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Nr. 152 Ministerrat, Wien, 22. August 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; anw. Krauß, Bach, Schmerling, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 23. 8.), Krauß 24. 8., Bach 24. 8., Thun 26. 8., Schmerling 24. 8., Thinnfeld 24. 8., Kulmer 24. 8.; abw. Stadion, Gyulai, Bruck.

MRZ. 2857 – KZ. 2493 –

Protokoll der am 22. August 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix Schwarzenberg.

I. Behandlung Arthur Görgeys

Die von Sr. Majestät dem Ministerpräsidenten zugekommene Weisung, dem FZM. Freiherrn v. Haynau wegen Pardonierung des Görgey zu schreiben1, gab Veranlassung zu einer längeren Besprechung, deren Resultat war, daß die Mehrzahl der Stimmführer sich für dessen Begnadigung und dahin aussprach, daß er in eine Stadt in Kärnten konfiniert und dort unter genauer Aufsicht gehalten werden dürfte.

Die Gründe zu diesem Antrage waren im wesentlichen der von Görgey dem Öffentlichen durch die Streckung der Waffen und Übergabe des Kriegsmaterials erwiesene große Dienst; seine Unterwerfung als Diktator, wodurch er der Revolution den Kopf abgeschlagen hat; die revolutionäre Regierung in Ungarn hat nämlich resigniert, die Gewalt dem Görgey übertragen, und dieser hat sich im Besitze dieser Gewalt unterworfen, wodurch seine Unterwerfung gleichsam als legal erscheint2; der Wunsch und die Empfehlung des Kaisers von Rußland usw. Dagegen meinten die Minister Graf Leo Thun und Ritter v. Schmerling , daß Görgey der Untersuchung zu unterziehen und erst nach geschlossener Untersuchung zu pardonieren wäre. Beide verkennen nicht, daß wichtige politische Gründe für dessen Straflosigkeit sprechen, diese möge ihm aber erst nach stattgehabter Untersuchung zuteil werden. Es handle sich auch darum, die Sympathien für Görgey, welche im Publikum bestehen, zu zerstören, und es sei der Regierung würdiger, erst nach geschehener Untersuchung zu begnadigen. Die Geschichte vom Zichymord3 könne nicht vergessen werden, und seine Übergabe an die Russen erscheine perfid. Nach der Ansicht dieser Minister wäre dem FZM. Baron Haynau zu schreiben, der Kaiser sei geneigt, einen Akt der Gnade zu üben, aber erst nach vorausgegangener Untersuchung. Hier erinnerte der Minister Ritter v. Thinnfeld , daß bei der Untersuchung des Görgey solche Tatsachen vorkommen könnten, die es dann Sr. Majestät schwer machen würden, ihn zu pardonieren. Jetzt|| S. 617 PDF || könne man es ohne Anstand tun, und ist die Pardonierung des Görgey eine politische Notwendigkeit, so möge sie ihm ohne vorläufige Untersuchung zuteil werden4.

II. Auflösung der Schützenkompanien in Tirol

Der Ministerpräsident teilte eine Eingabe des Generals Rossbach aus Tirol mit, in welcher dargestellt wird, daß nun der Zeitpunkt gekommen sei, 20 Schützenkompanien in Tirol aufzulösen, von denen die Hälfte gleich und die andere Hälfte bald nach Hause zu entlassen wäre5. Der Friede mit Piemont sei geschlossen, und zur Bewachung der Grenze und für den noch sonst nötigen Dienst wird die noch erübrigende Mannschaft genügen. Zugleich bemerkt der General, daß seine Mission nun zu Ende sei, und erbittet sich diesfalls Weisungen.

Dieser Gegenstand wird an den Kriegsminister mit dem Beifügen geleitet, daß der Ministerrat mit der Auflösung der oberwähnten Kompanien einverstanden sei6.

III. Prager Katholikenverein

In Absicht auf die von aGrafen Khevenhüllera gestellte, vom Ministerpräsidenten vorgetragene Anfrage, ob dem Prager Katholikenverein nicht zu gestatten wäre, seine Angelegenheiten in Plenar­beratungen zu besprechen, worüber bGraf Khevenhüllerb die Meinung aussprach, daß diese Bewilligung zu erteilen, solche aber mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse von der Militärbehörde allein zu geben wäre7, meinte der Minister des Inneren Dr. Bach , daß, da hierorts der Erzbischof sich gegen solche Vereinigungen ausgesprochen und deshalb hier hiezu die Bewilligung verweigert wurde8, das vorliegende Ansinnen abzulehnen wäre, während der Minister Graf Thun solche Vereinigungen, welche auch in Deutschland mit gutem Erfolge bestehen, als zweckmäßig und einen günstigen Eindruck erzeugend erkennen würde.

Über diesen Gegenstand wurde kein Beschluß gefaßt, weil der Minister Dr. Bach noch nähere Erkundigungen einzuziehen sich vorbehalten hat, aus was für Gründen ein solcher Verein hierorts nicht gestattet wurde9.

IV. Depesche Julius Freiherrn v. Haynau

Der Ministerpräsident teilte hierauf den Inhalt der von dem FZM. Baron v. Haynau eingelangten Depeschen über den gegenwärtigen Stand der Dinge in Ungarn mit. Baron v. Haynau klagt darin über die Umtriebe des russischen Feldmarschalls v. Paskiewitsch, welcher, statt die Ablieferung des vom Görgeyschen Korps herrührenden Materials an die österreichischen Truppen zu verfügen, dasselbe nach Großwardein abführen ließ. Baron Haynau habe nun die nötigen Einleitungen zur Übernahme dieses Materials getroffen. Es wird in den Depeschen weiter bemerkt, daß die Russen Husarenpferde um fünf bis sechs Zwanziger für sich angekauft haben, welches Benehmen der russischen Offiziere als illoyal erklärt wird. Man bemerke überhaupt Sympathien bei den Russen für die ungarischen Rebellen10. Es sei ferner eine halbe Million in Gold und Silber, welche bisher verborgen gehalten wurde, entdeckt worden, und befinde sich in Verwahrung des FML. Grafen v. Schlik11. Nach Komorn und Peterwardein seien Kuriere abgegangen, um zur Unterwerfung aufzufordern. Der Krieg könne hiernach als beendet angesehen werden.

Das Schreiben des Generals Berg mit der Anfrage, ob die kaiserlichen Truppen genügend stark seien, um, wenn die Russen abziehen, ihre Stellungen einzunehmen, beantwortete FZM. Baron Haynau unterm 15. August dahin, daß, wenn die Festungen Komorn und Peterwardein sich ergeben haben und die Dislokationen der Truppen in den Komitaten geschehen sein werden, gegen den Abzug der Russen kein Anstand obwalten werde. Bis dahin mögen die kaiserlich russischen Truppen in gewissen, von ihm bezeichneten Plätzen als Garnison im Lande verbleiben. Dasselbe gelte auch von Siebenbürgen12.

V. Schreiben an mehrere russische Generäle

Schließlich las der Ministerpräsident die Schreiben an die russischen Generäle Lüders, Paniutin, Kuprianof und den Feldmarschall Paskiewitsch vor, welchen Se. Majestät Auszeichnungen zu bewilligen geruhet haben13.

VI. Steckbriefliche Verfolgung Karl Tausenaus

Der Justizminister Ritter v. Schmerling teilte mit, daß Tausenau wegen Teilnahme am Morde des Kriegsministers Grafen Latour steckbrieflich verfolgt werde14.

|| S. 619 PDF || Hievon wird zum Behufe der weiteren diplomatischen Einleitung dem Minister des Äußern ämtliche Mitteilung gemacht werden15.

VII. Ausfuhrverbot nach Ungarn; Not im Árvaer Komitat

Die von dem Finanzminister Freiherrn v. Krauß zur Sprache gebrachte Anzeige der galizischen Kameralgefällenverwaltung und die derselben zum Grunde liegende Schilderung des Arvaer provisorischen Komitatsvorstandes, daß die Bewohner von Árva Mangel an den unentbehrlichsten Artikeln (Leinwand u. dgl.) leiden und daß Hungersnot daselbst zu besorgen sei, weil die Ausfuhr dahin verboten, wird bei dem Umstande, wo das Land meistens pazifiziert ist, zur Veranlassung genommen werden, das diesfällige Ausfuhrsverbot zu modifizieren und Waren zum eigenen Verbrauche frei passieren zu lassen16.

VIII. Lotterie für die Kinderbewahranstalt am Rennweg

Der Minister des Inneren Dr. Alexander Bach brachte schließlich die Lotterieangelegenheit für die Kinderbewahranstalt am Rennwege, deren Unternehmer ein Lottokollektant ist, in Anregung. Von dem reinen Ertrage dieser Lotterie sollen 3000 f. für den Invalidenfonds und zwei Drittel des Ertrages für die erwähnte Kleinkinderbewahranstalt verwendet werden. Eben dieser wohltätigen Widmungen wegen scheint es dem Minister Dr. Bach schwer zu sein, das Gesuch abzuweisen, obwohl er sonst ganz die von dem Finanzministerium für die Abweisung geltend gemachten Gründe teilt.

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß erklärte sich gegen die Gewährung des Gesuches, indem, wenn man es einem bewilliget, man es anderen nicht wohl abschlagen könnte, und gerade jetzt wieder zwei oder drei ähnliche Gesuche in Verhandlung stehen, die wohltätigen Anstalten in solchen Fällen nur zum Aushangschilde dienen und bei solchen Unternehmungen wohl 60% in den Sack der Unternehmer fallen, wobei dem Finanzminister von keiner Seite widersprochen wurde17.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 3. September 1849.