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Nr. 74 Ministerrat, Wien, 20. Mai 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. fehlt; anw. Krauß, Bach, Cordon, Thinnfeld, Kulmer (bei I und II); BdE. (Schwarzenberg 20. 5.), Krauß 21. 5., Bach 21. 5., Cordon 21. 5., Thinnfeld, Kulmer; außerdem anw. Werner; abw. Schwarzenberg, Stadion, Bruck.

MRZ. 1554 – KZ. 1564 –

Protokoll der am 20. Mai 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung.

I. Friedensverhandlungen mit Piemont

Der Unterstaatssekretär Freiherr v. Werner las dem Ministerrate ein vom Minister Ritter v. Bruck eingelangtes Schreiben vom 15. d.M.1 vor, worin derselbe meldet, daß trotz aller versöhnlichen Eröffnungen von unserer Seite und unserer Bereitwilligkeit, die Entschädigungsansprüche tunlichst zu ermäßigen, die Friedensunterhandlungen mit Piemont keinen Fortgang haben. Wahrscheinlich sind es die Vorgänge in Ungarn und die Möglichkeit günstiger Eventualitäten, auf welche die Piemontesen Rechnung machen. Da dieser Zustand der Ungewißheit nicht länger fortdauern kann, so erbittet sich der Minister v. Bruck die Weisung des Ministerrates, wie er sich diesfalls weiter verhalten soll. Er bemerkt hiebei, daß die Teilung unserer militärischen Kräfte in Italien (durch das Einschreiten in Toskana und in den Legationen) uns gegenwärtig nicht wohl erlaube, mit Zwangsmaßregeln zu drohen2; nach einer mit dem Feldmarschall Grafen Radetzky gepflogenen Besprechung werde es aber nach einer nicht gar langen Zeit möglich sein, eine entschiedenere Sprache zu führen und kräftiger einzuschreiten. Dies werde dann auf eine doppelte Art geschehen können, entweder a) durch die Androhung der Kündigung des Waffenstillstandes, oder b) da die Kriegskostenentschädigung eine Bedingung des Waffenstill­standsvertrages ist, durch die Androhung der Einhebung der Steuern in den von unseren Truppen besetzten Landesteilen Piemonts.

Der Ministerrat erachtet einstimmig, daß, da die Einhebung der Steuern im Feindeslande als Entschädigung für die Kriegskosten immerhin gehässig ist und die Sache der Ausgleichung nur noch mehr verwickeln könnte, davon abzusehen und sich seinerzeit auf die Androhung der Kündigung des Waffenstillstandes allein zu beschränken wäre.

Rücksichtlich der in der Nachschrift des Ministers v. Bruck erwähnten, von der französischen Seite beantragten weiteren Ermäßigung der bereits auf 115 Millionen Lire ermäßigten Kriegskostenforderung, bemerkte der Ministerrat, daß es allerdings wünschenswert wäre, die 115 Millionen Lire zu erreichen, daß aber auch in dieser Beziehung Beziehung dem Minister eine gewisse Latitude gewährt werden dürfte, auch diesen Betrag nicht unbedingt zu fordern3.

|| S. 316 PDF || Diese Ansichten des Ministerrates werden Sr. Durchlaucht dem Herrn Ministerpräsidenten mitgeteilt, um hiernach dem Minister Ritter v. Bruck die geeigneten Weisungen zukommen zu machen4.

II. Diätensistierung der königlichen Kommissäre und des Vorstandes der politischen Verwaltung in Ungarn

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß teilte ein von dem FZM. Baron Welden erhaltenes Schreiben mit, worin derselbe bemerkt, daß nach der eingetretenen Räumung von Pest und anderer Distrikte Ungarns den dort verwendeten königlichen Kommissären und dem Vorstande der politischen Verwaltung (Szőgyény) die Auszahlung der Diäten nun zu sistieren wäre5.

Was die königlichen Kommissäre anbelangt, so kann nach dem Erachten des Ministerrates eine solche Einstellung keinem Anstande unterliegen, weil sie nicht stabil angestellt waren, daher mit Aufhörung ihrer Dienstleistung auch ihre Genüsse aufhören können. Anders verhalte es sich mit Szögyényi und anderen mit ihm zurückgekommenen, stabil angestellt gewesenen Beamten. Diesen können, wenn sie sich auch außer ihrem Dienstorte befinden, die Bezüge nicht so schlechtweg entzogen werden. Da der Minister Baron Kulmer sich ohnedies jetzt zum FZM. Baron Welden begibt, so hätte er sich unter anderm mit Baron Welden auch darüber zu verständigen, was dieser in Ansehung der Zivilverwaltung zu tun beabsichtiget, wenn er nach Ofen kommt. Hat Baron Welden gegen den Szögyényi etwas, so behält er ihn nicht, und dann kann derselbe ohne Verletzung der Form in den Ruhestand versetzt werden6.

(Hier entfernte sich der Minister Baron Kulmer, um die Reise nach Preßburg zum Baron Welden anzutreten.)

III. Neue Gerichtsverfassung

Der Justizminister Dr. Bach brachte nun die Grundzüge der neuen, in 45 Paragraphen bestehenden Gerichtsverfassung zum Vortrage7. Hierüber wurden nur nachstehende wenige Bemerkungen gemacht:

zu § 1. ad b) wäre statt der Worte: „die bei den Gesandtschaften vorfallenden Rechtsangelegenheiten“ der größeren Deutlichkeit wegen zu setzen: „über die Rechtsangelegenheiten von Personen, welche die Exterritorialität genießen“. In dem zweiten Absatze dieses Paragraphes wäre sich in die Detailbestimmungen in Ansehung des Wohnsitzes nicht einzulassen, sondern nur im allgemeinen der Grundsatz auszusprechen, daß der Wohnsitz des Vorstandes entscheide. ~Die Bestimmung des Begriffes vom Wohnsitze werde die Jurisdiktionsnorm enthalten.

Zu § 2 wurde bemerkt, daß statt der Worte „Bezirksgerichte, Bezirkskollegialgerichte“ zu setzen wäre „Bezirksgerichte, die entweder Einzeln- oder Kollegialgerichte sind“.

Zu § 5. Der erste Absatz dieses Paragraphes wäre kürzer so zu fassen: „Rücksichtlich der Angehörigen der Armee und der Marine wird der besondere Gerichtsstand aufrechterhalten.“

|| S. 317 PDF || Zu § 6. Aus diesem Paragraphe wäre das Wort „Volkszahl“ wegzulassen.

Zu § 10. Der Justizminister Dr. Bach glaubte in Ansehung des in diesem Paragraphen waltenden Prinzips folgendes bemerken zu sollen. Bei den Beratungen mit den Deputierten und Vertrauensmännern über die Grundzüge der neuen Gerichtsverfassung seien zwei Theorien miteinander im Kampfe gewesen. Der eine Teil wollte lauter Kollegialgerichte, der andere lauter Einzelngerichte. Da weder das eine noch das andere zulässig erschien, so wurde ein gemischtes System angenommen, nach welchem die wichtigeren Angelegenheiten den Kollegialgerichten, die minder wichtigen den Einzelngerichten zugewiesen werden sollen, und dieses dem § 10 zum Grunde gelegte Prinzip ist die Ursache der darin vorkommenden Bestimmungen. Nachdem jedoch die übrigen Glieder des Ministerrates sich für das sogenannte italienische System erklärten, nach welchem auf dem Lande, wo ohnedies nur geringere Geschäfte vorkommen, alles den Einzelngerichten zugewiesen, dagegen die oberwähnte Trennung nur in den Städten, wo sich die wichtigeren Geschäfte konzentrieren, eingeführt werden soll, und der Justizminister Dr. Bach dagegen auch nichts zu erinnern fand, so wird derselbe den § 10 dieser Bestimmung gemäß umarbeiten.a

Der § 12 wird dem zu § 10 Gesagten gemäß angemessen modifiziert werden.

Aus dem § 18, erste Zeile, sind die Worte „und letzter“ wegzulassen, weil Fälle denkbar sind, daß gegen eine Entscheidung des Landgerichts in zweiter Instanz ein Rekurs vorkommen kann.

§ 19 wird nach dem zu § 10 Angeführten eine entsprechende Änderung erleiden müssen. Insbesondere bemerkte der Minister Ritter v. Thinnfeld , daß, da die Kuratelsverhängungen auf dem Lande (wegen Verschwendung, Geisteskrankheit usw.) sehr häufig vorkommen, die Zuweisung der Kuratels­verhängung und Aufhebung an die Landesgerichte für die Landbewohner mit großen Nachteilen verbunden wäre, ihnen viele außerordentliche Gänge zu den Landgerichten verursachen würde und dieser Belästigung wegen in den Fällen, wo sie gerade notwendig wäre, unterlassen werden könnte. Nach seiner Meinung wäre die Kuratelsverhängung den Einzelngerichten (Bezirksgerichten) zu überlassen. Rücksichtlich der in diesem Paragraphen sub c gleichfalls vorkommenden Bestimmung wegen des Verlustes oder der Verlängerung der väterlichen oder obervormundschaftlichen Gewalt meinte der Finanzminister , daß den Landesgerichten in erster Instanz nur der Ausspruch über den Verlust der väterlichen, die Verlängerung der väterlichen oder obervormundschaftlichen Gewalt aber den Bezirksgerichten einzuräumen wäre. Der Minister Dr. Bach wird diesen Paragraph hiernach einer nochmaligen Revision unterziehen.

Im § 21 wäre nach dem Worte „Seegerichte“ noch beizufügen „dann die Gefällsgerichte“ etc.

Im § 24 wäre nach der Meinung des Finanzministers Baron Krauß am schicklichen Orte einzuschalten: „Den Bergämternb ist als solchen die Belehnung zugewiesen.“

|| S. 318 PDF || Dasselbe soll auch im § 37 mit den Worten „Ort und“ der Fall sein.

Aus dem § 28 wären die Worte „mit Rücksicht auf die verschiedenen Nationalitäten“ wegzulassen.

§ 38. Der letzte Absatz dieses Paragraphes hätte etwa so zu lauten: „Bis zur Erlassung neuer Gesetze wird für Kompetenzkonflikte zwischen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden bei dem obersten Gerichtshofe ein gemischter Senat bestehen, welcher darüber nach Anhörung des Staatsprokuratorsc entscheidet.“

Der § 40 wäre so wie auch der § 42, als in die gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen nicht notwendig gehörig, ganz wegzulassen.

Im § 44 wäre statt des Wortes „Komitees“ „Kommissionen“ zu setzen.

Endlich ist am Schlusse des § 45 nach den Worten „die Überschreitung des 40. Lebensjahres aber“ die nähere Bestimmung einzuschalten „bei denen, die schon gegenwärtig im Privatjustizdienste sich verwendeten“8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 5. Juni 1849.