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Nr. 102 Ministerrat, Schönbrunn, 21. Juni 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; anw. Schwarzenberg, Krauß, Bach, Gyulai, Thinnfeld, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 24. 6.), Krauß 28. 6., Bach 25. 6., Gyulai 25. 6., Thinnfeld 25. 6., Kulmer 25. 6.; abw. Stadion, Bruck

MRZ. 2058 – KZ. 1806 –

Protokoll der zu Schönbrunn am 21. Juni 1849 in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät des Kaisers abgehaltenen Sitzung des Ministerrates.

I. Politische Gestaltung Deutschlands

Der Ministerpräsident las ein von dem königlich baierischen Staatsminister von der Pfordten übergebenes Promemoria, worin die Ansichten der baierischen Regierung über die Deutschland zu gebende politische Gestaltung dargelegt werden, mit der Erklärung, daß Bayern den diesseits unterm 16. Mai l.J. ausgesprochenen Ideen über die deutsche Zentralgewalt beipflichte1. Von der Pfordten begibt sich nach Berlin, um womöglich eine Modifikation des preußischen Verfassungsentwurfes in der Art zu bewirken, daß Bayern dem Bunde beitreten könne, ohne seine Selbständigkeit aufzugeben und auch der Anschluß Österreichs ermöglicht werde.

Fürst Schwarzenberg las hierauf die auf das Promemoria zu erlassende Erwiderung, worin man österreichischerseits die Bereitwilligkeit ausspricht, an denjenigen Unterhandlungen in Berlin durch v. Prokesch Anteil zu nehmen, welche auf der von Bayern vorgeschlagenen Grundlage etwa angeknüpft werden könnten. An diese Erklärung wird ein Umriß der künftigen politischen Organisation Deutschlands nach den Ansichten der österreichischen Regierung gereiht, wonach diese Organisation auf den Grundlagen des Deutschen Bundes mit Berücksichtigung der Anforderungen der Zeit zu erbauen, eine in ihrer Sphäre kräftig und rasch sich bewegende Zentralgewalt zu schaffen und die vielen deutschen Staaten zu drei großen Gruppen, Norddeutschland, Süddeutschland, Österreich, zu agglomerieren wären2.

Gegen den Inhalt dieser Erwiderung wurde von keiner Seite etwas erinnert.

II. Zusammenhang des baierischen Territoriums

Der Minister des Äußern eröffnete, daß Bayern seine auf den § 3 des Rieder Vertrages vom 8. Oktober 1813 gegründeten Ansprüche der Herstellung der Kontiguität seines|| S. 427 PDF || Territoriums wieder geltend zu machen und bei den in Deutschland wohl unvermeidlich gewordenen neuen Gebietsabgrenzungen zu verwirklichen gedenke3. Bayern rechne bei seinen diesfälligen Schritten auf den Beistand Österreichs, welches an der Herstellung der Kontiguität ein doppeltes Interesse habe, erstens ein politisches, wegen Kräftigung Bayerns und somit Süddeutschlands gegenüber Preußen und Frankreich, und zweitens ein finanzielles, wegen der gegenwärtig von Österreich bezahlten jährlichen Kontiguitätsentschädigung von 100.000 f. R[eichs]W[ährung].

Da nun dieses Verhältnis allerdings bestehe, und Bayerns König einen sehr großen Wert darauf lege, eine ausdrückliche Erklärung über seine Ansprüche von Österreich zu erhalten, so glaubte der Minister des Äußern, daß in seiner hierüber an von der Pfordten zu erlassenden Erwiderung gesagt werden könne: „Fürst Schwarzenberg sei ermächtigt zur Zusage, daß Österreich bei sich ergebender Gelegenheit die Durchführung des 3. Artikels des Rieder Vertrages nach Kräften unterstützen werde.“ Damit aber jeder Schein vermieden werde, als beabsichtige die österreichische Regierung der baierischen eine bewaffnete Kooperation zur Durchsetzung der angestrebten Kontiguität zu gewähren, geruhten Se. Majestät zu bestimmen, daß aus dem erwähnten Satze der Ausdruck „nach Kräften“ weggelassen werde4.

III. Konvention über die Verpflegung des russischen Hilfskorps

Der Ministerpräsident legte Sr. Majestät ein Exemplar der vom FZM. Grafen Caboga abgeschlossenen Konvention (1. Exemplar der Konvention vom 29. Mai / 10. Juni 1849, 2. Auszug der Konvention zum Gebrauche der österreichischen Armeekommissäre5) wegen Verpflegung etc. der russischen Auxiliarkorps mit der au. Bitte vor, dieselbe nunmehr ratifizieren zu dürfen, nachdem jede Hoffnung, bei einigen Punkten günstigere Bedingungen zu erwirken, nach der vom Grafen Nesselrode eben erhaltenen Erklärung verschwunden ist, und die konventionsgemäß bestimmten Modalitäten der Zahlungen Österreichs an Rußland für Naturalien nach Erklärung des Finanzministers für uns günstig sind.

Se. Majestät geruhten diese Ermächtigung Ag. zu erteilen6.

IV. Grundzüge für die Organisierung der politischen Verwaltungsbehörden

Der provisorische Minister des Inneren hielt einen Vortrag über die Grundzüge der Organisation für die politischen Verwaltungsbehörden. Es würden drei Instanzen, der Bezirkshauptmann, der Kreispräsident und der Minister des Inneren, bestehen. In den größeren Kronländern bildet der Statthalter ein Mittelglied zwischen den zwei oberen Instanzen. Der Amtsbezirk der Bezirkshaupt­mannschaften hätte in der Regel mit jenem der Bezirkskollegialgerichte zusammenzufallen. Die Einführung des neuen politischen Organismus, der zugleich mit jenem der Gerichtsbehörden, womöglich|| S. 428 PDF || bis 1. November 1849, ins Leben zu treten hätte, wäre durch eigene Landeskommissionen zu bewirken.

Über die Grundzüge, welche einstimmig angenommen wurden, wird der Minister Bach sofort einen au. Vortrag erstatten und in der Folge die Detailprojekte für die einzelnen Länder der Ah. Genehmigung unterziehen7.

V. Entschädigung für die aufgehobenen Urbariallasten

Derselbe Minister gab einen Überblick desjenigen, was bisher geschehen ist, um die Ausmittlung der Entschädigung für die in Böhmen, Mähren und Schlesien durch die Aufhebung der Urbariallasten entstandenen Verluste zustande zu bringen8. Es sind zu diesem Ende sehr gründliche Operate, unter Mitwirkung der Vertrauensmänner Kajetan Mayer, Feifalik, Streit, Graf Nostitz, Brauner etc. verfaßt9 und nach reifer Beratung der Ministerien des Innern und der Justiz Instruktionen für die demnächst zusammenzusetzenden Landeskommissionen entworfen worden, welche Minister Bach zur Ah. Genehmigung mittelst besonderen au. Vortrages überreichen und den zu designierenden Ministerialkommissären Mayer (für Mähren), Hofrat Klezansky oder Gubernialrat Halbhuber (für Böhmen) und v. Kalchberg (für Schlesien) nach erhaltener Ah. Genehmigung vorzeichnen wird10.

VI. Verfahren gegen die Widerstand leistenden Gemeinden Ungarns

Aus Anlaß der von dem provisorischen Minister des Inneren zur Sprache gebrachten Proklamation des FZM. Baron Haynau über das Verfahren gegen die Widerstand leistenden Gemeinden glaubte Minister Baron Krauß bemerken zu müssen, daß ihm die Drohung, alle Ortschaften, aus deren Häusern auf kaiserliche Truppen geschossen wird, der Erde gleichzumachen, eine allzugroße Strenge scheine, deren Anwendung durch eine legitime Regierung bei dem Vorrücken im eigenen Lande nicht notwendig und auch nicht gerecht erscheine, indem dadurch ganz unschuldige unschuldige Gemeinden für den|| S. 429 PDF || Frevel eines einzigen fremden Rebellen die härteste Strafe erleiden müßten11. Der Ministerpräsident war ebenfalls des Erachtens, daß diese Strafe auf diejenigen Gemeinden zu beschränken wäre, die sich im Rücken der Armee abermals erheben.

Minister Bach behielt sich hierüber die weitere Rücksprache mit FZM. Baron Haynau vor12.

VII. Grundzüge über die Oberleitung der Distrikte Ungarns und Ernennung von Distriktsoberkommissären

Se. Majestät geruhten die von dem Minister Bach angezeigte sub spe rati Ernennung des v. Rohonczy und Grafen Anton Forgách zu Distriktsoberkommissären, wie auch die vorgeschlagenen Grundzüge über die Oberleitung der Distrikte und Komitate in Ungarn vorläufig Ag. zu genehmigen, in Gewärtigung des darüber zu erstattenden au. Vortrages13.

VIII. Adlatus und Alter ego für Jellačić

Nachdem FZM. Baron Haynau auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, dem Banus Freiherrn v. Jellačić für die Ziviladministration in den von ihm zu besetzenden ungarischen Landesteilen einen verläßlichen Beamten zur Seite zu stellen14, so brachte der provisorische Minister des Inneren dafür den Gubernialrat v. Fluck in Vorschlag, welcher zugleich den Banus in der Leitung der kroatischen Angelegenheiten zu unterstützen hätte. Se. Majestät der Kaiser geruhten diesen Antrag Ag. zu genehmigen, aber zugleich auf die Notwendigkeit hinzuweisen, den in Kroatien herrschenden anarchischen Tendenzen durch die Bestellung eines umsichtigen und energischen alter ego des Banus zu steuern und das Ansehen der Regierung in jenem Kronlande wieder herzustellen. Nachdem diese Notwendigkeit von dem Ministerrate anerkannt wurde, beschäftigte man sich mit der allerdings schwierigen Wahl eines für diesen Posten geeigneten Generalen, der eben auch disponibel wäre. Insbesondere kamen hiebei die Generale Graf Leiningen, Graf Degenfeld, v. Legeditsch, Petrichevich-Horváth und Graf Coronini zur Sprache. Sämtliche Stimmen vereinigten sich schließlich dahin, den Letztgenannten au. in Vorschlag zu bringen, welcher durch ausgezeichnete Fähigkeiten, Energie und Umsicht im Handeln, und treue Gesinnung vorzüglich geeignet erscheint, der auch in Kroatien bereits vorteilhaft bekannt und eines südslawischen Dialektes mächtig ist, zudem auch allen dortigen Parteibewegungen ferne stand. Der Ministerpräsident behielt sich vor, über die Wahl des Grafen Coronini und des ihm in der Person des Generalkonsuls zu Konstantinopel Mihanovich beizugebenden Zivilbeamten Rücksprache mit dem Ban zu pflegen, bevor Sr. Majestät die definitiven au. Vorträge erstattet werden. Einstweilen wird der Kriegsminister einige verfügbare|| S. 430 PDF || Bataillons nach Kroatien verlegen, damit der Regierung die materiellen Mittel zu Gebote stehen, um nötigenfalls ihrem Beschlusse Nachdruck zu verleihen15.

IX. Bestellung Ludwig Freiherrn v. Wohlgemuth als Ziviladministrator in Siebenbürgen

Se. Majestät geruhten dem provisorischen Minister des Inneren den Ah. Auftrag zu erteilen, wegen der Oberleitung der Ziviladministration in Siebenbürgen durch einen General die geeigneten Anträge zu erstatten16. Nachdem FZM. Puchner nach Wien berufen wird, FML. Graf Clam in seiner Stellung nicht die Zivilgeschäfte führen kann, dem General Baron Wernhardt Familienverhältnisse im Wege stehen, so schlug der Kriegsminister den FML. v. Wohlgemuth für diesen Posten vor, der die Kräfte dieses ausgezeichneten Generalen minder in Anspruch nehmen würde als das Truppenkommando, wobei er sich aufreibt17.

X. Hebung des Kurses der Banknoten, Vermehrung des Bankschatzes

Der Finanzminister entwickelte hierauf umständlich seine bereits im Protokolle der Sitzung vom 20. Juni 1849 18 niedergelegten Vorschläge zur Hebung des Kurses der Banknoten, Vermehrung des Bankschatzes und Beischaffung der Mittel zur Deckung des Defizits in dem Staatshaushalte.

Nachdem sich der Ministerrat mit diesen Vorschlägen einverstanden erklärte, so wird Minister Baron Krauß sich demnächst deren Ah. Genehmigung unter Beischluß des bezüglichen Patententwurfes au. erbitten19.

XI. Verwaltung der direkten Steuern

Schließlich hielt der Finanzminister einen Vortrag über die Gestalt, welche der Verwaltung der direkten Steuern bei der neuen Organisierung der politischen Behörden zu geben wäre20. Baron Krauß glaubt, daß das Geschäft der Evidenzhaltung der Steuerkataster so wie jenes der Einhebung mit Einschluß des Zwangsverfahrens fortan den unteren politischen Behörden vorbehalten und mithin bei jeder Bezirkshauptmannschaft ein Steuerbeamter bestellt werden dürfte. Die direkten Steuern würden auch zum Wirkungskreis der Kreispräsidenten und Statthalter gehören und in oberster Instanz dem Finanzminister zugewiesen bleiben. Baron Krauß deutete darauf hin, daß die Mehrauslagen für die anzustellenden Steuerbeamten in dem jetzt zu ersparenden Steuereinhebungsperzenten zum Teil ihre Bedeckung finden würden, und diese Beamten vielleicht auch noch für das Briefpostwesen mit Vorteil verwendet werden könnten21.

|| S. 431 PDF || Mit den Anträgen des Finanzministers war man allseitig einverstanden.

XII. Reise des Kaisers nach Brünn

Nachdem der Ministerpräsident die Bitte des Landeschefs in Mähren, daß Se. Majestät Brünn mit einem Ah. Besuche zu beglücken geruhen möchten, vorgetragen hatte, geruhten Se. Majestät die Ah. Geneigtheit hiezu auszusprechen22.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 6. Juli 1849.