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Nr. 617 Ministerrat, Wien, 23. Jänner 1852 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg, BdE. fehlt), Bach 28. 1., Thinnfeld 28. 1., Thun, Csorich, Krauß, Baumgartner; abw. Stadion.

MRZ. 241 – KZ. 404 –

Protokoll der am 23. Jänner 1852 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Ernennung und Auszeichnung von Reichsräten

Der Ministerpräsident machte dem Ministerrat die Mitteilung, daß Se. Majestät dem Reichsrate Fürsten Salm die geheime Ratswürde taxfrei zu verleihen und den bisherigen Minister Baron Kulmer, dann den Hofrat bei dem Obersten Gerichts- und Kassationshofe Haimberger zu Reichsräten, den ersteren mit Beibelassung seiner gegenwärtigen Bezüge und mit taxfreier Verleihung der geheimen Ratswürde, zu ernennen geruhet haben1.

II. Pensionsbehandlung des Josef Leyrer

Der Minister der Finanzen und des Handels Ritter v. Baumgartner besprach hierauf eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Generalrechnungsdirektorium und dem Finanzministerium hinsichtlich der Behandlung des Hofkriegsvizebuchhalters Leyrer bei seinem Übertritte in den Ruhestand.

Derselbe ist bereits 75 Jahre alt und dient 53 Jahre. Daß demselben bei dem Übertritte in den Ruhestand sein ganzes Gehalt als Ruhegenuß zu belassen sei, darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit. Er bittet aber gleichzeitig um eine (seinem Quartiergelde entsprechende) Personalzulage von 300 f. und um eine Auszeichnung mit dem goldenen Verdienstkreuze mit der Krone, und das Generalrechnungsdirektorium unterstützt seine diesfällige Bitte.

Der Amtsvorgänger im Finanzministerium erkannte die Würdigkeit des Bittstellers und trug auf die Bewilligung einer Personalzulage, jedoch nur von 200 f. und ohne eine weitere Auszeichnung an. Der referierende Finanzminister vereiniget sich mit diesem Antrage.

Die übrigen Stimmführer glauben aber, daß bei der so langen Dienstleistung des Leyrer demselben eine seinem Quartiergelde gleiche Personalzulage von 300 f., ohne eine weitere Auszeichnung von der Ah. Gnade Sr. Majestät zu erwirken wäre2.

III. Entschädigungsansprüche der Amalia Mack-Ribarz

Der Justizminister Ritter v. Krauß brachte sodann die in einer früheren Ministerratssitzung bereits besprochene Klage der Amalia Ribarz, verwitweten Mack, gegen das Ärar und die Stadtgemeinde Wien aus Anlaß des in den Oktobertagen an ihrem|| S. 506 PDF || Vermögen (der Zuckerraffinerie und den Wohngebäuden am Schüttel) durch Brand erlittenen Schadens im Betrage von 604.000 f., insbesondere die Frage, ob ihre Klage im Rechtswege zulässig sei oder nicht, zum Schlußvortrage und zur definitiven Abstimmung3.

Der Minister besprach zuerst ihre Ansprüche gegen das Ärar und sodann jene gegen die Stadtgemeinde Wien.

Was die ersteren anbelangt, wurde in Ansehung des rechtlichen Standpunktes im wesentlichen folgendes avon der Klägerina geltend gemacht: Das Ärar (die Gesamtheit) sei, wie die verwitwete v. Mack behauptet, verpflichtet, ihr den erlittenen Schaden zu ersetzen, weil sie ein Opfer des ungesetzlichen Zustandes geworden ist, eines Zustandes, den selbst Se. Majestät unterm 13. Oktober 1848 durch die Genehmigung der Dispositionen des Reichstages gutzuheißen geruhet haben. Es komme hier der § 365 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (von der Expropriation) zu berücksichtigen, welcher sagt, daß, wenn es das allgemeine Beste erheischt, ein Mitglied des Staates selbst das vollständige Eigentum einer Sache gegen eine angemessene Schadloshaltung abtreten müsse.

In dem Falle der Expropriation bestimmen aber die Gesetze, daß der Wert der Sache zu erheben und, wenn die Partei mit dem erhobenen Werte nicht zufrieden ist und eine gütliche Ausgleichung nicht zustande kommt, ihr der Rechtsweg offen bleibe. Eine solche Erhebung hat in dem vorliegenden Falle noch nicht stattgefunden. Ferner wurde erörtert, ob nicht das Ganze als Kriegsschaden zu betrachten sei und der § 1044 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in Anwendung zu kommen habe, welcher aussagt: Die Verteilung der Kriegsschäden wird nach besonderen Vorschriften von den politischen Behörden bestimmt.

Die Mack behauptet, daß ihre Gebäude von den Sereschanernb aus strategischen Rücksichten niedergebrannt worden seien, um die große und gefährliche Sternbarrikade leichter nehmen zu können.

Der Justizminister bemerkte, daß in solchen Fällen schon öfter Entschädigungen geleistet worden sind, daß aber auch hier von Seite der politischen Behörden früher eine Erhebung gepflogen werden müßte, welche, wie gesagt, noch nicht vorgenommen worden ist.

In Ansehung der von den eigenen Truppen verübten Exzesse bestimmen die Vorschriften, daß das Ärar zwar eine Entschädigung nicht zu leisten habe, daß aber streng erhoben und untersucht werden müsse, wer an dem Exzesse Schuld trägt, um von diesem dann den Schadenersatz hereinzubringen.

Dieses vorausgeschickt, äußerte der Justizminister seine Meinung über den vorliegenden Fall dahin, daß eine Entschädigung gefordert werden könne, daß aber vorderhand die Bittstellerin nicht auf den Rechtsweg zu weisen, sondern Se. Majestät zu bitten wären, eine Untersuchung im politischen Wege vorausgehen zu lassen, wobei zu erheben wäre, ob der Fall einer Expropriation, eines Militärexzesses usw. eintrete, ob die Brandlegung angeordnet war oder nicht u. dgl. Wenn die Untersuchung, wie zu vermuten ist, so|| S. 507 PDF || ausfällt, daß das Ärar keine Entschädigung zu leisten habe, dann wäre ihr der Rechtsweg freizulassen.

Der Minister des Inneren Dr. Bach bemerkte, daß er sich gegen die richterliche Kompetenz, was die Ansprüche gegen das Ärar anbelangt, erklärt habe und sie auch gegenwärtig wegen der nachteiligen Konsequenzen, welche hieraus für andere Fälle und insbesondere für Ungarn abgeleitet werden könnten, als unzulässig erkennen müsse. Die Differenz zwischen ihm und dem Justizminister bestehe darin, daß Innenminister Dr. Bach sich gegen das Einschreiten der Justizbehörde überhaupt erkläre, es möge ein schuldbarer Exzeß, eine Expropriation oder ein Verschulden der Autoritäten zum Grunde gelegt werden, um daraus Ersatzansprüche gegen das Ärar abzuleiten, der Justizminister aber dieses Einschreiten nach vorausgegangener politischer Erhebung als der Beschwerdeführenden zuständig und zulässig erkenne.

Der Minister Dr. Bach sei aber nicht dagegen, daß eine Untersuchung durch eine gemischte Kommission der politischen und Militärbehörden, allenfalls unter dem Vorsitze des Statthalters, zu dem Ende stattfinde, ob nicht eminente Billigkeitsmomente (aber kein Recht) vorhanden seien, Leute, welche so großen Schaden an ihrem Vermögen erlitten haben und bei der immerhin vorhandenen Analogie, daß ihr Vermögen dem allgemeinen Besten zum Opfer gebracht worden ist, in irgend einer Weise zu berücksichtigen und Sr. Majestät zu diesem Ende entsprechende Anträge vorzulegen.

Der Minister Edler v. Thinnfeld teilt gleichfalls die Ansicht, daß bei dem hier vorwaltenden staatsrechtlichen Momente die Angelegenheit nicht vor die Gerichte, sei es wegen Expropriation, sei es wegen Verschulden der öffentlichen Organe etc., gehöre, und die Gerichte hier, wo der Staat nicht als Partei, sondern als Staat erscheine, nicht urteilen können. Nach seiner Ansicht wäre die Sache vom Rechtswege abzuweisen, übrigens stimmte er den vom Minister des Inneren angetragenen Erhebungen bei, da in dieser Richtung die Angelegenheit bisher nicht erörtert worden ist.

Der Minister Graf Thun sprach sich dahin aus, daß in allen vorgenannten Fällen kein Schadenersatz gebühre. Der stattgehabte Vorgang sei als Notwehr anzusehen cund sohin verschieden von dem Falle einer Expropriation, bei welchem es sich um die Beurteilung der überwiegenden Nützlichkeit des Eingriffes in das Privateigentum handelt, während bei militärischen Operationen gegen Aufruhr, der absoluten Notwendigkeit des Zweckes gegenüber jede andere Rücksicht verschwindet, der dadurch verursachte Schaden muß als ein zufälliger betrachtet werden – casus nocet dominoc . Nach seiner Ansicht wären Se. Majestät zu bitten, auszusprechend, daß für die Schäden aus den Jahren 1848 und 1849 kein Ersatz zu leisten komme, esondern daß es nur der Ah. Gnade Sr. Majestät unbenommen bleibte, in einzelnen rücksichtswürdigen Fällen Unterstützungen zu gewähren.

Dieser Ansicht schlossen sich die Minister Freiherr v. Csorich und Ritter v. Baumgartner , der erstere insbesondere mit der Bemerkung an, daß die Zerstörung der|| S. 508 PDF || Gebäude der Mack nicht aus strategischen Rücksichten notwendig und lediglich Folge der Zufälligkeit des Krieges war.

Das Conclusum hinsichtlich der Ansprüche gegen das Ärar fiel für die Abweisung vom Rechtswege aus, wobei drei Stimmen sich für eine Untersuchung nach dem Antrage des Ministers Dr. Bach erklärten. Der Justizminister beharrte bei seiner Ansicht, daß der Mack nach vorläufiger politischer Untersuchung und Klarstellung der Sache, ob eine Expropriation oder sonst ein anderes Moment eintrete, der Rechtsweg vorbehalten bleiben müsse.

In Absicht auf die zweite Frage, ob die Klage der Mack gegen die Gemeinde Wien nicht auf den Rechtsweg gehöre, vereinigten sich alle Stimmführer mit der Ansicht des Justizministers, daß diese Frage zu bejahen sei. Der Anspruch auf Schadenersatz gegen die Gemeinde hänge, abgesehen von den obigen Erörterungen, von der Tatsache ab, daß die Gemeinde den Aufruhr nicht verhindert, die Verteidigung der Stadt veranlaßt und dadurch alle jene Schritte herbeigeführt hat, welche über die Stadt und über so viele Private einen so großen Schaden gebracht haben.

Hierbei wurde des Beschlusses des Gemeinderates erwähnt, nach welchem den Witwen derer, die in der Verteidigung der Stadt um das Leben kommen würden, 200 f. jährlich als Pension versprochen wurden, und der Proklamation des Feldmarschalls Fürsten v. Windischgrätz, nach welcher die Gemeinde für jeden durch die Widersetzlichkeit verursachten Schaden als verantwortlich erklärt worden ist4.

Der Minister des Inneren hob insbesondere, um das Verschulden der Gemeinde hierbei deutlicher hervortreten zu machen, den Umstand heraus, daß die Gemeinde damals nicht mehr unter der Tutel der Regierung stand, sondern schon frei war.

Der Justizminister behielt sich vor, den diesen Beschlüssen entsprechenden Resolutionsentwurf vor seiner Vorlegung an Se. Majestät im Ministerrate vorzubringen5.

IV. Einbeziehung von Triest, Fiume und Buccari in die allgemeine Rekrutierung

Der Minister des Inneren Dr. Bach referierte schließlich noch über die Einbeziehung der Städte Triest, Fiume und Buccari in die allgemeine Rekrutierung, indem nach seiner Ansicht kein Grund bestehe, diese Städte ferner von der Rekrutierungspflicht frei zu lassen6.

Die Stadt Triest gründe diese Befreiung auf eine unangemessene Auslegung des Freihafen­privilegiums vom Jahre 17[19], in dessen 7. Absatze den fremden Handelsleuten, Künstlern etc., wenn sie sich daselbst ansässig machten, die Freiheit von allen persönlichen Auflagen, Wachen etc. versprochen wurde, „indem sie nur als Gäste anzusehen seien“. Aus diesem Versprechen leitet Triest die Rekrutierungsfreiheit ab. Die Absicht dieses Versprechens war gewiß nicht, die dortigen Bewohner von der Einquartierung, von Abgaben etc. frei zu lassen, sondern den sich dort anzusiedelnden Fremden gewisse Begünstigungen zu gewähren. Das was von Triest gilt, wurde auch auf Fiume ausgedehnt. Damals hat die Rekrutierung noch gar nicht bestanden, und die erforderliche Truppenmacht wurde durch Werbungen, und zwar meistens von Ausländern, aufgebracht.|| S. 509 PDF ||

Als im Jahre 1771 von der Kaiserin Maria Theresia die Rekrutierungsvorschrift erlassen wurde, wurde noch immer ein Teil der Truppen durch Werbung beigestellt.

Damals ist von der Hofkanzlei, in unrichtiger Auslegung des Freihafenprivilegiums, Triest frei gehalten worden, und so ist es bis heute geblieben und später auch auf Fiume ausgedehnt worden.

Im Jahre 1834 ist diese Angelegenheit zur Verhandlung gekommen, Se. Majestät der Kaiser Franz haben aber auszusprechen geruhet, daß diese Befreiung einstweilen und bis etwas anderes angeordnet wird, zu verbleiben habe. Selbst bei der letzten Rekrutierung blieben Triest und Fiume noch frei.

Buccari hatte nie eine solche Bewilligung. Im Jahre 1848 wurde es durch den 27. Landtagsartikel mit Fiume zusammengeworfen und so wie dieses rekrutierungsfrei erklärt7.

Da die Rekrutierungsfreiheit, wie der Minister des Inneren bemerkt, in dem Privilegium gar nicht gegründet ist, seit der Erlassung des Freihafenprivilegiums sich die Umstände sehr geändert haben und das früher befreite Dalmatien nun auch in die Rekrutierung eingezogen wurde8, da ferner keineswegs zu besorgen ist, daß Handel und Schiffahrt dadurch leiden werden, so meint der referierende Minister, daß, um dem allgemeinen Rechte zu entsprechen, auch die genannten drei Städte der Rekrutierungsverpflichtung, jedoch mit der Beschränkung zu unterziehen wären, daß die dort ausgehobenen Leute zunächst für den Marinedienst, wenn sie dazu tauglich sind, bestimmt werden sollen9.

Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden, in welchem Sinne nun der Minister Dr. Bach den au. Vortrag an Se. Majestät erstatten wird.

A. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 29. Jänner 1852.