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Nr. 610 Ministerrat, Wien, 2. Jänner 1852 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg, BdE. fehlt), Bach 5. 1., Thinnfeld 5. 1., Thun, Csorich, Krauß, Baumgartner 5. 2.; abw. Stadion, Kulmer.

MRZ. 18 – KZ. 63 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 2. Jänner 1852 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Zuziehung der Minister zur Beratung des Staatsvoranschlags pro 1852 im Reichsrate

Der Ministerpräsident eröffnete dem Ministerrate den Inhalt des Ah. Kabinettschreibens vom … v. M., wornach Se. Majestät den Staatsvoranschlag pro 1852 an den Reichsrat zur Prüfung mit der Weisung zu leiten geruht haben, zur Erstattung der etwa erforderlichen Auskünfte oder Aufklärungen die betreffenden Minister oder deren Vertreter beizuziehen. Die schriftliche Mitteilung an die einzelnen Ministerien ward unter einem eingeleitet1.

II. Neue Organisierung

Aus Anlaß des Ah. Kabinettschreibens vom 31. v. [M.] über die Beobachtung einer gewissen Reihenfolge, welche den mit dem gleichzeitigen Ah. Handschreiben angeordneten Organisierungs­arbeiten zu geben wäre2, entwickelte der Minister des Inneren vorläufig seinen – mit dem Justizminister noch näher zu besprechenden – Antrag dahin, daß die drei Hauptaufgaben a) Reorganisierung der Justiz- und politischen Verwaltungsbehörden, b) Regulierung des Gemeindewesens aund der Kreis- und Landesausschüssea, und c) Entwerfung der Adelsstatute, vorläufig in ihren Grundzügen mittelst|| S. 472 PDF || Ministerialkommissionen (welche ad c vom Minister­präsidenten zu berufen wären) bearbeitet und erst alsdann an die Landsbehörden zur völligen Auseinandersetzung im Detail hinausgegeben werden sollten, damit das Auseinandergehen der Detailvorschläge in gar zu divergierende Richtungen vermieden, welches zu besorgen wäre, wenn den Landesbehörden bloß die mit dem Ah. Kabinettschreiben v. 31. v. [M.] in dessen Beilage vorgezeichneten Grundzüge ohne weitere Erläuterung und Begrenzung hinausgegeben würden.

Der Ministerpräsident fand hiergegen nichts zu erinnern, und der Minister des Inneren behielt sich vor, hierwegen einen schriftlichen Entwurf vorzubereiten3.b

III. Gesuch der Amalia Mack-Ribarz

Ein an den Ministerpräsidenten gelangtes Gesuch der Zuckerraffinerieinhaberin Amalia v. Mack um Entschädigung für den im Oktober 1848 an ihrem Eigentum erlittenen Schaden von 600.000 fr. übernahm der Justizminister mit der Bemerkung, daß es von der Entscheidung der Gerichte abhängen werde, ob ihre Forderung im Rechtswege für giltig werde anerkannt werden4.

IV. Vorschrift über Ersetzung der aufzuhebenden Geschworenen

Der Justizminister brachte unter allseitiger Zustimmung den Entwurf einer kaiserlichen Verordnung wegen unmittelbarerc Beseitigung der Geschwornengerichte in Vortrag5, worin bestimmt wird, daß an die Stelle der Geschwornen Geschwornenrichter, fünf mit einem Vorsitzer, zu treten haben, gegen deren mit zwei Drittel der Stimmenden ausgesprochenes „schuldig“ keine Appellation stattfinden soll.

Nach dem Erkenntnisse über die Schuld sei erst über das Strafausmaß zu deliberieren, wo zum Beschlusse die einfache Majorität genüge, bei Stimmengleichheit aber der milderen Meinung der Vorzug zu geben sei6.

V. Ernennung des Thaddäus Peithner v. Lichtenfels zum Sektionschef

Ebensowenig fand der Ministerrat etwas zu erinnern gegen das Vorhaben des Justizministers, sich bei der bevorstehenden Anhäufung von legislativen Arbeiten die Verstärkung seines Ministerii durch Besetzung einer dort erledigten Sektionschefstelle mit dem|| S. 473 PDF || beim Obersten Gerichts- und Kassationshofe in Folge des Aufhörens des öffentlichen und mündlichen Verfahrens daselbst7 entbehrlich werdenden Generalprokurators Ritter v. Lichtenfels (mit Vorbehalt dessen Rücktritts als Senatspräsident zum Obersten Gerichtshofe) von Sr. Majestät zu erbitten8.

VI. Aufhebung der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen

Auch das Vorhaben des Ministers des Inneren , sich von Sr. Majestät die Ermächtigung zur Einstellung der Öffentlichkeit der Gemeinderatsverhandlungen zu erbitten, erhielt die Zustimmung des Ministerrates9.

VII. Dienstordnung für die Beamten der der Generaldirektion der Kommunikationen untergeordneten Ämter

Fortsetzung der Beratung über den Entwurf einer Dienstordnung für die Beamten und Diener der der Generaldirektion für Kommunikationen untergeordneten Ämter10.

Der Justizminister beanständete nachträglich ad

§ 69 Absatz 4 die unfreiwillige Versetzung in den Ruhestand, nachdem die Versetzung in diesen Stand schon dem Begriff nach und noch mehr vermöge bestimmten Ah. Ausspruchs nicht als eine Strafe angesehen werden darf. Es wurde demgemäß mit Zustimmung des Finanz- und Handelsministers beschlossen, diesen 4. Punkt dahin zu modifizieren, daß analog mit den Bestimmungen der Betriebsordnung die „Suspension“ und „Unfähigkeitserklärung für einen bestimmten Dienstposten“ hier aufgenommen werde. Sofort ward die Beratung über den in der Sitzung vom 31. v. M. sub X. in einer neuen Fassung vorgetragenen § 84 wiederaufgenommen, nachdem damals der Justizminister die Beiziehung von Justizräten statt des Finanzprokurators zur Verhandlung über die Degradation oder Entlassung eines Beamten, dessen Ernennung dem Ministerio oder Sr. Majestät vorbehalten ist, auf das entschiedenste verteidigt hatte. Seiner Ansicht, daß zu einer solchen Verhandlung überhaupt, also auch, wenn es sich um einen Beamten oder Diener minderer Kategorie handelt, zwei Justizräte beizuziehen seien, schloß sich die Stimmenmehrheit aus den bereits im Protokoll vom 31. v. [M.] angeführten Gründen an. Dabei war der Minister für Landeskultur der Ansicht, daß überhaupt hiebei das alte Verfahren zu beobachten und die Sache Sr. Majestät zur Entscheidung vorzulegen sei, wenn der Minister gegen das Votum der Justizräte auf der Degradierung oder Absetzung des Beamten beharrt. Dagegen glaubte der Kultusminister , daß der Minister an das Votum der Justizräte nicht gebunden sein sollte, da dem Gekränkten der Weg der Berufung offen steht.

Der Minister des Inneren , dem auch der Ministerpräsident beistimmte, beharrte dagegen auf seiner in der Sitzung vom 31. v. [M.] abgegebenen und begründeten Meinung.|| S. 474 PDF ||

Zu § 95 beantragte der Justizminister bezüglich des Einschreitens um die gerichtliche Exekution die Hinweglassung der Worte „nach Verlangen der Generaldirektion“, da es ihm mit Rücksicht auf die gewöhnlichen Verhältnisse angemessener schien, zu dem alten Verfahren zurückzukehren, wobei der Kammerprokuratur (itzt also Finanzprokuratur) obliegt, das Vermögen zu bezeichnen, welches in Exekution gezogen werden kann.

Der Handelsminister war hiermit einverstanden.

Gegen die ad § 103 besprochene Vorsicht in Ansehung der Kautionen, so von fremden Personen erlegt werden, war nichts zu erinnern.

Der Handelsminister wird mit Rücksicht auf die hier und am 31. v. [M.] besprochenen Änderungen die Textierung des ganzen Entwurfs revidieren und selben zu gleichem Zwecke dem Justizminister mitteilen11.

VIII. Erziehungsbeiträge für die Söhne des Joseph Reiner

Der Justizminister brachte die Differenz zur Sprache, welche laut seines Vortrags vom 27. Dezember 1851, [MR]Z. 4378/[KZ.] 4729, in Ansehung der Beteilung der drei Söhne des verstorbenen Generalprokurators Reiner zwischen ihm und dem Finanzministerium darin besteht, daß, nach seinem Antrage der Erziehungsbeitrag für dieselben bis zur Erlangung einer Anstellung oder Versorgung, nach jenem des Finanzministerii aber nur bis zur Erreichung des Normalalters zu bewilligen wäre. Obwohl eine Begünstigung wie die erstere bei noch unter dem Normalalter stehenden Waisen ganz ungewöhnlich ist, so gab doch der Finanzminister über die Vorstellung der ganz ungewöhnlichen Verdienste Reiners seine Zustimmung zu dem Antrage des Justizministers12.

Zum Schlusse begann

IX. Zivilprozeßordnung für Ungarn etc

der Justizminister den Vortrag über den Entwurf der Zivilprozeßordnung für Ungern. Nach einer in allgemeinen Umrissen gegebenen Darstellung der Hauptbestimmungen ward auf die spezielle Erörterung einiger wichtigen Fragen übergegangen.

Als solche ergab sich zuerst ad § 689 die Frage, ob der Staat für Ersatzansprüche der Parteien aus einer Vernachlässigung eines Beamten etc. als Selbstschuldner oder nur subsidiarisch zu haften habe.

Der Justizminister und mit ihm die Minister für Landeskultur und Kultus waren für die Haftung als Selbstschuldner – wogegen die übrigen, also mehreren Stimmen sich für die subsidiarische Haftung des Staats erklärten, indem nach allen Rechtsgrundsätzen der Schuldtragende, d. i. der seine Pflicht verabsäumende Beamte, den Schaden zu ersetzen hat, die Verpflichtung des Staats zur Haftung aber sich nur auf das besondere Verhältnis seiner Beamten zu ihm den Parteien gegenüber gründet.|| S. 475 PDF ||

Gegen die vom Justizminister angetragenen Modifikationen zu § 69 hinsichtlich der Zustellung der Klage an eine Streitgenossenschaft sowie wegen Nennung des Zuerstverpflichteten in der Klage, dann über die Beweiskraft von Privaturkunden gegen dritte Personen (§ 117) ward nichts erinnert13.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 7. Jänner 1852.