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Nr. 6 Ministerrat, Wien 24. Dezember 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; anw. Stadion, Krauß, Cordon, Bach, Bruck, Thinnfeld; BdE. Stadion, Krauß 8. 4., Bach 8. 4., Bruck, Cordon, Thinnfeld, Kulmer.

MRZ. 2988 – KZ. fehlt –

I. Aufregung in Sachsen über die Hinrichtung Robert Blums

Der Herr Ministerpräsident eröffnete die Sitzung durch Mitteilung eines ihm zugekommenen Schreibens des k.k. Gesandten und bevollmächtigten Ministers am königlich sächsischen Hofe Grafen v. Kuefstein, worin dieser meldet, daß die Aufregung über Blums Hinrichtung sich dortlandes noch nicht gelegt habe, und daß man Demonstrationen durch Leichenfeier und Abberufung des Gesandten am kaiserlich österreichischen Hofe, Könneritz, zu machen beabsichtige1.

Der Ministerpräsident wird dem Grafen Kuefstein antworten, daß der königlich sächsische Gesandte den Blum von seinem Treiben abgemahnt und ihm einen Paß zur Rückreise ausgestellt habe, dieser sei aber dennoch in Wien zurückgeblieben, und daß, wenn der königlich sächsische Gesandte abberufen wird, dieser Posten in diesem Augenblicke unbesetzt bleiben müßte, die Leichenfeier sei eine traurige Demonstration usw2.

II. Ursachen der Flucht des Papstes nach Gaeta

Ferner teilte der Ministerpräsident einen Brief des Papstes an Se. Majestät mit, welchen der Nuntius selbst Allerhöchstenorts übergeben wird. In diesem Briefe werden die Ursachen angegeben, welche Se. Heiligkeit zur Flucht nach Gaeta bestimmt haben, welchen Kummer ihm die Verhältnisse in Rom verursachen, seine Protestation dagegen und zuletzt das Ansuchen gestellt, das katholische Prinzipat zu schützen3.

Der Ministerpräsident hat den französischen Geschäftsträger zu sich bitten lassen, um sich mit ihm darüber zu besprechen und sich überhaupt diesfalls mit Frankreich einzuverstehen. Daß wir dem Papste helfen sollen, kann keinem Anstande unterliegen. Hat der Papst sich auch an Frankreich gewendet, dann machen wir eine gemeinschaftliche Sache, daß Österreich von Italien nichts will ist ohnehin bekannt. Hierauf ist der Ministerpräsident || S. 40 PDF || auf Venedig übergegangen, von wo der Admiral Albini zu vertreiben wäre. Wir rückten dann in die Legationen Bologna und Ancona vor und versammeln zu diesem Ende Truppen am Po.

Der französische Geschäftsträger versprach, diese Sache bei seiner Regierung zu unterstützen4.

III. Deutsche Angelegenheiten

Erwähnte der Ministerpräsident der deutschen Angelegenheiten, hinsichtlich welcher schon jetzt in Deutschland von einem Traktate mit Österreich gesprochen werden soll5.

Dagegen müßte sich der Ministerpräsident gegenwärtig ganz erklären, weil die Sachen in Frankfurt noch nicht so weit gediehen sind, um diesen Gegenstand schon jetzt zur Sprache zu bringen. Wir wünschen die Einteilung Deutschlands in eine gewisse Zahl größerer Kreise, größerer Staatenkomplexe und Mediatisierung der kleinen unbedeutenden Staaten, einen Staatenbund und ein Parlament dafür. Hierüber wird es vor allem notwendig sein, eine Punktation aufzusetzen und sie den verschiedenen Höfen Deutschlands mitzuteilen, damit sie sich auch ihrerseits darüber erklären6.

IV. Rekrutierungsausschreibung

Der Minister des Inneren brachte die Rekrutierung zur Sprache. Daß diese bei der gegenwärtigen Konstellation in Europa, wo Österreich vielleicht bald eine größere Macht wird entwickeln müssen, ein dringendes Bedürfnis sei, unterliege keinem Zweifel. Es handle sich gegenwärtig nur darum, ob diese Angelegenheit vor den Reichstag gebracht und von diesem die Bewilligung hierzu erwirkt werden solle oder nicht, und zweitens, ob das Rekrutierungspatent, welches bereits gedruckt vorliegt und dessen Punkte bereits in allen Zeitungen bekanntgemacht worden sind, herausgegeben, oder ob damit noch zurückgehalten werden soll7.

Da nach mehreren Manifesten Sr. Majestät der gegenwärtige Reichstag nicht bloß ein konstituierender, sondern auch berufen ist, Gesetze zu geben, wie z.B. das Preß-, das Nationalgarde-, das Assoziations­gesetz etc., so sollte, streng genommen, auch die Rekrutierung vor denselben gebracht werden. Da jedoch die Rekrutierung dringend ist, nicht aufgeschoben werden kann und auf dem Reichstage wenigstens sechs Wochen dazu erforderlich wären, um die Bewilligung dazu durch alle Stadien zu bringen, so einigte sich der Ministerrat in dem Beschlusse, die Rekrutierung sogleich auszuschreiben, dem Reichstage aber hievon gleichzeitig die Eröffnung mit dem Beisatze zu machen, daß das Ministerium die Überzeugung hege, der Reichstag werde diese Ausschreibung durch die Dringlichkeit der Umstände gerechtfertigt finden und sie ohne Bedenken genehmigen. Den Kreisämtern wäre der strenge Auftrag zu erteilen, sich der Rekrutierung angelegentlichst zu widmen.

Das Rekrutierungspatent, obgleich dagegen eingewendet wird, daß es im gegenwärtigen Falle kein Resultat haben werde, weil die Zwanzigjährigen bereits abgestellt sind und die || S. 41 PDF || Neunzehnjährigen meistens zurückgeschickt werden müssen, wäre doch herauszugeben, weil es noch immer möglich ist, aus anderen Jahresklassen Rekruten zu erhalten8.

V. Verhältnis der lombardisch-venezianischen Provinzen zu Österreich

Derselbe Minister bemerkte in Ansehung des in einer früheren Ministerratssitzung besprochenen Verhältnisses der italienischen Provinzen zu Österreich, daß man in Absicht auf das feste Band, womit diese Provinzen an Österreich zu knüpfen wären, noch nicht übereingekommen ist9. Nach seiner Meinung sollte dieses Band darin bestehen, daß diese Provinzen Anteil nehmen an der Volksvertretung, sofern diese Angelegenheiten der ganzen Monarchie zum Gegenstande hat. Innere Angelegenheiten besorgen sie zu Hause. Am Reichstage würden nur die allgemeinen, die höchsten Staatsinteressen besprochen, wie Handels- und Friedensverträge, Finanzfragen, Rek-rutierung etc. Diese wären nicht sehr zahlreich, und für diese würden in allen Provinzen der Monarchie Männer gefunden werden.

Hierüber ist man übereingekommen, daß jedes Mitglied des Ministerrates zur nächsten Sitzung seine Ideen entwerfe, ob im österreichischen Staate Gruppen eingeführt werden sollen, und im bejahenden Falle, wieviele und welcher Art sie sein sollen, um auf dem Grunde des sohinigen Beschlusses auch über das italienische Verhältnis ins reine zu kommen10.

VI. Stellung der Protestanten

Derselbe Minister eröffnete dem Ministerrate, daß am 12. Oktober d.J. ein Vortrag in Absicht auf die Stellung der Protestanten erstattet worden ist, dessen Beilagen sich vorfinden, aber der Vortrag selbst verlorengegangen ist11. Er glaubt diesen Gegenstand wieder Sr. Majestät vorlegen zu sollen, zu welchem Behufe er ihn neuerdings vortrug. Der Minister des Inneren wird hierüber noch vor allem das diesfällige, für Ungarn erlassene Gesetz zu Rate ziehen12 und diesen Gegenstand neuerdings zum Vortrage bringen. Übrigens werden die §§ 2 und 5 der vorzulegenden Vorschrift offengelassen werden, weil sie durch die zu erwartende Konstitution ihre Erledigung finden werden13.

VII. Verbot des Anschlagens von Plakaten

Schließlich brachte der Minister Graf Stadion eine Anordnung als dringend notwendig in Antrag, nämlich das Verbot des Anschlagens von Plakaten und Flugschriften, des Verkaufs und Ausrufens derselben, worin zugleich bestimmt ist, daß die Übertreter mit 50–100 f. in Geld oder im Falle der Unvermögenheit mit 1–14 Tagen Arrest bestraft werden sollen, daß von jedem Plakate ein Exemplar der Behörde zu überreichen ist, welche Behörden hier einzuschreiten haben etc.|| S. 42 PDF || Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden14.

VIII. Pensionierung Franz Carl Wagners; Versetzung Aloys Sylverius Ritters v. Kremer-Auenrode zum Generalrechnungsdirektorium

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß hat hierauf die von dem Hofrate des Generalrechnungsdirektoriums Wagner angesuchte Quieszierung wegen geschwächter Gesundheit besprochen. Dieser Hofrat dient bereits 35 Jahre und genießt eine Besoldung von 5000 f. Das Generalrechnungsdirektorium trägt für diesen Hofrat auf Belassung des geringeren Hofratsgehaltes, d.i. auf 4000 f., als Pension an. Diesen Antrag findet der Finanzminister ungewöhnlich und meint, daß dem Wagner, da er doch schon 35 Jahre dient, zwei Drittel seines letzten Gehaltes als Pension zu belassen wären, womit sich der Ministerrat einverstanden erklärte.

Statt des Wagner wäre, nach der Ansicht des Finanzministers, der Hofrat der bestandenen Hofkammer Kremer zur Dienstleistung des Generalrechnungsdirektoriums zuzuweisen. Dieser Hofrat kaufte im Jahre 1847 ein Gut um einen bedeutenden Betrag, und es verbreiteten sich bald darauf Gerüchte von seiner Bestechlichkeit und seinem Einverständnisse mit dem Eisenbahnunternehmer Klein. Der damalige Hofkammerpräsident, Freiherr v. Kübeck, gab dem Kremer einen längeren Urlaub, und als dieser abgelaufen war, teilte er ihm kein bestimmtes Referat mehr zu, sondern verwendete ihn zu einzelnen Systemalarbeiten. Das Vermögen glaubte Kremer damit nachzuweisen, daß er einiges von seinem Vater geerbt, daß seine Frau einen Treffer gemacht und daß ihm sein Kommentar über das vor mehreren Jahren erschienene neue Tax- und Stempelgesetz eine namhafte Summe eingetragen habe.

So fand ihn Freiherr v. Krauß, als er das Finanzministerium übernahm. Auch er hat Bedenken getragen, den Hofrat Kremer mit einem Departement zu beteilen, wo er mit den Parteien in notwendige Berührung kommen müßte. Bei dem Generalrechnungsdirektorium sei das anders. Hier kommt er mit Parteien in keine Berührung, und da dem Generalrechnungsdirektorium in nächster Zukunft mehrere Systemal­arbeiten bevorstehen (denn das Rechnungswesen muß umgestaltet werden), wozu Hofrat Kremer mit Nutzen verwendet werden könnte, so wäre er dahin zur Dienstleistung zuzuweisen. Freiherr v. Krauß wird übrigens noch vorläufig mit dem Präsidenten des Generalrechnungsdirektoriums hierüber sprechen, und wenn dieser damit einverstanden ist, so wäre diese Zuweisung einzuleiten.

Der Ministerrat erklärte sich mit dieser Zuweisung einverstanden15.

IX. Pensionierung Franz Edlers v. Fritsch und Franz Vordereggers

Der Minister Ritter v. Thinnfeld brachte die Pensionierung zweier Montanbeamten in Antrag, und zwar a) des Fritsch von dem Bergwerke in Idria, welcher über 40 Jahre dient, mit seinem ganzen Gehalte und b) des Vorderegger, welcher zwar auch über 40 Jahre dient, wenn die 2 1/2 Jahre in seine Dienstleistung eingerechnet werden, die er als Diurnist zugebracht hat, ohne diese Einrechnung würden diesem || S. 43 PDF || Beamten nur wenige Monate auf 40 Jahre fehlen. Der Minister meint, daß auch diesem Beamten sein ganzer, ohnehin geringer Gehalt als Pension zu bewilligen wäre16.

Der Ministerrat hat beiden Anträgen seine Zustimmung erteilt.

X. Ernennung Anton Strobachs zum Appellationsgerichtsrat

Rücksichtlich des von dem Justizminister zur Sprache gebrachten Wunsches des Reichstags­präsidenten Strobach, zum Appellationsrate ernannt zu werden, uma einen Rang in der Gesellschaft zu besitzen, erklärten sich alle Mitglieder für die Unterstützung17. Der Ministerpräsident wird diese Angelegenheit Sr. Majestät vorlegen18.

XI. Begnadigung Ludwig Raveaux’

Der Justizminister teilte ferner mit, daß ihm viele Urteile aus Anlaß der letzten Wiener Ereignisse zum Behufe der Begnadigung vorgelegt worden seien, darunter auch das von Raveaux, der zwar ein Ausländer, aber hier ansässig und verheiratetb ist. Dieser wurde zum Tode verurteilt, weil er am 26. Oktober nach der Proklamation einen Zettel schrieb, welcher die Fortsetzung des Widerstandes bezielte. Er gab an, hierzu gezwungen worden zu sein, sonst ist nichts Erschwerendes gegen ihn vorgekommen.

Der Minister Bach trug auf Begnadigung an, weil Fröbel und der Kommandant der akademischen Legion, Aigner, gleichfalls begnadigt worden sind19.

Hinsichtlich des Aigner wurde entgegnet, daß zu seinem Gunsten vorzüglich der Umstand sprach, daß er vom Bruche der Kapitulation abgeraten und nach dieser nichts Feindliches mehr unternommen hat, was beim Raveaux nicht geltend gemacht werden [kann], indessen erklärte man sich gleichfalls für die Begnadigung, nur wäre er in das Ausland zu senden und zu diesem Behufe mit Pässen zu versehen20.

XII. Verhältnis der Zahl der Ministerial- und der Sektionsräte bei den Ministerien

Der Kriegsminister stellte die Anfrage, ob, da bei den Ministerien jetzt Ministerialräte und Sektionsräte bestehen, diese zwei Kategorien etwa in gleicher Anzahl zu sein brauchten, worauf ihm entgegnet wurde, daß das nicht nötig sei. Im Gegenteil sollten bei den betreffenden Ministerien die Ministerialräte als erfahrenere und geübtere Männer prävalieren, so daß z.B., wo zwölf Räte sind, davon acht Ministerialräte und vier Sektionsräte wären, ohne übrigens streng auf dieses Verhältnis gebunden zu sein21.

XIII. Normale Pension für Joseph Freiherr Werklein

Derselbe Minister trug aus Anlaß eines ihm überreichten Gesuches des pensionierten Obersten Werklein an, demselben die normalmäßige Oberstenpension von 1200 f. vom 1. Oktober 1848, sowie den Nachtrag von 200 f. jährlich vom 1. Oktober .. zu bewilligen, wogegen der Ministerrat nichts zu erinnern fand22.

XIV. Pensionierung Anton Grafen Apponyi

Der Ministerpräsident , als Minister der auswärtigen Angelegenheiten, brachte die Pensionierung des vormaligen k.k. Botschafters in Paris, Grafen Apponyi, in Antrag, welcher 43 Jahre gedient hat, ohne Vermögen ist und in der letzteren Zeit in Ungarn fast alles verloren hat. Nach seiner Ansicht wäre ihm als Botschafter die höchste gegenwärtig zulässige Pension von 8000 fr. umso mehr zu bewilligen, als sein Botschaftersgehalt diesen Betrag überstiegen hat.

Der Ministerrat erklärte sich damit vollkommen einverstanden23.

XV. Grundrechtsentwurf für den Reichstag

Schließlich wurde der dem Reichstage vorgelegte Entwurf der Grundrechte des österreichischen Volkes vorgelesen24. Die Minister teilten sich ihre Ansichten über mehrere Paragraphen dieses Entwurfes mit, ohne übrigens darüber Beschlüsse zu fassen25.

Ah.E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph.