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Nr. 245 Ministerrat, Wien, 4. Jänner 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; anw. Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 5. 1.), Krauß 11. 1., Bach 7. 1., Gyulai, Schmerling 7. 1., Bruck, Thinnfeld 7.1., Thun, Kulmer 7. 1.; abw. Stadion.

MRZ. 37 – KZ. 22 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 4. Jänner 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Bericht aus Orsowa über den Pfarrer Nikolaus Ströbl

Der Kriegsminister teilte mit den Inhalt eines Berichts des Militärkommandanten in Temesvára Generals v. Schütte mit einer Relation des Majors Weymann aus Orsowa, worin die Notwendigkeit dargestellt wird, den wegen seiner Anhänglichkeit an die revolutionäre Partei bekannten und der Aufbewahrung einer Kiste von Kossuth beinzichtigten Pfarrer Ströbl aus der Stadt und selbst aus dem ganzen Kronlande zu entfernen, in derselben sowohl als in Mehádia einen höheren Polizeibeamten zu stationieren, die Dampfschiffahrt auf der untern Donau, welche der Vermittlung hochverräterischer Korrespondenzen mit den ungrischen Rebellen in der Türkei sehr verdächtig ist, zu überwachen und mehrere, ihrer politischen Gesinnung wegen bedenkliche Dreißigstbeamte zu versetzen1.

Der Kriegsminister wird wegen Einleitung der hier angetragenen Verfügungen die erforderliche schriftliche Mitteilung an die Ministerien des Inneren, des Handels und der Finanzen ergehen lassen2.

II. Kompetenz der Kriegsgerichte über Zivilisten

Der Prager Bürger Johann Wagner ward in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1849, nachdem Prag bereits in Belagerungszustand erklärt war, arretiert und wegen einer im März n.J., also vor Verhängung des Belagerungszustands, sich erlaubten Schmähung der Ah. Person Sr. Majestät kriegsrechtlich zu dreimonatlichem Profossenarrest in Eisen verurteilt, dieses Urteil im Appellationswege aber wegen Inkompetenz des Kriegsgerichts aufgehoben und die Zuweisung Wagners an dessen ordentliches Gericht|| S. 963 PDF || angeordnet. Das böhmische Generalkommando hat hiergegen Protest eingelegt und es frägt sich, ob der Appelaitonsentscheidung oder der Vorstellung des Generalkommandos Folge zu geben sei3.

Der Justizminister bemerkte, daß schon nach dem allgemeinen Grundsatze, Gesetze wirken nicht zurück, die Kompetenz der Militärgerichte sich in der Regel nicht über Handlungen erstrecken könne, welche vor dem Zeitpunkte ihrer Einsetzung mittelst Erklärung des Kriegszustandes begangen worden sind, und daß dieselbe nur dann auch auf Handlungen vor dem Belagerungszustande ausgedehnt werden könne, wenn solche in unmittelbarem Zusammenhange mit denjenigen Taten oder Unternehmungen stehen, um deren willen eben der Belagerungs- oder Kriegszustand verhängt worden ist. Da dieses letztre Verhältnis im vorliegenden Falle nicht eintritt, es sich vielmehr um eine ganz isolierte, während des gewöhnlichen Zustands verübte Tat handelt. so wäre der Vorstellung des böhmischen Generalkommandos gegen die obergerichtliche Entscheidung keine Folge zu geben.

Der Ministerrat vereinigte sich mit dieser Ansicht und der Kriegsminister wird hiernach diese Angelegenheit erledigen4.

III. Postkonvention mit Toskana

Der Handelsminister machte den Antrag zur Erneuerung oder neuen Gestaltung der demnächst ablaufenden Postkonvention mit Toskana. Seines Erachtens sollte dieselbe in gleicher Weise wie mit Parma und Modena abgeschlossen und Toskana eben wie diese Staaten in das österreichische Postgebiet einbezogen werden5. Die wichtigen, auch vom Ministerpräsidenten bestätigten Vorteile, die in politischer Beziehung hieraus erwachsen würden, dürften das ohnehin nur für einige Jahre erforderliche, nicht bedeutende Opfer von ca. 15.000 f. jährlich rechtfertigen.

Nachdem der Ministerrat sich mit diesem Antrage einverstanden erklärt hatte, behielt sich der Handelsminister die Veranlassung des Weiteren in dieser Angelegenheit vor6.

IV. Ruthenische Stipendien in Lemberg

Der Unterrichtsminister beantragte die Dotierung von 20 Stipendien für Juristen ruthenischer Nation an der Lemberger Hochschule mit jährlich 100 f. – zusammen 2000 f. – aus dem Kameralfonds7.

Der Finanzminister , bmit Rücksicht auf die eintretenden sehr wichtigen politischen Rücksichtenb in der Hauptsache nicht entgegen, obwohl ihm eine Verminderung der|| S. 964 PDF || Zahl der Stipendien gegen Erhöhung der einzelnen Beträge wünschenswert geschienen hätte, bemerkte, daß es, um der Maßregel nicht den Schein einer aus politischen Gründen der Nationalität gewährten Begünstigung zu geben, angemessener sei, diese Stipendien auf den für Unterrichtszwecke bestimmten Studienfonds zu überweisen und diesen letzteren sodann um Falle des Bedarfs aus dem Kamerale höher zu dotieren.

Der Unterrichtsminister erklärte sich mit dieser Modifikation einverstanden8.

V. Professoren des Wiener Musikkonservatoriums um Unterstützung

Ebenderselbe referierte über das Gesuch der Professoren des Musikkonservatoriums in Wien um eine Unterstützung von 6000 f. pro 1850, um diese Anstalt, nachdem die Gesellschaft die Mittel zu deren Erhaltung nicht besitzt, wenigstens in dem wesentlichsten, von ihnen – Professoren – neu zu organisierenden Teile nicht eingehen zu lassen9.

So wünschenswert auch die Erhaltung dieser Anstalt erscheint, so geben doch die Bittsteller keine hinlängliche Bürgschaft für die Erreichung des eigentlichen Zweckes des Instituts und sie scheinen es, wie der Ministerpräsident bemerkte, mehr auf die Sicherung ihrer eigenen Existenz abgesehen zu haben. Darum und weil auch der Finanzminister sich in keinem Falle für einen so großen Beitrag, wie der angesprochene ist, zu bestimmen vermöchte, die Bittsteller aber erklärten, Geringeres nicht annehmen zu können, vereinigte man sich in dem Beschlusse auf Abweisung des Gesuchs10.

VI. Todesurteil

Der Justizminister referierte über das Todesurteil wider Natale Demin wegen Gattenmordes11, dann

VII. Todesurteil

wider Franz Skarbek und Joseph Oberleutner wegen Nachmachung öffentlich als Münze geltender Kreditspapiere mit dem Antrage auf Nachsicht der Todesstrafe, wogegen nichts zu erinnern gefunden wurde12.

VIII. Höhere Pension für die Witwe nach Michael Kopp

Über das vom Justizminister und dem Minister des Inneren befürwortete Gesuch der Witwe des besonderes ausgezeichneten Justizhofrates Kopp um eine höhere als die normalmäßige Hofratswitwen­pension, bemerkte der Finanzminister , daß bei dem Umstande, wo in der Regel nur ausgezeichnete Individuen zu Hofräten befördert werden, eine Abweichung von dem Pensionsnormale geradezu nur zu dessen Aufhebung|| S. 965 PDF || führen würde. Um übrigens der Bittstellerin, welche noch für einen 19jährigen studierenden Sohn zu sorgen hat, für die Dauer dieser Obsorge eine Erleichterung zuzuwenden, erklärte sich der Finanzminister bereit, dem Antrage auf Verleihung eines Erziehungsbeitrags von jährlich 200, ja selbst von 300 f. für den Sohn bis zu dessen Versorgung oder Anstellung beistimmen zu wollen, welchem Antrage, und zwar bezüglich des Betrags von mit 300 f., die Majorität des Ministerrates beitrat. Der Justizminister wird hiernach den Vortrag an Se. Majestät erstatten13.

IX. Organische Einrichtung der Gendarmerie

Der Minister des Inneren referierte über die organische Einrichtung und Einteilung der Gendarmerie14.

Dieselbe wird 16 Regimenter von ungleicher Stärke enthalten, mit 12.000 Mann zu Fuß, 2500 zu Pferd, im ganzen mit allen Chargen 15.573 Mann. Diese Einrichtung wird mit 2,190.000 f., der jährliche Aufwand mit 5 Millionen veranschlagt.

Für den Generalinspektor wurde nebst Quartier und Verrechnung der Reisekosten eine Funktionszulage von 4000 fr. angetragen; auf die Bemerkung des Finanzministers aber, daß die Korpskommandanten nur 3000 fr. Zulage und daraus noch die Reise- und sonstigen Repräsentationsauslagen zu bestreiten haben, erklärte sich die Majorität des Ministerrates für eine Zulage von 2000 fr.

Sonst gab die Darstellung zu keiner Erinnerung Anlaß; nur glaubte der Finanzminister die Bemerkung nicht unterdrücken zu können, daß ihm ein Regiment (mit 1300 Mann) für das große Galizien zu wenig scheine15.

X. Behandlung des Piaristenordens in Ungarn

Der Minister des Inneren besprach die Maßregeln wegen Behandlung des Piaristenordens in Ungern, der sich während der ungrischen Revolution durch schlechte Gesinnung bemerkbar gemacht hat.

Baron Geringer beantragte geradezu dessen Aufhebung, während der Primas eine Epurierung desselben versuchen will16. Jedenfalls scheinen einige voreinleitende Maßregeln nötig zu sein, um, da der Orden 29 Gymnasien versieht, die im Unterricht sich ergebende Lücke nicht zu fühlbar zu machen; es würden also vorderhand die schon itzt als entbehrlich erkannten Gymnasien aufzuheben, die bei diesen bestandenen Ordenshäuser eingehen zu lassen, den übrigen die Aufnahme von Novizen einzustellen und überhaupt genaue Tabellen über den Stand und die Qualifikation aller Ordensglieder abzufordern sein.|| S. 966 PDF ||

Der Minister des Inneren wird in diesem Sinne den Baron Geringer zur Erhebung der hierzu benötigten Daten, allenfalls im Wege einer Kommission, anweisen17.

XI. Verzeichnis der wahlberechtigten Städte Böhmens

Derselbe Minister las die infolge des gestrigen Beschlusses angefertigte Liste derjenigen böhmischen Städte, welche auf den böhmischen Landtagen eigene Vertreter erhalten sollen18.

Hiernach würden die sieben kaiserlich privilegierten Städte: Prag, Pilsen, Budweis, Elbogen, Eger, Kuttenberg und Karlsbad zusammen 20 Deputierte, nämlich Prag zehn, Elbogen und Karlsbad je einen, die übrigen vier je zwei als über 10.000 Seelen enthaltend. Die kaiserlichen Städte und jene, die über 4500 Seelen haben, dann die zwei Kreisstädte, Gitschin und Pardubitz, je zwei oder einen Vertreter, je nachdem sie über oder unter 10.000 Seelen zählen, erhalten. Endlich nebst den übrigen königlichen und kaiserlichen Leibgedingestädten über 3500 Seelen, welche nicht schon in der anderen Kategorie begriffen sind, noch 22 industrielle, zum Teile zusammengruppierte Orte an der Vertretung teilnehmen. Somit würden 41 tschechische, 38 deutsche Wahlbezirke gebildet sein.

Die Darstellung gab zu keiner Erinnerung Anlaß19.

Am 5. Jänner 1850. Schwarzenberg. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 12. Jänner 1850.