MRP-1-2-05-0-00000000-vorwort.xml

|

Vorwort - Retrodigitalisat (PDF)

Das zentrale Thema des vorliegenden fünften und letzten Bandes der Protokolle des Ministeriums Schwarzenberg ist die Aufhebung der Reichsverfassung vom 4. März 1849 und der Übergang zum monarchischen Absolutismus des nachfolgenden Jahrzehnts, für den sich zur Unterscheidung vom Absolutismus vor 1848 das Wort „Neoabsolutismus“ eingebürgert hat. Schon die ein Jahr nach dem Ausbruch der Märzrevolution von 1848 erlassene Verfassung war ein Rückschritt gegenüber dem Verfassungsentwurf des in Wien und Kremsier versammelten Reichstages gewesen. Sie war nicht durch einen gemeinsamen legislativen Akt des Monarchen und des gewählten Parlaments, sondern durch Oktroi zustandegekommen, und sie beruhte auf dem monarchischen Prinzip. Die Staatsgewalt ging nicht mehr „vom Volke aus“ (Entwurf der Grundrechte), sondern vom Monarchen, der die Verfassung „aus eigener Macht“ verlieh (Manifest vom 4. März 1849). Aber selbst diese Verfassung wurde nicht vollständig umgesetzt, und der zwei Jahre später nach § 96 eingesetzte „Reichsrat“ war nichts anderes als das Instrument zur Gängelung der allzu selbständigen Regierung und zur Aushebelung der ganzen Verfassung. Am 20. August 1851 erteilte der Kaiser seinem Ministerpräsidenten den Auftrag, „die Frage über den Bestand und die Möglichkeit der Vollziehung der Verfassung“ zu prüfen. Das Ergebnis stand schon fest: die Verfassung galt für unvollziehbar und sollte aufgehoben werden. Am Silvestertag des Jahres 1851 wurde sie außer Kraft gesetzt. An ihre Stelle traten die „Grundsätze für organische Einrichtungen“, ein kurzes, schwammiges Papier, in dem nur der Wille des jungen Kaisers, alles selbst bestimmen zu wollen, klar hervortrat.

In den Protokollen dieses Bandes ist nachzulesen, wie die einzelnen Schritte gesetzt wurden, wie zwischen dem Reichsrat mit seinem Präsidenten Kübeck und dem Ministerrat um Positionen und Formulierungen gefeilscht wurde. Der Widerstand des Ministerrates war vorhanden, wurde aber immer schwächer. Die vorbereitenden Beratungen fanden im November 1851 in einem besonderen Komitee aus Mitgliedern des Reichs- und des Ministerrates statt, dessen Protokolle im Anhang abgedruckt sind. Die abschließenden Beratungen des Ministerrates wurden durch eine Machtdemonstration des Kaisers abrupt beendet, und die Ideen Kübecks wurden zum Gesetz erhoben.

Der wenige Monate später, am 5. April 1852, eintretende Tod des kranken Ministerpräsidenten gab dem Kaiser nicht nur die Möglichkeit, das Kabinett umzubilden, sondern den Ministerrat als politisches Entscheidungsorgan weiter zu entmachten. Er wurde zur „Konferenz“ herabgestuft. Es gab keinen Nachfolger für Schwarzenberg, nur mehr einen Vorsitzenden dieser Konferenz, deren Protokolle zum größeren Teil bereits ediert vorliegen (Abteilung Buol-Schauenstein).

Trotz dieser verfassungsgeschichtlichen und politischen Rückschritte des Jahres 1851/52 wurde das Rad der Zeit nicht vollständig zurückgedreht. Die Reformen auf dem Gebiet der Verwaltung, der Justiz, der Wirtschaft und des Sozialwesens wurden fortgeführt, allerdings nun nach den am 31. Dezember 1851 festgelegten „Grundsätzen“. Zunächst wurde die staatliche Verwaltung organisiert, nämlich die Bezirksämter und die Statthaltereien. Die Strafprozeßordnung wurde revidiert. Daneben wurden u. a. die Aufhebung der Avitizität in Ungarn, ein neuer Zolltarif, das Forstgesetz und ein liberaleres Patentgesetz in Angriff genommen.

Abseits dieser großen Themen mit ihren teils jahrelangen, teils jahrzehntelangen Auswirkungen enthält auch dieser Band eine Fülle zwar kleinerer, aber sozial-, verwaltungs- und lokalgeschichtlich interessanter Erörterungen, etwa den Umgang mit den Begnadigungsanträgen der in der Revolutionszeit in Ungarn Kompromittierten und Verurteilten oder die ebenfalls Ungarn betreffenden Hilfsmaßnahmen anläßlich der besorgniserregenden Ausfälle der Getreide- und Kartoffelernte im Sommer und Herbst 1851. Auch eigenartig aktuell anmutende Themen und Formulierungen finden sich, wenn etwa die Nationalbank durch eine Geldspritze der Bank in Triest aushelfen muß und der Handelsminister aus diesem Anlaß strenge Kreditbedingungen gegen die Spekulation einmahnt, oder wenn das Staatsbudget die im Bau befindlichen Eisenbahnlinien nicht mehr finanzieren kann. Die gewohnte Vielfalt der Themen ist auch in diesem Band präsent.

Das Manuskript des vorliegenden Bandes wurde nach Übernahme des Editionsprojektes Ministerratsprotokolle 1848–1867 vom ehemaligen Ost- und Südosteuropainstitut im Rahmen der Forschungstätigkeit der von 1959 bis 2012 bestandenen Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie erarbeitet und abgeschlossen. Die Forschungsprojekte der Kommission sind seit 1. Jänner 2013 an das im Zuge der organisatorischen Neustrukturierung der Forschungs­einrichtungen gegründete Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung übertragen.

An dieser Stelle sei auch wieder allen der Dank ausgesprochen, die am Fortschreiten der Edition beteiligt sind. Dem ehem. Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs Hon. Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky, dem Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Mag. Thomas Just sowie den Leitern und MitarbeiterInnen der Abteilungen des Österreichischen Staatsarchivs sei für die Unterstützung der Edition gedankt. Der Dank gilt auch den Partnern vom Institut für Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, die bei Archivaufenthalten in Budapest mit Rat und Tat zur Seite standen und das Manuskript dieses Bandes, so wie bei allen bisherigen Bänden, freundlicherweise durchgesehen haben.

Wien, im Jänner 2013