MRP-1-2-01-0-18481212-P-0002.xml

|

Nr. 2 Ministerrat, Olmütz, 12. Dezember 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Kaiser; anw. Schwarzenberg, Stadion, Krauß, Bruck, Thinnfeld, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 13. 12.), Stadion, Krauß 8. 4., Bruck, Bach 8. 4., Cordon, Thinnfeld, Kulmer; abw. Cordon.

MRZ. 2871 – KZ. fehlt –

[Tagesordnungspunkte]

Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Olmütz am 12. Dezember 1848. In Ah. Anwesenheit Sr. Majestät.

I. Memorandum an die preußische Regierung über die Verfassung Deutschlands

Der Ministerpräsident Minister des Äußern verlas ein an die preußische Regierung über die künftige Konstituierung Deutschlands (als Antwort auf eine von derselben ihm gemachte vertrauliche Mitteilung) zu erlassendes Memorandum1. Die Grundzüge desselben wären folgende: 1. Die deutsche Reichsverfassung, wie sie nach den Vorarbeiten des dermaligen Frankfurter Parlaments voraussicht­lich zustande kommen werde, sei nicht geeignet, um von den großen deutschen Staaten, namentlich Österreich und Preußen, angenommen zu werden2. 2. Es handle sich hiernach um die Frage, was dieselben in dieser Voraussetzung zu tun haben, und zwar a) von jetzt an bis || S. 13 PDF || zur Promulgierung der von der Frankfurter Versammlung bearbeiteten Verfassung, b) bei der Promulgierung derselben und c) nach dieser Verkündigung. 3. ad a) Hätten diese Regierungen dahin zu wirken, daß der materielle Friede in Deutschland nicht gestört, die Zentralgewalt aber gekräftigt und auf den rechten Weg geleitet werde. 4. ad b) hätten sie zu erklären, daß sie die von der Frankfurter Versammlung entworfene Verfassung nicht annehmen und sich vorderhand der Zustimmung der möglichst größten Anzahl der übrigen deutschen Regierungen zu versichern. Auf Hannover, Bayern und Sachsen dürfte jetzt schon zu rechnen sein. 5. ad c) hätten sie die neue Konstituierung Deutschlands selbst zu bewirken und zwar so lang als möglich im Wege der Vereinbarung.

Hierzu wäre erforderlich, daß sich die Regierungen der größeren deutschen Staaten über die Grundlagen dieser neuen Konstituierung vorläufig vereinigen. 6. Als diese Grundlagen wären zu bezeichnen: a) Deutschland als Staatenbund mit Beibehaltung des Elements der volkstümlichen Vertretung, b) kräftige Exekutivgewalt, c) Bestellung zweier Repräsentativkörper bestehend aus den von den Regierungen zu ernennenden Abgeordneten der Fürsten und aus gewählten Vertretern des Volks, d) Beschränkung derselben auf Gesetzgebungsgegenstände und auf gewissee Dauer, während die Exekutivgewalt permanent zu bleiben hätte; e) Gewährleistung der allgemeinen Grundrechte, Verschmelzung der Defensivkräfte und materiellen Interessen. 7. Die Vorkehrungen zu diesem Einverständnisse über die Grundlagen der Verfassung wären mit der größten Geheimhaltung zu treffen und 8. zur Ausarbeitung der Verfassung einige ausgezeichnete deutsche Publizisten zu berufen, 9. endlich Vorsorge zur Unterdrückung der bei Verwerfung des Frankfurter Verfassungs­elaborats wahrscheinlich im südwestlichen Deutschland ausbrechenden Unruhen zu treffen.

Im allgemeinen mit diesen Grundzügen einverstanden, glaubten die Minister doch vorerst noch die Bedingungen ins klare setzen zu müssen, unter welchen Österreich sich an der Rekonstituierung Deutschlands zu beteiligen und demselben anzuschließen hätte. Bei Festhaltung der Idee, daß die sämtlichen zur österreichischen Monarchie gehörenden Provinzen untrennbar zu einem großen Reiche vereinigt bleiben sollen, könne von einer Vereinigung der bloß deutsch-österreichischen Länder mit Deutschland, was nur zur Zerstückelung Österreichs führen würde, keine Rede sein. Vielmehr müsse Österreich in seiner Gesamtheit, als wahre europäische Großmacht, im eigenen und im wohlverstandenen Interesse Deutschlands selbst, dem deutschen Staatenbunde beitreten. Hieraus und aus dem Umstande, daß Österreich zum größeren Teile aus nichtdeutschen Provinzen besteht, ergäbe sich die Verschiedenheit der Stellung und des Verhältnisses, in welches die rein deutschen Staaten unter sich und zu Österreich als Gesamtstaat zu treten hätten. Während jene allerdings eine engere Verbindung unter sich eingehen könnten, müßte es Österreich vorbehalten sein, dem deutschen Staatenbunde nur unter der Bedingung der Erhaltung seiner Integrität und Selbständigkeit beizutreten, und es müßten die Grenzen scharf bezeichnet werden, bis zu welchen dieser Verband aufzuhören hätte, weil nicht zugegeben werden könnte, daß über seine Interessen anderswo als auf seinen Reichstagen beraten und Gesetze diktiert werden. Was die einzelnen deutschen Staaten betreffe, so führe die Wahrnehmung, daß die anarchische Partei in Deutschland sich gerade jetzt für die Erhaltung der kleineren Staaten ausspricht, weil sie bei der Schwäche derselben für Wühlereien und Revolutionen in den || S. 14 PDF || Gebieten derselben ein offenes Feld findet, zu der Notwendigkeit, im Interesse der wahrhaften Pazifikation Deutschlands diese kleinen Fürstentümer, wo nicht zu mediatisieren (wenn dies etwa wegen Konflikten mit den außerdeutschen Großmächten bedenklich wäre) doch in größere Komplexe, vielleicht Reichskreise in der Zahl von sechs bis acht zu vereinigen und in dieser Form unter dem Einflusse Österreichs jene engere Verbindung eingehen zu lassen, an welcher übrigens auch die österreichisch-deutschen Staaten für sich in einigen Beziehungen sich beteiligen könnten. Der schlechte Erfolg der Beratungen des volkstümlichen Parlaments in Frankfurt würde, wenn möglich, die Beseitigung oder doch wenigstens eine Modifikation des Elements der volkstümlichen Vertretung bei der neuen deutschen Verfassung wünschenswert machen; sie dürfte darin bestehen, daß die Vertreter nicht unmittelbar aus dem Volke, sondern aus den Abgeordneten der einzelnen Reichstage in den zweiten, neben dem Hause der Abgeordneten der Fürsten zu bestellenden legislativen Körper gewählt würden. Zur Grundlage der neuen Konstitution könnte übrigens die Bundesakte von 1815 genommen werden.

Als Männer, denen die Ausarbeitung der oben zu 5. ad c) erwähnten neuen Konstitution anzuvertrauen wäre, wurden Camphausen, Closen, Gagern, der österreichischen Handelsminister v. Bruck, oder, wenn er dieses Geschäft nicht übernähme, Dr. Würth oder Baron Sommaruga bezeichnet3. Das von denselben zu liefernde Verfassungselaborat, wenn es die Approbation der betreffenden Regierungen erhalten hätte, würde sodann nach der bei der ersten Lesung der Frankfurter Konstitution zu erklärenden Verwerfung derselben der Frankfurter Versammlung zur Annahme zu übergeben und im Falle des fruchtlosen Versuchs der Vereinbarung mit derselben, würden die österreichischen und preußischen Deputierten von Frankfurt abzurufen und die von den Regierungen angenommene Verfassung Deutschlands als oktroyierte hinauszugeben sein.

Mit Rücksicht auf diese Andeutungen würde sofort das der preußischen Regierung zuzustellende Memorandum bei einigen Punkten näher zu formulieren sein4.

II. Ernennung Gregor Szaszkiewitz’ zum Ministerialrat im Ministerium des Unterrichts

Der Minister Graf Stadion , in Vertretung des Unterrichtsministers, erbat sich die Ah. Ermächtigung zu dem Antrage, den Reichstagsdeputierten Gregor Szaszkiewiecz zum Ministerialrate im Ministerio des Unterrichts vorschlagen zu dürfen5; desgleichen als Minister des Inneren

III. Ernennung Metell Ožegovićs v. Barlabasevec zum Ministerialrate im Ministerium des Inneren

den ehemaligen ungrischen Statthaltereirat Ožegović zur Wahrnehmung der Interessen der ungrischen Kronländer für das Ministerium des Inneren6;

IV. Ernennung des griechisch-nichtunierten Erzbischof Josef Rajažić zum Patriarchen

desgleichen zur Ernennung des griechisch-nichtunierten Erzbischofs von Karlowitz, Rajačić, zum Patriarchen7, weiters

V. Gesuch der Serben um Definition ihres Territoriums

zur ausweichenden Beantwortung eines Einschreitens der Vertreter der serbischen Nation in betreff der Feststellung ihres Territoriums8.

Die Ah. Ermächtigung ward von Sr. Majestät erteilt; die Vorträge hierwegen werden vom Grafen Stadion nachträglich vorgelegt werden9.

VI. Erhöhung der Verzehrungssteuer für Branntwein

Der Finanzminister übergab seinen Vortrag vom 10. Dezember 1848 wegen Erhöhung der Verzehrungssteuer für Branntwein10.

VII. Gnadengabe für Ferdinand Heissig

Der Handelsminister referierte über eine dem Kadettfeldwebel Beamtenswaisen Ferdinand Heissig11 und

VIII. Gnadengabe für Maria Böhm

der Beamtenswaise Maria Böhm zu bewilligende Gnadengabe. Da für letztre der Bezug nur auf drei Jahre angetragen worden, so machte der Finanzminister den Vorschlag, selbe bis zur Herstellung der Gesundheit dieser Waise zu bewilligen, um bei dem voraussichtlichen nach Ablauf jener drei Jahre wieder zu gewärtigenden Einschreiten unnütze Weitläufigkeit zu vermeiden12.

Der Handelsminister brachte weiters die Besetzung der Vizekonsulate

IX. Besetzung des Vizekonsulates in Adrianopel

in Adrianopel13 und

X. Besetzung des Vizekonsulats in Charlestown

zu Charlestown14,

XI. Freiherr Hackelbergsches Holzschwemmprivilegium

eine Verhandlung bezüglich der freiherrlich Hackelbergschen Holzschwemme15,

XII. Anspruch Alexander Grafen Auersperg auf Verzugszinsen

den Anspruch des Grafen Auersperg auf Verzugszinsen von einem für abgetretene Grundstücke erhaltenen Kapitale16, endlich

XIII. Gesuch der Brünner Buchhändler um Aufhebung des neuen Buchhandlungsbefugnisses

das Ah. signierte Gesuch der Brünner Buchhändler um Behebung eines für Brünn bewilligten neuen Buchhandlungsbefugnisses17 – letztre drei Verhandlungen mit dem Antrage auf Zurückweisung der betreffenden Gesuche zur Sprache.

Die Vorträge darüber werden nachträglich eingesendet werden.

XIV. Systemisierung einer Referentenstelle für die Ackerbauangelegenheiten beim Ministerium für Landeskultur

Der Minister der Landeskultur übergab seinen Vortrag wegen Systemisierung einer Referentenstelle für die – in seinem Ministerio bisher noch nicht vertretenen – Angelegenheiten des Ackerbaus, mit dem Antrage, diese Stelle dem Ritter v. Schreibers vorderhand provisorisch zu übertragen18.

Gegen alle diese Anträge wurde nichts erinnert.

XV. Zivilstrafrechtliches Verfahren gegen die am Oktoberaufstand beteiligten Zivilpersonen

Der Justizminister übergab dem Ministerpräsidenten den Vortrag des Feldmarschall Fürsten Windischgrätz über eine bei der zur Aburteilung der an den Oktoberereignissen in Wien Beteiligten niedergesetzten Militäruntersuchungskommission zugestandenen Erleichterung, welche darin besteht, daß Zivilpersonen fortan nach den Zivilstrafgesetzen beurteilt werden sollen19, und bemerkte bei dieser Gelegenheit mit Rücksicht || S. 17 PDF || auf die in jüngster stattgefundener standrechtlicher Hinrichtung eines wegen Teilnahme an dem Oktoberaufruhr und Verheimlichung von Waffen Verurteilten, daß es zur Vermeidung aller Aufregung im Publikum (welches durch frühere Kundmachungen von der Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens gegen bloß der Teilnahme am Oktoberaufstande Beschuldigte unterrichtet ist20) notwendig sein dürfte, Vorsicht und Mäßigung bei Schöpfung und Vollziehung von Todesurteilen zu empfehlen21.

XVI. Pensionierung des niederöster­reichischen Appellationsgerichts­präsidenten Hermann Freiherrn v. Heß; Ernennung des Freiherrn Franz Freiherrn v. Sommaruga an seiner Stelle

Derselbe Minister überreichte nachstehende Vorträge:

vom 8. Dezember 1848 wegen Pensionierung des niederösterreichischen Appellations[gerichts]prä­sidenten Freiherrn v. Heß und Ersetzung seiner Stelle durch den zweiten Präsidenten dieses Obergerichts Freiherrn v. Sommaruga22.

Der Minister bemerkte hiebei, mit diesem Posten sei bisher die geheime Ratswürde verbunden gewesen; gleichwohl habe er einem Antrag hierauf zu stellen unter den gegenwärtigen – den Titulaturen nicht mehr günstigen – Zeitverhältnissen nicht geglaubt.

Der Ministerpräsident erinnerte hierauf im Einverständnisse mit dem Minister des Inneren, daß, so lange die Hofordnung noch besteht, welche den Zutritt zu Hofe von gewissen Würden, darunter die geheime Ratswürde, abhängig macht, dieselbe auch aufrechterhalten oder bezüglich des Hofzutritts eine andere Verfügung getroffen werden müßte, weil es nicht wohl angeht, höhere Staatsbeamte, als Präsidenten und Minister, die doch im Dienste mit der Person des Monarchen unmittelbar in Berührung kommen, wegen Mangels jener Würden vom Hofzutritte auszuschließen und auf diese Art ungünstiger als die Militäroffiziere zu stellen23.

XVII. Pensionierung des mährischen Appellationsgerichts­präsidenten Anton Grafen Sedlnitzky

Vortrag des Justizministers wegen Versetzung des mährischen Appellations[gerichts]prä­sidenten Graf Sedlnitzky in den Ruhestand24;

XVIII. Gesuch Franz Grafen Thun-Hohenstein um authentische Auslegung des Familienfideikommißinstitutes

desgleichen vom 10. Dezember 1848 über das Ah. signierte Gesuch des Grafen Thun um authentische Auslegung des Familienfideikommißinstituts25,

XIX. Ernennung Ferdinand v. Stelzhammers zum Unterstaatssekretär im Justizministerium

vom 11. Dezember 1848 wegen Ernennung des Ferdinand v. Stelzhammer zum Unterstaatssekretär im Justizministerio26,

XX. Todesstrafabänderung für David Valli und Anetta Michieli

. vom 7. Dezember 1848 wegen Nachsicht der Todesstrafe für David Valli und Anetta Michieli wegen Teilnahme an Nachmachung von Kreditspapieren27,

XXI. Abschaffung der politischen und Kameralrepräsentanten bei Zivilprozessen

vom 11. Dezember 1848 wegen künftiger Unterlassung der Beiziehung politischer oder Kameralrepräsentanten bei Zivilprozessen28.

Gegen die diesfälligen Anträge ergab sich keine Einwendung; nur zu dem letzten machte der Finanzminister die Bemerkung, daß es zur Wahrung der öffentlichen Interessen, welche in den Zivilgesetzen und vom Zivilrichter nicht immer berücksichtigt werden, notwendig sei, statt der Staatsrepräsentanten eine andere Einrichtung zu treffen, etwa wie in andern konstitutionellen Staaten durch das Institut eines Staatsrates, dem nebst der Wahrung solcher öffentlicher Rücksichten und Schlichtung von Konflikten der öffentlichen Gewalten auch noch die Ausarbeitung der Gesetzentwürfe übertragen ist. Da der Justizminister erklärte, mit Anträgen zur Einrichtung eines solchen Instituts, dessen Notwendigkeit auch er anerkannte, beschäftigt zu sein und demnächst Vorlagen hierüber machen zu wollen, so bestand der Finanzminister nicht darauf, daß in der auf diesen Vortrag zu erteilenden Ah. Resolution ausdrücklich die Einleitung der diesfälligen Vorkehrung angeordnet werde29.

Zum Schlusse brachte

XXII. Rücktritt des sardinischen Ministeriums; angebliche Abdikation des Papstes

der Ministerpräsident eine Depesche aus Mailand vom 6. Dezember 1848 zur Kenntnis Sr. Majestät und des Ministerrates, woraus zu entnehmen, daß das sardinische Ministerium infolge einer in der Kammer erlittenen Niederlage seine Demission gegeben, und daß Nachrichten aus Gaeta zufolge der Papst die Tiara niedergelegt habe30.

Olmütz, den 13. Dezember 1848. Schwarzenberg Ah.E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph.