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Nr. 255 Ministerrat, Wien, 16. Jänner 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 16. 1.), Krauß 17. 1., Bach 18. 1., Gyulai 17. 1., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 19. 1., Thun, Kulmer 19. 1.; abw. Stadion.

MRZ. 209 – KZ. 147 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 16. Jänner 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Behandlung der Wiener Freiwilligen

Der Minister des Inneren eröffnete im Nachhange zu seiner gestern (Prot. Nr. III) gemachten Mitteilung, daß die Mannschaft der aufgelösten Wiener Freiwilligenbataillons, ohne Wien zu berühren, nach Mauer gebracht und dort der beabsichtigten Behandlung werde unterzogen werden1.

II. Funktionszulage für Julius Freiherr v. Haynau

Der Kriegsminister referierte über das ihm von Sr. Majestät zur Vergutachtung zugestellte Einschreiten des FZM. und Armeekommandanten in Ungern Baron Haynau, worin derselbe aus Anlaß der mit Ah. Entschließung vom 26. Juli 1849 erfolgten Festsetzung der Gebühren für den Zivil- und Militärgouverneur von Siebenbürgen2 eine angemessene Funktionszulage auch für sich, gleichsam als Stellvertreter des Palatins, für die Leitung der Zivilverwaltung in diesem Königreiche in Anspruch nimmt.

Nachdem Baron Haynau im ganzen bereits 26.000 fr. bezieht, auch nicht wie Baron Wohlgemuth in Siebenbürgen Zivil- und Militärgouverneur, sondern nur Armeekommandant und mit der Handhabung des Ausnahmszustandes in Ungern beauftragt ist, mithin auf die Zivilverwaltungsangelegenheiten nur insofern Einfluß zu nehmen hat, als sie den Ausnahmszustand berühren, nachdem endlich von einer Stellvertretung des Palatins dermal keine Rede sein kann, erachtete der Ministerrat, daß in diesen Daten Anhaltspunkte liegen dürften, auf das Begehren Haynaus nicht einzugehen3.

III. Entfernung des Carl Grafen Pachta von Mailand

Der Justizminister brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß zuverlässigen Briefen zufolge der mit Ah. Entschließung vom 17. Oktober 1849 pensionierte Graf Pachta fortfährt, in Mailand zu fungieren.

Der Minister des Inneren wird hierüber das nähere ämtlich erheben lassen, um Pachtas Entfernung einzuleiten4.

IV. Eingabe der im vorigen Jahr in Wien abgehaltenen Bischofsversammlung

Der Kultusminister nahm den gestern abgebrochenen Vortrag über die Eingabe der vorjährigen Bischofsversammlung in Wien an das Ministerium wieder auf5.

Nachdem derselbe dem gestrigen Beschlusse gemäß eine Übersicht der nach Kategorien geschiedenen Punkte und Begehren der Bischöfe vorausgeschickt hatte, begann die Beratung über diejenigen, welche nach dem Erachten des Ministers des Kultus schon gegenwärtig durch Beseitigung der entgegenstehenden beschränkenden Vorschriften nach dem Wunsche der versammelten Bischöfe abgetan werden könnten.

Hierzu rechnete der Minister 1. den in dem Hefte „Aktenstücke, die bischöfliche Versammlung zu Wien betreffend“ sub XI, p. 52 I, vorkommenden Punkt über den freien Verkehr der Bischöfe und Gläubigen mit dem Papste in geistlichen Dingen. „Die Bischöfe“, heißt es darin, „setzen voraus, daß durch § 2 der Grundrechte die Hemmnisse, welche ihrem Verkehre mit dem Heiligen Stuhle bisher im Wege standen, vollständig gehoben seien und weder für sie noch für die ihnen unterstehenden Gläubigen fernerhin eine Schwierigkeit obwalten werde, sich in geistlichen Dingen an den Papst zu wenden oder die Entscheidungen und Anordnung desselben zu empfangen.“ Von der Überzeugung geleitet, daß bei der gegenwärtigen beabsichtigten Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse aus den die Beziehungen der Kirche zum Staate festsetzenden Bestimmungen alles dasjenige ausgeschieden werden müsse, was der freien Entwicklung des kirchlichen Lebens hinderlich, ohne Nutzen für Kirche und Staat und sowohl nach den heutigen Begriffen über die Freiheit in Glaubenssachen als nach den dem Staate zu Gebote stehenden Mitteln nicht mehr haltbar ist, würde der Kultusminister seinen Antrag dahin stellen, daß die Gesetze über das Placetum regium6, welche den Verkehr der Bischöfe und Gläubigen mit dem Heiligen Stuhle in geistlichen Dingen beschränken, aufgehoben und die Bischöfe aufgefordert werden, die Regierung von ihrer zugleich das Forum externum berührenden Korrespondenz mit Rom in der Kenntnis zu erhalten, endlich, daß ihnen freigestellt werde, dabei auch vorläufig die Genehmigung der Regierung in solchen Angelegenheiten einzuholen, wo sie derselben im voraus versichert sein wollen.

Der Finanzminister fand sich zu folgenden Bemerkungen veranlaßt: Vorerst müsse er die Voraussetzung der Bischöfe bestreiten, als ob durch den § 2 der Grundrechte an der bisherigen Kirchenverfassung etwas geändert worden sei7. Dies sei, seines Erachtens, nicht der Fall, sondern dieser Paragraph sage nur, daß die weltliche Macht auf die Angelegenheiten einer gesetzlich anerkannten Kirche keinen Einfluß zu nehmen habe, der nicht schon in ihrer Einrichtung gelegen ist. So wenig dem von der protestantischen Kirche anerkannten Grundsatze, daß das Staatsoberhaupt auch Oberhaupt der protestantischen Kirche im Staate ist, durch den § 2 derogiert worden, ebenso wenig ist an|| S. 33 PDF || der durch tausendjährigen Bildungsprozeß fest gestalteten Verfassung der katholischen Kirche in der österreichischen Monarchie etwas geändert worden. Dabei sei noch das zweifache Verhältnis zu berücksichtigen, in welchem sich die katholische Kirche in den beiden Hauptteilen der Monarchie nach und nach gestaltet habe, in den ehemals zum deutschen Reiche gehörigen Ländern, dann in Ungern. Dort haben die Kaiser seit Jahrhunderten für die Rechte des Landesfürsten in publico-ecclesiasticis gestritten und sie behauptet; andere, namentlich Kaiser Ferdinand II. hat mit Erfolg die katholische Kirche verteidigt. In Ungern hat der heilige Stephan, dem bekanntlich die Wahl zwischen der griechischen und lateinischen Kirche freistand, durch seinen Übertritt zur letztern als rex apostolicus Vorrechte erworben, die gleich jenen in den deutschen Landen einen Bestandteil der Kirchenverfassung bilden. Teils vertragsmäßige Bestimmungen zwischen weltlichen und kirchlichen Oberhäuptern, teils das alte Herkommen haben also die in der österreichischen Monarchie bestehende Kirchenverfassung ausgebildet. Insoferne es nun sich darum handelt, Rechte des Landesfürsten, die er bisher quoad sacra geübt, und die, wie das Placet bezüglich der Korrespondenz nach und von Rom, von Maria Theresia, einer der frömmsten der österreichischen Herrscher, gehandhabt worden, aufzugeben, schiene es dem Finanzminister doch vor allem notwendig zu sein, daß man genau wisse, ob solche bisher ausgeübten Rechte wirklich in der Kirchenverfassung begründet sind oder nicht. Es müsse also vorerst eine vollständige Darstellung des ganzen Umfangs der wirklich bestehenden Kirchenverfassung vorliegen, ehe man zur Ausscheidung und Aufgebung einzelner bisheriger Bestimmungen schreiten könnte. Alsdann möge allerdings dasjenige ausgeschieden werden, was nach der Kirchenverfassung nicht zu Recht besteht; was aber rechtlich begründet ist, könne nicht einmal, außer im verfassungsmäßigen Wege, aufgegeben werden.

Der Kultusminister glaubte dagegen, daß eine zu diesem Ende notwendige, umfassende wissenschaftliche Deduktion des gesamten österreichischen Kirchenrechts zu weit führen auch bezüglich vieler Punkte nicht notwendig sein würde, da man deren Unhaltbarkeit selbst erkennen müsse. Unter diese gehören nun auch die bisherigen Beschränkungen in dem Verkehre mit Rom, deren Aufrechthaltung kaum mehr in der Macht der Regierung gelegen ist, deren Beseitigung dagegen ein regeres Leben der Kirche erwecken und ein einheitliches Kirchenrecht für Österreich vermitteln würde. Das freiwillige Aufgeben solcher Beschränkungen würde dann auch die Erreichung des Hauptzwecks bei einem dereinst abzuschließenden Konkordate erleichtern.

Der Minister des Inneren , welcher bezüglich des Placetums zwischen den für die Akte der Investitur vorbehaltenen Fällen und jenen unterschied, welche bloß geistliche Angelegenheiten, Parteisachen, Dispensen etc. betreffen, war anfänglich der Meinung, daß, während für jene das Placetum ain Vorbehalt genommena werden müsse, in diesen – mit Aufgebung der bisher geübten Zensur – der Verkehr freizulassen sei, eine Meinung, die auch der Ministerpräsident und der Justizminister mit dem Bemerken teilten, daß gegen allfällige Ausschreitungen bei der Korrespondenz in geistlichen Dingen repressive Maßregeln in Anwendung gebracht werden könnten. Der Justizminister äußerte übrigens auch das Bedenken, ob, da bei der Versammlung der Bischöfe zwei|| S. 34 PDF || wichtige Bestandteile der Monarchie, Italien und Ungern, ersteres gar nicht, letzteres nur zum geringen Teile vertreten waren8, nicht eine nachträgliche Vernehmung der dortigen Bischöfe über die auf jener Versammlung verhandelten Gegenstände einzuleiten nötig sei.

In der Hauptfrage kam es indessen heute zu keinem Beschlusse, doch schienen die weiteren Bemerkungen des Finanzministers über die Unbestimmtheit des Ausdrucks „in geistlichen Dingen“, über die wohl zu beachtende doppelte Eigenschaft des Papstes als kirchlich und weltliches Oberhaupt, endlich der vom Grafen Thun berührte Fall, daß ein Bischof die Wahl seines Kapitularvikars der Regierung zwar angezeigt, bzugleich aber sich diesfalls unmittelbar an den päpstlichen Stuhl verwenden zu wollen erklärt habeb, der Meinung des Ministers des Inneren auch bezüglich des Placet bei Breven und Dispensen etc. eine andere Richtung gegeben zu haben, indem er sich, cbevor das unmittelbare Aufgeben desselben verfügt würde, vor allem für eine vorläufigec Zergliederung der Fälle erklärte, in welchen das Placetum regium zur Anwendung kommt9.

Ah. E. Ich haben den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 20. Jänner 1850.