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Nr. 450 Ministerrat, Wien, 1. Februar 1851 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 2. 2.), P. Krauß 3. 2., Bach 5. 2., Bruck, K. Krauß, Thinnfeld 3. 2., Thun, Csorich, Kulmer 3. 2.; abw. Stadion.

MRZ. – KZ. 377 –

Protokoll der am 1. Februar 1851 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Entwurf des Reichsratsstatutes (1. Beratung)

Die heutige Ministerratssitzung wurde der Beratung über den Entwurf des Reichsratsstatuts gewidmet1.

In Ansehung des Reichsrates bestimmt der § 96 der Reichsverfassung vom 4. März 1849 2 folgendes: „An die Seite der Krone und der vollziehenden Reichsgewalt wird ein Reichsrat eingesetzt, dessen Bestimmung ein beratender Einfluß auf alle jene Angelegenheiten sein soll, worüber er von der vollziehenden Reichsgewalt um sein Gutachten angegangen wird.“

In dem § 1 des vorliegenden Entwurfes des Reichsratsstatuts wird dagegen über die Bestimmung und Stellung des Reichsrates folgendes gesagt: „Der Reichsrat ist ein in Gemäßheit der Reichsverfassung (§ 96) zur Seite der Krone und der vollziehenden Reichsgewalt eingesetzter Körper zur Beratung aller jener Angelegenheiten, über welche er im Sinne des § 7 dieses Statutes einen beratenden Einfluß auszuüben berufen oder von der Krone oder von der vollziehenden Reichsgewalt um sein Gutachten angegangen wird.“

Vergleicht man die Bestimmungen dieses Paragraphes mit dem obigen § 96 der Reichsverfassung, so ergeben sich vorzüglich zwei Verschiedenheiten. Es werden nämlich in diesem 1. Paragraphe Gegenstände begehrt, über welche der Reichsrat (im Sinne des § 7 dieses Statutes) vernommen werden muß, dann wird hier durch den Ausdruck „oder von der Krone oder der vollziehenden Reichsgewalt um sein Gutachten angegangen wird“ die Krone von der vollziehenden Reichsgewalt geschieden.

Es entstand nun die Frage, ob über die Bestimmung der Reichsverfassung hinauszugehen sei oder nicht.

Was zunächst die oberwähnte Scheidung der Krone von der vollziehenden Reichsgewalt anbelangt, bemerkte der Minister Dr. Bach , daß sich dies hauptsächlich auf die prinzipielle Frage beziehe, über welche die Kommission nicht einstimmiger Meinung ist, indem die Majorität den Reichsrat derart gestellt wissen wolle, daß derselbe sowohl von Sr. Majestät unmittelbar, als auch durch den Ministerrat zu seiner verfassungsmäßigen Tätigkeit aufgefordert werden könne, wogegen die anderen Stimmen den Verkehr mit|| S. 237 PDF || dem Reichsrate auch in jenen Fällen, wo Se. Majestät dessen Einvernehmung anordnen, durch Vermittlung des Ministerratspräsidenten hergestellt wünschen.

Nach seiner Ansicht sei es zwar wünschenswert, zur Erzielung eines geregelten harmonischen Zusammenwirkens in den Fragen der Gesetzgebung und der Verwaltung, in welchen Se. Majestät das Gutachten des Reichsrates abzuverlangen beschließen, daß die beiden Räte sich gegenseitig unterstützen, und daß auch in der Form des Verkehres alles vermieden werde, was Konflikte oder Geschäftsverzögerungen oder gegenseitiges Mißtrauen hervorrufen könnte, und es werden gewiß Se. Majestät in Höchstihrer Weisheit diesfalls die richtigen und sicher zum Zwecke führenden Mittel wählen.

Was aber die prinzipielle Frage selbst anbelangt, so hob der Minister hervor, daß die Aufgabe der Regierung vor allem die sei, das monarchische Prinzip zu befestigen und die kaiserliche Autorität nach allen Richtungen hin in ihrem durch Jahrhunderte bewahrten Machtumfange zu kräftigen, indem dies allein den Bestand und die nachhaltige Festigung der aus so verschiedenen Teilen bestehenden Monarchie dauernd verbürgen könne.

Dieses letzte Ziel müsse daher bei der Organisierung aller Institutionen und insbesondere der so wichtigen, tief in die künftige Gestaltung der inneren Verhältnisse Österreichs eingreifenden Institution des Reichsrates im Auge behalten werden.

Von dem gedachten Standpunkte aus aber stehe in bezug auf die staatsrechtliche Stellung der Krone der Grundsatz fest, daß die Machtvollkommenheit der Souveränität in dem Kaiser ruhe und daß in dessen Person sich die Regierungsgewalt vereinige. Dies Prinzip habe nicht bloß vor der Verfassung vom 4. März gegolten, sondern auch in derselben seinen Ausdruck gefunden. Der Kaiser von Österreich sei wohl in der Ausübung gewisser Rechte, z. B. der Steuerbewilligung und der Gesetzgebung, teils durch die altständischen Verfassungen, teils durch die Verfassung des Königreiches Ungarn an die Mitwirkung der Stände gebunden gewesen, allein eine Teilung der Souveränität sei ebenso wenig in diesen altständischen Verfassungen als in dem altungarischen Staatsrechte gelegen; noch sei selbe in der Verfassung vom 25. April 1848 3, noch in jener vom 4. März ausgesprochen worden, indem auch in diesen nur in gewissen Angelegenheiten die Mitwirkung der Landtage und des Reichstages sanktioniert wurde. Vielmehr sei der Grundsatz, daß die volle Souveränität in Sr. Majestät dem Kaiser ruhe, selbst in den heftigsten Stürmen des Jahres 1848, bei der Sanktionsfrage im September 1848 und sohin in der Erklärung des Ministeriums über den § 1 der vom Kremsierer Reichstage entworfenen Verfassung unterm 4. Jänner 1849 ausdrücklich und entschieden gewahrt worden4. Nach diesem Grundsatze aber müsse es Sr. Majestät freistehen, den Reichsrat entweder selbst unmittelbar oder durch Ihren Ministerrat zur Tätigkeit aufzufordern, und es scheine daher vollkommen entsprechend, in bezug auf diese Frage den Majoritätsantrag der Kommission zur Ah. Genehmigung zu bevorworten und es Ah. Sr. Majestät anheimzugeben, diesen Verkehr auf eine das gedeihliche Zusammenwirken des Reichs- und Ministerrates verbürgende Weise einzurichten.

Ob dem Reichsrate unbedingt gewisse Gegenstände zur Begutachtung zugewiesen werden müssen, darüber wird sich bei dem § 7 näher ausgesprochen.|| S. 238 PDF ||

Demzufolge einigte sich der Ministerrat in der Ansicht, daß mit Festhaltung der Bestimmung der Reichsverfassung der § 1 des vorliegenden Entwurfes beiläufig in folgender Art zu stilisieren wäre: “Der Reichsrat ist in Gemäßheit des § 96 der Reichsverfassung zur Beratung aller jener Angelegenheiten bestimmt, über welche er im Sinne des § 7 dieses Statuts von Uns oder von Unserem Ministerium sein Gutachten abzugeben angegangen wird.“

Der § 2 hätte zu lauten: „Seine vorzügliche Aufgabe ist es, Uns und Unser Ministerium durch seine Einsicht, Kenntnisse und Erfahrungen zu unterstützen.“

Der weitere Satz des Entwurfes: „damit in der Gesetzgebung und Verwaltung gediegene Reife und Einheit der leitenden Grundsätze erzielt werde“, wäre wegzulassen, weil für die hier erwähnte Einheit nicht der Reichsrat einzustehen hat und die Einheit von dem Ministerium repräsentiert wird.

Die Aufgabe des Reichsrates sei die gründliche Erörterung jedes einzelnen Gesetzes, und er sei zur Stütze des Ministeriums und nicht zur Kontrolle der vollziehenden Gewalt bestimmt.

Gegen die Textierung des § 3 fand man nichts zu erinnern. Es sei, bemerkte man, gut, den Reichsrat so zu stellen, daß er nicht vom Ministerium Aufträge zu erhalten habe. Durch die unmittelbare Stellung unter Se. Majestät erhalte er Zuwachs an Ansehen und an Kraft.

Der § 4 gab zu keiner Bemerkung Anlaß.

In Ansehung der im § 5 erwähnten Eingaben von andern Behörden, Körperschaften oder Privaten, wurde zwar bemerkt, daß es gut wäre, die Annahme solcher Eingaben nicht zuzulassen, weil sich hieraus ein Petitionswesen entwickeln und der Reichsrat in seinen Gutachten leicht veranlaßt werden könnte, zu sagen, daß für seine Ansichten auch die ihm von verschiedenen Seiten zugekommenen Petitionen sprechen, ferner es auch angemessen schiene, die Stellung des Reichsrates nach außen ganz abzuschließen, so wurde sich doch bei dem Umstande, daß diese Eingaben nicht erwidert und ad acta gelegt werden sollen, für die Belassung dieser Bestimmung ausgesprochen.

Über den § 6 wurde nichts zu erinnern gefunden.

Zu den §§ 7 und 8 (welche in einen zusammenzuziehen wären) wurde bemerkt, der Reichsrat sei vorzüglich dazu bestimmt, Gesetze zu begutachten, Gesetzentwürfe zu machen, kurz, legislative Tätigkeit zu entwickeln und in dieser Beziehung eine Stütze des Ministeriums zu sein; er soll vorläufig in gewisser Beziehung in legislativer Hinsicht den Abgang des Reichstages ersetzen. Aus diesem ergebe sich nun von selbst, daß seine Mitwirkung bei der Legislation in Anspruch genommen werden müsse; daraus folge aber keineswegs, daß er über alle, z. B. oft sehr dringend zu erlassende Gesetze und Verfügungen (Ordonnanzen) gehört werden müßte und daß so geartete Gesetze und Verordnungen ohne seinen Beirat, wie in dem § 7 des Statuts beabsichtiget wird, keine gesetzliche Geltung haben sollten.

Ein solches Ansinnen wäre eine Beschränkung der Krone, wozu kein genügender Grund, weder in der Reichsverfassung, noch in der bisherigen Übung zu finden wäre. Es wäre sich demnach an den § 96 der Reichsverfassung zu halten, nach welchem der Reichsrat sein Gutachten über alle jene Angelegenheiten abzugeben hat, über welche ein solches von Sr. Majestät oder dem Ministerrate gewünscht wird.|| S. 239 PDF ||

Daß übrigens Se. Majestät den Ministerrat beauftragen können, über diesen oder jenen beliebigen Gegenstand den Reichsrat zu vernehmen oder diese Vernehmung unmittelbar verfügen können, versteht sich von selbst, und dadurch erscheint es sichergestellt, daß der Reichsrat in allen Angelegenheiten interveniere, wo es Se. Majestät als notwendig oder nur wünschenswert erkennen.

Das Wort „jederzeit“ wäre aus dem § 7 wegzulassen, und die §§ 7 und 8 des vorliegenden Statutes hätten ungefähr folgende Textierung zu erhalten: „Wir behalten Uns vor, der Beratung und Begutachtung des Reichsrates alle wichtigeren Gesetzesvorschläge der Reichs- und Landesgesetzgebung und der Gesetzerläuterung zu unterziehen, welche zu ihrer gesetzlichen Geltung die kaiserliche Sanktion bedürfen.“a

Gegen den Schlußsatz: „In der Kundmachung solcher Gesetze ist die vorausgegangene Vernehmung des Reichsrates stets und ausdrücklich zu erwähnen“, wurde nichts zu erinnern gefunden.

§ 9. Dieser Paragraph hätte ungefähr so zu lauten: Dem Reichsrate sollen in der Regel bereits ausgearbeitete Entwürfe zur Beratung und Begutachtung übergeben werden.

Der weitere Satz: „Zur ersten Verfassung derselben ist er nicht berufen“, wäre in folgenden umzuwandeln: „Er kann aber auch berufen werden, Gesetzentwürfe auszuarbeiten“.

Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß Se. Majestät den Reichsrat beauftragen können, neue Gesetzentwürfe frei oder nach gewissen ihm gegebenen Prinzipien auszuarbeiten.

Im § 10 wäre der zweite Satz von den Worten: „Sollten ihm jedoch in der bestehenden Gesetzgebung im weitesten Sinne Lücken, Mängel oder Bedürfnisse auffallen, so usw.“ ganz wegzulassen, weil diese Aufgabe nicht in der Initiative des Reichsrates liegt und weil es ihm das Ansehen geben würde, als ob er eingesetzt wäre, die Lücken, Mängel etc. der Gesetzgebung aufzufinden, was seine Bestimmung nicht ist. Er hat allerdings das Recht, auf Mängel etc. aufmerksam zu machen, aber nur in Dingen, über welche er gefragt wird.

Der § 11 wäre nach Weglassung der Worte „allein verantwortliche“ bloß auf den Satz zu beschränken: „Das Resultat der Beratung des Reichsrates kann das Ministerium in seinen Anträgen nicht binden.“ Das Weitere des Paragraphes wäre ganz wegzulassen.

Ebenso wäre der § 12 lediglich auf den Satz zu beschränken: „Wir behalten Uns übrigens vor, dem Reichsrate auch noch andere Attribute und Funktionen zuzuweisen.“, da die weitere Bestimmung dieses Paragraphes bei dem Umstande, wo das vorliegende Statut selbst nicht durch den Reichstag gegangen ist, als überflüssig erscheint. Nur dann, wenn dieses Statut den Weg durch den Reichstag gemacht hätte, könnte man hier aussprechen, daß andere Attribute oder Funktionen als Ergänzung des gegenwärtigen Statuts im gesetzlichen Wege zustande zu bringen sind5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 23. Februar 1851.