MRP-1-2-01-0-18481227-P-0009.xml

|

Nr. 9 Ministerrat, Wien, 27. Dezember 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Schwarzenberg; anw. Stadion, Krauß, Bach, Bruck (nur I-III), Cordon, Thinnfeld; BdE. Stadion, Krauß 8. 4., Bach 8. 4., Bruck, Cordon, Thinnfeld; abw. Kulmer.

MRZ. 3054 – KZ. fehlt –

Protokoll der zu Wien am 27. Dezember 1848 abgehaltenen Sitzung des Ministerra-tes. Unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, zugleich Minister des Äußern Fürsten Felix Schwarzenberg.

[I.] Bestimmung der Bezüge des österreichischen Gesandten Anton Ritter v. Schmerling beim deutschen Reichsverweser

Der Ministerpräsident , zugleich Minister des Äußern, äußerte, er beabsichtige bei Sr. Majestät darauf anzutragen, daß die Bezüge des kaiserlich österreichischen Gesandten bei dem deutschen Reichsverweser Ritter v. Schmerling mit denjenigen des preußischen Gesandten im gleichen Betrage, nämlich mit 30.000 f. des Jahres, zu bemessen wären.

Der Ministerrat vereinigte sich mit diesem durch die obwaltenden Umstände gerechtfertigten Antrage, wobei der Finanzminister nur darauf hindeutete, daß die obige Gesamtsumme nach den vorhandenen Präzedentien in das eigentliche Gehalt und in die Funktionszulage unterzuteilen wäre1.

II. Militärbauten vor der Marxer und Matzleinsdorfer Linie

Im Nachhange zu dem Ministerratsbeschlusse vom 26. l.M.2 in betreff der vor der Marxer und Matzleinsdorfer Linie projektierten großen Militärbauten wurde der Entwurf der von Sr. Majestät au. zu erbittenden Resolution vom Kriegsminister verlesen und mit einigen kleinen Modifikationen des Textes angenommen3.

III. Maßnahmen während der militärischen Besetzung Ungarns

Der Minister des Inneren brachte hierauf die Frage über die Maßregeln zur Sprache, welche von der k.k. Regierung während und nach der militärischen Besetzung des Landes Ungarn zu ergreifen wären4. Graf Stadion wies auf die Dringlichkeit und Wichtigkeit eines solchen Beschlusses hin, da mit der Eroberung des im Aufstande befindlichen Landes nur der erste Schritt zur Herbeiführung der neuen Ordnung der Dinge geschehe, und man dem Fürsten Windischgrätz baldigst Instruktionen geben müsse, damit die von ihm und den übrigen Korpskommandanten in politischer und administrativer Hinsicht zu treffenden Einrichtungen sowohl den gegenwärtigen Verhältnissen der Gesamtmonarchie als derjenigen Gestaltung entsprechen, welche man dem Lande Ungarn definitiv zu geben beabsichtigt. Der Minister des Inneren hat sich bereits mit der Lösung dieser sehr schwierigen Aufgabe beschäftigt und es wurde mit Männern Rücksprache gepflogen, welche mit den ungarischen Verhältnissen auf das genaueste vertraut sind. Von dem Schriftsteller Grafen Johann Mailáth ist auch eine Denkschrift über die neue Organisation Ungarns vorgelegt worden5, welche jedoch allzusehr dem vormärzlichen Zustande dieses Landes angepaßt ist, um den veränderten Verhältnissen der Gegenwart und der beabsichtigten Einheitsher­stellung zu entsprechen. Hofrat Rosenfeld, der durch längere Zeit an der Leitung der ungarisch-siebenbürgischen Angelegenheiten in der höchsten Sphäre Anteil genommen hat, legte dem Minister des Inneren die Grundzüge des Systems vor, wie man bei der allmählichen militärischen Okkupation des Landes und bei dessen neuer Teilung nach nationalen Abgrenzungen vorzugehen hätte6.

Die Minister waren im wesentlichen mit den vom Hofrat v. Rosenfeld entworfenen Grundzügen einverstanden, insbesondere auch damit, daß die Verwaltung des ganzen Landes in den Händen des Militärs durch längere Zeit zu verbleiben hätte. Nur glaubte der Finanzminister sich gegen die Unterordnung der Finanzbehörden unter das Militär erklären zu sollen, weil dies mit der bereits beschlossenen direkten Unterordnung dieser Behörde unter das Finanzministerium in Wien nicht vereinbarlich, für die Einheit im Zollwesen etc. störend und für das Staatseinkommen aus den Gefällen ganz gewiß nachteilig sein würde7.

Graf Stadion wird das Elaborat des Hofrates Rosenfeld, mit der vom Freiherrn v. Krauß angedeuteten Modifikation, vor allem einem zur eindringlichen Prüfung und Begutachtung der ungarischen Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Freiherrn v. Kübeck zusammenzusetzenden Komitee mitteilen und die darüber zu erhaltende Äußerung dem Ministerrate vorlegen8, a .

IV. Kundmachung über die Wiederaufnahme der höheren Studien in Wien

Der p[rovisorische] Minister des Inneren und des Unterrichts verliest den Entwurf einerb zu erlassenden Kundmachung über die Modalitäten, unter welchen die höheren Studien in Wien am 1. April 1849 wieder eröffnet werden9. Hiernach werden bloß Inländer und bei einigen Studienzweigen bloß Ober- und Niederösterreicher in beschränkter Anzahl und nur dann zugelassen werden, wenn sie sich über ihre tadellose Haltung in politischer und moralischer Beziehung ausweisen können. Die Akademie der bildenden Künste und das Polytechnische Institut bleiben aber auch dann noch geschlossen, weil sich die Schüler dieser Anstalten als die tätigsten Werkzeuge der Revolutionspartei bewiesen haben10.

Der Ministerrat, mit dem Entwurfe einverstanden, beschloß denselben vor der Kundmachung noch dem Gouverneur Freiherrn v. Welden mitzuteilen11.

V. Auflösung der noch bestehenden akademischen Legionen

Über Anregung des Justizministers Dr. Bach wurde einstimmig beschlossen, die sämtlichen akademischen Legionen dort, wo sie noch bestehen, aufzulösen, da die studierende Jugend durch den Waffendienst ihrer eigentlichen Bestimmung entzogen wird und diese Korps für die öffentiche Ordnung leicht sehr gefährlich werden können12. Diese Maßregel entspricht auch ganz den Bestimmungen des zu erlassenden Nationalgardegesetzes. Graf Stadion wird daher sofort an die Universitäten eine Weisung erlassen, daß sie die akademischen Legionen auffordere, sich selbst aufzulösen, widrigens ihre Auflösung angeordnet werden würde13.

VI. Wiederaufnahme der Vorlesungen der Wiener Universitätsprofessoren an der Josephsakademie

Nachdem die Vorlesungen der Wiener Universitätsprofessoren im Gebäude der Josephinischen Akademie für die zu bildenden Feldärzte wegen mancherlei Hindernissen noch immer nicht beginnen konnten, so wurde beschlossen, wegen Dringlichkeit der Sache eine aus Zivil und Militär zusammengesetzte Kommission zu bilden, welche sich schon am 28. Dezember zu versammeln hat, mit der Aufgabe, jene Hindernisse zu beseitigen14.

VII. Duldung der Jesuiten- und Redemptoristenkongregationen in den italienischen Provinzen

Der Minister des Inneren eröffnete, der kaiserliche Kommissär im lombardisch-venezianischen Königreiche Graf Montecuccoli habe angefragt, ob die Jesuiten- und Redemptoristenkongregationen aus den italienischen Provinzen zu entfernen wären15.

Über Antrag des Ministerpräsidenten wurde beschlossen, darauf zu erwidern, daß bei dem Umstande, wo das Assoziationsrecht der Staatsbürger, insofern keine verbotenen Zwecke dabei verfolgt werden, respektiert wird, man keinen Grund finde, die fraglichen religiösen Assoziationen zu verbieten. Die genannten Orden wären daher wie bisher zu dulden16.

VIII. Orden des Goldenen Vlieses für den ehemaligen Botschafter in Rom Rudolf Graf Lützow

Der Minister des Äußern bringt unter Zustimmung aller anwesenden Minister in Antrag, Se. Majestät wollen geruhen, dem gewesenen Botschafter in Rom Grafen Lützow den Orden des Goldenen Vlieses zu verleihen, um ihn für seine langjährigen ausgezeichneten Dienste zu belohnen, zumal er sich sonst vielleicht gekränkt fühlen könnte, wenn die Repräsentation Österreichs am Heiligen Stuhle dermal einem andern anvertraut wird. Da er bereits [Träger des] Großkreuzes des St.Stephans- und des Leopoldordens ist, dürfte kaum ein anderes geeignetes Merkmal der Ah. Anerkennung für diesen ergrauten Diplomaten erübrigen als die Dekoration Dekoration des Goldenen Vlieses, welche bereits in mehreren Fällen, auch außer einer großen Promotion, verliehen worden ist (Borromeo Dandolo17).

IX. Geheimratswürde für den Appellationsgerichtspräsidenten Franz Freiherr v. Sommaruga

Über Anregung des Ministers Bach wurde einstimmig auf Ag. Verleihung der geheimen Ratswürde an den Appellations[gerichts]präsidenten Baron Sommaruga angetragen18.

X. Hofkonzipistentitel und -rang für Christoph Columbus

Der Ministerpräsident setzte den Ministerrat in Kenntnis, es sei Allerhöchstenorts die Absicht ausgesprochen worden, dem bei Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Franz Karl verwendeten niederösterreichischen Regierungskonzipisten || S. 61 PDF || Columbus eine höhere Stellung, allenfalls durch Verleihung des Hofkonzipistentitels und Ranges, zu verleihen.

Der Ministerrat beschloß hierauf, Sr. Majestät au. gegenwärtig zu halten, daß von Sr. Majestät dem Kaiser Ferdinand vor wenigen Monaten aus überwiegenden Gründen als Grundsatz augesprochen worden ist, daß die Verleihung unbesoldeter und überzähliger Stellen in der Ziviladministration nicht mehr stattzufinden habe19. Die Verleihung einer unbesoldeten Hofkonzipistenstelle, nach der jetzigen Terminologie Ministerialkonzipistenstelle, bei einem der Ministerien an Columbus würde sich nun mit diesem feststehenden Grundsatze nicht vereinigen lassen. Übrigens dürfte sich die Ag. Absicht einer Beförderung für Columbus durch die Verleihung einer höheren Stellung bei irgend einem Hofamte erreichen lassen20.

XI. Grundzüge des neuen Nationalgardegesetzes

Der Minister des Inneren verlas die Grundzüge des neuen Nationalgardegesetzes. Hiernach würde die Verpflichtung zum Gardedienste in der 1. Abteilung vom 27. bis 40. und in der 2. Abteilung vom 40. bis 50. Lebensjahre dauern. Nur Ortschaften über 3000 Seelen würden eine Garde zu errichten befugt sein. Die hier und dort bestehenden „alten Bürgerkorps“ würde man nach und nach eingehen lassen. Die Nationalgarde wäre ein Gemeindeinstitut und unter das Kommando des Gemeindevorstehers (Bürgermeisters) gestellt.

Im wesentlichen mit diesen Grundzügen einverstanden, fanden es die übrigen anwesenden Minister doch bedenklich, dem Gemeindevorsteher in großen Städten zu seinen übrigen Rechten auch das wichtige, einflußreiche Kommando der Nationalgarde einzuräumen. Man vereinigte sich daher zu dem Beschluß, größere Nationalgardekörper unter einen von der Regierung zu ernennenden Militärkommandanten zu stellen21.

XII. Entschädigung für die mit Patent vom 7. September 1848 aufgehobenen Urbariallasten

Der Justizminister brachte die wichtige Angelegenheit der Entschädigung für die mit dem Patent vom 7. September 1848 aufgehobenen Urbariallasten zur Sprache22. Der Ausschuß des Reichstags ist mit der Entschädigungsfrage, die für die Existenz so vieler Gutsbesitzer eine Lebensfrage bildet, schon seit vier Monaten beschäftigt, ohne daß es zu dem so sehnlich erwarteten Schlusse kommt23. Die ehemaligen Dominien beziehen gar nichts und sind in der traurigsten Lage, während der entlastete Bauer sich daran || S. 62 PDF || gewöhnt, gar keine Entschädigung zu leisten. In beider Hinsicht ist eine provisorische Vorkehrung nötig. Vor allem tut es not, sich über die Grundsätze zu einigen, nach welchen vorzugehen sein wird.

Die aufgehobenen Giebigkeiten zerfallen in zwei Hauptkategorien: 1. Die Leistungen des Untertans, welche mit der Jurisdiktion der Herrschaft im Zusammenhange stehen – Laudemium, Mortuar, Pfundgeld etc. 2. Jene Leistungen, welche mit dem Grund und Boden verbunden waren, als Robot, Zehent, Bergrecht etc. Für die Leistungen der ersten Art hätte der Staat die Entschädigung allein zu leisten, welcher die dazu notwendigen Mittel, wenigstens zum Teil, in der einzuführenden Registrierungsgebühr finden dürfte. Die Entschädigung für die Leistungen der zweiten Art wäre a) von dem Entlasteten, b) von dem Bezugsberechtigten und c) von dem Staate oder der Provinz zu übernehmen. Vorschußweise hätte der Staat die Entschädigung im allgemeinen zu leisten.

Über diese Hauptgrundsätze waren die Minister im wesentlichen einer Meinung. Es entspann sich jedoch eine Kontroverse zwischen dem Justiz- und dem Finanzminister, von welchen der erstere wünschte, daß über die Entschädigungsquoten im allgemeinen entschieden werde, während Baron Krauß die Entscheidung von Fall zu Fall den Behörden im gewöhnlichen Instanzenzuge zu überlassen gedächte und dabei auf die unendlich vielen verschiedenartigen Giebigkeiten hinwies, welche in den Provinzen bestanden.

Schließlich formulierte Graf Stadion den Beschluß dahin, daß die Regierung die Grundsätze der Entschädigung auszusprechen und ein Provisorium einzuführen, der Reichstag aber die definitiven Anordnungen zu treffen habe24.

XIII. Beiziehung der subalternen Buchhaltungsbeamten zu Besetzungsberatungen

Über das Gesuch der subalternen Buchhaltungsbeamten, daß sie den Gremialberatungen über Besetzungen beigezogen werden möchten, wurde nach dem Antrage des Grafen Stadion beschlossen, bei Sr. Majestät darauf einzuraten, daß alles noch beim alten belassen werde, zumal den Kontrollbehörden ohnehin eine gänzliche Umstaltung bevorsteht25.

XIV. Verhältnisse des lombardisch-venezianischen Königreiches zur Gesamtmonarchie; Religionsfragen

Der Ministerrat zog endlich auch die Verhältnisse des lombardisch-venezianischen Königreichs zur Gesamtmonarchie26, dann einen Gesetzentwurf über die Modalitäten des Übertritts aus der katholischen Kirche zu einem anderen Bekenntnis, über gemischte Ehen und die religiöse Erziehung der aus selben entsprungenen Kinder in Erwägung.

Es kam jedoch über diese Gegenstände zu keinem definitiven Beschlusse27.

Olmütz, 29. Dezember 1848. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph.