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Nr. 246 Ministerrat, Wien, 5. Jänner 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser (bei I), Schwarzenberg (bei II); anw. Schwarzenberg, Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 6. 1.), Krauß 11. 1., Bach 7. 1., Gyulai 8. 1., Schmerling 7. 1., Bruck, Thinnfeld 7. 1., Thun, Kulmer 7. 1.; abw. Stadion.

MRZ. 47 – KZ. 20 –

Protokoll der am 5. Jänner 1850 zu in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät abgehaltenen Ministerratssitzung.

I. Strafprozeßordnung

Der Zweck der heutigen von Sr. Majestät Allerhöchstselbst angeordneten Sitzung ist die neuerliche Beratung einiger Punkte des unter KZ. 3986/1849 in Ah. Handen liegenden Entwurfes der neuen Strafprozeßordnung und des diesfälligen Einführungspatentes1. Gegen den Inhalt der Artikel 3 und 5 dieses Patentes ergab sich infolge der von dem Justizminister gegebenen Erläuterungen kein Anlaß zu einer weiteren Erinnerung. Über die von Sr. Majestät aufgeworfene Frage, ob es nicht angemessener wäre, die Bestimmung des Einführungspatents Art. 7 am wonach Hochverratsprozesse provisorisch bis zur Einführung des Reichsgerichts von Geschwornen zu entscheiden sein werden, ganz wegzulassen und das Reichsgericht als das verfassungsmäßige Forum für derlei Verbrechen sogleich zusammenzusetzen, äußerte der Justizminister , daß die Organisierung des Reichsgerichts noch nicht so weit gereift sei, um schon jetzt der Ah. Sanktion unterzogen zu werden; er zweifle jedoch nicht, daß dieses Gericht noch vor der Aktivierung der neuen Strafprozeßordnung ins Leben treten und somit der Fall, Hochverrats­prozesse durch Geschworne entscheiden zu lassen, faktisch gar nicht eintreten werde. Um jedoch, da dermal das Reichsgericht noch nicht besteht, formell keine Lücke in der Jurisdiktion über Verbrechen zu lassen, halte er es für notwendig, daß auch über die Kompetenz in Hochverratsfällen provisorisch etwas festgesetzt werde. Daß damit den Bestimmungen der Verfassung über die Kompetenz des Reichsgerichts nicht derogiert werde, verstehe sich von selbst. Übrigens könne, wie der Minister Bach bemerkte, in dem au. Einbegleitungsvortrage ausdrücklich noch auf das Reichsgericht hingewiesen werden.

Aus Anlaß einer von Sr. Majestät gemachten Bemerkung, daß auch Aufstand und Aufruhr, wenn in hochverräterischer Absicht unternommen, vor das Forum des Reichsgerichts gehören, und da es zweckmäßig erscheint, diese Bestimmung schon in dem vorliegenden Gesetze auszusprechen, damit die diesfalls bei Konstituierung des Reichsgerichts zu erlassenden Normen nicht als eine spätere Modifizierung des Strafprozesses und als eine Beschränkung in Anwendung der Jury erscheinen, so vereinigte sich der Ministerrat zu dem von Sr. Majestät genehmigten Beschlusse, adem Artikel VII A folgenden Vorbehalt einzufügen: “insofern selbe nicht, wegen des Zusammenhanges mit einer hoch- oder landesverräterischen Unternehmung durch das Gesetz dem Reichsgerichte zugewiesen werden. Der Absatz A 1 aber wird gänzlich gestrichen.a dem Artikel VII A folgenden|| S. 968 PDF || Vorbehalt einzufügen: “insofern selbe nicht, wegen des Zusammenhanges mit einer hoch- oder landesverräterischen Unternehmung durch das Gesetz dem Reichsgerichte zugewiesen werden. Der Absatz A 1 aber wird gänzlich gestrichen.

Zum § 23 des Prozeßordnungsentwurfes (ad d) geruhten Se. Majestät die Besorgnis zu äußern, daß die Grenzen der Wahlfähigkeit zu einem Geschworenen dort so weit gezogen sind, daß auch viele Individuen gewählt werden dürften, welchen die intellektuelle Bildung und Befähigung zu einem Geschwornen, wie er sein soll, völlig abgeht.

Der Justizminister erkannte, daß dies allerdings vorauszusehen sei; allein, die Bürgschaft, daß keine andern als Befähigte zum Amte eines Geschwornen wirklich berufen werden, liegt in der Bestimmung des § 35, wonach die Obmänner der Bezirksgemeindeausschüsse mit Zuziehung von Vertrauensmännern unter der Leitung des Bezirkshauptmannes aus den Urwahllisten diejenige Hauptliste der Geschwornen zu bilden haben, aus welchen die Jury durch das Los gezogen wird. Der Justizminister habe geglaubt, sich an die Bedingungen für die aktive Wahlfähigkeit zu den Landtagen und zum Reichstage halten zu sollen und nicht die Wahlkörper und Wahllisten ohne Not zu vervielfältigen.

Über die Bemerkung des Finanzministers , die Bedingung, daß man lesen und schreiben können müsse, um Geschworner zu sein, werde in Galizien beinahe die ganze ackerbauende Bevölkerung von der Jury ausschließen und dieselbe bloß aus Edelleuten, Mandataren, Winkelschreibern und Juden zusammen­setzen, äußerte der Justizminister , daß die Regierung sich über den Zeitpunkt und die Modalitäten der Einführung des Geschwornengerichts in Galizien den Beschluß ausdrücklich vorbehalten habe, bund daher, wenn überhaupt, das Geschwornengericht in jenem Kronland eingeführt wird, die dort nötigen Modifikationen des Strafprozesses eintreten werden.b

Zum § 62/65 geruhten Se. Majestät auf einen Schreibfehler (Beschuldigte statt Beschädigte) hinzuweisen, der sich in einige Exemplare eingeschlichen hat.

Die Bestimmung des § 110/114, daß cüber jede Verfügung des Untersuchungsrichtersc die Entscheidung des Bezirkskollegialgerichts eingeholt werden könne, und jene des § 111/115, daß Rekurse gegen Entscheidungen des Bezirkskollegialgerichts, wenn nicht Gefahr am Verzug haftet, eine aufschiebende Wirkung haben, veranlaßten Se. Majestät die Frage aufzuwerfen, ob dadurch nicht den Beschuldigten Mittel gewährt werden, die Untersuchung maßlos zu verlängern und zu hemmen, ja selbst sich der beschlossenen Verhaftung zu entziehen.

Der Justizminister äußerte, es sei unerläßlich, den Inquisiten auch Mittel zu gewähren, sich gegen ungesetzliches Verfahren des Untersuchungsrichters oder verkehrte Beschlüsse des Kollegialgerichts zu schützen. Ritter v. Schmerling behielt sich jedoch vor, in der nächsten Sitzung diejenigen Gesetzesstellen näher zu bezeichnen, welche den Mißbrauch dieser Rechtsmittel durch den Beschuldigten verhindern.

Im § 147/150 wurde über Vorschlag des Ministers v. Thinnfeld statt des Ausdrucks „im Besitze dritter Personen befindliche Papiere“ gesetzt: „bei dritten Personen“, um den Kontroversen über das Wort „Besitz“ auszuweichen.|| S. 969 PDF ||

Der Schlußsatz desselben Paragraphen: „Papiere, die sich im Besitze solcher Personen befinden, welche nach dem Gesetze § 156 von der Pflicht, ein Zeugnis abzulegen, befreit sind, können, den Fall des § 150 ausgenommen, nicht durchsucht werden“, wurde über Anregung Sr. Majestät nach dem Beschlusse der Stimmenmehrheit gestrichen, weil diese Bestimmung eine Art Asyl schafft, wohin gefährliche Papiere und wichtige Anhaltspunkte der Untersuchung in Sicherheit gebracht werden können, und weile, wenn auch humane Rücksichten es verbieten, Verwandte zur aktiven Zeugenschaft gegeneinander zu zwingen, diese Rücksichten offenbar nicht so weit gehen können, dem Gericht das wichtige Durchsuchungsrecht der Papiere, wobei sich die Verwandten rein passiv zu verhalten haben, abzusprechen.

Minister Ritter v. Schmerling hätte geglaubt, daß dieser Satz, der im § 150 ohnehin seine enge Beschränkung findet, der Konsequenz wegen beizubehalten wäre.

dDie gleichfalls in Beratung gezogenen §§ 5, 83, 104/107, 108/112, 36, 46/47, 62/65, 69/72 und 70/73 blieben infolge der von dem Justizminister gegebenen Aufklärungen unverändert.d

Nachdem die Sitzung unter dem Vorsitze Sr. Majestät aufgehoben worden war, vereinigten sich die Minister mit Ausnahme des Ministers des Inneren zu einer Sitzung bei dem Ministerpräsidenten2.

II. Bankaktiendividende

Der Finanzminister hielt ein längeres Referat, worin er mit Hinblick auf die Statuten der Nationalbank und die bisherige Übung, das Recht der Aktionäre auf den Bezug eines, die 5% Interessen des ursprünglichen Einlagskapitales übersteigenden Dividendes begründete und zeigte, daß die gegenwärtige sogenannte Insolvenz der Nationalbank bloß eine Folge der Finanzlage der österreichischen Regierung ist, welche von der Bank in den verhängnisvollsten Monaten des Jahres 1848 kräftige Unterstützung erhielt, dadurch aus schweren Verlegenheiten gerissen wurde und leider noch nicht imstande ist, die vielen erhaltenen Vorschüsse und Darlehen in Barem an die Bank zurückzuzahlen3. Den Aktionären die ihnen gebührende Dividende vorenthalten, um einige relativ sehr wenig ausgiebige Maßregeln zur Vermehrung des Reservefonds oder des Bankschatzes zu treffen, sei daher eine unbillige, zugleich aber eine sehr unpolitische Maßregel, weil sie das Vertrauen auf die Rentabilität der Bankaktien im Auslande tief erschüttere, große Aktienverkäufe nach sich ziehen, den Kurs aller österreichischen Papiere sehr herabdrücken und die Metallausfuhr noch vermehren würde. Die Folge davon wäre eine Steigerung des Silberagios, dessen Verminderung man gerade durch die Sperrung der Dividende erreichen will, und die Konsolidierung der Bank durch Hinausgabe der noch unabgesetzten 40.000 Stück Aktien würde dadurch vereitelt eoder doch erschwerte oder doch|| S. 970 PDF || erschwert, indem die Kapitalisten sich nicht bei einem Institute werden beteiligen wollen, welches durch solche Machtsprüche in der autonomen Verwaltung beirrt wird.

Mit dem Finanzminister vereinigten sich aus voller Überzeugung der Minister des Handels und Baron Kulmer. Der Justizminister, Ritter v. Thinnfeld und Graf Gyulai erklärten sich gleichfalls dafür, daß die Auszahlung der Dividende an die Aktionäre für das zweiten Semester 1849 zu gestatten sei, jedoch nicht sowohl wegen eines vorhandenen Rechts der Aktionäre, welches diese Minister nicht anerkennen, als vielmehr aus den sonstigen geltend gemachten Rücksichten für den öffentlichen Kredit etc.

Die von dem Finanzminister schließlich zur Abstimmung gebrachte Frage, ob diesmal bloß eine halbjährige Dividende von 35 f., oder, wenn der Bankausschuß es vorschlägt, auch 40 f. zu bewilligen wären, wurde dahin entschieden, daß nicht höher als 35 f. zu gehen wäre, weil sich die Aktien dabei noch immer a 51/2% in B[ank]n[oten] verzinsen und die Bewilligung einer höheren Dividende, den dermaligen Agitationen in entgegengesetztem Sinne gegenüber, als eine Demonstration der Regierung gelten würde4.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 9. Jänner 1850.