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Nr. 286 Ministerrat, Wien, 22. Februar 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 23. 2), Krauß 25. 2., Bach 23. 2., Gyulai 25. 2., Schmerling 23. 2., Bruck, Thinnfeld 23. 2., Thun, Kulmer 23. 2.; abw. Stadion.

MRZ. 754 – KZ. 640 –

Protokoll der am 22. Februar 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Entschädigungsgesuch zweier ungarischer Fruchthändler

Der Justizminister Ritter v. Schmerling brachte folgenden, von dem Finanzministerium an denselben gelangten Gegenstand zum Vortrage: Die Getreidehändler Georg Fischer und Gebrüder Fischer von Raab ließen im Spätherbst 1848 zwei Schiffe mit Banater Weizen von Szegedin nach Szolnok transportieren, um denselben von dort nach Wieselburg führen zu lassen. Die Schiffe überwinterten in Szolnok und wurden, als die österreichischen Truppen diesen Ort besetzten, mit Beschlag belegt, jedoch, nachdem sich die Eigentümer über ihr Eigentumsrecht ausgewiesen, auf Befehl des österreichischen Generalkommandos wieder freigegeben1.

Nach dem Rückzuge der österreichischen Truppen im Frühjahre 1849 wurde Szolnok von den Rebellen besetzt; der ungarische Regierungskommissär Halasy ließ die erwähnten zwei Getreideschiffe (mit noch 15 anderen Getreideschiffen, im ganzen 90.000 Metzen) nach Fegyvernek ziehen, wo sie auf Kossuths Befehl im Namen des Staates mit Beschlag belegt wurden. Nach mehren Wochen (im Mai 1849) ließ ihnen der ungarische Finanzminister Duschek sagen, daß er dieses Getreide für den Staat kaufen wolle, und setzte zugleich einen Minimalpreis fest, um welchen diese Früchte übernommen werden würden. Diesen Preis fanden die Eigentümer zu gering, worüber denselben bedeutet wurde, daß, wenn sie das Getreide nicht um diesen Preis hergeben, es ihnen die Regierung so wegnehmen werde.

Hierauf wurde am 26. Mai 1849 der Vertrag über den Verkauf dieser Früchte abgeschlossen und den Getreidehändlern Fischer a conto ihrer Forderung ein Teil des Betrages bar ausgezahlt, für den Rest aber eine Anweisung auf das Generalzahlamt, am 12. August 1849 zahlbar, ausgestellt.

Die in Rede stehenden Früchte wurden bei dem Vordringen der österreichischen Armee als Gut der Insurgentenregierung mit Beschlag belegt. Nun reklamierten die Fruchthändler die noch unverwendet vorhandenen Früchte als ihr Eigentum. Sowohl die von dem Generalkommando und Armeeoberkom­missariate hierüber niedergesetzte Kommission als auch der Oberlandes­kommissariatsdirektor Babarczy sprachen die Ansicht aus, die den Getreidehändlern Fischer bereits bar bezahlten Fruchtquantitäten seien als|| S. 155 PDF || reines Ärarialgut zu betrachten, die übrigen, bisher noch unbezahlten Quantitäten, dagegen seien den Reklamanten als ihr Eigentum auszufolgen. Der Causarum-Regalium-Direktor v. Eötvös äußerte sich dahin, daß juridisch genommen der Kauf und respektive Verkauf vollzogen, das Getreide in das Eigentum der Insurgentenregierung übergegangen, somit als eine Beute der kaiserlichen Armee anzusehen sei, daß also die Verkäufer mit ihren Anweisungen in die Kategorie der durch die Insurgenten beeinträchtigen Parteien gehören, somit, soweit man nicht aus Billigkeitsrücksichten eine mildere Behandlung derselben eintreten lassen wolle, ihre Schadloshaltung nur aus dem Fonds erhalten dürften, der aus dem Vermögen der verurteilten Rebellen gebildet werde. Sowohl das Landesmilitärkommando als auch die Ministerien des Krieges und der Finanzen, das letztere nach Vernehmung der hiesigen Kammerprokuratur, schlossen sich dieser Ansicht des Causarum-Regalium-Direktors an, die beiden letzteren vorzüglich aus Besorgnis einer für das Ärar nachteiligen Exemplifikation.

Nach der Ansicht des Justizministers ist es vom rein juridischen Standpunkte aus und unter der Voraussetzung, daß der fragliche Kaufvertrag von beiden Teilen freiwillig abgeschlossen worden, allerdings richtig, daß das Getreide als in das Eigentum der Insurgenten übergegangen, somit als eine Beute der österreichischen Armee anzusehen ist, deren Rückstellung die Verkäufer nicht mehr zu fordern berechtigt sind; denn der Verkauf erscheint als vollkommen abgeschlossen, die Ware wurde übergeben und der Preis zum Teil im Baren, zum Teil in Anweisungen ausgezahlt. Allein, im vorliegenden Falle ist die höchste Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß der Verkauf des Getreides infolge des gegen die Fruchthändler Fischer ausgeübten moralischen Zwanges geschah und daß es sonach, wenn nicht eine entschiedene Ungerechtigkeit, doch die größte Unbilligkeit von Seite der österreichischen Regierung wäre, wenn sie aus diesem Akte der rebellischen Regierung gegenüber den Fruchthändlern einen Vorteil ziehen wollte, wobei auch zu berücksichtigen komme, daß es sich hier nicht um das Beuterecht gegenüber Angehörigen eines auswärtigen Staates, sondern um Anwendung desselben auf Angehörige des eigenen Staates handle, wobei sie den Schein des Eigennutzes vermeiden müsse. Wenn auch der Justizminister dafür hält, daß zur Vermeidung einer für das Ärar nachteiligen Exemplifikation die vom Causarum-Regalium-Direktor aufgestellte Rechtsansicht in der an die Reklamanten zu erteilenden Erledigung festgehalten werden müsse, so glaubt er doch in Berücksichtigung der Zwangslage, unter welcher das Geschäft geschlossen wurde, daß die angetragene billigere Ansicht zur Ausführung zu bringen sei, nämlich, daß den Bittstellern nur die durch eine natürlich uneinlösbare Geldanweisung der ungarischen Regierung gedeckten Getreidequantitäten zurückgestellt oder von Seite des Ärars gegen eine den gegenwärtigen Preisverhältnissen (vorausgesetzt, daß dieselben das Ärar nicht noch mehr belasten würden, als der vertragsmäßige Preis) entsprechende Bezahlung übernommen werden.

Der Ministerrat erklärte sich durch Stimmenmehrheit mit diesem Antrage einverstanden, und nur der Minister des Inneren aund des Krieges, obwohl auch sie die Billigkeit dieser Erledigung nicht verkannten, glaubtena und des Krieges , obwohl auch sie die Billigkeit dieser Erledigung nicht verkannten, glaubten dagegen das prinzipielle Bedenken|| S. 156 PDF || geltend machen zu sollen, daß, wenn wir die Verbindlichkeit der gewesenen rebellischen ungarischen Regierung in einem Falle anerkennen, wir auch nicht werden umhin können, es auch in anderen Fällen zu tun. Auf diese Art müßten wir auch die Kossuthnoten, welche für Dinge ausgegeben wurden, die in unseren Besitz gelangt sind, z.b. für das Kriegsmateriale etc., vergüten, was wegen der Konsequenzen zu fürchten sei2.

II. Begnadigung einiger Sträflinge

Derselbe Minister [der Justizminister ] brachte weiters zur Kenntnis des Ministerrates, daß sich in den Straforten Spielberg und Gradiska mehrere Individuen befinden, die bereits 36, 27 und über 20 Jahre im Kerker sind. Es sind Leute, die wegen Raubes zu einer lebenslänglichen Kerkerstrafe verurteilt worden sind. In der neueren Zeit habe sich aber bei dem Obersten Gerichtshofe die Praxis herausgebildet, die Leute wegen solcher Verbrechen nicht mehr zum lebenslänglichen Kerker, sondern höchstens auf 20 Jahre zu verurteilen, ja, es wurden selbst Leute wegen vollbrachten Mordes nur zu 20 Jahren Kerkerstrafe verurteilt. Bei der letzten Anwesenheit in Brünn habe der Justizminister auch die dortige Strafanstalt Spielberg besichtiget, und der Direktor der Anstalt habe bei diesem Anlasse mehrere der erwähnten Sträflinge sehr warm mit dem Beisatze empfohlen, daß sie ihrer guten Aufführung wegen der Ah. Gnade nicht unwürdig sein dürften. Es würde auch, bemerkte derselbe, für die Aufrechthaltung der Disziplin in der Strafanstalt von der besten Wirkung sein, wenn Leute, die sich in der Strafe gut aufführen, einen Lohn für dieses Betragen empfangen würden, indem sonst, wenn sie keine Erlösung zu hoffen hätten, jede Disziplin für sie unwirksam sein müßte. Unter den bezeichneten Individuen sei ein Galizianer, der 72 Jahre alt ist und bereits 36 Jahre sitzt. Dieser habe noch zwei Schwestern, Bäuerinnen, welche bereit wären denselben zu erhalten. Einige von ihnen haben Handwerke bis zur Meisterschaft erlernt und können sich durch dieselben ehrlich fortbringen. In Gradiska befinde sich ein Sträfling, der seit 14 Jahren wahnsinnig und blind ist, welcher offenbar nicht in eine Strafanstalt, sondern in ein Irren- oder Versorgungshaus gehört.

Der Justizminister gedenkt, diese Individuen der Ah. Gnade Sr. Majestät für die Nachsicht der weiteren Strafe zu empfehlen, womit sich der Ministerrat einverstanden erklärte3.

III. Wirkungskreis der Bezirksgerichte

Als die Grundzüge der Gerichtsorganisation im Mai v.J. beraten wurden, hatte sich der Ministerrat gegen die Ansicht des damaligen Justizministers Dr. Bach dahin geeiniget, daß der Wirkungskreis der Bezirksgerichte auf dem Lande und in der Stadt verschieden sein solle. Während man den Wirkungskreis der Bezirksgerichte auf dem Lande, somit der Einzelnrichter, unbeschränkt ließ, bei welchen also Klagen ohne Rücksicht auf den Betrag angebracht werden können, wurde der Wirkungskreis der Bezirksgerichte in den Städten auf den Betrag von 500 fr. beschränkt. Man machte für die Ansicht geltend,|| S. 157 PDF || daß es in Italien und in der ganzen Monarchie, wo lf. Gerichte waren, so gehalten werde4.

Der Justizminister Ritter v. Schmerling bemerkte, daß, wenn die Grundzüge der Gerichtsorganisation in der erwähnten Art durchgeführt würden, die Bestimmung, den Kassationshof als Zentralpunkt der Justiz zu benützen5, ganz verloren ginge, indem die Rekurse selbst in den wichtigsten Angelegenheiten in der dritten Instanz nur bis an das Oberlandesgericht gingen. Bei den Beratungen über die Einführung der Gerichtsorganisation in Ungarn stimmten alle Glieder dafür, den Wirkungskreis der Stuhlrichter nicht unbeschränkt zu lassen, sondern ihn auf 500 fr. zu limitieren und die Klagen über 500 fr. an die Landesgerichte zu verweisen. Für Kroatien wollte man noch weiter gehen, alle Prozesse den Kollegialgerichten reservieren und dem Einzelnrichter nur die Instruktion überlassen, bis man sich endlich über 500 fr. als den Wendepunkt einigte. Die Kommission aus Dalmatien, die dortigen Prätoren, Advokaten und Notare stimmten dafür, daß über bedeutendere Prozesse collegialiter beraten werde. Aus Italien war die Äußerung in demselben Sinne, auch dort will man, daß die Landpräturen auf dasselbe Maß, wie die Stadtpräturen angewiesen werden.

Der Justizminister findet diese Rücksichten beachtenswert und würde es als eine große Unzukömmlichkeit erkennen, wenn die allerwichtigsten Fälle nicht bis zum Obersten Gerichtshofe gelangten; auch wäre es nach seiner Meinung beinahe unmöglich, eine Jurisdiktionsnorm festzustellen, wenn zwei oder drei Instanzen nebeneinander laufen. Nach seiner Ansicht wäre daher auf den ursprünglichen Antrag zurückzukommen, und er gedenkt Se. Majestät unter Anführung der tatsächlichen Verhältnisse um die Ermächtigung zu bitten, in den Grundzügen der Gerichtsorganisation die Änderung vorzunehmen, daß der Wirkungskreis der Bezirksgerichte auf dem Lande und in der Stadt gleich sei und auf 500 fr. beschränkt werde.

Mit diesem Antrage erklärte sich der Ministerrat einverstanden. Der Minister Ritter v. Thinnfeld glaubte nur, daß der Betrag für die Bezirksgerichte auf dem Lande und in der Stadt mit 1000 fr. festzusetzen wäre6.

IV. Gerichtssiegel für Ungarn

Hierauf brachte der Justizminister die Gerichtssiegel für Ungarn mit dem Beisatze zur Sprache, daß über die für dieselben zu wählende Sprache dreierlei Anträge vorliegen: a) die ganz neutrale Sprache, die lateinische zu wählen, welche überall verstanden werde, lange in Ungarn üblich war und keine Nationalität beleidige; b) die Sprache zu wählen, welcher die Mehrzahl der Bewohner angehören, und c) wo mehrere Nationalitäten bestehen, mehrere Amtssiegel mit so vielen Umschriften anfertigen zu lassen, als Nationalitäten bestehen, und da die Erledigung in jener Sprache erfolgt, in welcher die Eingabe verfaßt wurde, so wäre auch das entsprechende Amtssiegel zu gebrauchen.|| S. 158 PDF ||

Diese dritte Alternative (welche Baron Geringer für die politischen Behörden in Ungarn in Anwendung brachte) schiene dem Justizminister die beste und der friedlichste und harmloseste Weg zu sein, alle Nationalitäten zu befriedigen.

In Mähren, wurde weiter bemerkt, habe Graf Lažanzký die Umschrift auf demselben Amtssiegel in den beiden Landessprachen anbringen lassen. Dieser Modalität würde man den Vorzug vor den mehreren Siegeln einräumen. Da jedoch in den meisten Distrikten in Ungarn drei Nationalitäten nebeneinander wohnen, so wird der Justizminister sich noch vorläufig mit einem Graveur besprechen, ob drei verschiedene Umschriften auf einem und demselben Siegel angebracht werden können, und diesen Gegenstand neuerdings in Anregung bringen7.

Was das Wappen auf den Gerichtsiegeln anbelangt, so wurde beschlossen, nur das österreichische Wappen in der Mitte anbringen zu lassen8.

V. Errichtung einer Sektion im Finanzministerium für die Angelegenheiten des ungarischen Grundsteuerprovisoriums

Mit Beziehung auf die in dem Ministerratsprotokolle vom 19. d.M. besprochene Einführung des Grundsteuerprovisoriums in Ungarn9 brachte schließlich der Finanzminister Freiherr v. Krauß die zur Leitung dieses Unternehmens erforderlichen Maßregeln in Antrag.

Er bemerkte, daß er sich diesfalls mit Baron Geringer beraten und dieser sich gegen das Ansinnen des Steuerreferenten des Finanzministeriums, daß dieses Geschäft von ihm (Baron Geringer) in Pest zu leiten wäre, verwahrt und erklärt habe, es sei notwendig, daß die Zentralleitung hierorts bestehe, weil es sich bei dem Grundsteuerprovisorium nicht bloß um Ungarn, sondern auch um die Woiwodschaft und das Banat, um Kroatien und Siebenbürgen handeln werde, daß für diese Länder die Zentralleitung diesfalls hier sein müsse und daß es sich um schnelle Durchführung handle, für welche er bei seiner Geschäftsüberhäufung nicht das Erforderliche tun könnte.

Der Finanzminister erkennt diese Gründe als vollwichtig an, gedenket für dieses Geschäft in seinem Ministerium eine eigene Sektion zu errichten und derselben, wenn der Ministerrat einverstanden ist, den Szögyényi vorzusetzen, einen Mann, der im politischen Fache lange gedient hat und alle zu dem gedachten Posten erforderlichen Eigenschaften besitzt. Bevor aber Baron Krauß diese Angelegenheit Sr. Majestät vorträgt, will er noch vorläufig den Szőgyény darüber vernehmen, wozu er sich die Zustimmung des Ministerrates erbittet.|| S. 159 PDF ||

Der Ministerrat erklärte sich einstimmig sowohl mit der angetragenen Sektion im Finanzministerium für das gedachte Geschäft als mit der beabsichtigten Leitung desselben durch Szőgyény, wenn er sich zur Übernahme derselben bereit erklärt, einverstanden10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 26. Februar 1850.