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Nr. 90 Ministerrat, Wien, 2. Juli 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner; abw. Wessenberg; BdE. Pillersdorf (2. 7.).

MRZ. 1354 et 1355 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 2. Julius 1848 unter dem Vorsitze des mit dem Präsidio des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Baron v. Pillersdorf.

I. Situation in Böhmen; Aufhebung des Belagerungszustandes; gerichtliche Untersuchung des Pfingstaufstandes; Entsendung der Kommission des Sicherheitsausschusses nach Prag

Mit Rücksicht auf den in der gestrigen Sitzung gefaßten Beschluß in betreff der Fortdauer oder Aufhebung des Belagerungszustands der Stadt Prag1 kamen heute die Modalitäten zur Sprache, sich über die Tatsachen Gewißheit zu verschaffen, welche das eine oder das andere rechtfertigen, und darnach zu verfügen. Die in Vorschlag gebrachte Absendung des Hofkanzlers Baron Weingarten zu diesem Zwecke scheiterte an dessen Bitte um Enthebung von diesem Geschäfte, begründet durch das Bekenntnis, daß er wegen seiner Unbekanntschaft mit den Verhältnissen der Stadt der ihm zugedachten Aufgabe sich nicht gewachsen fühle2.

Gegen die sofort proponierte alleinige Absendung des Hofrats Komers3 von der hofkriegsrätlichen Justizabteilung aber ward das Bedenken erhoben, daß seine Stellung gegenüber der Persönlichkeit des Fürsten Windischgrätz zu untergeordnet sei, um von einer demselben diesfalls einzuräumenden diskretionären Gewalt sich einen sicheren unbeanständeten Erfolg versprechen zu können.

In dieser Verlegenheit schlug der Minister Baron Doblhoff folgenden Ausweg vor: Der Ministerrat möge sofort die Aufhebung des Belagerungszustandes in Prag beschließen, nachdem durch die bisherigen Vorlagen des Grafen Thun und Fürsten Windischgrätz dessen Fortdauer nicht als gerechtfertigt erscheine4. Dieser Beschluß, schriftlich abgefaßt, wäre dem Hofrat Komers zur Überbringung an Grafen Thun und Fürsten Windischgrätz mit der Instruktion mitzugeben, daß er denselben nachdrücklich die Gründe vorstelle, welche den Ministerrat zu diesem Beschlusse bestimmten, namentlich die mit dem Belagerungszustande verbundene Beängstigung der Bevölkerung und die Hemmung des Verkehrs, dann die seit fast 14 Tagen nicht mehr gestörte Ruhe, endlich die Unmöglichkeit der Vornahme der Wahlen zu dem – nicht länger mehr zu verschiebenden – Reichstage unter dem Einflusse der militärischen Autoritäten. Erheben der kommandierende und der politische Landeschef keine Einwendung dagegen, || S. 512 PDF || so wäre mit Publikation des Ministerratsbeschlusses also mit Aufhebung des Belagerungszustandes vorzugehen. Vermöchten dieselben jedoch solche Tatsachen an die Hand zu geben, welche die Aufhebung des Belagerungszustandes bedenklich macheten, so wäre Komers zu ermächtigen, die Publikation des Ministerratsbeschlusses zu sistieren, und hätte diese Tatsachen sowie seine eigenen Wahrnehmungen hierüber mit seinem Gutachten dem Ministerrate zur weitern Entscheidung unverweilt mitzuteilen. Durch diese Maßregel würde einerseits den allgemein laut werdenden Wünschen nach Aufhebung des Belagerungszustands und andrerseits den Rücksichten für die von dem Kommandierenden für nötig gehaltene Vorsicht dabei entsprochen werden können, der Abgesandte selbst aber in eine solche Stellung gegenüber den Landesautoritäten kommen, die ihm, als bloßen Träger der Befehle des Ministerrates ohne Vollmacht zur Entscheidung, alles Verletzende benehmen würde.

Der Ministerrat war mit diesem Vorschlage vollkommen einverstanden und beschloß, den Hofrat Komers noch heute – mit den entsprechenden Ausfertigungen und der Instruktion versehen – und mit der Weisung nach Prag abgehen zu machen, von dem Resultate seiner Sendung sogleich, noch vor der schriftlichen Relation die telegraphische Meldung an den Ministerrat zu erstatten5.

Der Justizminister , bereits gestern über die Zulässigkeit des zur Untersuchung der an dem Prager Aufstande Beteiligten niedergesetzten Spezial- respektive Ausnahmegerichts um sein Gutachten angegangen6, gab dasselbe dahin: daß, obwohl zwar keine gesetzliche Norm über die Versetzung in den Belagerungsstand bestehe, es doch aus der Natur der Sache fließe, daß während der Dauer desselben die Wirksamkeit der ordentlichen Gerichte aufhöre, und daher gegen die Bestellung des Spezialgerichts zur Untersuchung und Aburteilung der an dem Prager Aufstande Beteiligten unter der Voraussetzung nichts zu erinnern sei, wenn die Urteile desselben nach Vorschrift der Gesetze vor dem Vollzuge der höhern Instanz vorgelegt werden, indem die Bestellung eines Gerichts cum derogatione omnium instantiorum nur in der Befugnis des Landesfürsten liegt. – In diesem Sinne würde der Justizminister auch das Erforderliche erlassen7.

Ein am Schlusse der Sitzung von einer Deputation des Wiener Sicherheitsausschusses überbrachtes Einschreiten, denselben durch drei Mitglieder an der nach Prag wegen des Belagerungsstandes abzusendenden Kommission teilnehmen zu lassen8, ward, obwohl an und für sich schon ganz außer den Befugnissen des Ausschusses gelegen, doch einer besondern Beratung für morgen vorbehalten9.

II. Ministerieller Zeitungsartikel bezüglich Deputationen und Petitionen an Erzherzog Johann

Der Minister des Inneren verlas den – für die Wiener Zeitung bestimmten – Aufsatz wegen Entfernung und Abhaltung von Deputationen und Petitionen von der höchsten Person des Stellvertreters Ew. Majestät, welcher Aufsatz sofort zum Drucke befördert wurde10.

III. Tragen der deutschen Farben In der k. k. Armee

Der Kriegsminister zeigte an ein Einschreiten des Wiener Sicherheitsausschusses um die Verfügung, daß die aus den zum Deutschen Bunde gehörigen Staaten rekrutierten Teile der k. k. Armee verhalten werden, die deutschen Abzeichen zu tragen11. Dieses ebenfalls außer der Kompetenz des Ausschusses gelegene Begehren erscheint zu keiner Berücksichtigung geeignet, bloß ad acta zu legen, und nur um etwaigen Betreibungen zuvorzukommen, wird der Kriegsminister dem Ausschusse durch den Platzmajor Grulich, der mit selbem immer verkehrt, bedeuten lassen, der Ministerrat habe die Gewährung jenes Einschreitens nicht angemessen gefunden12.

IV. Übernahme der Oberaufsicht über die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft durch das Handelsministerium; Abänderung des § 9 der Gesellschaftsstatuten

Der Handels- etc. Minister stellte die Frage, ob die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, die früher unter der Oberaufsicht des Hofkammerpräsidii stand, nunmehr ausschließlich unter das Handelsministerium zu unterordnen, dann ob nicht bei den gegenwärtigen, durch das freie Assoziationsrecht wesentlich geänderten Verhältnissen eine Änderung des § 9 ihrer Statuten13 angezeigt sei, welcher dem lf. Kommissär allzu ausgedehnte Vollmachten in bezug auf die Gestion der Gesellschaft, namentlich das Veto gegen Beschlüsse, welche vermeintlich dem eigenen Interesse der Gesellschaft widerstreiten, einräumt.

Der Finanzminister erklärte, nicht nur mit der ausschließlichen Zuweisung der Dampfschiffahrtsangelegenheiten in den Wirkungskreis des Handelsministeriums einverstanden, sondern auch im Begriffe zu sein, demselben eine Anfrage des dermaligen lf. Kommissärs der Gesellschaft14 in Ansehung des § 9 mit dem Antrage abzutreten, daß die Wirksamkeit dieses lf. Kommissärs sich auf die für die lf. Kommissäre andrer Vereine vorgeschriebene Aufgabe, gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse zu sistieren, zu beschränken habe, und daß es der Gesellschaft bevorstehe, wegen zeitgemäßer Abänderung des § 9 ihrer Statuten bei der nächsten Generalversammlung die entsprechenden Anträge zu machen15.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Wissenschaft. Erzherzog Johann. Wien, den 3. Juli 1848.