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Nr. 322 Ministerrat, Wien, 17. April 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 18. 4.), Krauß 20. 4., Bach 20. 4., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 18. 4., Thun (bei I abw.), Degenfeld; abw. Gyulai, Kulmer, Stadion.

MRZ. 1538 – KZ. 1284 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 17. April 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Zusammenlegung des Venediger Freihafens mit der Eisenbahnstation

Der Handelsminister referierte über ein neues Projekt zur Unterbringung des Freihafens von Venedig. Nach diesem Projekte soll der Freihafen mit dem Eisenbahnhofe in Verbindung gebracht werden, was im ganzen einen Aufwand von etwa 9 Millionen Lire, wovon aber 5 Millionen auf den Bahnhof kämen, erfordern würde. Der Handelsstand, die Landesbehörden und Feldmarschall Graf Radetzky sind dafür, letzterer umso mehr, als er auf der Räumung der Insel San Giorgio, wenn er sie gleich (laut Ministerratsprotokoll vom 17. und 20. Dezember 1849, Nr. IV. und III.) einstweilen ihrer bisherigen Bestimmung nicht entzogen hat, doch aus militärischen Rücksichten bestehen muß1.

Der Antrag geht demnach dahin, daß der Ministerrat die Idee genehmige und die Ermächtigung erteile, die Verhandlung in dieser Richtung fortzusetzen, welchem Antrage der Ministerrat sofort auch, jedoch mit dem vom Finanzminister vorgeschlagenen Beisatze beitrat, daß gleichzeitig auch Erhebungen darüber gepflogen werden, ob nicht der rückwärtige Teil des Arsenals zu dem beabsichtigten Zwecke verwendet werden könne.2

An der Beratung dieses Gegenstands hat der Minister des Kultus nicht teilgenommen.

II. Gerichtsorganisierung in Kroatien und Slawonien

Der Justizminister teilte die Hauptmomente des Entwurfs zur Organisierung der Gerichte in den Königreichen Kroatien und Slawonien mit3.

Der Entwurf ist nach den bereits von Sr. Majestät genehmigten allgemeinen Grundsätzen mit Zuziehung von Vertrauensmännern ausgearbeitet und von dem Minister Baron Kulmer eingesehen worden. Nach demselben würden 56 Bezirksgerichte, darunter sechs Kollegialgerichte, mit der Gerichtsbarkeit über Vergehen als Bezirksgerichte I., dann 46 II. und vier III. Klasse, vier Landesgerichte I. Klasse, welche zugleich Appell[ationsgerichts]höfe sein würden, zu Agram, Fiume, Warasdin und Esseg, dann drei Landesgerichte II. Klasse,|| S. 309 PDF || bloß als erste Instanzen zu Karlstadt, Kreuz und Požega, endlich ein Oberlandesgericht zu Agram bestellt werden, und nachdem der Personal- und Besoldungsstatus überall geringer als anderswo angetragen ist, einen Aufwand von 481.477 fr. erfordern.

Nachdem gegen diese Anträge nichts eingewendet wurde, behielt sich der Justizminister die Vortragserstattung an Se. Majestät hierwegen vor4.

III. Gesetz über die Avitizität in Ungarn

Eben dieser Minister erbat sich bezüglich des eben in Verhandlung befindlichen Gesetzes über die Avitizität in Ungern die Entscheidung des Ministerrats darüber, 1. ob die Aufhebung der Avitizität als durch den 15. Landtagsartikel von 1847/8 bereits ausgesprochen, anerkannt oder nochmals in Frage gestellt werden soll5, 2. ob nicht der Beratung über dieses Gesetz eine oder zwei der hervorragenden ungrischen Justiznotabilitäten beizuziehen wären.

Ad 1. äußerte zwar der Ministerpräsident Bedenken gegen die Anerkennung der Gültigkeit der 1848er Landtagsartikel überhaupt, und auch der Minister des Kultus wünschte, daß man sich durch genaue Prüfung derselben vorläufig darüber versichere, ob keine darunter befindlich sind, deren Anerkennung, wenn sie der Konsequenz wegen zugestanden werden müßte, dem Staatsinteresse nachteilig wäre. Nachdem jedoch, wie der Finanzminister und der Minister des Inneren übereinstimmend bemerkten, einerseits die formelle Legalität der in Rede stehenden Landtagsartikel nicht wohl bestritten werden kann und dieselben so lange als bestehend anerkannt werden müssen, als sie nicht durch die Reichsverfassung oder durch spätere Gesetze aufgehoben oder abgeändert werden, nachdem ferner andererseits die Aufhebung der Avitizität, über die im Lande selbst der Stab gebrochen, durch zweijährige Einstellung der Avitizitätsprozesse selbst faktisch zur Geltung gekommen ist, so vereinigte man sich in der Ansicht, der Ausarbeitung des Gesetzes die bestehende Aufhebung der Avitizität zum Grunde zu legen, ohne übrigens dabei des bezüglichen Landtagsartikels Erwähnung zu machen. aMinister Graf Thun ist der Meinung, daß die Frage, ob die von Se. Majestät Kaiser Ferdinand sanktionierten Landtagsbeschlüsse als gültig zu betrachten seien oder nicht, zwar keineswegs unter Berücksichtigung der Avitizitätsfrage allein entschieden werden könne, aber durchaus nicht unentschieden bleiben dürfe und daher zum Gegenstande einer eigenen gründlichen Beratung gemacht werden solltea Minister Graf Thun ist der Meinung, daß die Frage, ob die von Se. Majestät Kaiser Ferdinand sanktionierten Landtagsbeschlüsse als gültig zu betrachten seien oder nicht, zwar keineswegs unter Berücksichtigung der Avitizitätsfrage allein entschieden werden könne, aber durchaus nicht unentschieden bleiben dürfe und daher zum Gegenstande einer eigenen gründlichen Beratung gemacht werden sollte,6

Ad 2. schlug der Justizminister den Grafen Anton Majláth und Deák vor. Da jedoch gegen den erstern wegen dessen Verharrens beim ungrischen Landtage bis zum|| S. 310 PDF || Jänner 1849 vom Ministerpräsidenten Einsprache getan wurde und auch der Minister des Inneren dem Deák vor Majláth den Vorzug gab, weil er, ohne solche Verpflichtungen gegen den Allerhöchsten Hof wie Majláth gehabt zu haben, sich doch früher von der revolutionären Regierung zurückzog, so erklärte der Justizminister, seinen Antrag wegen Majláths fallen lassen und sich auf Deák beschränken zu wollen7.

IV. Gegenadresse von 24 Altkonservativen

Eine vom Justizminister mitgeteilte Anfrage, ob das Ministerium dagegen wäre, wenn als Entgegnung auf die Sr. Majestät von 20 [richtig 24] sogenannten altkonservativen Magyaren überreichte Adresse eine Gegenadresse zustande gebracht würde, wäre nach der Bemerkung des Ministerpräsidenten dahin zu beantworten, daß das Ministerium in dieser Beziehung den Proponenten freie Hand lasse8.

V. Unterstützung der griechischen-orthodoxen Kirche im Temescher Banat und der serbischen Woiwodschaft

Zur Unterstützung der griechischen Kirche in der Woiwodschaft ist im Ministerrate vom 30. v. [M.] sub III. die Verwendung des Bukowiner griechisch-nichtunierten Religionsfonds in Antrag gekommen9.

Nach der über dessen Stand eingeholten Auskunft besteht dessen Vermögen bloß in Gütern oder Staatspapieren, welche, wenn der Vorschuß gegeben werden soll, belastet oder veräußert werden müßten. Damit das Stammkapital nicht angegriffen werde, trug der Minister des Inneren bei der Dringlichkeit der Sache auf Erteilung eines Vorschusses von 500.000 f. aus dem Staatsschatze an, weil, wenn nicht zeitlich Hilfe geschaffen wird, die beabsichtigten Sammlungen in Rußland eingeleitet und hierdurch dieser Macht, die uns auch in Siebenbürgen durch Ordensverleihungen an die Führer der romanischenb Partei zuvorgekommen ist, ein bedenklicher Einfluß auf die Griechen der südlichen Länder der Monarchie offengelassen werden würde10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 23. April 1850.