichkeit hatte der Minister des Kultus und des öffentlichen Unterrichtes Graf Leo Thun als kaiserlicher Kommissär zu fungieren, und die von ihm bei diesem Anlasse gehaltene Rede war es, welche dieses allgemeine Aufsehen hervorgebracht hat1. Diese von dem Minister des Unterrichtes der Redaktion der Wiener Zeitung übersendete Rede wurde von dem Justizminister in der Konferenz vorgelesen und wird in Urschrift zur Ah. Einsicht Sr. Majestät hier dem Protokolle angeschlossen. Da in dieser Rede das Ansehen unseres ABGB. auf eine in keiner Beziehung zu billigende Weise angegriffen und herabgesetzt wird, so halte sich der Justizminister verpflichtet, diese ihn zunächst angehende Sache zur Sprache zu bringen, weil ihm als Justizminister zuerst die Pflicht obliegt, das Bürgerliche Gesetzbuch, welches Se. Majestät der Kaiser Franz zum Wohle Seiner Untertanen gegeben und von 26 Millionen Untertanen durch 40 Jahre als eine feste Schutzwehr gegen Willkür und Unrecht mit Dank anerkannt wird2, zu vertreten und weil diese Rede, was der referierende Minister zu verhüten wünscht, über Anordnung des Unterrichtsministers in der Wiener Zeitung abgedruckt werden und dadurch eine noch größere Publizität erhalten soll. Ohne in eine nähere Zergliederung dieser Rede und in die Widerlegung der in derselben vorkommenden Ansichten einzugehen, was zu weit führen würde, und ohne zu untersuchen, ob der Minister des öffentlichen Unterrichtes den Beruf habe, positive, das bürgerliche Recht betreffende Gesetze öffentlich zu rügen und eine noch von niemandem bisher versuchte Kritik hervorzurufen, glaubt der Justizminister nur bemerken zu sollen, daß ihm weder der Ort, || S. 61 PDF || noch die Zeit, noch auch die Person angemessen zu sein scheinen, wo, wann und von wem dieser Tadel ausgesprochen wurde. Unser Bürgerliches Gesetz, das bis jetzt für ein Musterwerk im In- und Auslande erklärt wurde, wird bei einer akademischen Feierlichkeit vor jungen Leuten und von einem Minister Sr. Majestät herabgesetzt, und dies in einem Augenblicke, wo dieses Gesetz auch in Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Slawonien etc. eingeführt werden soll3. Was würden die in diesen Ländern leider noch in großer Anzahl vorhandenen Feinde der österreichischen Regierung sagen, wenn die erwähnte Rede ihnen bekannt wird? Nichts anderes, als daß man ihnen ein Gesetz aufdringen wolle, gegen welches selbst ein Minister Sr. Majestät sich mit Tadel erhebt, und welches er nur als einen gelungenen Anfang zu einer gemeinsamen österreichischen Rechtsentwicklung ansieht. Ein positives Gesetz, bemerkte der Justizminister weiter, darf nicht mehr einer Diskussion preisgegeben, vielmehr müsse es vor jeder Mißachtung bewahrt werden. Die jetzige Zeit siecht an einem Mangel der für die Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung so notwendigen Achtung des Gesetzes, aber der letzte Rest dieser Achtung und des Vertrauens in die Kraft und Weisheit der Regierung muß vollends schwinden, wenn vor der studierenden Jugend, vor einem größeren Kreise von Zuhörern von einer Ehrfurcht gebietenden Autorität über die unbestrittene und allgemeine Verehrung des Bürgerlichen Gesetzbuches feierlich erklärt wird, man sei aufgewachsen in blinder Anbetung des ABGB., man habe sich vor demselben wie vor einem Götzen in stummer Verehrung niedergeworfen.

Der Justizminister stellte hiernach den Antrag: a) daß die Drucklegung der besagten Rede verhindert und daß b) der Fall zur Ah. Kenntnis Sr. Majestät gebracht und sich der Ah. Ausspruch über diesen Vorfall au. erbeten werde. Am Schlusse erklärte der Justizminister, er könne die Bemerkung nicht unterdrücken, daß dieses Ereignis, dessen ernste Folgen noch nicht ganz vorhergesehen werden können, leider den im Schoße des Ministeriums bestehenden bedauerlichen Widerstreit in den Hauptgrundsätzen der Öffentlichkeit kundgegeben und den Glauben in die zur Förderung großer Zwecke notwendige Übereinstimmung erschüttert habe. Er sei daher als treuer Diener Sr. Majestät bereit, um die Zuweisung eines anderen Berufes au. zu bitten, wenn durch sein Ausscheiden aus dem Ministerium ein harmonisches Zusammenwirken der Mitglieder desselben erzielt werden kann.

Der Minister Graf Thun bemerkte dagegen, daß die Auffassung nicht richtig sei, und daß er diesfalls Verwahrung einlegen müsse, daß durch seine erwähnte Rede das ABGB. hat angegriffen oder gar herabgesetzt werden wollen. Seine bei dieser Rede gehabte Absicht war, gegen die Kantische Philosophie und gegen den früheren Studienplan bei der gedachten feierlichen Gelegenheit einige tadelnde Bemerkungen zu machen, wozu er gute Gründe zu haben glaubte. Infolge des früheren Studienplans sei ein auf der Grundlage der Kantischen Philosophie gebautes Naturrecht mit den Lehren des Contract social etc. in Österreich gelehrt worden, || S. 62 PDF || was eine sehr verderbliche Wirkung im Gefolge hatte4. Gegen dieses nur habe er seine Meinung aussprechen wollen und hielt jene Gelegenheit nicht für unangemessen, die jungen Leute aufmerksam zu machen, daß den früheren Ansichten andere, wichtigere und bessere entgegengestellt werden können. Der Minister Graf Thun fügte weiter die Bemerkung bei, daß die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches in Ungarn, Siebenbürgen etc. eine zwar entschiedene Sache sei, daß aber diese Einführung nicht unverändert, sondern mit den nach den Verhältnissen der betreffenden Länder erforderlichen Abänderungen geschehen soll, wie denn auch Abänderungen bei dem Eherechte und bei anderen Bestimmungen des ABGB. als notwendig erkannt worden und in Antrag gekommen sind5. Durch eine solche Anschauung verliere seine erwähnte Rede den ihr zur Last gelegten üblen Eindruck größtenteils. Er behielt sich übrigens vor, diesen Vorfall selbst zur Ah. Kenntnis Sr. Majestät zu bringen. Der Minister des Inneren Dr. Bach erklärte jenen Vorgang als einen höchst unglücklichen Schritta, durch den er auf eine unangenehme Weise überrascht worden sei. Abgesehen von den hierbei obwaltenden prinzipiellen Differenzenb sei hier lediglich die Stellung eines Dieners Sr. Majestät des Kaisers ins Auge zu fassen, dessen Pflicht es sei, die Befehle des Kaisers dund der Gesetzec zu achten, und welche Pflicht um so größer werde, je höher der Diener stehe. Se. Majestät, bemerkte der Minister Dr. Bach, haben in den Grundsätzen für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates vom 31. Dezember 1851 das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch feierlich als das auch für die östlichen Teile der Monarchie vorzuschreibende Gesetz bezeichnet6, und dieses Gesetz werde von einem Minister des Kaisers bei einem feierlichen Anlasse bei einem jugendlichen Publikum herabgesetzt und darüber gesagt, daß es der religiösen und sittlichen Grundlage entbehre und seinem Zwecke nicht entspreche. Gegen dase das gesamte privatrechtliche Gebiet regelnded positive Recht fein Anathem vom sittlichen und religiösen Standpunkte auszusprechene, findet der Minister des Inneren gefährlichf, besonders wenn ein Minister als Tadler eines bestehenden Gesetzes zu einer Zeit auftritt, wo dasselbe aus guten und gewichtigen Gründen auch in anderen Teilen der Monarchie eingeführt werden soll. Die in dieser Art ausgesprochene Ansicht sei keineswegs die Meinung der Regierung, || S. 63 PDF || sondern eine bloße Privatmeinung, welche von einem öffentlich fungierenden Minister vor dem großen Forum der Universität nicht hätte ausgesprochen werden sollen. Hinsichtlich der prinzipiellen Differenz über die Richtung, die dem öffentlichen Unterrichte gegeben werden soll, bemerkte der Minister Dr. Bach, daß Se. Majestät durch die Grundsätze vom 31. Dezember 1851 zwar die Richtung für die politische und judizielle Organisierung vorzuzeichnen, aber darin nicht auch auszusprechen geruhten, in welcher Richtung der öffentliche Unterricht zu leiten sein werde, über welchen Gegenstand daher eine Ansicht der Regierung als solcher gleichfalls nicht geäußert werden konnte7. Dieses vorausgeschickt, nahm der Minister des Inneren keinen Anstand, sich mit den obigen Anträgen des Justizministers zu vereinigen, welcher Ansicht auch der Finanz- und Handels­minister Ritter v. Baumgartner mit der Bemerkung beipflichtete, hdie in der fraglichen Rede enthaltenen Ausfälle auf das ABGB. hätten einen peinlichen Eindruck auf ihn gemacht, obgleich er glauben wolleg, der Minister Graf Thun habe nicht im Sinne gehabt, durch seine Rede das ABGB. in den Augen derjenigen herabzusetzen, die darnach leben und richten sollen.

Der vorsitzende Minister der auswärtigen Angelegenheiten Graf Buol-Schauenstein bemerkte, daß er beim Antritt seines neuen Amtes die Hoffnung hegte, das Ministerium werde in Prinzipienfragen einig sein, was aber leider, wie er nun wahrnehme, nicht der Fall sei, da sich Meinungsverschiedenheiten über wesentliche Prinzipien äußern, und was noch trauriger sei, diese, welche angemessener im Schoße des Ministeriums auszugleichen wären, dem Publikum preisgegeben werden und ein Weg eingeschlagen wird, der untersagt ist, nämlich an das Publikum zu appellieren. Während seines vieljährigen Aufenthaltes im Auslande habe er vielfältig und mit Vergnügen vernommen, daß gerade das österreichische ABGB. dort als ein Muster eines guten Gesetzes angesehen wird. Überhaupt könne der Ort, die Zeit und die Art nicht gebilligt werden, wo, wann, unter welchen Umständen die erwähnte Rede gehalten worden ist. Der vorsitzende Minister formulierte hierauf den Beschluß dahin, daß der Druck und die Publikation jener Rede auf keinen Fall zulässig sei und daß Se. Majestät von diesem Vorfalle mitteist dieses Protokolles unterrichtet werden sollen und Allerhöchstderselben zu überlassen sei, wie Sie das Ganze aufnehmen wollen8.

II. Entwurf des Kundmachungspatentes zum ABGB. für Ungarn

Der Justizminister Freiherr v. Krauß setzte hierauf den Vortrag über den Entwurf des Kundmachungspatentes zum ABGB. für Ungarn, Kroatien, Slawonien, die serbische Woiwodschaft und das Temescher Banat Art. XIV bis zum Schluß fort9.

|| S. 64 PDF || Bei dem Art. XIV, Punkt 5, hat sich der Justizminister, ohne daß in der Wesenheit der Anordnung etwas anderes beliebt worden wäre, die von dem Minister des Inneren gewünschte deutlichere Stilisierung vorbehalten.

Art. XV. Der erste Satz aus der Abteilung 1 dieses Artikels, lautend: „Die nach den bisher bestandenen Gesetzen giltig eingegangenen Ehen werden auch fernerhin als giltig anerkannt“, hat, als sich von selbst verstehend, wegzubleiben. Im übrigen ergab sich über den vorgetragenen Entwurf keine Erinnerung.

III. Hausiergesetz

Der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten Ritter v. Baumgartner begann seinen Vortrag über den Entwurf eines Hausiergesetzes10.

§ 2, 5. Zeile von unten, ist statt des Wortes „Länder“ das Wort „Gebiete“ zu setzen, weil es Länder gibt, wo in bestimmten Bezirken und Orten, welche in dem Hausierbuche namentlich bezeichnet werden, nicht hausiert werden darf.

Die im § 3, sub c, aufgenommene Bestimmung war nicht in dem alten Hausierpatente, deren Aufnahme wurde jedoch von vielen Seiten gewünscht, daher ihr auch in dem neuen Gesetze stattgegeben wurde. In dem preußischen und sächsischen Hausiergesetze kommt eine solche Bestimmung vor. Der Absatz d dieses Paragraphes wird nach dem Wunsche des Ministers des Inneren gestrichen, weil, wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt wird, Alte, Gebrechliche und sonst Erwerbsunfähige vom Hausierhandel nicht ausgeschlossen sind.

Zu dem § 4 wurde der Beisatz beliebt: "Gesuche um eine solche Bewilligung können bei den Bezirksämtern eingereicht werden, von denen sie der betreffenden Kreisbehörde vorgelegt werden." Der Kreisbehörden dürften künftig weniger, daher ihre Bezirke größer sein, was das Ansuchen um Bewilligung von Hausierpässen erschweren würde, welcher Unzukömmlichkeit durch den erwähnten Beisatz begegnet werden will.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph, Schönbrunn, 13. September 1852 11.