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Nr. 301 Ministerrat, Wien, 18. März 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Schwarzenberg 20. 3.), Krauß 20. 3., Bach 24. 3., Schmerling 20. 3., Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer 20. 3., Degenfeld 20. 3.; abw. Gyulai, Stadion.

MRZ. 1074 – KZ. 900 –

Protokoll der am 18. März 1850 zu Wien in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät abgehaltenen Ministerratssitzung.

I. Ungarische Flüchtlinge in der Türkei

Der Ministerpräsident entwickelte in einem längeren Vortrage die verschiedenen Phasen der Verhandlungen mit der Pforte wegen Auslieferung der geflüchteten ungarischen und polnischen Rebellen1.

Diese Unterhandlungen haben zu dem Endresultate geführt, daß die Pforte die Auslieferung zwar nicht zugestehen zu können erklärt, aber dagegen bereit ist, die Rebellen durch ein Jahr, bis Ende 1850, in das Innere des Reiches zu konfinieren und sie erst nach Verlauf desselben mit Zustimmung Österreichs freilassen will. Dieser Antrag enthält allerdings nicht die bestimmte Erklärung, daß die Pforte, wenn die Zustimmung Österreichs nicht erfolgt, sie noch länger konfinieren wird. Österreichischerseits hatte man die Festsetzung einer dreijährigen Konfinierung begehrt. Es fragt sich nun, ob man den türkischerseits gemachten Vorschlag annehmen und auf dessen Grundlage ein Übereinkommen schließen soll, oder ob auf die Erfüllung der diesseitigen Begehren gedrungen werden soll.

Der k.k. Internuntius äußerte, daß, wenn man das letztere beabsichtigt, kein anderer Weg erübrige, als eine drohende Sprache zu führen und ernste Maßregeln in Aussicht zu stellen. Graf Stürmer fügt bei, daß, wofern man zu einem solchen Schritte, dessen Erfolg keineswegs verbürgt werden kann, nicht geneigt wäre, es am rätlichsten sein dürfte, das Übereinkommen ohne Festsetzung eines bestimmten Konfinierungstermins abzuschließen und die Zustimmung Österreichs zur Freilassung der Rebellen im allgemeinen vorzubehalten2.

Der Ministerpräsident wies vor allem nach, daß Österreich durch die unerwartete Nachgiebigkeit Rußlands in der Flüchtlingsfrage sich in einer ungünstigen isolierten Stellung befinde, zumal die Pforte wohl weiß, daß die kaiserliche Regierung wegen dieser Angelegenheit keinen Krieg eröffnen wird. Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, daß bei der Unterbrechung aller Handels- und Verkehrsverbindungen zwischen Österreich und der Türkei der bei weitem größere Nachteil auf unserer Seite sein und dies für England, Frankreich, Belgien ein sehr erwünschter Anlaß sein würde, dem österreichischen Handel,|| S. 223 PDF || der infolge der ungarischen Revolution bereits sehr viel Boden im Orient verloren hat, von den levantinischen Handelsplätzen gänzlich zu verdrängen. Fürst Schwarzenberg halte es unter diesen Umständen für das klügste, das vom Grafen Stürmer vorgeschlagene Auskunftsmittel zu ergreifen und denselben zu autorisieren, die diplomatischen Verbindungen wieder anzuknüpfen, wenn die Pforte auf ein so geartetes Übereinkommen eingeht. Das praktische Resultat werde am Ende dasselbe sein; indem Österreich seinerzeit, wenn die Türken die Aufhebung der Konfination zur Sprache bringen, dagegen remonstrieren kann, und es jedenfalls in der Macht der Pforte steht, selbst einen stipulierten mehrjährigen Termin indirekte auf faktischem Wege dadurch zu kürzen, daß sie das Entkommen der Konfinierten nicht verhindert3.

In Erwägung dieser Verhältnisse, dann des Umstandes, daß der bei weitem größte Teil der Flüchtlinge für die Ruhe Österreichs nicht sehr gefährlich werden kann und man denselben eine allzugroße Wichtigkeit beilegen würde, wenn deren Konfinierung zu einer Hauptfrage der österreichischen Politik erhoben werden sollte, vereinigte sich der Ministerrat einstimmig mit dem Antrage des Ministerpräsidenten, und Se. Majestät geruhten demselben auch sofort die Ah. Genehmigung zu erteilen.

Fürst Schwarzenberg wird daher eine Depesche an den k.k. Internuntius in diesem Sinn erlassen und dabei in sehr entschiedenen Ausdrücken die gegründeten Ansprüche Österreichs verwahren4.

II. Besetzung der Festung Ulm

Der Ministerpräsident eröffnete hierauf, es sei ihm auf ganz konfidentiellem Wege eine Aufforderung zugekommen, daß die Festung Ulm durch österreichische Truppen besetzt werde, doch solle diese Maßregel als ein motu proprio Österreichs erscheinen5. Fürst Schwarzenberg würde jedoch ein solches Einschreiten, ohne offizielle Aufforderung von kompetenter Seite weder staatsrechtlich gerechtfertigt, noch, wegen der Konsequenzen, welche sich unfehlbar daraus ergeben würden, in politischer Hinsicht für rätlich halten. Dieser Meinung wurde allseitig beigepflichtet, wobei Minister v. Schmerling darauf hindeutete, daß vielleicht eine Aufforderung azu diesem Schrittea an Österreich von Seite der Frankfurter Bundeszentralkommission hervorgerufen werden könnte6.

III. Behandlung der aus dem Pensionsstande und der ohne Charakter quittierten in das ungarische Rebellenheer eingetretenen Offiziere

Der Stellvertreter des Kriegsministers brachte die in Ungarn stattfindenden kriegsrechtlichen Behandlungen derjenigen Rebellen zur Sprache, welche aus dem Militärpensionsstande in das revolutionäre Heer eingetreten sind oder welche ohne Charakter quittierte k.k. Offiziers waren. Der Justizsenat des Kriegsministeriums halte die kriegsrechtliche Behandlung solcher Individuen mit Hinblick auf die in der Ah. Entschließung vom 29. August 1849 zugestandene Amnestie nicht für gerechtfertigt7, und auch Graf Degenfeld glaube, daß derlei Exoffiziers, wo nicht ganz straflos zu lassen, doch wenigstens weit gelinder zu behandeln sein dürften, als die aus den Reihen der k.k. Armee übergetretenen. Es würde daher nur der Billigkeit entsprechen, die bereits gefällten, zum Teil sehr strengen Urteile dieser Art im Wege der Ah. Gnade zu mildern, für die Zukunft aber derlei Aburteilungen ein Ziel zu setzen.

Der Minister des Inneren , hiermit völlig einverstanden, bemerkte noch, daß der Revers der ohne Militärcharakter quittierten Offiziers im Grunde keine andere und größere Verpflichtung auferlege, als die jeder Staatsbürger als solcher hat, nämlich nicht gegen sein Vaterland zu dienen. Die Unterzeichnung eines solchen Reverses könne daher nicht als ein besonderes Strafmotiv betrachtet werden.

Se. Majestät der Kaiser geruhten die Erstattung eines Vortrages in dieser Angelegenheit anzubefehlen8.

IV. Unterbringung der Festungsarrestanten in Böhmen

Der Stellvertreter des Kriegsministers eröffnete, daß bei der stets wachsenden Zahl von Sträflingen in den Militärstrafanstalten nichts erübrigen werde, als eine Kaserne in einer böhmischen Festung für die Aufnahme von Festungsarrestanten zu adaptieren9.

Dagegen ergab sich keine Erinnerung, und Se. Majestät geruhten aus diesem Anlasse den Auftrag zu erteilen, daß ein Verzeichnis aller Sträflinge, nach Kategorien gesondert, verfaßt werde, um den Stand besser zu überblicken und hinsichtlich der Aufbewahrung der einzelnen angemessene Beschlüsse fassen zu können10.

V. Universitätserrichtung in Siebenbürgen

Der Minister des Unterrichts brachte die Frage über die Zulässigkeit der Errichtung einer Universität in Hermannstadt zur Sprache11. Graf Thun würde darin ein wesentliches Mittel erblicken, die höheren Studien in Siebenbürgen, welche jetzt sehr schlecht bestellt sind, durch Beseitigung der vielen kleinen Akademien zu heben.|| S. 225 PDF ||

In Erwägung jedoch, daß die nationalen und konfessionellen Verschiedenheiten der Konzentrierung aller höheren Studien für Siebenbürgen in einer Stadt wesentliche Schwierigkeiten in [den] Weg stellen, daß die Aufhebung der verschiedenen Akademien zahlreiche Interessen verletzen und die Wahl Hermannstadt ebenfalls bei Ungarn und Romanen einen ungünstigen Eindruck hervorbringen würde, wurde beschlossen, dem nach Siebenbürgen vom Unterrichtsministerium abzusendenden Kommissär bloß im allgemeinen den Auftrag zu erteilen, zu erheben, ob und wie daselbst eine Vereinigung der höheren Studien zu einer Universität zu erzielen wäre12.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 26. März 1850.