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Nr. 232 Ministerrat, Wien, 19. Dezember 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Schwarzenberg; anw. Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 20. 12.), Krauß 21.12., Bach 20.12., Gyulai 20.12., Schmerling 20.12., Bruck, Thinnfeld 20.12., Thun, Kulmer 20.12.; abw. Stadion.

MRZ. 4724 – KZ. 3926 –

Protokoll der am 19. Dezember 1849 zu Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Theaterzensur

Der Ministerpräsident brachte die Notwendigkeit zur Sprache, die theatralischen Vorstellungen auf den Wiener Bühnen einer wirksamen Präventivzensur zu unterziehen, da manche der in neuerer Zeit aufgeführten Stücke teils durch ihre mehr oder minder verhohlene Tendenz, teils durch eingeflochtene Tiraden oder satirische Ausfälle nach mancherlei Seiten zu aufregend und verletzend wirken. Andererseits sei es ganz unangemessen, katholische Geistliche im Ornate und österreichische Militärs in Uniform auf der Szene erscheinen zu lassen, wie es dermal hie und da geschieht.

Der Minister des Inneren bemerkte hierüber, die Handhabung der Theaterzensur in Wien während des Ausnahmszustandes gehöre zu den Attributen des FZM. Baron Welden, und die Abstellung der gerügten Übelstände könne daher nur von ihm ausgehen.

Übrigens habe der Minister der Theaterzensur im allgemeinen bereits seine volle Aufmerksamkeit gewidmet und einen Gesetzentwurf über diesen Gegenstand vorbereiten lassen. Dieser Entwurf werde noch einer Überprüfung mit Beiziehung von Fachmännern unterzogen und dann dem Ministerrate vorgelegt werden1.

II. Besetzung des Statthaltereipostens in Niederösterreich

Nachdem der zum Landesgerichtspräsidenten vorgeschlagene Ritter v. Mitis2, auf welchen Minister Bach sein Augenmerk bezüglich des Statthaltereipostens in Niederösterreich gerichtet hatte, die gerichtliche Laufbahn nicht zu verlassen wünscht, so beschäftigte sich der Ministerrat mit der Beratung über die Sr. Majestät vorzuschlagende Wahl eines Individuums für diesen wichtigen Posten. Es kamen dabei der Ministerialrat Eminger, der Sektionschef Ritter v. Kleyle und der gewesene Unterstaatssekretär Freiherr v. Stifft zur Sprache, deren jeder sich durch eigentümliche, hervorstehende Eigenschaften auszeichnet.

Man vereinigte sich jedoch zu keinem Beschlusse, und der Minister des Inneren behielt sich vor, die Sache in der nächsten Sitzung neuerdings zur Beratung zu bringen3.

III. Besetzung des Statthaltereipostens in der Steiermark

Was die Besetzung der Statthaltersstelle im Kronlande Steiermark betrifft, so vereinigte sich der Ministerrat mit dem Antrage des Ministers Bach auf A.g. Ernennung des Altgrafen Salm für diesen Posten, wozu er nach seinen Antezedentien in Triest völlig geeignet und auch durch seine soziale Stellung gegenüber der steiermärkischen Aristokratie berufen erscheint4.

IV. Bestrafung der in Würzburg stattgefundenen Insultierung eines k.k. Offiziers

Der Justizminister referierte, daß die den zwei bayerischen Studenten wegen der Mißhandlung eines k.k. Offiziers auferlegte Disziplinarstrafe selbst nach den bayrischen Strafgesetzen mit Hinblick auf den Tatbestand zu gering bemessen erscheine. Es schiene hier eine Gefängnisstrafe von ein bis sechs Monaten, wo nicht eine noch höhere, angezeigt5.

Der Ministerpräsident erklärte daher unter allseitiger Zustimmung, er gedenke an das bayrische Kabinett eine Reklamation in dieser Angelegenheit zu richten, damit womöglich eine strengere Ahnung des stattgefundenen Exzesses bewirkt und seiner Wiederholung vorgebeugt werde6.

V. Lotterie in Ungarn

Der Finanzminister erinnerte, der kgl. Kommissär Baron Geringer habe die Wiedereinführung der Lotterie in Ungarn, wo sie durch ein Gesetz aufgehoben worden ist, in Anregung gebracht7. Vom finanziellen Standpunkte müsse er sich für diese Maßregel erklären, welche jährlich 3 bis 400.000 fr. ohne irgendeinen Zwang eintragen und, wie auch Baron Kulmer bestätigte, dem laut ausgesprochenen Wunsche eines großen Teiles der unteren Volksklassen entsprechen würde.

Die mehreren Stimmen schlossen sich jedoch der Meinung des Ministerpräsidenten an, daß, nachdem das Ministerium sich bereits öffentlich über die Nachteile des Lottospieles für die Moralität und den Wohlstand des Volkes ausgesprochen und selbst dessen Aufhebung in den deutschen und slawischen Provinzen in Aussicht gestellt habe8, die Wiedereinführung desselben in Ungarn eine durch den finanziellen Vorteil nicht zu rechtfertigende Inkonsequenz begründen würde, somit dem Antrage des Baron Geringer keine Folge zu geben sei.

|| S. 918 PDF || Der Handelsminister , dem auch der Kultusminister sich anschloß, bemerkte, daß das Bestehen des Staatslotto nicht absolut, sondern nur in der gegenwärtigen Organisierung verderblich wirke, und daher in der Folge, wenn das ganze System verbessert sein wird, die Wiedereinführung desselben in Ungarn nicht unzulässig erscheinen dürfte9.

VI. Delegationen aus Ungarn an den Kaiser

Der Fürstprimas hat an die ungarischen Distriktskommissäre eine Aufforderung erlassen, in Überlegung zu ziehen, ob es nicht an der Zeit wäre, aus allen Teilen des Landes gewählte Deputationen zur Bekundung der Loyalität an Se. Majestät abzusenden. So gut gemeint auch dieser Schritt des Primas sein mag, so kann er doch eine unliebsame Agitation im Lande hervorrufen, und es ist zu bedauern, daß diese Verfügung, mit Umgehung des Baron Geringer, direkt an die Distriktskommissäre ergangen sei, wodurch die Sistierung des Erlasses nicht möglich war.

Minister Bach wird daher im Wege persönlicher Rücksprache mit dem Primas die Sache rückgängig machen und dahin wirken, daß die vorläufige Rücksprache mit dem Zivil- und Militägouvernement in künftigen ähnlichen Fällen nicht unterlassen werde10.

VII. Transport verurteilter Individuen nach Algerien

Der Ministerpräsident las die französischerseits eingelangte Äußerung über die diesseitige Anfrage, ob und unter welchen Bedingungen die französische Regierung zur Transportation verurteilte Individuen in Algerien aufnehmen wolle11. Frankreich ist dazu bereit, wofern für einen einzelnen Mann 2.000, für eine Familie 3.000 Francs bezahlt werden, wogegen die Ansiedler ein Haus, zwei bis zehn Hektar teilweise schon beurbarten Grundes und die nötigen Nahrungsmittel für die erste Zeit erhalten würden. Unentgeltlich könne man nur jene diensttauglichen Individuen aufnehmen, welche sich in die algierische Fremdenlegion einreihen lassen wollen.

Der Kriegsminister glaubte, daß dieser Antrag selbst in finanzieller Beziehung nicht unvorteilhaft erscheine, wenn man erwägt, daß der Unterhalt eines Arrestanten in einer österreichischen Festung auf 120 fr. des Jahres zustehenkommt.

Der Minister des Inneren erinnerte, es sei dabei jedoch von Seite Frankreichs die Bürgschaft dafür zu fordern, daß das transportierte Individuum in Algier festgehalten wird. Der Finanzminister äußerte, daß er, sofern die Transportation nach Algier auf sehr gefährliche Individuen beschränkt und der diesfällige Aufwand nach Möglichkeit aus ihren Vermögen bestritten würde, dagegen nichts einzuwenden finde12.

Ah.E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 22. Dezember 1849.