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Nr. 87 Ministerrat, Wien, 29. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgärtner; abw. Wessenberg; BdE. Pillersdorf (29. 6.).

MRZ. 1324 et 1325 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung vom 29. Juni 1848 unter dem Vorsitze des mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Absichten der sardinischen Flotte vor Triest

Der durch Unpäßlichkeit abgehaltene Minister des Äußern schickte die beiliegende Mitteilung ein, woraus zu ersehen, daß die englische Regierung auf die an die sardinische Regierung gestellte Anfrage über die Absichten der sardinischen Flotte vor Triest die Versicherung erhalten habe, der sardinische Flottenkommandant hätte keine Befehle erhalten, die Stadt zu bombardieren oder Feindseligkeiten gegen sie auszuüben und werde auch ferner keine solchen erhalten1.

Von dieser günstigen Antwort wird durch den Minister des Inneren der Gouverneur von Triest verständigt, und der Kriegsminister behält sich vor, die infolgedessen tunliche Verminderung der Besatzung der Stadt eintreten zu lassen2.

II. Lage in Böhmen

Derselbe las einen Bericht des Kommandierenden in Prag, Fürsten Windischgrätz, vom 27. Juni3, woraus zu entnehmen, daß daselbst die Elemente des Aufruhrs, wenngleich gegenwärtig aus Furcht vor der Gewalt der Waffen ohne Wirksamkeit, doch im Verborgenen fortan genährt, im nächsten günstigen Momente wieder zum Ausbruch kommen werden. Dieser Moment würde bei Aufhebung des Belagerungszustands eintreten, daher Fürst Windischgrätz für dessen Aufrechthaltung umso entschiedener sich ausspricht, als er durch Deputationen Gutgesinnter selbst wiederholt angegangen worden, denselben insolange fortdauern zu lassen, bis nicht die Fäden der weitverzweigten Verschwörung entdeckt worden sein werden.

Inzwischen geht die Entwaffnung der Einwohner Prags vor sich; die Folge davon aber ist auch, daß die Nationalgarde zum Dienste nicht mehr verwendet werden kann und daß ein weiteres Bataillon k. k. Truppen auf die Neustadt beordert werden mußte. Dieser Umstand, sowie die Notwendigkeit zur Aufrechthaltung der Ruhe auf dem flachen Lande mobile Kolonnen auszusenden, zwingen den Fürsten, um Vermehrung || S. 499 PDF || der Truppen im Lande umso mehr zu bitten, als es sonst unmöglich sein würde, die gegenwärtig in der Ausführung begriffne Aufstellung der Reservebataillons gehörig zu unterstützen.

Hierüber bemerkte der Kriegsminister, daß er schlechterdings nicht in der Lage sei, noch mehr Truppen nach Böhmen zu disponieren; der Minister des Inneren aber fand es auffallend, wie Fürst Windischgrätz – auch wie es scheint ohne Rücksprache mit dem politischen Landeschef- mobile Kolonnen aufs flache Land auszusenden für nötig erachten konnte, nachdem laut der dem Minister vorliegenden Berichte aller 16 Kreisämter die Ruhe nirgends gestört worden ist. Auch gegen die Fortdauer des Belagerungszustands in Prag ergaben sich Bedenken, und der Minister Baron Doblhoff glaubte, daß dermalen der Zeitpunkt gekommen sein dürfte, die Prager Ereignisse durch eine Hofkommission untersuchen und durch selbe die erforderlichen Maßregeln nach dem Befunde treffen zu lassen.

Da indessen, nach Versicherung des Ministers des Inneren und jenes des Kriegswesens, sowohl der Gubernialpräsident als auch der Kommandierende erst vor wenigen Tagen aufgefordert worden, die Ursachen, welche die Fortdauer des Belagerungsstands nötig machen, detailliert auseinanderzusetzen4, so wurde beschlossen, vorderhand die Frage wegen Absendung einer Hofkommission nach Prag zu suspendieren und die abgeheischten Detailberichte abzuwarten5.

III. Unveränderte Situation in Prag

Eine telegraphische Depesche von Prag, 29. Juni 1848, 1 Uhr mittags6, meldet wie gewöhnlich: „Auch bis heute ist keine Änderung im Stande der Dinge eingetreten“.

IV. Bekanntgabe der Regierungsabsichten bezüglich der Pazifizierung Lombardo-Venetiens

Der Minister des Inneren stellte als Resultat einer Unterredung mit dem von seiner Mission an die englische Regierung zurückgekehrten Hofrat Hummelauer7 die Notwendigkeit dar, daß die österreichische Regierung ihre Absichten in Ansehung der Pazifikation des lombardisch-venezianischen Königreichs offen ausspreche, also eine Erklärung hierüber an alle Regierungen erlasse, um von Seite derselben eine Gegenerklärung darüber hervorzurufen, ob und was sie für ein Benehmen diesfalls einzuhalten gesonnen seien8.

V. Zeremoniell zur Reichstagseröffnung

Derselbe las den Entwurf des Zeremoniells für die Eröffnung des Reichstags (Beilage)9 vor, welcher auch allseitig mit nachstehenden Modifikationen angenommen wurde, und zwar: 1. daß statt des Obersthofmeisters und Dienstkämmerers Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Johann vielmehr, nachdem Höchstdieselben die Ah. Person Ew. Majestät vertreten, der Erste Obersthofmeister Ew. Majestät und die Chefs der Hofstäbe zu intervenieren hätten; daß 2., obwohl die Abhaltung der Eröffnungsrede etc. durch den höchsten Stellvertreter Ew. Majestät mit bedecktem Haupte der Ah. Machtvollkommenheit allerdings entspräche, doch dieser Umstand unter den gegenwärtigen || S. 500 PDF || Verhältnissen Stoff zu Bemerkungen geben dürfte, denen durch Beseitigung dieser Etikette füglich ausgewichen werden könnte; daß endlich 3. die Minister als die unmittelbaren verantwortlichen Räte der Krone nicht links, sondern zu beiden Seiten des Throns ihren Platz einzunehmen hätten.

Rücksichtlich des von den Deputierten zu leistenden Eides wird mit Rücksicht auf die verschiedenen Nationalitäten dafür gesorgt werden, daß die Eidesformel, nebst der deutschen auch in böhmischer, polnischer, ruthenischer, italienischer und slowenischer Sprache wird vorgelesen werden.

Für die Orientierung der zu Deputierten gewählten galizischen Bauern, die sich derzeit in der Alserkaserne einquartiert haben, durch Beigebung eines verläßlichen Manns aus dem dortigen polnischen Regimente zu sorgen, behält sich der Kriegsminister vor, den Obersten des Regiments anzugehen10.

Schließlich kann der Ministerrat nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, daß ein so feierlicher Akt wie die Eröffnung des ersten konstituierenden Reichstags nebst der höchsten Person des Stellvertreters Ew. Majestät wohl auch durch die Anwesenheit eines oder des anderen Mitgliedes der kaiserlichen Familie, namentlich wenigstens des präsumtiven Thronerben, verherrlicht werden sollte. Der Ministerrat erlaubt sich hierwegen seine Anträge in einem besondern Vortrage niederzulegen11.

VI. Vier Kanonen für die serbische Regierung

Ein an den Kriegsminister gelangtes Einschreiten des hiesigen Handelshauses Vegh & Krestić12, im hiesigen Gußhause vier Kanonen für die serbische Regierung gießen lassen zu dürfen, wurde dahin zu bescheiden beschlossen, daß sich vorerst über die Bestellung dieser Regierung selbst, die derzeit nicht beigebracht ist, ausgewiesen werde13.

Gegen die Genehmigung der Anträge des Kriegsministers in seinen beiliegenden Vorträgen

VII. Vermehrung des Sappeur- und Mineurkorps

vom 27. Juni, KZ. 2378, wegen notwendiger Vermehrung des Sappeur- und Mineurkorps um je zwei Kompanien14, dann

VIII. Auszeichnung für Joseph Kerpan

vom 28. Juni, KZ. 2379, wegen einer Auszeichnung für den Obersten Kerpan15 wurde kein Anstand erhoben.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis. Erzherzog Johann. Wien, den 1. Juli 1848.