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Nr. 85 Ministerrat, Wien, 27. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. Pillersdorf; anw. Wessenberg, Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner; BdE. Pillersdorf (28. 6.).

MRZ. 1297 et 1298 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung vom 27. Juni 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten, Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Spanien

Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Freiherr v. Wessenberg eröffnete dem Ministerrate, der königlich spanische Generalleutnant Zarco del Valle habe ihm angezeigt, daß er von seiner Regierung beauftragt sei, den Antrag auf Wiederanknüpfung der diplomatischen und freundlichen Verhältnisse zwischen seinem Hofe und jenem Ew. k. k. Majestät zu machen, und daß er für den Fall, diesseits diesem Antrage entsprochen werde, schon mit Beglaubigungsschreiben an Ew. Majestät versehen sei1.

Da unter den gegenwärtigen Umständen es den Interessen der Monarchie nur angemessen sein kann, mit dem spanischen Hofe und der spanischen Regierung wieder in direkte und offizielle Verbindungen zu treten, bereits auch andere Regierungen, namentlich die preußische hierin vorangegangen sind2, so glaubte Baron Wessenberg den Antrag dahin stellen zu sollen, daß dem von der spanischen Regierung ausgesprochenen Wunsche willfährig zu entsprechen und sohin an Ew. Majestät wegen Besetzung des Gesandtschaftspostens in Madrid der Vortrag zu erstatten wäre.

Der Ministerrat hat diesem Antrage beigestimmt, und Baron Wessenberg wird, wenn Ew. Majestät diesen Antrag Ah. zu genehmigen geruhet haben werden, seinen Besetzungsvorschlag erstatten3.

II. Ansuchen Windischgrätz' um Hilfe bei der Rekrutierung in Böhmen

Der Kriegsminister Graf Latour teilte hierauf ein Schreiben des Kommandierenden in Böhmen, Fürsten Windischgrätz4, mit, worin derselbe vorstellt, daß der schleunigen Zustandebringung der Reserve (der dritten Bataillons) die geringe Truppenzahl im Lande hindernd im Wege stehe, daß im Inneren des Landes noch immer Gärung vorhanden sei und daß zur Beschleunigung der erwähnten Maßregel es notwendig sei, einige Bataillons aus anderen Provinzen, allenfalls aus Galizien, nach Böhmen kommen zu lassen, um welche er bitte. Hiernach wäre, um in Böhmen die Rekrutierung ins Werk zu setzen, Militärbeistand notwendig. Nachdem jedoch, wie der Minister des Inneren bemerkte, täglich Berichte von den Kreisämtern einlaufen, welche den Zustand des Landes als ruhig und die Gesinnungen des Landvolkes als loyal darstellen, und die Wahlen für den österreichischen Reichstag nun, wo die Wahlordnung bereits ins flache Land von Böhmen hinausgegeben worden, unverweilt vorgenommen werden sollen, so wird der Kriegsminister den Fürsten Windischgrätz aufmerksam machen, daß von dem politischen Landeschef keine Anzeige von einer Renitenz eingelangt sei, und daß zur Ausführung der Rekrutierung in Böhmen unter solchen Umständen keine verstärkte Militärassistenz notwendig sei, diese auch gegenwärtig nicht gewährt werden könnte5.

III. Gnadengabe für die Kinder Thomas v. Gavendas

Dem von Seite des Kriegsministers Grafen Latour zur Sprache gebrachten Antrage, den hinterlassenen zwei Mädchen des Hofrates und Geschäftsleiters des Militärappelationsgerichtes Gavenda jeder eine Gnadengabe von 100f. bei Ew. Majestät zu erwirken6, wurde nicht beigestimmt, weil die Witwe 600f. Pension hat, nur zwei Kinder vorhanden sind und jede nicht normalmäßige oder durch die triftigsten Gründe gerechtfertigte Auslage von den Finanzen ferngehalten werden soll.

Der Kriegsminister wird hiernach das Einschreiten der Witwe Gavenda erledigen7.

IV. Weisungen an Radetzky

Derselbe teilte dem Ministerrate die Antwort mit, welche er auf die gestern erhaltene und im Ministerrate bereits erwähnte Zuschrift des Feldmarschalls Grafen Radetzky auf dessen Anfrage, ob er eine Schlacht liefern solle oder nicht8, zu erlassen gedenket.

Graf Radetzky meint nämlich, daß er mit 52 bis 53.000 Mann die Offensive ergreifen und die feindliche Armee bei Goito zu einer Zeit anfallen könnte, wo es dem Könige Albert nicht tunlich wäre, seine Macht dort zu konzentrieren, und erbittet sich die Weisung, a) ob er gleich losschlagen und eine Schlacht liefern, oder b) ob er die Verstärkung von 10.000 Mann, oder c) die neuerlich angesuchte von 20.000 Mann erwarten soll, um durch einen Hauptschlag dann auf dem lombardischen Boden einen umso vorteilhafteren Frieden für Österreich unterhandeln zu können.

Graf Latour gedenket dem Feldmarschall im wesentlichen folgendes zu erwidern: Er sei hierorts nicht imstande zu beurteilen und zu entscheiden, ob eine Schlacht in Italien geliefert werden solle oder nicht. Dies müsse der Einsicht des Feldmarschalls überlassen || S. 491 PDF || werden. Die Zeiten seien vorüber, wo bei dem Hofkriegsrate in Wien die Bewilligung angesucht und erteilt werden mußte, eine Schlacht zu liefern. Der Feldmarschall könne Rekognoszierungen vornehmen, günstige Konjunkturen, Stimmung im Lande, in Turin u. dgl. benützen.

Der Ministerrat habe übrigens beschlossen, die italienische Armee um 20.000 Mann zu verstärken9, und der Kriegsminister warte mit Ungeduld auf die Antwort des Kommandierenden in Galizien, FML. Hammerstein, wann die von dort begehrten Truppen werden abrücken und wann die gedachte Armeeverstärkung in Görz oder Villach wird einrücken können. Mittlerweile sei auch Palmanova gefallen10, wodurch gleichfalls mehrere Bataillons disponibel wurden. Die Wahrnehmung des Momentes, wann eine Schlacht geliefert werden solle, müsse ausschließend der Einsicht des Feldmarschalls anheimgestellt werden.

Zugleich wird demselben eröffnet, daß die letzte Erklärung Casatis keine Pazifikation mehr zulasse, indem darin die Abtretung aller italienischen Provinzen und von ganz Südtirol verlangt werde u.dgl.11

Der Ministerrat erklärte sich mit dieser zu gebenden Antwort vollkommen einverstanden12.

V. Protest des Andreas Freiherrn v. Stifft gegen die jüngsten Rekrutierungen

Der Minister des Handels, der Industrie und des Ackerbaues Freiherr v. Doblhoff brachte einen Brief des Baron Stifft13 zur Kenntnis des Ministerrates, worin Bedenken gegen die jüngst ausgeschriebene Rekrutierung rege gemacht werden. Baron Stifft bemerkt, daß gegenwärtig fast das doppelte des gewöhnlichen Kontingentes ausgeschrieben worden sei, daß viele der zu Stellenden abwesend seien, daß alle früheren Altersklassen beigezogen werden sollen, daß der Schnitt mit der Rekrutierung zusammenfalle und daß, um die 5000 Mann für das flache Land zu stellen, 50.000 Menschen mehrere Tage lang den Feldarbeiten entzogen werden müssen, was auf die Landwirtschaften sehr nachteilig zurückwirken werde.

Der Inhalt dieses Briefes werde mit der Bemerkung zur Wissenschaft genommen, daß die darin angeführten Daten übertrieben seien; in Niederösterreich seien vom Lande nicht 5000 Mann zu stellen und zur Stellung dieser wären 50.000 nicht notwendig, indessen sei es auch aus den bekannten Gründen nicht möglich, die Rekrutierung zu verschieben14.

VI. Einschreiten des Ministerrates zur Beruhigung der Lage in Kroatien

Derselbe Minister stellte hinsichtlich der ihm zuteil gewordenen Aufgabe – der Verfassung eines Erlasses Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Johann in der Vermittlungsangelegenheit zwischen Kroatien und Ungarn15 – die Anfrage, ob dieser Erlaß (dieses Ah. Kabinettschreiben) an den Herrn Erzherzog Palatin oder an das || S. 492 PDF || ungarische Ministerium gerichtet werden solle. Wollte man, bei der Dringlichkeit der Sache, die Zurückkunft des Herrn Erzherzoges Palatinus nicht abwarten, so bliebe dann wohl nichts übrig, als den Erlaß an das ungarische Ministerium zu richten.

Hierüber wurde bemerkt, daß die Zurückkunft Sr. kaiserlichen Hoheit des Herrn Erzherzoges Palatin nächstens erfolgen dürfte, und daß Se. kaiserliche Hoheit der Herr Erzherzog Johann als Stellvertreter Ew. Majestät Höchstihre Zuschriften nur an den Palatin richten dürften.

Diesem gemäß wurde der fragliche Erlaß eingerichtet und Se. kaiserliche Hoheit der Herr Erzherzog Stephan aufgefordert, die Einleitung zu treffen, daß das ungarische Ministerium aus seiner Mitte Repräsentanten hierher sende16.

Gleichzeitig ergeht an den Banus von Kroatien, Freiherrn Jellačić, die Aufforderung, zu demselben Zwecke hierher zu kommen17.

VII. Bericht über die Sendung Mensdorffs und Klezanskys nach Prag

Der Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf eröffnete dem Ministerrate, daß die beiden nach Böhmen entsendeten Hofkommissäre, der General der Kavallerie Graf Mensdorff und der Hofrat Klezansky, nun eine Relation über ihre Sendung überreicht haben18. Diese Relation enthält eine zusammenhängende Darstellung der Begebenheiten in Prag, soweit die Hofkommissäre in der Lage waren, dieselben wahrzunehmen. Diese Relation, welche so eingerichtet ist, daß sie bekannt gemacht werden kann und meistens schon bekannte Sachen, aber im Zusammenhange darstellt, wird durch öffentliche Blätter zur allgemeinen Kenntnis gebracht19.

VIII. Gründung eines gewerblichen Aushilfsfonds

Derselbe Minister zeigte an, daß sich hierorts ein Verein zur Gründung eines gewerblichen Aushilfsfonds bilden wolle20. Derselbe will Unterstützungen hier und auf dem Lande sammeln und mit dem Ertrage die Gewerbe und die unbemittelten Gewerbsleute unterstützen. Über die Art und Weise, wie dieses zu geschehen haben werde, sind die Proponenten selbst noch nicht im klaren. Sie wünschen gegenwärtig nur, daß die Sache lebhaften Anklang finde und vom Staate unterstützt werde. Diese Unterstützung hätte darin zu bestehen, daß der Staat diesen Verein billige, dessen Konstituierung gestatte und daß ein Mitglied der kaiserlichen Familie das Protektorat über denselben übernehme. Sie deuteten auf Se. kaiserliche Hoheit den durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Johann hin. Die Billigung und Konstituierung dieses einen löblichen und wohltätigen Zweck verfolgenden Vereines dürfte, wie Baron Pillersdorf meint, keinem Anstande unterliegen. Über seine Bemerkung, daß Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog in der gegenwärtigen Stellung21 nicht wohl || S. 493 PDF || Protektor eines Vereines sein könne, erklärten sich die Proponenten schon damit zufrieden, wenn Se. kaiserliche Hoheit diesem Vereine Höchstihre Billigung erteilen. Da an dieser nicht wohl gezweifelt werden kann, so will Baron Pillersdorf die Proponenten in diesem Sinne anweisen und ihnen die Vorlage des Detailprojektes gestatten.

Der Ministerrat fand dagegen nichts zu erinnern22.

IX. Verwendung weiblicher Arbeitskräfte für Zwecke des Militärs

Um einen Teil der bei den öffentlichen Arbeiten gegenwärtig beschäftigten, zahlreichen, insbesondere weiblichen Individuen von diesen Arbeiten zu einiger Erleichterung des Ärars wegzubringen und in anderer Art angemessener und vorteilhafter zu beschäftigen, brachte der Minister der öffentlichen Arbeiten Andreas Baumgartner in Anregung, ob nicht Arbeiten für das Militär, wie z. B. Nähen der Hemden, Unterhosen u. dgl., solchen weiblichen Individuen überlassen werden könnten.

Der Minister deutete an, daß die Stoffe zu solchen weiblichen Arbeiten vielleicht den Gemeinden, in welchen viele solcher Arbeiterinnen wohnen, zu übergeben wären, wo sich ohne Zweifel Männer fänden, die in der Art, wie z. B. die Armenväter in Ansehung der Armen sorgen, den Weibern diese Arbeiten übergeben und die fertigen wieder übernehmen würden.

Der Ministerrat hat beschlossen, daß diese immerhin beachtenswerte Andeutung und die Art der Ausführung in einer Kommission, wozu der Kriegsminister ein Individuum von der Monturskommission und jeder der beiden Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten gleichfalls Abgeordnete zu bestimmen hätten, näher zu prüfen und das Resultat sohin zur Kenntnis des Ministerrates zu bringen wäre23.

X. Neuerlicher Rekrutierungsversuch

Der Kriegsminister brachte hierauf eben auch in der Absicht, um einige tausend Menschen von hier wegzubringen, und zur Erleichterung der Rekrutierung die Werbung neuerdings in Antrag.

Die frühere Werbung wurde, wie bekannt, teils durch Schwäche, teils durch Bosheit unwirksam gemacht24. Da morgen eine Kundmachung über die italienischen Angelegenheiten erfolgen soll, aus welcher hervorgehen wird, daß alle Pazifikationsanträge von Seite Italiens zurückgewiesen wurden25, so wäre dieser Anlaß zur Aktivierung einer freiwilligen Werbung zu benützen, die so viel möglich ohne Aufsehen (vielleicht in || S. 494 PDF || einer Kaserne oder im Jesuitenhofe) auszuführen und den Anzuwerbenden ausdrücklich zu bedeuten wäre, daß sie die Bestimmung nach Italien erhalten würden.

Gegen eine solche Einleitung wurde von keiner Seite eine Erinnerung gemacht26.

XI. Behandlung der Beamten des aufgelösten Bücherrevisionsamtes

Schließlich brachte noch der Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf die Behandlung der Beamten des aufgehobenen Bücherrevisionsamtes27 zur Sprache. Diese Beamten wurden durch die neue Gestaltung der Dinge entbehrlich. Sie sind eingeschritten, um gleich den anderen Beamten behandelt zu werden, welche durch administrative Maßregeln, daher ohne ihr Verschulden, in Reduktion verfallen sind28. Sie genossen nur geringe Bezüge, meistens von 3–400f.

Der Finanzminister , mit welchem diesfalls Rücksprache gepflogen wurde, erklärte sich einverstanden, daß diesen Beamten ebenso wie anderen das Begünstigungsjahr zustatten komme, während dessen sie sich um eine Anstellung zu bewerben haben, und, wenn sie keine erhalten, darauf normalmäßig behandelt werden. Nur gegen ein Individuum hat der Finanzminister Einsprache erhoben, weil derselbe kein Beamter ist29.

Der Minister des Inneren und der Ministerrat erklärten sich damit einverstanden, wornach Baron Pillersdorf diese Angelegenheit der Erledigung zuführen wird30.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Erzherzog Johann. Wien, den 30. Juni 1848.