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Nr. 602 Ministerrat, Wien, 20. Dezember 1851 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg, BdE. fehlt), P. Krauß (BdE. fehlt), Bach 22. 12. (bei I abw.), Thinnfeld 23. 12., Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner; abw. Stadion, Kulmer.

MRZ. 4282 – KZ. 4457 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 20. Dezember 1851 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Attentate auf Eisenbahnbeamte in Ungern

Der Minister für Handel und öffentliche Bauten brachte zur Kenntnis des Ministerrats, daß an der ungrischen Eisenbahn wiederholte Attentate auf k. k. Baubeamte stattgefunden haben, welche, da sie unverkennbar den Charakter politischer Attentate an sich tragen, die besondere Aufmerksamkeit der Staatsverwaltung umso mehr verdienen dürften, als sich, aus Furcht vor Wiederholung derselben, die Beamten von dem dortigen Dienste zurückziehen werden. Der Handelsminister hat hierwegen bereits dem − beim Vortrage dieses Punkts noch nicht anwesenden − Minister des Inneren zum Behufe der entsprechenden Vorkehrungen die schriftliche Mitteilung gemacht1.

Bei diesem Anlasse deutete der Finanzminister auf die Notwendigkeit hin, in Ungern vermöge der besondern Beschaffenheit des Landes nebst der Gendarmerie noch eine besondere einheimische Wache, wie es die Panduren waren, zu bestellen.

II. Wirkungskreis der Statthalter

Der Minister des Inneren stellte den Antrag, daß, nachdem die Kommission zur Ausarbeitung der Wirkungskreise für die Ministerien ihre Aufgabe entsprechend gelöst hat, es angemessen wäre, ihr auch jene des Wirkungskreises der Statthalter in Beziehung zu den Ministerien zu übertragen2, indem es bei der mannigfachen Geschäftsverbindung der Ersteren mit den Letzteren dem vorgesetzten Ziele nur förderlich sein kann, den Wirkungskreis eben auch nach allen Richtungen hin durch die Abgeordneten der Ministerien beraten zu lassen.

Nachdem sich der Ministerrat mit diesem Antrage einverstanden erklärt hatte, erteilte der Ministerpräsident dem Kanzleidirektor des Ministerrates behufs der Ausführung die nötige Weisung3.

III. Reglement für den Gebrauch von Fahnen etc

Der Minister des Inneren stellte die Notwendigkeit eines eigenen Reglements über den Gebrauch der Landesfarben und Fahnen dar, um den so oft vorgekommenen Mißbräuchen und anstößigen Demonstrationen durch eine feste Norm vorzubeugen. Das Reglement hätte zu bestimmen, wer das Recht hat, Fahnen oder Flaggen auszustecken,|| S. 434 PDF || und bei welchen Gelegenheiten sie ausgesteckt werden dürfen. Die Ausarbeitung desselben könnte füglich derjenigen Kommission anvertraut werden, welche beim Ministerium des Inneren über die Regulierung der Landeswappen bestellt ist.

Der Ministerrat war mit dem Vorhaben einverstanden4.

IV. Verfassungsrevision (3. Beratung)

Dritte Beratung über das Elaborat der mit den Vorarbeiten zur Märzverfassungsrevision beauftragten Kommission auf Grundlage der nachweisenden Zusammenstellung der Hauptergebnisse ihrer Beratungen5.

Mit Beziehung auf die in den Sitzungen vom 17. und 19. d. [M.] gefaßten Beschlüsse brachte der Minister des Inneren die nachstehende Definition der staatlichen Einheit des Reiches in Vorschlag:

„Man glaubt die staatliche Einheit des Reiches in folgenden Hauptmerkmalen zusammenzufassen: in dem dynastischen Rechte des Souveräns und des Erlauchten Kaiserhauses; in der politischen Untrennbarkeit der einzelnen Länder des Reichs, welche den Gesamtstaat bilden; in der Einheit der Gesetzgebung, des Rechtes und der Verwaltungsgrundsätze; in der Einheit der vollziehenden Gewalt, der Armee und der Staatsfinanzen; endlich in der Einheit und Ungeteiltheit der Zentralbehörden, namentlich des Ministeriums und zwar in seiner Gesamtheit, als in den einzelnen Geschäfts­departements, des Reichsrates, des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Rechnungsbehörden.“

Der Ministerrat erklärte sich mit dieser Textierung einverstanden, und man bemerkte nur, daß es im vierten Absatze der Seite 4, Z[eile] 9 von unten statt „oben aufgestellten Begriffe der Unteilbarkeit“ heißen müsse: „oben aufgestellten Begriffe der Einheit“.

Zu lit. aa Seite 6 bemerkte man in Ansehung der Beschränkung kleinerer Länder auf kleinere politische Autoritäten, daß hiermit nicht die Entziehung des Titels „Statthalter“ und der unmittelbaren Verbindung mit dem Ministerium gemeint sein sollte; indem mit dem Titel, der dem ahistorischen Entwicklungsgange des betreffenden Landes Rücksicht trägta, weder die Genüsse der größeren Statthalter verbunden sind, noch deswegen in einem solchen Lande alle anderen Provinzialbehörden errichtet werden, die unmittelbare Verbindung des Landeschefs mit dem Ministerium aber nach der bisherigen Erfahrung nur dienstbeförderlich ist.

Ad bb Seite 6 ward, auf Anregung des Ministers für Landeskultur, bei der Abtrennung von Kroatien, auch der − früher zu Ungern gehörigen, bei der Revolution von den Kroaten okkupierten − Murinsel, als eines Bestandteils von Kroatien erwähnt.

Was die im folgenden Absatze vorkommende Voraussetzung betrifft, daß das Komitee sich für Aufgebung der dermaligen Distriktseinteilung Ungerns erklärt habe, so bemerkte der Minister des Inneren, daß selbe mit dem Inhalt des Protokolls vom 11. November 1851 nicht übereinstimme6; vielmehr wurde die Unmöglichkeit der Leitung des Landes|| S. 435 PDF || durch eine Statthalterei im unmittelbaren Verkehre mit den einzelnen Komitaten anerkannt.

Der Ministerrat pflichtete auch heute dieser Ansicht bei und vereinigte sich mit der Meinung des Ministers des Inneren, daß die Unterteilung des Landes zur Erleichterung der Verwaltung im Prinzipe aufrechterhalten und nur bezüglich der Anzahl der Distrikte, ihres Umfangs und ihrer Abgrenzung die durch die Erfahrung gebotenen Modifikationen zugestanden oder vorbehalten werden.

Gegen die in der nachweisenden Zusammenstellung hiebei vorkommenden Bemerkungen aber, daß eine solche Einteilung eine zerstückende sei, daß sie im Lande eine sehr ungünstige Stimmung verbreite und die Kraft der Regierung in keiner Weise verstärke, glaubte der Minister des Inneren anführen zu können, daß den beiden letzteren geradezu die bisherige Erfahrung widerspreche und der Zerstückung wohl schon durch die Bestellung einer Statthalterei unter einem Zivil- und Militärgouverneur vorgebeugt sei.

Was endlich ad cc die Wojwodina und das Temescher Banat betrifft, so hat sich auch hier der Ministerrat, wie früher das Komitee per majora, für die Aufrechterhaltung der Trennung derselben von Ungern ausgesprochen, weil sich dieselbe in politischer und administrativer Richtung nur als zweckmäßig bewährt hat und weil der Mißstimmung, welche ihre Losreißung von Ungern bei der magyarischen Partei hervorgebracht haben mag, füglich die Aufregung entgegengesetzt werden kann, welche ihre Wiedervereinigung mit Ungern bei den Serben und Deutschen notwendig hervorbringen müßte, denen für ihre Treue und Anhänglichkeit an das Ah. Kaiserhaus sowie für ihre gebrachten Opfer die bündigsten Versicherungen ihrer Selbständigkeit gegeben worden sind7.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Wissenschaft. Franz Joseph. Wien, den 24. Dezember 1851.