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Nr. 428 Ministerrat, Wien, 2. Dezember 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 3. 12.), Krauß 6. 12., Bach 4. 12., Schmerling 4. 12., Bruck, Thinnfeld 4. 12., Thun (außer III und IV), Csorich 6. 12., Kulmer 4. 12.; abw. Stadion.

MRZ. 4852 – KZ. 4279 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 2. Dezember 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses, FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Nachrichten aus Berlin

Der Ministerpräsident eröffnete den Inhalt der ihm zugekommenen neuesten telegraphischen Depeschen aus Berlin, wornach die Olmützer Punktation (Ministerratsprotokoll vom 30. November 1850/I) preußischerseits angenommen, die entsprechende Weisung an den Generalen Grafen v. Gröben erlassen und Generalleutnant Breese zum Kommissär nach Kurhessen bestimmt worden ist1. Unsererseits wird dagegen FML. Graf Leiningen statt des Grafen Rechberg dahin abgesandt, welchem letzteren für seine bisherige rühmliche Gestion eine Auszeichnung zu verleihen bei Sr. Majestät in Antrag gebracht wird2.

II. Munition für Montenegro

Der Ministerpräsident eröffnete weiters das Begehren des dermal in Wien befindlichen Wladika von Montenegro um Wiedergestattung des seit einigen Jahren eingestellten Munitionsbezugs aus Österreich für die Montenegriner in dem früher festgesetzten Quantum3.

Der Minister des Inneren fand es bei den gegenwärtigen Verhältnissen in den benachbarten türkischen Provinzen bedenklich, diesem Ansuchen ohne Garantie für die Verwendung jener Munition und ohne vorläufige Rückfrage an den General Mamula zu willfahren. Der Kriegsminister dagegen sowie der Handels-, der Finanz- und der Minister Baron Kulmer hatten gegen die Gewährung des Gesuchs umso weniger einzuwenden, als|| S. 111 PDF || die Montenegriner, wenn ihnen der Bezug der Munition auf rechtlichem Wege verwehrt wird, sich dieselben durch Schmuggel zu verschaffen wissen werden4.

III. Todesurteile

Der Justizminister referierte über nachstehende Todesurteile: 1. wider Josef Lukács wegen Mordes mit dem Antrage auf Nachsicht der Todesstrafe, 2. wider Wilhelm Grimmer wegen Raubmords auf Vollziehung der Todesstrafe, 3. wider Elisabeth Jánosi wegen Kindesmordes auf Nachsicht der Todesstrafe, 4. wider Joseph Schlögl wegen Gattenmords auf Nachsicht der Todesstrafe, 5. wider Paul Russo wegen Mords auf Nachsicht der Todesstrafe, 6. Johanna Reimitz wegen Teilnahme an Kreditpapierenachmachung auf Nachsicht der Todesstrafe5.

IV. Ernennung des Statthalters der Lombardei

Der Minister des Inneren brachte mit Rücksicht auf die gegenwärtig dem Feldmarschall Grafen Radetzky gegebene Bestimmung und den Austritt des FML. Fürsten Carl v. Schwarzenberg aus dem politischen Verwaltungsdienste zur Übernahme des ihm übertragenen Armeekorpskommandos6, endlich in Beziehung auf seinen Vortrag im Ministerrate vom 28. v. M. /VII über die Grundzüge der politischen Organisation des lombardisch-venezianischen Königreichs die Ernennung des Grafen Strassoldo zum Statthalter in Mailand und die definitive Bestätigung des v. Toggenburg auf dem Statthalterposten zu Venedig mit dem Zusatze in Antrag, daß nach sotaner Besetzung der beiden Statthalterstellen im Königreiche mit Zivilpersonen die Wirksamkeit des Generalgouvernements sich nur mehr auf die Polizeiangelegenheiten und auf die Maßregeln zur Handhabung des Ausnahmszustands zu beschränken, außerdem aber in allen Verwaltungsangelegenheiten der unmittelbare Verkehr der Statthalter mit den Ministerien einzutreten hätte.

Da hiergegen nichts erinnert wurde, so wird der Minister des Inneren hiernach Sr. Majestät Vortrag erstatten7.

An der Besprechung zu III. und IV. hat der Kultusminister nicht teilgenommen.

V. Pferde-, Frucht- und Futterbedarfsdeckung für die Armee

Derselbe Minister teilte mit, was infolge der Konferenz bei Sr. Majestät vom 27. v. M. in betreff der Beischaffung der Armeebedürfnisse angeordnet worden ist8, nämlich a) daß der Ankauf von Pferden unter den Verkäufern sehr günstigen Bedingungen mit dem Beisatze angekündigt worden sei, es werde der bis 15. Dezember 1850 auf solche Art nicht gedeckte Bedarf im Wege der Requisition aufgebracht werden.

Es sind hiernach die Weisungen an die betreffenden Statthalter ergangen; indessen hofft der Minister, es werde zur zwangsweisen Stellung nicht kommen, besonders wenn, wie er anträgt, der etwas kurze Termin etwa um zehn Tage, also bis zum heiligen Christtage, verlängert würde.

b) In Ansehung der Beischaffung von Proviant und Fourage ist bei dem Umstande, wo durch die freien Einkäufe die Preise der Brotfrüchte und des Pferdefutters bedeutend gestiegen sind und eine weitere Verteuerung erwarten lassen, die Anordnung getroffen worden, daß der diesfällige Bedarf der Armee bis 20. Dezember 1850 mittelst Landeslieferung nach dem letzten Wochenmarktspreise im November zu decken sei. Er besteht in einer Million Metzen Hafer, 600.000 Metzen Korn, 70.000 Zentner Heu und soll von Böhmen, Mähren, Österreich ob und unter der Enns, Ungern und westlichem Galizien nach der bereits vorbereiteten Repartition aufgebracht werden9.

Da indessen die Ausführung dieser Maßregel nicht unbedeutende Vorarbeiten von Seite der gegenwärtig von der Rekrutierung ganz in Anspruch genommenen politischen Behörden erheischt, so ist der Minister des Inneren überzeugt, daß die Lieferungen bis 20. Dezember nicht effektuiert sein können, und indem er aus dieser Rücksicht jede Verantwortung von seiner und von Seite der politischen Behörden für das Nichtzuhalten dieses Termins ablehnt, trägt er auf dessen Verlängerung um wenigstens zehn Tage, also bis Ende Dezember an.

Die Armee, bemerkte dagegen der Finanzminister , darf nicht einen Tag ohne Verpflegung bleiben; da nun ihre dermaligen Vorräte nur bis 20. d. [M.] reichen, so muß entweder auf die genaue Einhaltung des festgesetzten Termins gedrungen oder in anderem Wege Rat geschafft werden.

Dieses letztere zu bewerkstelligen, schlug der Ministerpräsident vor, den Armeebedarf für die Zeit vom 20. bis letzten Dezember, d. i. bis zu dem auch vom Minister des Inneren als äußersten festgesetzten Termin des Eingehens der Lieferungen, inzwischen durch feien Einkauf aufzubringen und denselben mit Benützung der nunmehr nach Einstellung der Truppenzüge wieder disponibel gewordenen Transportmittel an den Ort seiner Bestimmung zu schaffen.

Der Kriegsminister übernahm es, die Ziffer des diesfälligen Erfordernisses ausmitteln zu lassen und sich sofort über die Art der Ausführung des vom Ministerpräsidenten gemachten Vorschlags mit den einschlägigen Ministerien in das Einvernehmen zu setzen. Unter diesen Verhältnissen würde dann auch die angetragene Terminsverlängerung keinem Anstande unterliegen, wobei übrigens nach dem Erachten des Finanzministers || S. 113 PDF || nur die Rücksicht zu beobachten wäre, daß der Lieferungstermin nicht für alle Kronländer gleich, sondern nach dem Maße der Entfernung derselben von dem Ablieferungsorte, also z. B. für Böhmen und Mähren etwa bis 25., für die übrigen bis Ende Dezember 1850 bestimmt werde10.

VI. Vorschrift über die politische Exekution

Der Minister des Inneren erbat und erhielt die Zustimmung des Ministerrates zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage auf Erlassung einer Verordnung über die exekutive Autorität der politischen Behörden.

Die Absicht ist, den politischen Behörden zur Durchführung ihrer Anordnungen auch das Befugnis zur Anwendung entsprechender Zwangsmittel einzuräumen; sie würden solchergestalt zur Eintreibung der von ihnen angeordneten Geldleistungen sich der privaten Steuerexekution, zur Beistellung von Naturalprästationen der Militärassistenz, zum Behufe der Durchführung einer persönlichen Vorforderung einer Partei der zwangsweisen Stellung bedienen können; es würde ferner das Disziplinarverhältnis der politischen Behörden zu den Gemeindevorständen, die Gradation der von erstern gegen die letztern zu verhängenden Zwangsmittel sowie die Behandlung derjenigen Widersetzlichkeit, welche zum strafgerichtlichen Verfahren nicht geeignet ist, näher und bestimmter festsetzen11.

VII. Ankauf eines österreichischen Schiffes in Scuttaria

Über den sowohl dem Minister des Inneren als des Kriegswesens angezeigten Ankauf eines österreichischen Schiffes ain Scuttaria zum Transport ottomanischer Truppen ist von beiden Ministern das Entsprechende erlassen worden, damit das Schiff zur Vermeidung einer Gebietsverletzung mit Beschlag belegt werde12.

VIII. Unterstützung des Zipser Klerus

Der Minister des Inneren verwendete sich zugunsten des Zipser Klerus, damit demselben, der, früher bloß mit Zehnten dotiert, gegenwärtig infolge der Aufhebung der Zehnten auf die ihm von der ungrischen Regierung angewiesene nackte Kongrua beschränkt ist und sich in gleich rücksichtswürdiger Lage wie die protestantische Geistlichkeit in Siebenbürgen befindet, die nötige Aufbesserung im Gesamtbetrage von 61.000 fr., der perzentualiter nach Maßgabe der Fassionen unter die Einzeln[en] zu verteilen wäre, vom 1. November 1850 an auf ein Jahr. Vorbehaltlich der dereinstigen Urbarial­entschädigung bewilliget werde13.|| S. 114 PDF ||

Der Ministerrat war mit diesem Antrage in thesi einverstanden, wornach sich der Minister des Inneren vorbehielt, behufs der Ausführung mit dem Finanzminister Rücksprache zu pflegen14.

Dieses letzteren Zustimmung erhielt er auch

IX. Unterstützung für Johann Graf Hoyos

zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage auf Verleihung eines Sustentationsbetrages von 1200 fr. jährlich für den infolge der politischen Organisierung außer Aktivität gekommenen steiermärkischen Gubernialrat Grafen v. Hoyos bis zu dessen hoffentlich bald zu bewirkender Unterbringung auf eine Kreisratsstelle15.

X. Ernennung des Präsidenten des Reichsrates

Der Ministerpräsident eröffnete dem Ministerrate die Ah. Absicht Sr. Majestät, zur Aktivierung des in der Reichsverfassung vom 4. März vorgesehenen Reichsrates mit der Ernennung des Präsidenten desselben vorzugehen und denselben unter Mitwirkung einer aus gediegenen Männern zusammen­zusetzenden Kommission mit der Entwerfung des Statuts für diesen Reichsrat zu beauftragen16.

Die Mitteilung über die Errichtung eines Reichsrats ward allseitig mit Befriedigung vernommen; der Minister des Inneren fand sich insbesondere veranlaßt, in einem längeren Vortrage über Zweck und Wirkungskreis dieses Instituts die Hoffnung auszusprechen, daß in demselben bei sorgfältiger Begrenzung seiner Wirksamkeit und Stellung zu dem Ministerium eine wesentliche Stütze des letzteren in der Bearbeitung der noch zu erlassenden Gesetze sowie selbst in der Revision der schon gegebenen erwachsen würde.

Gleichwohl konnte der Finanzminister in betreff der Einleitung zur Errichtung des Reichsrates das Bedenken nicht verbergen, welches sich gegen die sofortige Ernennung des Präsidenten mit dem diesem gegebenen Auftrage zur Entwerfung des Statuts darin zu ergeben scheint, daß der Präsident bei der Vollziehung seiner Aufgabe vielleicht eine Richtung einschlagen könnte, welche mit den Ansichten des Ministeriums nicht übereinstimmt, und daß, wenn dann sein Elaborat vom Ministerium nicht angenommen würde, die Stellung des Präsidenten unhaltbar werden würde, eine Verlegenheit, der am besten dadurch zu begegnen wäre, wenn das Ministerium selbst sich zuerst über die Grundsätze vereiniget, nach welchen die Zusammensetzung des Reichsrates und der Wirkungskreis desselben eingerichtet werden soll, oder wenn – wie der Handelsminister bemerkte – nicht schon dem künftigen Reichsrate, sondern bloß der zur Ausarbeitung des Statuts zusammenzusetzenden Kommission ein Präsident gegeben werden wollte, um nicht zu der Bemerkung Anlaß zu geben, daß man die Person vor der Sache selbst berücksichtige.

Auch der Justiz- und der Kriegsminister teilten diese Ansicht17.

XI. Reorganisierung des Militärgeographischen Instituts

Der Kriegsminister erhielt noch die Zustimmung des Ministerrats zu dem an Se. Majestät zu erstattenden Vortrage über die Reorganisierung des Militärgeographischen Instituts, welche einen Mehraufwand von 50.000 fr. erfordern wird, wogegen jedoch der Finanzminister in Berücksichtigung des höheren Zwecks des Instituts keine Einwendung erhob18.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 8. Dezember 1850.