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Nr. 395 Ministerrat, Wien, 16. September 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 17. 9.), Krauß 20. 9., Bach 20. 9., Schmerling 18. 9., Bruck, Thinnfeld 18. 9., Thun, Csorich; abw. Stadion, Kulmer.

MRZ. 3822 – KZ. 3308 –

Protokoll der am 16. September 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Erneuerung und Verschärfung der Paßvorschriften

Der Ministerpräsident machte auf das Wünschenswerte einer Regulierung der Pässe für die Ausländer aufmerksam. Eine solche Regulierung, bemerkte derselbe, stelle sich vorzüglich wegen der vielen reisenden Engländer und wegen ihrer nicht seltenen großen politischen Gefährlichkeit als notwendig dar. Ein Paß in England koste 2 Pfund 7 Schilling. Um sich diese Auslage zu ersparen, lassen sich die Engländer Pässe von fremden Gesandtschaften oder Konsulaten gegen Zahlung von paar Schillingen ausstellen und überschwemmen dann vorzüglich unsere italienischen Provinzen und sind nicht selten gefährliche Agitatoren. Bei uns sei es bisher nur toleriert worden, daß die Engländer mit solchen fremden Pässen zugelassen wurden. Um diese Unzukömmlichkeit zu beseitigen, wäre nach der Ansicht des Ministerpräsidenten auszusprechen, daß künftig kein Fremder, außer mit seinem Nationalpasse und mit der österreichischen Visa versehen, bei uns werde zugelassen werden. Zum Vollzuge dieser Anordnung wäre der Termin bis zum 1. Jänner 1851 festzusetzen und gehörig kundzumachen1.

Der Minister des Inneren Dr. Bach bemerkte, daß das hier beabsichtigte Prinzip, welches noch von keiner kontinentalen Macht angenommen worden sei, im Auslande nur viel Aufsehen erregen würde, ohne den beabsichtigten Zweck erreichen zu machen. Die gefährlichen Individuen und Emissäre sind stets mit den besten Pässen versehen, und die gedachte Erschwerung würde nur meistens harmlos Reisende treffen. Ein gut organisiertes Fremdenanzeigewesen in den Hauptstädten sei das beste Mittel, sich vor politisch und sonst gefährlichen Ausländern zu schützen, welche, wenn sie als solche angezeigt sind, auch mit den regelmäßigen Pässen ausgewiesen werden können. Wenn|| S. 273 PDF || jemand die Visa des österreichischen Gesandten oder Konsuls hat, so sei es auch schwer, in eine Inquirierung seiner Nationalität weiter einzugehen.

Der Handelsminister Freiherr v. Bruck meinte, daß es vollkommen genügend wäre, zu sagen, daß kein Ausländer nach Österreich eingelassen werde, der nicht auf seinem Passe die Visa einer österreichischen Behörde hat, und daß zu diesem Behufe die diesfalls bestehende Vorschrift lediglich zu erneuern, ajedoch auf dem Eisenbahnverkehr an den Grenzen die nötige Rücksicht zu nehmena wäre2.

II. Eingangsgebühr für einige aus Ungarn kommende Gegenstände

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß referierte hierauf, daß nach dem Ah. Patente vom 7. Juni 1850 die Zwischenzollinie vom 1. Oktober d.J. aufzuheben sei3, und daß von diesem Zeitpunkte [an] alle Ein- und Ausgangsgebühren an der Zwischenzollinie samt allen Zuschlägen etc. aufzuhören haben. Eine Ausnahme von dieser Bestimmung habe nur in Absicht auf diejenigen Gegenstände des Staatsmonopols einzutreten, von welchen noch vorübergehend die Einhebung einer Abgabe zur gegenseitigen Gebührenausgleichung notwendig wäre4.

Gegenwärtig, bemerkte der Finanzminister, stelle sich eine Vorkehrung in Absicht auf das Bier und den Branntwein als notwendig dar. Steuer auf diese Artikel in den Provinzen, gegen welche nun die Zwischenzollinie aufgehoben wird, bis zu dem erwähnten Zeitpunkte einzuführen, sei unmöglich. Es dürfte aber auch, nach seiner Ansicht, keinem Anstande unterliegen, zu erklären, daß von diesen Gegenständen so lange, bis in Ungarn, Siebenbürgen etc. eine Steuer darauf eingeführt sein wird, nach dem bisherigen Tarife die Verzehrungssteuer zu entrichten sei.

Was die Behandlung der Reisenden anbelangt, so werden diese, da der Zoll vom 1. Oktober d.J. auf der Zwischenzollinie aufhört, zollfrei passieren und nur von dem mitgeführten Tabak, Bier, Wein oder Branntwein eine Gebühr zu entrichten haben.

Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden5.

III. Gesuch Karl Fürst Jablonowskys um einen Vorschuß

Der Minister des Inneren Dr. Bach besprach nun ein von Sr. Majestät erhaltenes Gesuch des Fürsten Karl Jablonowsky, worin dieser bittet, daß ihm für Rechnung der ihm seinerzeit zukommenden Entschädigung für die aufgehobenen Urbarialgiebigkeiten ein Kapitalvorschuß gegeben werden wolle.|| S. 274 PDF ||

Der Minister bemerkte hierüber, daß man bisher bei Urbarialentschädigungen nur Vorschüsse auf die Renten gegeben habe; nur in Ungarn habe man in einzelnen rücksichtswürdigen Fällen auch größere Vorschüsse auf das Entschädigungskapital gegeben. Fürst Jablonowsky sehe das wohl ein, mache übrigens seine gute politische Haltung im Jahre 1848 geltend und bitte deshalb um diese ausnahmsweise Begünstigung. Zu einer solchen Bewilligung liegen zwar, wie der Minister Dr. Bach bemerkt, die nötigen Voraussetzungen, die Erhebung des Wertes der aufgehobenen Giebigkeiten, der Betrag der dem Fürsten gebührenden Entschädigung etc. nicht umständlich vor; indessen sei es andererseits gewiß, daß der Fürst sehr verschuldet ist, daß er von den Gläubigern sehr gedrängt wird und daß ihm immerhin seinerzeit eine namhafte Entschädigung zuzukommen haben werde.

Der Minister Bach erachtete, und der Ministerrat stimmte bei, daß bei Sr. Majestät anzutragen wäre, die Ah. Geneigtheit dahin auszusprechen, daß dem Fürsten Jablonowsky mit Vorbehalt der Sicherheit des Ärars und der dritten Personen und innerhalb der Grenzen des zu erhebenden Wertes der aufgehobenen Urbarialgiebigkeiten ein angemessener Betrag auf seine Güter vorzuschießen wäre.

Eine Exemplifikation aus dieser Bewilligung sei für Galizien nicht zu besorgen6.

IV. Gemeindeordnung für Troppau

Der Minister des Inneren brachte weiter zur Kenntnis des Ministerrates, daß er nun auch die Gemeindeordnung für die Stadt Troppau vollendet habe. Dieselbe sei nicht abweichend von den Gemeindeordnungen der übrigen Städte. Es werden auch in Troppau drei Wahlkörper bestehen, und circa 580 Wähler daselbst werden 30 Vertreter zu wählen haben. Der Wahlzensus ist analog jenem bei andern Städten. Diese Gemeindeordnung wird nun der Ah. Genehmigung Sr. Majestät unterzogen werden7.

V. Reisekostenentschädigung für Ludwig Freiherr v. Wohlgemuth

Der Zivil- und Militärgouverneur von Siebenbürgen Baron Wohlgemuth hat ein Reisepartikulare über die von Wien nach Hermannstadt unternommene Reise im Betrage von 1385 f. gelegt8. Das Finanzministerium hat diesen Betrag nicht zur Anweisung geeignet gefunden, weil Baron Wohlgemuth mit Beförderung und höheren Genüssen sich nur an den Ort seiner Bestimmung – Hermannstadt – begeben habe, wofür keine Reiseentschädigung gebühre.

Der Minister Dr. Bach bemerkt hierüber, daß er diesen Grund als vollkommen genügend erkennen würde, wenn Baron Wohlgemuth sich direkt von Wien nach Hermannstadt hätte begeben können. Da aber derselbe, bei den damals herrschenden Wirren, den Weg nach Hermannstadt über Galizien, Bukowina, Moldau und Walachei nehmen mußte, so fände es der Minister Dr. Bach unbillig, wenn dem Baron Wohlgemuth keine Entschädigung geleistet werden sollte.|| S. 275 PDF ||

Um indessen, wie der Finanzminister besorgt, nicht aufkommen zu lassen, daß Beamte, wenn sie mit Beförderung auf den Ort ihrer Bestimmung abgehen, Reisekosten aufrechnen, einigte sich der Ministerrat in dem Beschlusse, bei Sr. Majestät au. anzutragen, daß dem Baron Wohlgemuth in diesem Falle eine Unterstützung für die Reisekosten im Betrage von 1200 f. bewilliget werden wolle9.

VI. Exzess in Agram wegen einer schwarzgelben Fahne

Der Minister des Inneren teilte dem Ministerrate die ihm vom Ban zugekommenen Nachweisungen hinsichtlich des Exzesses mit, welcher in Agram bei der Ankunftsfeierlichkeit des Banus wegen der schwarzgelben Fahne daselbst stattgefunden hat. Es ergibt sich daraus, daß der Agramer k.k. Zahlmeister aus seiner Wohnung eine schwarzgelbe Fahne ausgesteckt hat und daß um halbein Uhr nachts eine Rotte von Exzedenten vor diese Wohnung kam, die Wegnahme dieser Fahne forderte, und da dies wegen der Abwesenheit des Eigentümers nicht sogleich geschah, mit Steinen nach den Fenstern zu werfen anfing. Wer diese Exzedenten waren, konnte nicht ermittelt werden. Der später hinzugekommene Kutscher des Banus hat diese Fahne entfernt und so hatte der Exzess ein Ende.

Diese Nachweisungen, worüber nichts zu verfügen ist, wären lediglich zur Kenntnis zu nehmen10.

VII. Auszeichnungen für kroatische Beamte

Mit Beziehung auf die kroatischen Auszeichnungen fand sich der Minister Dr. Bach veranlaßt, nachträglich zu bemerken, daß für Kroatien verhältnismäßig nur wenige Auszeichnungen und mit dem Stephansorden keine in Antrag kamen, während für Ungarn und Siebenbürgen die Auszeichnungen viel zahlreicher und auch mit andern Orden vorkamen. Auch machte er aufmerksam, daß mittlerweile einige von den zur Auszeichnung Angetragenen in andere Stellungen kamen, welche es wünschenswert machen dürften, dieselben anders als die ihnen untergeordneten oder niederer gestellten Individuen zu bedenken. Diesem nach trägt der Minister Dr. Bach an, vier höheren Beamten11, welche mit anderen für den Franz-Joseph-Orden in Antrag waren, und zwar: dem Kuković, Oberlandesgerichtspräsidenten, Tomić, Steuerdirektor, v. Busán, Senatspräsidenten, Lentulay, Vizeban, und Jankovich, bChef des Požeganer Komitatesb, um das Ritterkreuz des Leopoldordens taxfrei von der Ah. Gnade Sr. Majestät zu erwirken.

Diesem Antrage reichte der Minister Dr. Bach auch jenen auf taxfreie Verleihung des Ritterkreuzes des Stephansordens für den ernannten Bischof von Neusohl – Moyses – in Berücksichtigung seiner hohen geistlichen Würde an.

Obgleich die sämtlichen hier Genannten durch die jüngst erhaltenen oder demnächst zu erhaltenden, gegen ihre frühere viel einträglicheren Stellen und höheren Würden als hinlänglich belohnt angesehen werden könnten, so glaubte der Ministerrat dennoch dem Antrage des Ministers Dr. Bach, vorzüglich aus dem von ihm geltend gemachten|| S. 276 PDF || Grunde, beitreten zu sollen, daß dadurch nicht sowohl den Personen als vielmehr dem Lande Kroatien und der betreffenden geistlichen Würde die schuldige Rechnung getragen würde12.

VIII. Todesurteil gegen Anna Dworzak

Der Justizminister Ritter v. Schmerling unterstützte den Antrag des Obersten Gerichtshofes auf die Ag. Nachsicht der von der Anna Dworzak, auch Schikiř, wegen Meuchelmordes eines fünf Wochen alten Kindes verwirkten Todesstrafe, und hätte die Oberste Justizstelle dafür eine zeitliche Strafe zu bestimmen.

Der Ministerrat fand dagegen nichts zu erinnern13.

IX. Auszeichnung einiger Justizbeamten

Derselbe Minister brachte weiter Auszeichnungen für drei in der Justizlaufbahn vorzüglich hervorragende Männer in Antrag, und zwar: für die zwei Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Orefici und Karl Ritter v. Krauß, dann für den Appellations[gerichts]präsidenten in Innsbruck Jenull. Die zwei ersteren werden für die taxfreie Verleihung des österreichischen kaiserlichen Ordens der eisernen Krone I. Klasse und der letzte für das Großkreuz des Franz-Joseph-Ordens angetragen.

Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden. Bei Karl Ritter v. Krauß enthielt sich der Finanzminister wegen dessen naher Verwandtschaft mit dem Auszuzeichnenden der Abstimmung14.

X. Errichtung des Reichsgerichtes

Schließlich wurde von dem Justizminister das in der Ministerratssitzung vom 13. d.M. begonnene Referat über das Reichsgericht fortgesetzt und zu Ende gebracht15.

Der Ministerrat fand sich nur zu einigen wenigen Bemerkungen veranlaßt, und zwar:

Zu § 21. Da die Anklageschrift des Generalprokurators selbst nach ihrer Überreichung, solange sie nicht zur öffentlichen Verhandlung gelangt ist, ein Internum der Behörde bleibt, so wurde für den Anfang dieses Paragraphes folgende Textierung in Antrag gebracht: Nach Beginn der Hauptverhandlung kann der Generalprokurator usw. nur mit Zustimmung des Angeklagten von der Anklage abstehen.

Zu § 24, und zwar zu dessen zweitem Absatze und der dort vorkommenden Beziehung auf die §§ 264–289 etc. der Strafprozeßordnung, wurde bemerkt, da nach diesen Paragraphen wegen Formfehlern etc. eine Nichtigkeitserklärung stattfinden darf, diese aber hier, wo der Oberste Gerichtshof als souveräne Gerichtsbehörde entscheidet und er selbst Kassationsbehörde ist, nicht eintreten kann, so wäre in diesem Paragraphe ausdrücklich zu bemerken, daß hier keine Nichtigkeitserklärung stattfinden darf.

Zu § 25 fand man zur Schuldigerklärung des Angeklagten die einfache Majorität hinreichend und nur zur Verurteilung desselben zur Todesstrafe wenigstens zwei Drittel der|| S. 277 PDF || Stimmen erforderlich. Auch wäre in solchen Fällen der Präsident (der in der Regel seine Stimme nicht abgeben muß, zu verpflichten, um bei einem Kollegium von 15 zwei Dritteile leichter herauszubringen, mitzustimmen.

Zu § 26 wurde beschlossen, den letzten Satz und die darin enthaltene Beschränkung des Obersten Gerichtshofes ganz fallen zu lassen, weil, wenn einer Behörde das Recht eingeräumt wird, die Todesstrafe oder lebenslänglichen Kerker in eine zeitliche Strafe (bis zu einem Jahre) umzuwandeln, man dieser Behörde wohl auch überlassen kann, nach Befund auch unter ein Jahr herabzugehen16.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 23. September 1850.