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Nr. 363 Ministerrat, Wien, 6. Juli 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (I–II), Wacek (III–VI); VS. Kaiser (I–II), Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 7. 7.), Krauß 8. 7., Bach 8. 7., Gyulai 16. 7. (bei III–VI abw.), Schmerling, Bruck, Thinnfeld 8. 7., Thun, Kulmer 8. 7., Degenfeld; abw. Stadion.

MRZ. 2756 – KZ. 2282 –

Protokoll der am 6. Juli 1850 zu Wien in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät abgehaltenen Ministerrates.

I. Enthebung Julius Freiherr v. Haynaus vom Armeekommando in Ungarn

Der Ministerpräsident referierte unter Vorlesung sämtlicher Erlässe über das Verfahren des Armeekommandanten Freiherrn v. Haynau bezüglich der ihm vom Ministerrate bereits unterm 15. April l.J. aufgetragenen schleunigen Vorlegung eines Operats zur Sichtung und Klassifizierung der wegen politischen Verbrechen in Untersuchung stehenden Landtagsablegaten etc.1. Ungeachtet einer am 14. v.M. erfolgten Betreibung hat Baron Haynau das bereits seit 8. v.M. in seiner Hand befindliche Kommissionsoperat erst nach einer auf besondern Ah. Befehl unterm 28. v. Monats ergangenen wiederholten Urgierung vorgelegt und der bezüglich der Behandlung dieser Inquisiten jedenfalls abzuwartenden Ah. Entscheidung dadurch vorgegriffen, daß er laut seiner am 4./6. l.M. erstatteten Anzeige den 5. l.M. einem Teile der Inquisiten die gefällten kriegsrechtlichen Urteile kundmachen ließ2.

Hiezu kommt noch, daß FZM. Baron Haynau – als die Kriegsgerichte in einer an ihn gerichteten Vorstellung erklärten, mit der Urteilsschöpfung über die Inquisiten nicht vorgehen zu können, bevor ihnen über die Ah. Entschließung vom 29. August 1849 3 eine authentische Auslegung vom Ah. Thron aus erteilt würde – sich erlaubt hat, mit Berufung auf seine Vollmacht nach eigenem Ermessen eine Auslegung den Gerichten vorzuschreiben, zu deren Erteilung er gar nicht befugt war.

Der Ministerpräsident erinnerte an die vielen anderen Eigenmächtigkeiten, die sich der Feldzeugmeister auf seinem dermaligen Posten zuschulden kommen ließ; an die eingetretenen unverantwortlichen Zögerungen in Erfüllung der Beschlüsse des Ministerrats und selbst Ah. Befehle, an das gänzliche Verkennen der Stellung, welche dem Freiherrn v. Haynau angewiesen wurde, ein Irrtum, der trotz wiederholter und energischer Belehrungen und Zurechtweisungen von Seite des Ministerrates nicht berichtigt werden konnte, wie Inhalt und Ton der Note des Feldzeugmeisters vom 1. Julius und der Vorgang von 5. Julius zur Genüge beweisen4. Die Erfahrung mehrerer Monate habe gezeigt,|| S. 129 PDF || daß die vom Baron Haynau eingenommene oder eigentlich angemaßte Stellung mit einem geregelten Gange der Administration und mit der Förderung der Absichten der Regierung in dem hochwichtigen Kronlande Ungarn unvereinbarlich ist. Es erscheine daher nötig, eine Veränderung in dem Kommando der III. Armee eintreten zu lassen.

Sämtliche Minister vereinigten sich mit diesem Antrage, wobei noch bemerkt wurde, daß Haynaus Verfahren die Regierung bereits mehrmals kompromittiert hat, derselbe die Regierungsmaßregeln nach Gutdünken hemmt, unpopuläre Maßregeln als Verfügungen der Zentralregierung dargestellt werden und dagegen der Begnadigungsakt für die 36 Exoffiziers vollzogen wurde, ohne daß die Ah. Quelle, aus der er geflossen, öffentlich genannt worden wärea, so daß der Feldzeugmeister hiezu förmlich durch den Ministerrat aufgefordert werden mußte5.

Die Entfernung des Baron Haynau sei nicht bloß eine verdiente Strafe für seinen Ungehorsam gegen Ah. Befehle, sondern sie sei auch eine administrative Notwendigkeit, wenn anders die Organisierung des Kronlandes Ungarn glücklich durchgeführt und die Parteien, deren Einfluß er sich auch nicht ganz zu entziehen weiß, beruhigt werden sollen. Diese Maßregel sei aber umso dringender, weil FZM. Baron Haynau, wie es scheint, im Begriffe stehe, manche den Absichten der Regierung widersprechende Aburteilungen und Begnadigungen politischer Verbrecher eigenmächtig vorzunehmen.

Se. Majestät der Kaiser geruhten dem einstimmigen Antrage des Ministerrats die Ah. Genehmigung zu erteilen und die Ah. Willensmeinung auszusprechen, den FZM. Baron Haynau sofort in den Ruhestand zu versetzen. Der Ministerpräsident erhielt den Ah. Auftrag, dem Feldzeugmeister die Motive hievon bekanntzugeben6.

Der rangälteste General Graf Wallmoden wird in Erledigung der Armeekom­mandantenstelle provisorisch das Kommando führen. Um jedoch den, wie die Erfahrung gezeigt hat, dienstnachteiligen Unzukömmlichkeiten, die mit der bisherigen administrative Wirksamkeit des Kommandanten der III. Armee verbunden waren, zu begegnen, geruhten Se. Majestät der Kaiser in Genehmigung der Anträge des Ministerrates zu bestimmen, daß bso bald als möglichb der Wirkungskreis desselben auf jene Sphäre zu beschränken sei, welche dem Kommandanten der IV. Armee zugewiesen ist7.

II. Organisierung der Landesfinanzdirektion in Ungarn

Infolge einer Ah. Aufforderung motivierte der Finanzminister umständlich seinen Antrag wegen Organisierung einer Landesfinanzdirektion in Ungarn8. Er wies nach,|| S. 130 PDF || daß sich dieselbe aus dem vorhandenen guten Elemente der bestandenen ungarischen Hofkammer sehr zweckmäßig bilden lasse, daß nur eine solche Zentralbehörde in die vielen jetzt nötigen Arbeiten zur Einführung direkter und indirekter Abgaben die nötige Einheit und Schnelligkeit bringen könne, daß die Behörden und die Bewohner des Landes an dem Bestande einer finanziellen Zentralstelle zu Ofen gewohnt seien und man vermeiden müsse, den unvermeidlichen unangenehmen Eindruck der Einführung neuer Steuern durch neue administrative Formen und Behörden zu verschlimmern.

Sofern aber vielleicht wünschenswert befunden würde, die finanzielle Organisation Ungarns erst nach der noch in Bearbeitung stehenden politischen Organisation dieses Kronlandes zu veröffentlichen, so fände Baron Krauß gegen einen Aufschub dieser Veröffentlichung in der Voraussetzung nichts zu erinnern, daß ihm die Ah. Ermächtigung erteilt würde, vorläufig im Geiste seine Anträge, die weiteren Organisationsvorschläge für die finanziellen Unterbehörden, ausarbeiten zu lassen.

Se. Majestät geruhten diese Ermächtigung zu erteilen, und es wird sonach der Vortrag des Finanzministers zugleich mit dem Vortrag des Ministers des Inneren über die politische Organisation Ungarns Ah. resolviert werden9.

Protokoll der am 6. Juli 1850 in Wien abgehaltenen (fortgesetzten) Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Minister des Äußern und des Hauses Fürsten Felix von Schwarzenberg.

Nach aufgehobener Sitzung bei Sr. Majestät dem Kaiser versammelte sich der Ministerrat zur Fortsetzung der Beratung bei dem Ministerpräsidenten, wobei noch folgende Gegenstände zum Vortrage kamen:

III. Auszeichnung für Personen geistlichen und weltlichen Standes in Ungarn

Der Minister des Inneren Dr. Alexander Bach hat auf dem Grunde der diesfälligen Vorschläge des FZM. Baron Haynau und des Zivilkommissärs Baron Geringer und nach vorläufigen reiflichen Beratungen zahlreichere Auszeichnungen mit dem Stephans-, Leopolds-, Franz Josephs-Orden und mit goldenen und silbernen Verdienstkreuzen mit und ohne Krone für Individuen weltlichen und geistlichen Standes aus Ungarn in Antrag gebracht, welche sich in den letzteren verhängnisvollen Jahren durch Treue und Anhänglichkeit an die Regierung Sr. Majestät, durch aufopfernde Unterstützung der gerechten Sache, durch gute und ersprießliche Dienste in Versorgung der Truppen u. dgl. besonders ausgezeichnet, oder die sich sonst anerkennungswerte Verdienste um das Kronland Ungarn erworben haben.

Das nebenliegende Verzeichnisc enthält die Namen, Charaktere und die Gattung der Auszeichnung, wie sie nach den Besprechungen und gefaßten Beschlüssen des Ministerrates vereinbart worden sind und von der Ah. Gnade Sr. Majestät in Anspruch zu nehmen wären.

Nur bei dem griechisch-unierten Bischofe von Großwardein Erdélyi haben der Ministerpräsident und der Finanzminister sich von dem Antrage der Majorität getrennt,|| S. 131 PDF || indem seine Verdienste und seine Loyalität nicht so positive hervortretend seien, um mit der angetragenen Auszeichnung belohnt zu werden. Der Minister des Inneren bemerkte dagegen (und die Majorität trat ihm bei), daß gegen Erdélyi die ganze Zeit hindurch nichts Nachteiliges vorgekommen, daß seine Klugheit in den obwaltenden schwierigen Verhältnissen nicht verkannt werden könne, und daß er die ihm zugedachte Auszeichnung der Sache wegen wünschen müsse, indem mehrere Vorsteher der katholischen und der griechisch-nichtunierten Kirche bereits Auszeichnungen erhielten, während der höheren Geistlichkeit der griechisch-unierten Kirche noch keine zuteil wurde und diese nun dem ältesten Bischofe dieser Kirche in Ungarn als gleichsam dem Repräsentanten derselben gewährt werden soll10.

IV. Ordensverleihungen

An die von dem Minister des Inneren vorstehend in Antrag gebrachten Auszeichnungen hat der Finanzminister Freiherr v. Krauß seinerseits noch zwei schon früher in Aussicht gestellte angereiht, nämlich dem geheimen Rate und gewesenen Präsidenten der ungarischen Hofkammer Grafen Nikolaus Szécsen das Großkreuz des Franz-Joseph-Ordens und dem Präsidenten der ungarischen Finanzlandesbehörde Grafen Almásy das Kommandeurkreuz desselben Ordens von der Ah. Gnade Sr. Majestät zu erwirken, womit sich der Ministerrat einverstanden erklärte11.

V. Stempel- und Taxgebühreneinführung in Ungarn

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß besprach hierauf noch eine zu ergreifende gewünschte Maßregel, nämlich die Stempel- und Taxgebühren auch auf Ungarn auszudehnen, nachdem über diesen Gegenstand mit Beiziehung der Ministerialabgeordneten des Inneren und der Justiz umständliche Beratungen gepflogen worden sind12.

Die Einführung der gedachten Gebühren in Ungarn unterliegt, wie der Finanzminister bemerkt, im wesentlichen keinem Anstande, nur könnte die in der diesfälligen Verordnung für die deutschen Kronländer vorkommende Berufung auf das (in Ungarn nicht geltende) Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch in der Verfügung für Ungarn allerdings nicht stattfinden, und es träte die Notwendigkeit ein, das dort berufene hier ganz anzuführen. Heute handle es sich aber bloß um die Einführung der Gebühren von Verlassenschaften und von Vermögensübertragungen in Todesfällen für Ungarn.

Bei der Erörterung der Frage, ob man mit dieser Maßregel zuwarten soll, bis eine Änderung in der Gesetzgebung über Verlassenschaften in Ungarn erfolgt, oder ob man diese Gebühren schon jetzt dort einführen soll, bemerkte der Finanzminister, Baron Geringer habe sich für das erstere, nämlich das Zuwarten, ausgesprochen13, während er (Finanzminister) diese Meinung nicht teilen könne, weil die Aktivierung der gedachten Gebühren|| S. 132 PDF || von der Einführung der Gerichtsstellen und der Gesetzgebung über Verlassenschaften nicht abhängig sei, weil es nur darauf ankomme, daß die Parteien beauftragt und verhalten werden, Vermögensausweise dem Amte vorzulegen, und weil, wenn auch die genannten Gebühren in der ersteren Zeit in Ungarn nicht viel abwerfen dürften, auch das Mindere nicht übersehen und auszulassen sei.

Da der Ministerrat dieser Ansicht des Finanzministers beistimmte, so wird der letztere den Justizminister angehen, eine oder zwei ungarische Rechtsgelehrte zu bestimmen, welche bei einer diesfalls abzuhaltenden Kommission die Textierung der für Ungarn zu erlassenden Verordnung zu prüfen hätten14.

VI. Stand der Deutschen Frage

Der Ministerpräsident teilte dem Ministerrate mit, daß aus Frankfurt sehr günstige Nachrichten eingelaufen seien15, und daß aus Berlin an den preußischen Gesandten am hiesigen Hofe mittelst des Telegraphen soeben die Frage gestellt wurde, wann er die Verhandlungen über das Definitive in der deutschen Angelegenheit vorgelegt habe. Dieses, bemerkte der Ministerpräsident, sei gestern den 5. geschehen, und Montags den 8. werde dem Gesandten die entsprechende Antwort darüber gegeben werden16.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 10. Juli 1850.