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Nr. 583 Ministerrat, Wien, 14. November 1851 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 15. 11.), P. Krauß 26. 11., Bach 26. 11., Thinnfeld, Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner; abw. Stadion, Kulmer.

MRZ. 3853 – KZ. 4035 –

Protokoll der am 14. November 1851 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Notstand in Ungarn

Der Ministerpräsident machte dem Ministerrate die Mitteilung von dem von Sr. Majestät an Seine kaiserliche Hoheit den Herrn Erzherzog Albrecht, Militär- und Zivilgouverneur von Ungarn, erlassenen Ah. Handschreiben über die aus Anlaß Höchstdessen Rundreise erstattete Anzeige und die dabei gemachte Wahrnehmung von dem in einigen Gegenden Ungarns im bevorstehenden Winter zu besorgenden Notstande1.

Se. kaiserliche Hoheit bemerkten, daß die Ernte in vielen Gegenden unausgiebig ausgefallen ist, die Kartoffeln ganz mißraten sind und daß demnach ein Notstand außer Zweifel sei. Dieses Verhältnis trete gegenwärtig umso mißlicher hervor, als der Untertansverband gelöset und die Grundherrn verarmt sind und nicht mehr wie früher die Verpflichtung haben, Aushilfe und Unterstützung zu leisten.

Als Mittel der Abhilfe deuteten Se. kaiserliche Hoheit unter anderm an: Verdienstgabe für geleistete Arbeit, was besser sei als Geldunterstützung auf die Hand, Vornahme von Straßenbauten durch die notleidenden Bezirke, Ankauf von Getreide, jedoch nicht durch Spekulanten, sondern aus der ersten Hand und in gesegneten Distrikten, Erzeugung und Verteilung von Brot und Zwieback daraus etc.

Se. Majestät geruhten diese Anträge im Prinzipe zu genehmigen und die nähere Ausführung dem Herrn Erzherzoge im Einvernehmen mit den dabei beteiligten Ministern des Inneren, der Finanzen, des Handels und des Kriegswesens wegen Flüssigmachung der erforderlichen Fonds und Unterstützung bei der Durchführung dieser Maßregeln zu überlassen.

Über den Erfolg ist Sr. Majestät Vortrag zu erstatten.

Bei der hierüber gepflogenen Beratung bemerkte der Minister des Inneren , daß nach den ihm zugekommenen Nachweisungen aus Ungarn die Cerealien dort mittelmäßig geraten, die Kartoffeln aber ganz mißraten sind, eine eigentliche Hungersnot sei aber dessenungeachtet nicht zu besorgen, und es dürfte sich nur darum handeln, jene Menschen, die von Kartoffeln gelebt haben und im heurigen Winter nicht auslangen werden (deren Zahl auf ungefähr 150.000 angegeben wird), durch drei oder vier Monate leben zu machen. Um diesen Zweck zu erreichen, würde der Ankauf von circa 50.000 Metzen Korn dem dringendsten Bedürfnisse für die erste Zeit abhelfen, zumal auch auf Beiträge|| S. 343 PDF || aus Sammlungen gerechnet werden könne. Hinsichtlich der Urlauber wäre die Vorsorge zu treffen, daß die Urlauber aus den mit der Not bedrohten Gegenden einberufen werden. In Absicht auf die vorzunehmenden Bauten in den notleidenden Bezirken wären von dem betreffenden Ministerium die entsprechenden Aufträge an die Baubehörde zu erlassen. Wo Kameralgüter sind und wo Militärmagazine sich befinden, wäre (in Ansehung der letzteren im Einvernehmen mit den Militärbehörden) aus den Vorräten ein gewisses Quantum auf Rechnung jener Unterstützung zur Verfügung zu stellen und dann aus dem Kameralärar zu vergüten.

Die Maßregel wegen Einberufung der Urlauber schien dem Kriegsminister schon aus finanziellen Rücksichten nicht wohl rätlich, andererseits aber auch überflüssig zu sein, weil jeder Mann, welcher wegen Nahrungslosigkeit einrücken will, es tun kann und ohne Anstand in die Verpflegung aufgenommen wird.

Der Kriegsminister hat ferner angetragen, daß ohne Beirrung aus den Militärmagazinen Korn oder Mehl verabreicht und beziehungsweise vorgeliehen werden kann, jedoch unter der Bedingung, daß diese Vorschüsse in natura den Verpflegsmagazinen wieder ersetzt werden müßten und nur, wenn das nicht alsbald tunlich wäre, der Wert im Gelde restituiert werden sollte.

Nach der Ansicht des Ministers für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten dürfte es keinem Bedenken unterliegen, mit dem Ankaufe des Getreides vorzugehen. Es sei angegeben, daß ungefähr 150.000 Menschen der Unterstützung benötigen werden. Ist diese Zahl bekannt und weiß man, was ein Mensch zu seiner Ernährung an Getreide jährlich braucht, so lasse sich das nötige Quantum auch für die Zeit von drei oder vier Monaten genau berechnen. Mit diesem beiläufigen Quantum wäre die ausgesuchte Klasse der Hilfsbedürftigen zu unterstützen und damit dem ersten Andrange abgeholfen, währenddessen dann die weiteren Erhebungen gepflogen und die ferner zu treffenden Vorkehrungen festgesetzt werden könnten. Brot und Zwieback den zu Unterstützenden zu geben, würde der Minister wegen der damit verbundenen Unzukömmlichkeiten nicht anraten und es vorziehen, denselben bestimmte Quantitäten Getreide oder Mehl zu reichen, weil auch arme Leute nicht gern vom Brote allein leben, sondern sich zur Abwechslung eine Mehlspeise, Knödl etc. bereiten und dem zu backenden Brote gerne Erdäpfel beimischen.

Hinsichtlich der vorzunehmenden Straßenbauten bemerkte der Minister, daß, um den Zweck der Unterstützung zu erreichen, Straßen auf Reichskosten gebaut werden müßten, die sonst nicht auf diese Rechnung kommen, und daß sonach auch dringende Landesstraßen auf Kosten des Staatsärars zu bauen wären.

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß fand sich zu der Bemerkung veranlaßt, daß die erforderlichen Elemente zur erschöpfenden Beurteilung dieser Angelegenheit nicht vorhanden zu sein scheinen. Die Anzahl der zu unterstützenden Personen werde zwar, aber nur beiläufig mit 150.000 Seelen angegeben. Nach den von dem Herrn Erzherzoge angeführten, sehr ausgedehnten Bezirken, deren Bewohner einer Unterstützung benötigen sollen, lasse sich eine viel größere Anzahl der Notleidenden voraussetzen. Es sei ferner nicht ersichtlich, auf wie lange sie durch ihre eigenen Vorräte gedeckt sind und wann die Not eintreten und die Unterstützung anzufangen haben wird. Die Anzahl der zu Unterstützenden hänge auch von der Bestimmung ab, welche Straßenbauten in jenen Gegenden zu unternehmen sein werden, da die bei dem Straßenbaue Erwerb Findenden|| S. 344 PDF || nicht weiter zu unterstützen kommen und die Unterstützung sich nur auf alte und gebrechliche Leute, dann Kinder, kurz auf jene zu beschränken haben wird, welche keinen Erwerb haben. Aus der näheren Angabe dieser und ähnlicher Daten würde sich dann beurteilen lassen, wieviel zu der beabsichtigten Unterstützung notwendig ist, wo und wie sie zu verteilen und wann mit der Verteilung zu beginnen wäre.

Zur Erreichung dieser Absicht schiene es dem Finanzminister nicht unzweckmäßig, wenn ein oder zwei mit den Landesverhältnissen genau bekannte Männer, deren Bestimmung dem Herrn Erzherzoge zu überlassen wäre, beauftragt würden, die obigen Fragen zu beantworten, deren Auskünfte dann eine feste Basis zu den weiteren Verfügungen in dieser Angelegenheit darbieten würden.

Mit Rücksicht auf die vorstehenden Bemerkungen der Minister und den Umstand, daß Se. Majestät die Ausführung der zur Steuerung des Notstandes in Ungarn erforderlichen Maßregeln dem Herrn Erzherzoge im Einvernehmen mit den genannten Ministerien zu überlassen geruhten, einigte sich der Ministerrat in dem Beschlusse, Se. kaiserliche Hoheit einzuladen, im kurzen andeuten zu wollen, in welcher Art Höchstdieselben die beabsichtigten Maßregeln ausgeführt zu sehen wünschen, welche Straßenbauten in den bedrohten Gegenden vorzunehmen wären, wo und wann und in welchem Maße der Bedarf eintreten wird, ferner Höchstdemselben gleichzeitig zu eröffnen, daß sich die Minister geeiniget haben, daß das benötigte Getreide, awo es tunlicha, aus den Militärmagazinen genommen werde, gegen seinerzeitige Vergütung aus dem Kameralärar.

Der Ministerrat hat ferner beschlossen, daß gleichzeitig eine Kommission aus den genannten vier Ministerien zum Behufe der Beratungen in dieser Angelegenheit zusammengesetzt werde2.

II. Einführung der Erwerbs- und Einkommensteuer in Dalmatien

Der Finanzminister brachte hierauf die Einführung der Erwerb- und Einkommensteuer in Dalmatien zum Vortrage. Diese Steuer soll daselbst nach denselben Grundsätzen wie in den übrigen Kronländern und insbesondere wie, nach dem Ministerratsprotokolle vom 31. Oktober d. J., MRZ. 3700, in Kroatien und Slawonien, dann in Siebenbürgen aktiviert werden. Sie wird eigentlich nur die Städte treffen, da auf dem Lande in Dalmatien nur wenige Gewerbe vorkommen, und wird die Bestimmung haben, den aus der Aufhebung der Zehentsteuer entstandenen Ausfall von circa 160.000 f. zu decken.

Der Finanzminister bringt zu diesem Ende die Erlassung einer kaiserlichen Verordnung in Antrag, wogegen sich keine Erinnerung ergab3.

III. Behandlung des Vinzenz Filaretto

Derselbe Minister erwähnte weiter einer Verschiedenheit der Ansichten zwischen dem Finanzministerium und dem Generalrechnungsdirektorium in betreff der normalmäßigen Behandlung des entlassenen Venediger Staatsbuchhaltungskomputisten Vinzenz Filaretto. Dieser Beamte diente 29 Jahre und genoß zuletzt einen Gehalt von 500 f. Im Jahre 1848 hat er sich schlecht benommen, indem er bei der faktischen Regierung und zwar beim Militär Dienste nahm, weshalb er auch des früheren Buchhaltungsdienstes entlassen worden ist. Das Generalrechnungsdirektorium wollte auf dessen normalmäßige Behandlung im Wege der Gnade antragen, weil Filaretto so beschränkt im Geiste sei, daß dessen oberwähnte illoyale Handlung mehr seiner Dummheit als eigentlich bösem Willen zugeschrieben werden müsse, welcher Ansicht auch der Feldmarschall Graf Radetzky war.

Das Finanzministerium, um seine Meinung angegangen, konnte sich bei erwähnten Umständen nicht erlauben, dem beabsichtigten Gnadenantrage seine Beistimmung zu geben.

Das Generalrechnungsdirektorium legt nun diesen Gegenstand Sr. Majestät vor und beharrt bei seinem obigen Antrage.

Der Finanzminister stellte es der Entscheidung des Ministerrates anheim, ob der Antrag des Generalrechnungsdirektoriums oder jener des Finanzministeriums bei Sr. Majestät unterstützt werden wolle.

Der Ministerrat erklärte sich per majora für den Antrag des Generalrechnungsdirektoriums.

Der Minister Dr. Bach stimmte mit dem Finanzministerium, weil beschränkte Geistesfähigkeiten die oberwähnte Handlungsweise nicht entschuldigen können und eine strenge Behandlung bei den Buchhaltungen notwendig sei4.

IV. Geldnot in Triest

Schließlich referierte der Finanzminister noch über ein ihm von Triest zugekommenes dringendes Gesuch, worin dargestellt wird, daß die Geldnot dort so überhandnehme, daß der Disconto bereits bis 7 % gestiegen sei und, wenn nicht Abhilfe gewährt wird, noch mehr steigen werde. Es wird gebeten, daß die Bank einen Vorschuß von einer Million der Stadt Triest zur Verfügung stellen möge5.

Die Stimmenmehrheit der hierüber vernommenen Bankdirektion hat sich für die Bewilligung von 500.000 f. ausgesprochen6.

Der Finanzminister bemerkt, daß er nächstens Maßregeln in Ansehung der hiesigen Nationalbank vorzubringen in den Fall kommen werde, von denen eine die Beschränkung des Diskontes bei dieser Kreditanstalt bezwecken wird. Aus diesem Grunde könne er nicht dafür stimmen, daß die erwähnte Hilfe der Stadt Triest von der Bank zukomme, sondern sei vielmehr geneigt, den erwähnten Betrag von 500.000 f. nach dem Antrage|| S. 346 PDF || des Statthalters aus dem Kameralärar zu gewähren, und zwar für drei Monate und für das ausgewiesene Bedürfnis.

Der Ministerrat erklärte sich einverstanden, der Handelsminister insbesondere mit der Bemerkung, daß bei der Neigung der Triestiner zu Spekulationen sehr strenge Bedingungen zur Benützung dieses Kredits gegeben werden sollten7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 25. November 1851.