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Nr. 353 Ministerrat, Wien, 19. Juni 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 20. 6.), Krauß 24. 6., Bach 24. 6., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 22. 6., Thun, Kulmer 22. 6., Degenfeld; abw. Stadion, Gyulai.

MRZ. 2466 – KZ. 2057 –

Protokoll der am 19. Juni 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten von Schwarzenberg.

I. Gerichtsorganisation in Siebenbürgen

Der Justizminister Ritter v. Schmerling brachte die Gerichtsorganisation für Siebenbürgen zum Vortrage. Die eigentümlichen Verhältnisse des Landes, wo Ungarn, Székler, Sachsen und Walachen neben- und durcheinander wohnen, mache eine besondere Einrichtung der Gerichtsorganisation daselbst notwendig1.

Der Justizminister bemerkt, daß man bei der Einrichtung derselben, welche er mit Leuten aus allen Nationalitäten des Landes besprochen und ihre Zustimmung erhalten habe, von dem Gesichtspunkte der einheitlichen Durchführung der Gerichtsorganisation und dem Anschlusse an Grundsätze ausgegangen sei, wie sie für andere Kronländer, insbesondere für Ungarn, bereits festgestellt worden sind2. Die größte Schwierigkeit verursache die Einteilung des Landes. Weder das Land der Sachsen noch jenes der Ungarn und Székler seien genau abgegrenzt, und unter beiden befinden sich romanische Gebiete. Eine genaue Arrondierung der Bezirke nach Nationalitäten sei daher nicht möglich. Ferner müsse berücksichtiget werden, daß die Sachsen ihr eigenes Statutarrecht haben und daß auch die Ungarn und Székler in Siebenbürgen ihre eigenen Gesetze hatten. Nach dem Antrage des Justizministers wird Siebenbürgen bei der Gerichtsorganisation als ein Kronland angesehen, in welchem ein Oberlandesgericht in Hermannstadt mit einigen Senaten im Land (etwa in Klausenburg für die Ungarn, in Blasendorf für die Romanen, in Mediasch für die Székler) zu bestehen hätte. Hierdurch würde den bedeutenderen Städten und den Nationalitäten Rechnung getragen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes in Verbindung mit dem Generalprokurator hätte die Administration zu besorgen und das ganze zu leiten. Die Senate im Lande wären nur als Gerichtshof unabhängig, wie es in Tirol (und bei der politischen Einrichtung in Galizien) der Fall ist. Der Oberste Gerichtshof in Wien bestünde für die ganze Monarchie, daher auch für Siebenbürgen. Die Kompetenz der Gerichte in Siebenbürgen wäre dieselbe wie die Kompetenz der Gerichte in Ungarn und Kroatien. Prozesse unter 500 f. gingen an die Bezirksgerichte, über 500 f. an die Landgerichte. Die Grundbuchführung wäre dort, wo sie besteht, den Bezirksgerichten zu übertragen, über adelige Güter (welche bisher bei|| S. 89 PDF || den Sedrien waren) den Landgerichten. Bei dem adeligen Richteramte würden, nach der Ansicht des Justizministers, gleichfalls einige Modifikationen erforderlich sein. In dieser Beziehung wäre der bisherige Einfluß, welchen die Gemeindevorstände und die Beisitzer auf die Inventur, Abhandlung, Waisenaufsicht genommen hatten, denselben im Provisorium unter der Oberaufsicht der Gerichte zu belassen. Der Justizminister würde diese Anträge der Ah. Genehmigung Sr. Majestät unterziehen, und wenn diese erfolgte, die definitive Einrichtung vornehmen. Er hofft, daß im Laufe des Sommers die Gerichtsorganisation in Siebenbürgen durchgeführt sein dürfte.

Mit diesen Anträgen erklärten sich die übrigen Stimmführer (mit Ausnahme des Finanzministers Freiherr v. Krauß) einverstanden, weil dabei mit Aufrechthaltung der Einheit des Gerichtes die Nationalitäten gehörig berücksichtigt werden. Der Finanzminister bemerkte dagegen, daß die verschiedenen Nationalitäten in Siebenbürgen nicht kompakt sind, sondern durcheinander zerstreut wohnen, und daß ein gemeinschaftlicher Senat für sie alle genügen würde, wie das bisherige Gubernium in Klausenburg für alle genügt hat. Die Einheit der Leitung und Verwaltung sei bei einem Senate leichter als bei mehreren zu erzielen. Auch sei der Kostenpunkt nicht zu übersehen, da mehrere Senate größere Auslagen auf das Präsidium, Lokalitäten, Beheizung, untergeordnetes Personale usw. verursachen3.

II. Behandlung des Waisen- und Depositenwesens

Die Eröffnung und Einführung der Gerichte soll am 1. Juli d.J. statthaben. Der Finanzminister brachte aus diesem Anlasse eine Differenz zur Sprache, die zwischen ihm und dem Justizminister hinsichtlich der Behandlung des Waisen- und Depositenwesens obwaltet4.

Man habe die Absicht, vom 1. Juli an den Steuerämtern alle Gelder und Depositen (die laufenden und die älteren) zu übergeben. Dagegen bestehe die große materielle Schwierigkeit, daß diese Übergabe in wenigen Tagen erfolgen soll. Die Steuerämter können wohl die kurrenten Geschäfte übernehmen, aber die Verwaltung und Verrechnung der alten Depositen können ihnen nicht aufgedrungen werden. Eine weitere Schwierigkeit bestehe darin, daß die neuen Gerichtsbezirke nicht mit den alten Gerichtsbezirken zusammenfallen, und daß viele Waisenkassen kumulativ geführt worden sind. Hinsichtlich dieser letzteren und der älteren Depositen erscheine eine Zwischenverfügung nötig, welche bei dem Umstande, daß die Steuerämter nicht darnach eingerichtet sind, um ältere Depositen zu übernehmen, nach der Ansicht des Finanzministers darin zu bestehen hätte, daß für mehrere Gerichtsbezirke ein Amt, ein Organ, bestellt werde, welches diese Gegenstände auszutragen hätte. Für die Depositen wäre eine Kasse zu bezeichnen, an welche die materielle Übergabe der Depositen erfolgen würde. Dieses Amt hätte das Spezielle von dem Kumulativen zu scheiden, das Einzelne an die betreffenden Gerichte zu übergeben und das Kumulative bis zur Austragung fortzuführen, worauf es gleichfalls an die Gerichte zu übergehen hätte. Der Finanzminister meint, daß die verwickeltsten Verhältnisse in einer nicht gar langen Zeit vollständig geordnet werden könnten. Derselbe hat den Entwurf einer diesfälligen Weisung vorgelesen.|| S. 90 PDF ||

Der Justizminister glaubte für seine Ansicht, daß die Übergabe der Waisenamtsakten an die neuen Justizbehörden und der Depositen und Gelder an die Steuerkassen zu geschehen hätte (für welche Übergabe die letzten Tage des Monates Juni bereits bestimmt seien), folgendes geltend machen zu sollen: Wo eine individuelle Verwaltung des Waisenvermögens besteht, wo das Vermögen eines Pupillen besonders verrechnet wird, da sei das Vermögen solcher Pupillen einfach an die neuen Gerichte zu übergeben. Bei kumulativer Verwaltung des Waisenvermögens bestehe dort, wo alle Pupillen in einen Gerichtsbezirk gehören, gleichfalls keine Schwierigkeit, und ihr Vermögen könne ebenso wie im ersten Falle einfach übergeben werden. Schwieriger sei es aber, wenn die Pupillen in verschiedene Gerichtsbezirke fallen. In diesem Falle sei es notwendig, ein bestimmtes Gericht zu bezeichnen, welches alle kumulativen Sachen dieser Art zu übernehmen hat. Dieses Gericht hätte die ersten Einzahlungen dazu zu verwenden, das Fremde auszuzahlen. Gegen den Antrag des Finanzministers, das Waisenvermögen statt an einzelne Gerichte an ein bestimmtes Zentralamt zu weisen, ergebe sich die große Schwierigkeit, wie mit den Leuten bei den neuen Gerichten verhandelt werden könnte, wenn das Zentralamt von dem Sitze des Gerichtes vielleicht weit entfernt ist. In der Folge könne am Sitze eines jeden Landgerichtes eine solche Hauptkasse errichtet werden, aber jetzt sei es nicht tunlich. Alle Dominien seien auf diese Übergabe vorbereitet, und wie sie die Gerichtsakten ausgeschieden und übergeben haben, so werden sie auch die in der Rede stehenden übergeben. Der Justizminister bemerkte weiter, daß er diesen Gegenstand und die beabsichtigte Instruktion mit den Leuten aus allen Provinzen und zwei Abgeordneten des Finanzministeriums beraten und mit ihrer Zustimmung die Instruktion verfaßt habe. Nach allen dem müsse er bei seiner Meinung verharren und sich gegen jede Verantwortung verwahren, wenn eine gegen diesen Antrag beliebte Maßregel nicht zum Ziele führen sollte.

Nach längerer Besprechung über diesen Gegenstand und nach wiederholter Bemerkung des Finanzministers , daß die einzelnen Steuerämter zur Übernahme der Depositen noch nicht durchgehendsa geeignet und eingerichtet sind, diese daher nicht an sie, sondern an größere Kassen zu übergeben wären, und daß das Ärar die Haftung für die einzelnen Steuerämter in diesem Falle nicht übernehmen könnte, wurde sich endlich bei dem Umstande, daß die Verwaltung und Verrechnung des Vermögens von dessen Aufbewahrung zeitweilig getrennt werden kann, dahin geeiniget, daß das Geld, Pretiosen und Privatschuldscheine bin größeren Gerichtssprengeln an eine bestimmte Sammlungskasse oder an ein Steueramt, das hiezu geeignet erkannt wird, leiten zu lassenb . Was dagegen die weitere Frage anbelangt, wer die Akten und Rechnungenc zu übernehmen habe und wie das ganze Geschäft abgewickelt werden solle, so wäre dieses dem Justizminister als eine interne Sache zu überlassen, welcher auch zu erwägen hätte, ob durch die erwähnte Zuweisung der Gelder etc. die Instruktion eine Modifikation und welche zu erleiden habe. Im Laufe des Monates Juli wären die Gelder etc. in bestimmten Tagen|| S. 91 PDF || von den Dominien an die Sammlungskassen dund größeren Steuerämterd zu übergeben, wobei der Finanzminister nur noch bemerkte, daß sich die Weisung, die Sammlungskassen hätten die Gelder nach der Reihe bestimmter Tage zu übernehmen, recht gut der Instruktion anschließen ließe und daß von seiner Seite kein Anstand dagegen bestünde, wenn dort, wo größere Steuerämter sind, diese als solche Kassen für einen Gerichtssprengel bestimmt würden5.

III. Errichtung eines Depositenamtes in Triest und Besetzung der Stellen bei den Depositenämtern

Schließlich brachte der Finanzminister aus Anlaß eines ihm zugekommenen Antrags des Justizministers wegen Errichtung eines eigenen Depositenamtes in der Stadt Triest und wegen Bestellung des dabei erforderlichen Personals die Frage zur Sprache, ob die Depositenämter und das notwendige Personale von den Justiz- oder von den Finanzbehörden zu bestellen seien6.

Nach seiner Ansicht ist das Geschäft der Depositenämter eine Kassamanipulation, daher den Finanzbehörden zuständig. Ferner soll die Justiz von der Verwaltung getrennt sein, das Geschäft der Depositenämter sei aber eine Verwaltung, daher abermals den Justizbehörden nicht angehörig. Wenn Gerichte eine Verwaltung und Geldgebahrung unter sich haben, so sei dies eine Ausnahme von der Regel und könne das oben ausgesprochene Prinzip nicht ändern.

Hierüber wurde bemerkt, daß nur in Wien und Prag eigene Depositenämter bestehen, deren Bestellung sowie die ihres Personales von den Justizbehörden ausgegangen seien. Ein gleiches wurde nun für Triest in Antrag gebracht. Diesem Antrage wäre freier Lauf zu lassen und eine Verhandlung über die angeregte Frage und darüber, wer die Haftung für die Depositenämter übernimmt und wer die Disziplin dieser Ämter überwacht (welche letztere den Justizminister angeht, da die Depositenämter gegenüber der Justiz nicht unabhängig erscheinen sollen), der Zukunft vorzubehalten, deren Resultate dann auch für Triest Anwendung fänden.

Der Finanzminister fand dagegen mit Wahrung des oberwähnten Prinzips nichts weiter zu erinnern7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 28. Juni 1850.