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Nr. 120 Ministerrat, Wien, 15. September 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Wessenberg; BdE. 17. 9. und anw. Doblhoff, Latour, Krauß, Bach, Hornbostel, Schwarzer, Wessenberg; BdE. Franz Karl (20. 9.).

MRZ. 2145 et 2146 – KZ. –

[Tagesordnungspunkte]

Protokoll des Ministerrates vom 15. September 1848 unter dem Vorsitze des Conseilspräsidenten etc. Freiherrn v. Wessenberg. Vorträge des Kriegsministers

I. Militärische Beförderungen

Vom 13. September 1848, KZ. 2943, wegen Ernennung zweier Obersten im überzähligen Stande des Ingenieurskorps1.

II. Ernennung des Festungskommandanten in Ferrara

Vom 12. September 1848, KZ. 2940, wegen definitiver Ernennung des Obersten Poschacher zum Festungskommandanten in Ferrara2 und Besetzung der hierdurch erledigten Oberstenstelle in der 4. Jägerabteilung3.

III. Militärische Beförderung

Vom 14. September [1848], KZ. 2939, wegen Beförderung des Hauptmanns Kunich bei Sivkovich-Infanterie zum Major4.

IV. Wiederanstellung des pensionierten August v. Sourdeau

Vom 14. September 1848, KZ. 2944, wegen Wiederanstellung des pensionierten Generalmajors Sourdeau5 in der k. k. Marine6.

V. Nachlaß der Taxen bei der Verleihung des St. Stephans-Kommandeurkreuzes an Franz Graf Gyulai

Vom 13. September 1848, KZ. 2942, wegen Enthebung des FML. Grafen Gyulai von der Taxentrichtung für das ihm verliehene St. Stephansordens-Kommandeurkreuz7. Gegen die darin enthaltenen Anträge wurde von keiner Seite etwas erinnert.

VI. Keine nachträgliche Bewilligung der normalmäßigen Oberstpension für Joseph v. Werklein

Dagegen nahm er einen weitern Antrag wegen nachträglicher Bewilligung der normalmäßigen Oberstenpension für den Obersten Baron Werklein8 zur abweislichen Bescheidung des Bittstellers, nach dem auch von den übrigen Ministern geteilten Einraten des Finanzministers, zurück, weil sich herausgestellt hatte, daß Baron Werklein als Oberstleutnant normalmäßig pensioniert, nebstbei aber mit einer Zulage von 800 fr. begnadigt, sohin später zwar als Oberst, jedoch mit Belassung der Oberstleutnantspension, wiederangestellt worden ist, mithin schon darum sowohl als auch mit Rücksicht auf seine gegenwärtigen, die Oberstenpension um 600 fr. übersteigenden Gesamtgenüsse keinen Anspruch auf eine Vermehrung derselben hat9.

VII. Konzessionen für die französische Vermittlung in der italienischen Angelegenheit

Der unterzeichnete Ministerpräsident und Minister des Äußern teilte mit, daß die französische Regierung bei der angetragenen Vermittlung in der italienischen Angelegenheit10 von der österreichischen Regierung zwei Konzessionen zu erlangen beabsichtigte, nämlich a) die Erklärung Venedigs zum Freihafen, b) die Verzichtleistung Österreichs auf das Besatzungsrecht in Ferrara.

Gegen das Ansinnen ad a), insofern damit eine Garantie für den immerwährenden traktatenmäßigen Fortbestand des ohnehin schon früher eingeführten Freihafens gegeben würde, erklärten sich sämtliche Minister, ja der Handelsminister drückte sogar den Wunsch aus, daß die der Stadt Venedig erteilte Hafenfreiheit wieder auf die ursprüngliche Einschränkung auf die Insel San Giorgio zurückgeführt werden möchte. Die Errichtung von Freihäfen ist eine administrative Maßregel, welche durch besondere Verhältnisse bedingt ist und mit deren Änderung ebenfalls einer Änderung unterliegt. Würde nun der Fortbestand des Venediger Freihafens traktatenmäßig zugesichert, so wären nicht nur der österreichischen Regierung für immer die Hände gebunden, sondern auch den fremden Mächten Gelegenheit zur Einmengung in unsre Angelegenheiten in dieser Beziehung gegeben. Daher wäre dieses Begehren mit Hindeutung auf den faktischen Bestand des Freihafens von Venedig und, um der künftigen Gesetzgebung und Administration des Königreichs nicht vorzugreifen, abzulehnen.

|| S. 628 PDF || Eher könnte ad 2. auf das Besatzungsrecht in Ferrara – vorausgesetzt, daß es auf keine fremde Macht übergeht – verzichtet werden, weil es unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr jenes Gewicht wie früher hat (der Justizminister hielt es indessen mit Rücksicht auf die ganz unbeschützte Grenze des Venezianischen noch immer für wichtig) – weil es ferner immer etwas Gehässiges an sich hat und weil dessen Aufgeben die vermittelnden Mächte verbinden würde11.

VIII. Kaiserliches Manifest für das lombardisch-venezianische Königreich; Amnestie für die Venezianer

Der Ministerpräsident brachte ferner die Notwendigkeit der Erlassung eines kaiserlichen Manifests im lombardisch-venezianischen Königreiche zur Beruhigung der Gemüter über die Absichten der Regierung zur Sprache.

Mit voller Zustimmung zu diesem Antrage vereinigte sich der Ministerrat bezüglich der in dem Manifeste auszusprechenden Grundidee dahin: Es sei der Ah. Wille Sr. Majestät, dem Königreiche gleiche Freiheiten und eine Verfassung auf derselben Grundlage, wie solche für die übrigen Provinzen bestehen, zu bewilligen und über deren Ausführung nach Herstellung des Friedens mit den selbstgewählten Vertretern der Nation unter Beachtung der speziellen Wünsche des Landes zu beraten.

Der Finanzminister übernahm die Redaktion des Manifestes12.

Bei diesem Anlasse drückte der Justizminister den Wunsch aus, daß seinerzeit den Venezianern volle Amnestie bewilligt werde. Der Kriegsminister glaubte dabei bemerken zu müssen, daß unter der Amnestie wohl Verzeihung, aber nicht Wiederanstellung der Verräter, wenigstens in der Armee nicht, begriffen werden sollte.

IX. Beschränkung der Untersuchungen über den Prager Pfingstaufstand auf die Rädelsführer; Versetzung der Grenadiere der Prager Garnison

Der Justizminister , welcher mittelst Telegraphen die Beschränkung der Untersuchung der Prager Juni-Kompromittierten auf die Rädelsführer angeordnet hat13, sah sich zu dem Ersuchen an den Kriegsminister veranlaßt, daß die Grenadiere der Prager Garnison versetzt werden mögen.

Der Kriegsminister versicherte, hierwegen bereits an den Kommandierenden Fürsten Windischgrätz geschrieben zu haben14.

X. Vorsorge für aus Italien geflüchtete Justizbeamte

Der Justizminister wünschte ferner eine Vorsorge für die aus Italien geflüchteten Justizbeamten15.

Der Finanzminister erklärte, hierwegen im allgemeinen den Antrag bei Sr. Majestät machen zu wollen, daß denselben das sogenannte Begünstigungsjahr zugestanden werde16. Auch ist er

XI. Zuschuß für Gerichtsanwärter in Krakau

nicht entgegen, daß, nach dem Wunsche des Justizministers, für die Gerichtsapplikanten (Auskultanten) in Krakau Adjuten (5 à 300f., 4 à 200f.) bewilligt werden17, nachdem die Notwendigkeit derselben durch das Interesse des Dienstes begründet ist und die Ablehnung eines frühern diesfälligen Einschreitens18 nur in der Rücksicht erfolgte, daß die Administration in Krakau noch nicht organisiert ist19.

XII. Fortführung der Rechtspflege durch die Patrimonialgerichte nach Annahme der Hans Kudlichschen Anträge

In Ansehung der reichstäglich und Ah. sanktionierten Kudlichschen Anträge20 ersuchte der Justizminister behufs der Verständigung der Patrimonialgerichte wegen provisorischer Fortführung der Rechtspflege auf Staatskosten den Minister des Inneren um die Mitteilung der erforderlichen Anzahl von Exemplaren der gedruckten diesfälligen Kundmachung, und den Finanzminister um eine Weisung an die Kameralgefällenverwaltungen, daß sie bei den zur Ausmittlung der Entschädigung für die aufgehobenen Urbarialrechte zusammenzusetzenden Kommissionen auf Aufforderung derselben mitwirken mögen.

Die beiden Minister erteilten hierzu ihre Zustimmung21.

XIII. Strafrestnachsicht für Franz Kratschmer

Der Justizminister übergab seinen Vortrag vom 8. September 1848, KZ. 2944, wegen Strafrestnachsicht für Franz Kratschmer22 und jenen

XIV. Begnadigung Joseph Bocheneks

vom nämlichen Tag, KZ. 2945, wegen Begnadigung des zum Tode verurteilten Brandlegers Joseph Bochenek23, wogegen nichts erinnert wurde.

XV. Neue Ausbildungsstätten für deutsche Bergbaueleven

Der Minister der öffentlichen Arbeiten bemerkte, die Bergakademie in Schemnitz ist den deutschen Eleven nicht mehr zugänglich24, es muß also für ihre Ausbildung in den deutschen Provinzen gesorgt werden. Hierzu bietet sich dermalen das in Vordernberg bestehende ständische Institut25 dar, welchem aber dermal eine wichtige Professur der Markscheidekunsta fehlt. Es soll daher der Professor dieses Fachs Müller von Schemnitz mit seinem dermaligen Gehalte von 1200 fr. dahin übersetzt26, für die Zukunft aber eine eigene Anstalt in Leoben, wozu die dortige Bürgerschaft ein eigenes Haus unentgeltlich angeboten hat27, eingerichtet, endlich denjenigen Bergeleven, welche eine höhere Ausbildung zu erlangen wünschen, der Besuch der königlich sächsischen Bergakademie zu Freiberg mit Belassung ihrer Stipendien und Staatsgültigkeit der dort erlangten Zeugnisse gestattet werden.

Der Finanzminister hat gegen diese Anträge nichts zu erinnern, insofern bei der neuen Organisierung dieser Anstalt der Grundsatz festgehalten wird, daß derselben nur die eigentlich praktischen Bergbaufächer, welche ohne Anschauung nicht erlernt werden können, zugewiesen, alle übrigen aber den allgemeinen technischen Lehranstalten überlassen bleiben28.

XVI. Reaktion des Ministeriums auf die ungarischen Zustände

Der Finanzminister brachte in Anregung, daß unter den dermaligen Verhältnissen Ungerns, wo der Bürgerkrieg ausgebrochen, das Ministerium verändert worden29 und zwei den übrigen österreichischen Staaten feindliche Maßregeln, die Aushebung von 200.000 Mann und die Emission ungrischer Banknoten vom Reichstage beschlossen worden sind30, es in der Pflicht des diesseitigen Ministeriums liege, Se. Majestät auf diese Verhältnisse aufmerksam zu machen und im Interesse der Gesamtmonarchie in einem eigenen Vortrage (mit dessen Redaktion der Konferenzrat Pipitz betraut wurde) || S. 631 PDF || zu bitten, Se. Majestät mögen geruhen, 1. die zwei Gesetze wegen der ungrischen Rekrutenaushebung und Banknotenemission nicht zu sanktionieren, 2. nur einem solchen Ministerium die Ah. Genehmigung zu erteilen, welches geeignet ist, den Frieden und die Pragmatische Sanktion aufrechzuerhalten, 3. das österreichische Ministerium von allen auf die übrigen Staaten Einfluß nehmenden ungrischen Beschlüssen zu verständigen und in Fällen, wo das Interesse der Gesamtmonarchie oder einzelner österreichischer Provinzen beteiligt ist, dessen Gutachten zu vernehmen.

Im allgemeinen mit diesem Antrage einverstanden, glaubte der Minister des Inneren nur gegen 3. sich erklären zu sollen, weil sonst das ungrische Ministerium die Reziprozität ansprechen könnte. Dagegen sollte, seines Erachtens (womit auch der Justizminister [ein]verstanden war) der Zustand der gegenwärtigen Trennung angefochten, auf die Errichtung eines Gesamtministeriums gedrungen und nur in Ermanglung einer solchen Konzentrierung für itzt die obigen Anträge gemacht werden31.

XVII. Keine staatliche Unterstützung für Abgeordnete zum Studentenparlament in Eisenach

Der Minister des Inneren teilte mit ein Gesuch der hiesigen Studenten32, worin sie bitten, daß ihren zum Studentenparlamente in Eisenach gewählten Abgeordneten33 (36 an der Zahl) eine Reiseunterstützung mit 150 fr. per Kopf (gleichwie dies von anderen Regierungen geschehen) bewilligt werden möge.

Da der Zweck dieses Parlaments, angeblich Gründung einer demokratischen Universität, die Belastung des Ärars schlechterdings nicht rechtfertigen könnte, und auch eine Nachweisung darüber, daß andre Regierungen ihre Studenten zu gleichem Zwecke wirklich unterstützt hätten, nicht beigebracht worden ist, so wurde beschlossen, dieses Einschreiten abzuweisen34.

XVIII. Bericht zur Lage in Pest

Derselbe Minister verlas einen Brief aus Pest über die dortigen Ereignisse vom 12. und 13. d.35, woraus hervorzuheben: häufiger Abfall der Soldaten der Ofener Besatzung, welche zugweise mit ihren Unteroffizieren sich in die ungrische Legion einreihen lassen; Widerwillen des Publikums gegen die ungrischen Zweiguldenbanknoten36, weshalb sich der ungrische Minister des Inneren bewogen gefunden hat, mittelst eigener Kundmachung diejenigen mit dem Standrechte zu bedrohen, welche gegen die Annahme dieser Banknoten aufreizen; Aufregung wegen des Ministerwechsels37; Deák38 || S. 632 PDF || und Nyáry39 als Mitglieder des neuen Ministeriums bezeichnet; Furcht vor den Fortschritten des Banus, der schon in Kanisza eingerückt ist40.

XIX. Unhaltbarkeit der Minuendo-Lizitationen bei Übernahme öffentlicher Arbeiten

Der Minister des Handels stellte bei dem itzigen Notstande und der Stockung aller Gewerbe die Unhaltbarkeit des bisherigen Systems der Minuendo-Lizitationen41 bei Übernahme öffentlicher Arbeiten vor und ersuchte den Minister der öffentlichen Arbeiten, hierwegen das Geeignete zu veranlassen, was derselbe sofort auch zusagte42.

XX. Ernteberichte aus den Provinzen

Der Handelsminister teilte mit, daß aus allen Provinzen (die ungrischen ausgenommen) günstige Ernteberichte eingelaufen seien43.

XXI. Maßnahmen bei der Liquidierung des von August Swoboda gegründeten Aktienvereins

Ebenderselbe stellte bezüglich der Teilnahme an dem Swobodaschen Privatanleiheverein44 die Anfrage: 1. was in Ansehung derjenigen Besitzer von Aktien des Vereins zu veranlassen sei, welche ihre Aktien aus der zweiten oder dritten Hand haben; 2. was mit den dem Vereine von Sr. Majestät angewiesenen 10.000 fr.45 und jenen 5000 fr. zu geschehen habe, welche von Sr. k.k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Franz Karl bewilligt, aber wegen der mittlerweil stattgehabten Tumulte noch nicht ausgefolgt worden sind46.

Ad 1. erklärte der Justizminister , daß solchen Besitzern streng genommen nichts gebühre, daß man ihnen jedoch, wenn sie erhobenermaßen bona fide übernommen und etwas dafür gegeben haben, diesen Betrag – jedoch in keinem Falle mehr als ein Fünftel des Nominalbetrags der Aktie – vergüten könne. Zum Behufe der diesfälligen Erhebung und Ausgleichung wird der Justizminister der für die Swobodasche Angelegenheit bestellten Kommission47 ein rechtskundiges Individuum beigeben.

Ad 2. dürften die höchsten Geber bestimmt werden, die in Rede stehenden Beträge zur Unterstützung der Gewerbtreibenden in Wien und der zum Polizeibezirke gehörigen Orte zu widmen.

Rücksichtlich der von Sr. Majestät bewilligten 10.000 fr., welche bei der Nationalbank deponiert sind, behielt sich der Minister vor, zuerst die Nachfrage, ob und was davon || S. 633 PDF || etwa verwendet worden ist, zu pflegen und sodann, nach näherer Einsicht des die Bestimmung der Summe enthaltenden Ah. Kabinettschreibens den Antrag zu machen48.

XXII. Schuldentilgungs- und Versorgungsgesellschaft Leopold Engländers

Da in Ansehung der Leopold-Engländerschen allgemeinen Schuldentilgungs- und Versorgungs­gesellschaft49 ähnliche Auftritte von Seite des getäuschten Publikums wie beim Swobodaschen Vereine50 zu besorgen sind, so scheint auch wegen dieser Gesellschaft eine Vorsorge nötig. Indessen behält sich der Minister vor, das Resultat der heutigen Generalversammlung dieser Gesellschaft abzuwarten und sodann die Sache weiters in Vortrag zu bringen51.

XXIII. Verleihung des Charakters eines Ministerialrates an den Generalsekretär des Handelsministeriums

Der Handelsminister erbat sich ferner – die auch gegebene – Zustimmung des Ministerrates zu der von ihm anzutragenden Verleihung des Charakters eines Ministerialrates an den Generalsekretär seines Ministeriums52, da derselbe bestimmt ist, den Minister selbst zu vertreten53. Endlich

XXIV. Entwurf des Nationalgardegesetzes

kündigte der Minister des Inneren an, daß er den Entwurf des Nationalgardegesetzes54 vom Verwaltungsrate zurückerhalten habe und denselben sofort bei den Ministern werde zirkulieren lassen55.

Anhergelangt den 19. September 1848. Ges. 20. September. Franz Karl. Vidi.