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Nr. 426 Ministerrat, Wien, 28. November 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; V. Keine Angabe; BdE. (Schwarzenberg 29. 11.), BdE. und anw. Krauß 4. 12., Bach 4. 12., Schmerling 2. 12., Bruck, Thinnfeld 2. 12., Thun, Csorich 4. 12., Kulmer 2. 12.; abw. Schwarzenberg, Stadion.

MRZ. 4792 – KZ. 4121 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrats, gehalten zu Wien am 28. November 1850.

I. Kundmachungen gegen Börseumtriebe und über das Verbot des Ankaufs von Scheidemünzen

Der Finanzminister las den Entwurf zweier zu erlassender Kundmachungen über das Verbot des Agiotierens mit Scheidemünze und über die Anordnungen zur Hintanhaltung der an der Wiener Börse stattfindenden Umtriebe1.

Nach einigen von dem Handelsminister angedeuteten Modifikationen des Textes vereinigte sich der Ministerrat in der Fassung dieser Kundmachungen, wie sie die Wiener Zeitung vom 29. November und das Reichsgesetzblatt sub Nr. 451 und 452 enthält2.

Die vom Minister des Inneren inzwischen getroffenen Verfügungen zur Verstärkung der Aufsicht nächst der Börse, zur Schließung der Winkelbörse in der Schulerstraße, Räumung der Gasse, Arretierung und Abstellung einiger unbefugter Teilnehmer zum Militare, endlich Abschaffung der nicht hieher zuständigen Individuen wurden vollkommen gebilligt, und es ward sich ferner darüber geeinigt, daß wegen Ausführung und Handhabung der Börsevorschriften die geeignete Instruktion an den Börsekommissär sowie an den zu dessen Unterstützung aufgestellten Polizeikommissär erteilt, die Kundmachung Nr. 452 des Reichsgesetzblattes (wirksam für Niederösterreich) wenigstens auch den Statthaltern derjenigen Kronländer, wo Börsen gehalten werden, zur Vollziehung mitgeteilt, endlich zur Beruhigung der Provinzbevölkerung die im Abendblatte der Wiener Zeitung erscheinenden Erläuterungen über den Stand der Kurse mit den letztern telegraphisch auch in die Provinzen kommuniziert werden, in welcher Beziehung der Handelsminister mit Rücksicht auf die Überlastung der Telegraphenämter mit Arbeiten das Nähere im Einvernehmen mit den Ministern des Inneren und der Finanzen einleiten wird3.|| S. 100 PDF ||

Über die weitere Anregung des Ministers des Inneren , daß man gegenwärtig, am Vorabende der Entscheidung über Krieg oder Frieden, sich über weitere, den möglichen Eventualitäten angemessene Maßnahmen verständigen möge, ward vorderhand beschlossen, die Rückkehr des Ministerpräsidenten abzuwarten, nachdem Fragen von solcher Wichtigkeit nur im gesamten Ministerrate besprochen werden können, und, wie die Minister Baron Bruck und v. Schmerling bemerkten, nur die Teilnahme aller an der Entscheidung über die das Gesamtinteresse der Monarchie berührenden Verhandlungen die Verantwortung derselben durch das Gesamtministerium zu begründen vermag.

II. Artikel wegen der Reise des Ministerpräsidenten

Der Minister des Inneren las den zur Verlautbarung durch die Wiener Zeitung bestimmten Artikel über die Ursache der Abreise des Ministerpräsidenten nach Olmütz (Abendblatt der Wiener Zeitung vom 28. November)4.

III. Gemischte Kommission für Kriegserfordernissebeschaffung

Der Finanzminister erbat sich aus Anlaß der oben berührten Kriegsfrage die sofort auch erteilte Zustimmung des Ministerrats zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage auf einige Maßregeln zur Deckung und Ordnung der außerordentlichen Bedürfnisse und Auslagen im Inneren und in dem von unseren Truppen besetzten Auslande.

In ersterer Beziehung handelt es sich um möglichst schnelle Dispositionen aller Art, welche am besten erreicht werden, wenn aus Abgeordneten der drei hierbei berührten Ministerien des Kriegs, Inneren und der Finanzen eine Kommission in Wien zusammengesetzt wird, deren Aufgabe sein würde, alle großen Maßregeln über Truppennachrückung, Verpflegung, Bezahlung etc. zu beraten und einzuleiten, und deren Glieder die betreffenden Ministerien von allem in Kenntnis setzen. In letzterer Beziehung dürfte zur Vermittlung der Geldangelegenheiten der Armee im Auslande eine dem Bedarf angemessene Anzahl von Finanzbeamten den verschiedenen Armeekorps beigegeben werden5.

IV. Gewinnung tüchtiger Militärärzte

Zur Sicherstellung des Armeesanitätsdienstes brachten die Minister des Inneren und Krieges Maßregeln in Antrag6, ersterer die Zusicherung höherer Gebühren für die|| S. 101 PDF || der Armee folgenden Zivilärzte, letzterer die bessere Stellung der Militärärzte im allgemeinen. Denn, bemerkte er, solange der Militärarzt mit seiner geringen Gebühr, die außer allem Verhältnis steht, zu der Leistung, zur Bezahlung anderer und zu den Preisen der Lebensbedürfnisse, sich begnügen muß, wird eine Begünstigung der Zivilärzte für diesen Zweck ganz unwirksam sein, vielmehr bei dem grellen Abstande der den letzteren gewährten Vorteile den Genüssen der Militärärzte gegenüber diese selbst entmutigen und geeignete Individuen von dem Eintritte in den Militärsanitätsdienst abhalten. Der Kriegsminister erbat sich daher die Zustimmung des Ministerrats dazu, bei Sr. Majestät auf die angemessene Gagenerhöhung, und zwar für der Unterärzte auf 300 f., für die Oberwundärzte auf 400 f., für die Oberärzte auf 500 und 600 f., für die Regimentsärzte auf 800 und 1000 f., für die Stabsärzte auf 1400 f., für die dirigierenden Stabsärzte auf 1600 f. und 1800 f., dann auf den entsprechenden Offiziersrang und im Falle der Dienstuntauglichkeit auf die Pensionierung nach dem Offiziersnormale anzutragen6.

Der Finanzminister , weit entfernt, dem Antrage im Prinzip entgegenzutreten, ersuchte nur wegen des Kostenaufwands und der Details, daß eine besondere Verhandlung zwischen ihm und dem Kriegsminister gepflogen werden möge7.

V. Gebietsverletzung der Bocche di Cattaro durch ein türkisches Kriegsschiff

Der Kriegsminister las den seinerseits entworfenen Vortrag an Se. Majestät in betreff der durch die türkische Fregatte N. N. in den Bocche di Cattaro durch das Einlaufen in dieselben und das Landen bei der Suttorina begangene Seegebietsverletzung8. Da inzwischen von Seite des Ministers des Äußern eine dem Minister des Inneren mitgeteilte, von diesem vorgelesene Weisung an die Internuntiatur in Konstantinopel sowie eine Eröffnung an den hiesigen türkischen Gesandten erlassen worden ist, worin in Gemäßheit des Ministerratsbeschlusses vom 25. November d. J. gegen die Gebietsverletzung protestiert, die Entfernung der Fregatte verlangt, die Ausschiffung der Mannschaft verweigert und die Vermehrung der k. k. Truppen, um die Forderung zu effektuieren, in Aussicht gestellt wird9, so wird der Antrag des Kriegsministers hiernach zu modifizieren, zugleich aber mit Rücksicht auf die vom Minister des Inneren weiters vorgetragenen neuesten Berichte vom 20. d. [M.]10 über den Stand der Sache ein Kurier von Seite des Kriegsministeriums abzufertigen sein, welcher den dortigen Zivil- und Militärlokalautoritäten eine jener diplomatischen Weisung entsprechende Instruktion sowie die Befehle zur Verstärkung der Besatzung an den Bocche zur See und zu Land zu überbringen hätte, damit die Landung und Ausschiffung von Truppen durch alle zu Gebote stehenden|| S. 102 PDF || Mittel verhindert und sodann die Entfernung des Kriegsschiffes, versteht sich unter Beobachtung der Humanitätsrücksichten, welche durch in jenen Berichten geschilderte Notlage der Mannschaft geboten sind, bewirkt werde.

Der Kriegsminister und der Minister des Inneren haben sich hierwegen besonders in das Einvernehmen gesetzt. Gleichzeitig werden die Landesbehörden ähnliche Weisungen für den Fall erhalten, wenn eine Landung im Canal Narenta an der dortigen türkischen Küste nächst Klek versucht werden sollte11.

VI. Organisierung der Justizverwaltung im lombardisch-venezianischen Königreiche

Der Justizminister referierte über die Grundzüge der Justizorganisation im lombardisch-venezianischen Königreiche12.

Mit Rücksicht auf die Wünsche der Bevölkerung und die Anträge der Landesbehörden würden in der Hauptsache die alten Einrichtungen beibehalten: die Präturen erhielten mit Aufhebung des Unterschieds zwischen Stadt- und Landpräturen, jedoch unter Annahme des Charakters von Bezirksgerichten von Seite der ersteren, daher Vermehrung derselben in den großen Städten, in Zivilsachen die Kompetenz der Bezirksrichter in den übrigen Kronländern, und Streitsachen über 1000 Guldena würden vor die Provinztribunale gewiesen; in Strafsachen erhielten sie die Judikatur über Übertretungen; Vergehen bis zu dem Grade einer Strafbarkeit von fünf Jahren kämen vor Kollegialpräturen wie in andern Kronländern vor die Bezirkskollegialgerichte; Fälle endlich, welche nach der Strafprozeßordnung vor die Geschwornengerichte gehören, würden den Provinzial­kriminaltribunalen zugewiesen; dabei würde zwar Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens, vorderhand künftige landtägliche Beschlüsse vorbehalten, nicht aber das Institut der Geschwornen eingeführt, weil bei dem bekannten Charakter der Welschen gewichtige Bedenken, selbst in der Bevölkerung, dagegen erhoben worden sind.

In betreff der Obergerichte wird eine Teilung der zwei bestehenden in vier, ohne Vermehrung des Personals, respective die Errichtung dependenter Senate von jenem in Mailand zu Brescia mit dem Sprengel über die Provinzen: Brescia, Bergamo und Mantua, dann von jenem in Venedig zu Verona mit dem Sprengel über Verona, Vicenza und Rovigo beantragt.

Belangend den Kostenaufwand wird derselbe unter Beibehaltung des für Wien und Triest angenommenen Besoldungsausmaßes sich bezüglich des eigentlichen Richterpersonals um 77.000 f. geringer als der itzige stellen, dagegen wegen der Kosten für die neu zu kreierende Staatsanwaltschaft etc. im ganzen nicht bedeutend höher ausfallen.

Der Justizminister wird hiernach mit Einstimmung des Ministerrats die Ah. Genehmigung dieser Anträge bei Sr. Majestät sich erbitten13.

VII. Organisierung der politischen Verwaltung im lombardisch-venezianischen Königreiche

Hieran knüpfte der Minister des Inneren die summarische Darstellung der von ihm in analoger Weise beabsichtigten Anträge zur Organisierung der politischen Verwaltung in dem genannten Königreiche.

Mit Vorbehalt der Entscheidung über das Generalgouvernement würde das Königreich nach den bisherigen zwei Gubernialgebieten in zwei Statthaltereien geteilt sein; die Benennung und Einteilung der b Provinzen, einige kleine Gebietsausgleichungen abgerechnet, bliebe die bisherige; auch die Leitung derselben durch die Delegationen würde beibehalten, unter denen dann die Distriktskommissariate zu stehen hätten, deren Zahl mit Rücksicht auf den erweiterten Wirkungskreis der Kommunen nicht groß sein wird.

In betreff der Polizei würde in den Hauptstädten Mailand und Venedig die Generalpolizeidirektion, jedoch unter dem Titel „Prefettura“ beibehalten; dagegen würden die bisher in den Provinzstädten bestandenen Polizeidirektionen als selbständig aufgehoben und der Provinzialdelegation untergeordnet werden14.

Der Aufwand der politischen Verwaltung wird sich ohne Zweifel geringer stellen als bisher.

In Ansehung der Provinzialkongregationen werden die Anträge vorbehalten15.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 5. Dezember 1850.