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Nr. 174 Ministerrat, Wien, 27. September 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser (bei I – III), Schwarzenberg (IV – VII); anw. Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 30. 9.), Krauß 1. 10., Bach 1. 10., Gyulai 1. 10., Schmerling 1. 10., Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer 1. 10.; abw. Stadion.

MRZ. 3474 – KZ. 2903 –

Protokoll der am 27. September 1849 zu Wien in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät des Kaisers abgehaltenen Ministerratssitzung.

I. Organisation der akademischen Behörden

Se. Majestät der Kaiser geruhten dem Ministerrate zu eröffnen, Allerhöchstdieselben hätten denselben zusammenberufen, damit die Frage in reife Erörterung gezogen werde, ob das vom Unterrichtsminister mit Vortrag vom 19. l.M., KZ. 2865, vorgelegte provisorische Gesetz wegen Organisation der akademischen Behörden1, und zwar namentlich derjenige Teil, der sich auf die Konstituierung der Doktorenkollegien in Wien und Prag, dann auf deren Beschickung des akademischen Senats bezieht, schon dermal zu erlassen sei oder nicht. Es scheine nämlich vorsichtiger, diese Behörden erst dann förmlich zu organisieren, wenn ihr Wirkungskreis und die ihnen eingeräumte Gewalt durch positive Vorschriften geregelt sein wird, weil sonst die Doktorenkollegien mittlerweilen auf faktischem Wege sich in den Besitz eines leicht zu mißbrauchenden Einflusses in Universitätsangelegenheiten und einer Gewalt setzen könnten, welche die Regierung ihnen keineswegs einzuräumen beabsichtigt.

Bei der über diesen Gegenstand gepflogenen umständlichen Beratung setzte der Unterrichtsminister auseinander, daß die Doktorenkollegien an den Universitäten zu Wien und Prag keine neue Schöpfung, sondern ein altes Institut seien, daß dieselben bereits tatsächlich im Universitätskonsistorium, der obersten akademischen Behörde, vertreten werden und daß die ganze Tendenz des vorliegenden Gesetzentwurfes keineswegs dahin gehe, den gedachten Kollegien einen größeren Einfluß einzuräumen, sondern vielmehr denselben zu regeln und auf indirektem Wege zu beschränken, da diese auf altem historischen Boden fußenden Gremien, welche in mancher Richtung sehr nützlich wirken, dermal nicht mehr aufgelöst werden könnten. Die Beiziehung der Fakultätsdekane (Präsidenten der Doktoren­kollegien) zu den Prüfungen sei in doktrineller Beziehung ein wesentlicher Gewinn, weil er die gehörige Berücksichtigung der Praxis neben der wissenschaftlichen Theorie verbürge. Ein überwiegender Einfluß der Doktorenkollegien im akademischen Senate sei bei der kleinen Zahl ihrer Deputierten im Vergleich mit der Zahl der Lehrer nicht zu besorgen. Übrigens werde der Wirkungskreis des Lehrerkollegiums durch eine besondere Vorschrift, durch ein Disziplinargesetz,|| S. 713 PDF || geregelt werden, dessen Bestimmungen durch die dermal zur Ah. Genehmigung vorgelegten Wahlvorschriften keineswegs vorgegriffen würde.

Bei diesen vom Unterrichtsminister gegebenen Aufklärungen, welche auch von Seite des Ministerrates befriedigend befunden wurden, geruhten Se. Majestät sofort dem vorgeschlagenen Wahlgesetze die Ah. Genehmigung zu erteilen2.

II. Garantie gegen Mißbräuche von Seite der Professoren

Aus diesem Anlasse wurde auch die Frage in Erörterung gezogen, ob und wie die Universitäts­professoren, wenn sie bei ihren Vorträgen eine den Absichten der Regierung zuwiderlaufende Tendenz einschlagen, in die gehörigen Schranken verwiesen werden könnten.

Minister Baron Krauß würde eben zu diesem Zwecke die Beibehaltung der Studiendirektoren wünschen, welche die Erteilung des Unterrichts durch die Professoren weit wirksamer überwachen und zu leiten imstande sind, als die Lehrer untereinander. Der Minister des Unterrichts und mit ihm die Minister des Inneren, der Justiz und der Landeskultur waren dagegen der Meinung, daß die Studiendirektoren kein zeitgemäßes Mittel zur Überwachung der Studien und Beförderung der Wissenschaften seien. Die Erfahrung des Jahres 1848 sowie der vorausgegangenen haben es bewiesen. Diese Direktoren genießen weder das nötige Ansehen bei den Lehrern noch das Vertrauen der Zuhörer3. In einem Lande, wo Lehrfreiheit besteht, sei die freie Presse auch die sicherste Kontrolle über die Vorträge der Professoren. Minister Graf Thun bemerkte, daß bei dem Bestande der Lehrfreiheit die Regierung einem Lehrer, der nicht offenbar Staatsgefährliches vorträgt, gegenüber kein anderes Mittel besitze, die ihr mißliebigen Tendenzen zu bekämpfen, als indem sie einen anderen besseren Professor an derselben Hochschule bestellt, der dann die Schüler an sich ziehen wird. Minister Bach , welcher dieses Auskunftsmittel in den meisten Fällen als unvollkommen oder ganz unwirksam betrachtet, fände seinerseits eine Garanzie gegen Mißbräuche von Seite der Professoren in der Bestimmung, daß Lehrer, gleich den politischen Staatsbeamten, entlassen werden können. Der Ministerpräsident fand es umso notwendiger, der Regierung über die Lehrer eine gewissen Gewalt vorzubehalten, als Professoren auf dem Katheder die schädlichsten Keime ausstreuen und die Jugend ganz irreleiten können, ohne daß man ihnen eine staatsgefährliche Lehre förmlich nachweisen könne. Jede Freiheit im Staate, somit auch die Lehrfreiheit, müsse ihre Beschränkung, wo nicht präventiv, doch repressiv erhalten. Der Justizminister und der Minister des Unterrichts teilten diese Ansicht mit dem Vorbehalte, daß die näheren Bestimmungen darüber in aeine Dienstpragmatik für den Lehrstanda aufzunehmen seien, doch|| S. 714 PDF || könne und dürfe die Stellung eines Universitätsprofessors, wenn man anders tüchtige Gelehrte dafür gewinnen will, nicht so prekär sein, daß er ad nutum amovibilis werde.

Minister Graf Thun wird hierauf bei der Redaktion des diesfälligen, in Bearbeitung stehenden Gesetzes Rücksicht nehmen4.

III. Darlehen an die Nordbahngesellschaft

Der Finanzminister referierte über die Geldverlegenheiten, in welchen sich die Gesellschaft der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn befindet. Es muß ein zweiter Schienenweg zwischen Gänserndorf und Lundenburg hergestellt, der Oberbau an großen Strecken ganz erneuert und mancher Bahnhof vergrößert werden. Die Kosten im ganzen schlägt man zu acht Millionen an.

Da einerseits der gegenwärtige Augenblick zur Aufnahme eines großen Darlehens durch die Gesellschaft wegen der Konkurrenz des Staats nicht günstig ist und andererseits die Regierung nur lebhaft wünschen könne, daß die erwähnten Bauten etc. an der Nordbahn baldmöglichst stattfinden, so erbat sich der Finanzminister unter Zustimmung des Ministerrates die Ah. Ermächtigung, der genannten Aktien­gesellschaft den Betrag von eineinhalb Millionen Gulden à 5 Perzent gegen sechsmonatliche Aufkündigung aus dem Staatsschatze vorschießen zu dürfen5.

Se. Majestät der Kaiser geruhten diese Ermächtigung sofort zu erteilen und Baron Krauß wird die Nordbahndirektion wegen der am 28. l.M. stattfindenden Generalversammlung der Gesellschafts­aktionäre von diesem Ag. Zugeständnisse ohne Verzug in Kenntnis setzen6.

Nachdem die Sitzung durch Se. Majestät aufgehoben worden war, vereinigten sich die Minister unmittelbar zu einer Ratsversammlung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten.

IV. Hafengebührenfreiheit der Lloyd-Dampfschiffe

Sämtliche Minister erklärten sich über Antrag des Handelsministers damit einverstanden, daß die Zeit der Blockade Venedigs in die dreijährige Periode, während der den Dampfschiffen des Lloyd die Befreiung von den Hafengebühren in Venedig zugestanden ist, nicht eingerechnet werde7.

V. Medaille für Anton Eid

Ebenso wurde gegen den weiteren Antrag des Ministers v. Bruck auf Ag. Verleihung der goldenen Zivilehrenmedaille an den verdienten k.k. Konsulatsdragoman zu Alexandrien Anton Eid bei dem Übertritte in den Ruhestand (für welchen er keine Pension anspricht) von keiner Seite etwas erinnert8.

VI. Personalzulage für Alois Kofler

Der Minister v. Thinnfeld referierte über seinen beabsichtigten au. Antrag auf Verleihung einer Personalzulage von 300 f. neben dem vollen Aktivitätsgehalte per 1000 f. als Pension für k.k. Faktor Kofler zu Steyr, um diesen verdienten Greis, der bereits 60 Jahre dient, für den Entgang von Deputaten etc. zu entschädigen.

Über die von dem Finanzminister erhobene Einwendung, daß Kofler auf diese Weise im Pensionsstande mehr beziehen dürfte als während der Aktivität, erklärte Minister v. Thinnfeld , seinen Antrag auf eine Personalzulage von 200 f. jährlich zu beschränken9.

VII. Höheres Studienwesen

Der Unterrichtsminister brachte hierauf seinen Entwurf der allgemeinen Bestimmungen über das höhere Studienwesen in Vortrag10.

Gegenstand einer lebhaften Diskussion war die darin enthaltene Bestimmung, wonach auf den Universitäten die Prüfungen aus den einzelnen Fächern aufzuhören und bei den Kandidaten des Beamtenstandes nur eine einzige „Staatsprüfung“ stattzufinden hat. Die Minister Baron Krauß, Baron Kulmer und der tg. gefertigte Ministerpräsident waren der Meinung, daß diese völlige Emanzipation der Studierenden während der Universitätsjahre keineswegs dem fleißigen Studieren förderlich sein werde, indem die Aussicht auf eine nahe bevorstehende Prüfung nach der eigenen Erfahrung ein sehr wirksamer und heilsamer Sporn für sorgfältiges Erlernen ist, namentlich in jenen Fächern, wo sehr viel zu memorieren ist. Auch sei die Ablegung von Prüfungen aus dem freigewählten Lehrfache mit der Lernfreiheit vollkommen vereinbarlich. Die Eltern verlieren eine nützliche Kontrolle über die Applikation der Studierenden und mancher dürfte die Universität verlassen, ohne irgendetwas ernstlich gelernt zu haben.

Die übrigen Minister (fünf Stimmen) vereinigten sich aber mit der Meinung des Grafen Thun, die Semestral- oder Jahresprüfungen aus den einzelnen Gegenständen aufzuheben, da sie keine Bürgschaft darüber gewähren, daß der Prüfling seinen Gegenstand völlig erfaßt hat; da sie ferner dem wahren Talent nur einen Hemmschuh anlegen und dieses Prüfungssystem hauptsächlich nur der Masse mittelmäßiger Studenten zugute kommt, welche ohne Liebe zu den Wissenschaften und ohne Streben nach höherer Bildung nur darauf bedacht sind, handwerksmäßig Vorzugsklassen in den Zeugnissen zu erwerben, um darauf gestützt „ihr Brot“ leichter und sicherer zu finden. Der Vergleich der Resultate auf den deutschen und österreichischen Universitäten sei die beste Lobrede für die Aufhebung des Prüfungszwanges.

Die Bestimmung, daß Individuen, welche sich über die Frequentation einer Universität nicht ausweisen können, sondern privatim, wenn auch noch so gut, studiert haben, zu den Staatsprüfungen nicht zugelassen werden, veranlaßte den Ministerpräsidenten zur Bemerkung, es scheine ihm inkonsequent, den Zwang der Frequentation aufzulegen, während man die Prüfungen abschafft, zumal die bloße Frequentation noch|| S. 716 PDF || weniger beweise als eine Prüfung, selbst die oberflächlichste. Hierauf wurde von den Ministern Graf Thun und Ritter v. Schmerling erklärt, der Grund der berührten Forderung des Universitätsbesuches liege darin, weil man auf diese Weise vermeiden will, daß nicht allzujunge Individuen ohne jene Reife der Jahre und der Erfahrung, welche von dem längeren Universitätskursus unzertrennlich ist, in den Staatsdienst treten. Übrigens seien Ausnahmen zugunsten vorzüglich qualifizierter Individuen immerhin zulässig.

Die unter den Disziplinarvorschriften für die Hochschüler erscheinende Bestimmung, daß politische Vereine unter Studenten nicht gestattet seien, veranlaßte die Stimmenmehrheit, sich überhaupt gegen das Vereinsrecht der Studenten zu erklären, da dasselbe zur höheren wissenschaftlichen Bildung keineswegs nötig, dagegen aber besonders in der gegenwärtigen Zeit politischer und nationaler Agitation einen Vorwand gebe, um die schädlichsten Umtriebe unter der Maske wissenschaftlichen Strebens zu machen.

Der Unterrichtsminister behielt sich vor, diese Bestimmung in einer neuen Redaktion demnächst vorzutragen, wie auch die Frage wegen Abstellung der Unterrichtsgelder, welche in den Studienfonds fließen, und Einführung von Kollegiengeldern zugunsten der Professoren demnächst zur Abstimmung zu bringen11.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 11. Oktober 1849.