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Nr. 81 Ministerrat, Wien, 23. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, abw. Wessenberg; BdE. Pillersdorf (23. 6.).

MRZ. 1219 et 1220 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 23. Juni 1848 unter dem Vorsitze des mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Gewehre für die Nationalgarde

Der Minister des Inneren stellte aus Anlaß eines speziellen Falls die Frage an den Kriegsminister, ob nicht noch Gewehre für die Nationalgarde aufzutreiben seien1, dann ob und welche Fürsorge hierwegen bei der fortan wachsenden Anzahl der Teilnehmer an der Volksbewaffnung zu treffen sei.

Hierauf erklärte der Kriegsminister, daß er, nachdem in Treviso 20.000 Stück Gewehre genommen worden2, sogleich die Hälfte davon, nämlich 10.000 Stück für die Armee unbrauchbare Steinschloßgewehre, hierher disponieren und zur Verteilung an die Nationalgarde bestimmen werde3.

II. Maßnahmen zur Eröffnung des Reichstages; Hilfe für galizische Reichstagsabgeordnete

Der Minister des Inneren referierte über die behufs der Eröffnung des Reichstags getroffenen Einleitungen4. Die Lokalitäten sind zum großen Teile hergestellt5, die nach und nach in Wien einlangenden Deputierten werden von einer eigens bestellten Kommission ihre Eintrittskarten und die provisorische Geschäftsordnung in Empfang nehmen und von ihrem Eintreffen wird es abhängen, wann mit der (durch die Anwesenheit der Hälfte der Gewählten bedingten) Geschäftsverhandlung, Prüfung der Wahlen, Wahl des Präsidenten etc. begonnen und sohin zur feierlichen Eröffnung des Reichstags geschritten werden kann. Dies alles wird mittelst einer besonderen Kundmachung zur öffentlichen Kenntnis gebracht werden.

|| S. 466 PDF || Eine besondere Vorsorge erheischen die galizischen Deputierten, unter denen sich nach den bisher eingelangten Listen viele Landleute befinden6. Um denselben in sprachlicher und politischer Beziehung, damit sie nicht auf Abwege geleitet oder geradezu mißbraucht werden, die nötige Beihilfe zu gewähren, scheint es notwendig zu sein, ihnen einen Translator und zugleich einen Mann zu empfehlen, bei dem sie sich in allen Dingen Rats erholen können. Als solcher dürfte ein außer Aktivität stehender Beamter, am besten ein pensionierter galizischer Kreishauptmann, bestellt werden, der mit der Regierung in keiner Verbindung mehr, auch keinen Anlaß zu dem Gerede geben kann, als wolle die Regierung auf diese Deputierte in irgend einer Art einwirken.

Die Minister Baron Sommaruga und Doblhoff glaubten hiefür den Dr. Leopold Neumann, der Finanz- und der Minister der öffentlichen Arbeiten aber einen minderen Beamten, vorzüglich nur als Translator und um den Deputierten in Privatbeziehung dienen zu können, bezeichnen zu sollen.

Der Minister des Inneren beschloß sonach, hierwegen noch vorläufig das Gutachten des Grafen Stadion einzuholen und sonach das weitere in Antrag zu bringen oder zu veranlassen7.

III. Redaktionsprogramm für die „Wiener Zeitung“

Derselbe übergab mit Beziehung auf das gestern besprochene Programm für die neue Redaktion der Wiener Zeitung8 den nach der Beratung modifizierten Entwurf desselben und zugleich eine Erklärung des Dr. Stubenrauch, worin derselbe auf die ihm übertragene Stelle eines ersten Redakteurs der Wiener Zeitung verzichtet9.

Der Minister der öffentlichen Arbeiten übernahm es, hiernach den zum zweiten Redakteur bestellten Tomaschek zur Annahme des neuen Programms und zum Vorschlage eine Ersatzmanns (der dann zu Tomaschek in dasselbe Verhältnis wie dieser zu Stubenrauch zu treten hätte) aufzufordern, und erbat sich die – sogleich erteilte – Ermächtigung, im entsprechenden Falle die Wahl Tomascheks annehmen und das Programm sogleich zum Drucke befördern zu dürfen10.

Baron Doblhoff machte hiebei den Anwurf, eines der Volksblätter, wodurch am meisten auf das Volk gewirkt werden kann, für die Regierung zu gewinnen und behielt sich hierüber die weitern Anträge vor11.

IV. Rücktritt Hartigs und Bestellung seines Nachfolgers

Ein Vortrag des Grafen Hartig an Ew. Majestät12, und eine Eingabe desselben, worin er – wegen steter Konflikte mit den kommandierenden Generalen13 – um || S. 467 PDF || Enthebung von dem ihm übertragenen Pazifikations- und Organisationsgeschäfte im lombardisch-venezianischen Königreiche und sohin um Bewilligung zum Antritte des ihm bereits früher erteilten Urlaubs bittet14, gaben dem Minister des Inneren Veranlassung zu dem Antrage 1. das Ansinnen des Grafen Hartig bei dessen bekanntlich wenig erfolgreichen Wirken bei Ew. Majestät zu unterstützen, 2. auf seine Ersetzung bedacht zu sein.

Graf Hartigs Aufgabe war eine zweifache: die Leitung des Pazifikationsgeschäfts und der Landesverwaltung in den von den k. k. Truppen besetzten Teilen des Königreichs. Für die erstere war zwar schon der Nachfolger Graf Hartigs, Graf Colloredo, designiert15; inzwischen sollen die diesfälligen Unterhandlungen in Wien gepflogen werden, und ihre Realisierung dürfte unter den neuen Verhältnissen noch in weitere Ferne gerückt worden sein. Hiervon scheint daher gegenwärtig, wo es sich um Ersetzung des Grafen Hartig im lombardish-venezianischen Königreiche handelt, gar keine Erwähnung gemacht werden zu sollen.

Wichtiger ist die zweite Aufgabe: die Leitung der Landesverwaltung. Für diese schiene dem Minister der Graf Montecuccoli vorzüglich geeignet zu sein; derselbe kennt das Land, ist dort sehr geachtet und vom Feldmarschall Grafen Radetzky selbst verlangt worden; seine Bestimmung dahin würde ihn sowie den Ministerrat selbst von der – seit den Ereignissen des 26. Mai16 bestehenden – Verlegenheit in Ansehung seiner Verwendung befreien und die eben aus jenen Ereignissen etwa hergeholte, von Baron Doblhoff angedeutete Einwendung dürfte ihr Gewicht dadurch verlieren, daß der Feldmarschall den Grafen Montecuccoli wiederholt ausdrücklich verlangt hat. In diesem Sinne würde daher Baron Pillersdorf unter allseitiger Zustimmung Vortrag an Ew. Majestät17, erstatten und inzwischen dem Grafen Montecuccoli schreiben, daß er sich zu der ihm zugedachten Mission bereithalte und für den Fall der wirklichen Übertragung derselben sich zuerst mit dem Grafen Hartig, dann mit Graf Radetzky zu verständigen haben werde18.

V. Protest Radetzkys gegen geplante Waffenstillstandsverhandlungen; Truppenverstärkungen nach Italien

Baron Pillersdorf teilte mit das Resultat einer Besprechung mit dem FML. Fürsten Schwarzenberg, welcher vom Feldmarschall gesandt ist, um gegen die beabsichtigten Friedensunterhandlungen und insbesondere gegen den Abschluß eines Waffenstillstands in dem jetzigen Zeitpunkte zu protestieren19.

Die Gründe sind, daß die k. k. Armee in ihrer dermaligen Stellung nichts zu besorgen habe, aber auch die feindliche bei deren numerischer Überlegenheit nicht angreifen || S. 468 PDF || könne, also faktisch schon eine Waffenruhe bestehe; daß der Feldmarschall bei einer Verstärkung von 25.000 Mann den Feind aus seiner Stellung vertreiben und den Frieden, der itzt nur unter den ungünstigsten Bedingungen zu erlangen wäre, auf lombardischem Boden würde diktieren können; daß der Abschluß eines Waffenstillstands vor einer großen Waffentat nachteilig auf den Geist der Armee wirken würde etc.

Der Minister hat ihn aufgefordert, diese Gründe in einem Memoire schriftlich zu übergeben, um dem Ministerrate zum Anhaltspunkte einer reifen Beratung zu dienen20. Inzwischen erhielt Baron Pillersdorf auch ein Schreiben vom 19. Juni von Baron Wessenberg über denselben Gegenstand21, worin jedoch bemerkt wird, daß diese militärischen Gründe durch politische Rücksichten überwogen werden dürften. Der bedenkliche Zustand unserer Finanzen, des Kredits, die allgemeine Stockung im Handel und Gewerbe, die inneren Zustände der Provinzen machen die baldige Beendigung des Krieges nötig; neuer Aufwand von Truppen und Geld für eine fast schon aufgegebene Provinz sei nicht rätlich, ja bei den gegenwärtigen Verhältnissen fast nicht aufzubringen, somit die vom Feldmarschall gesetzte Bedingung eines günstigeren Resultats nicht zu erfüllen; endlich würde selbst eine glückliche Waffentat unsrerseits die Komplikationen noch vermehren, weil dann die französische Regierung erklären würde, es stehe nicht mehr in ihrer Macht, die dortige Kriegspartei von einem Einschreiten in der italienischen Angelegenheit abzuhalten.

Die Abwägung aller dieser Rücksichten wird der Gegenstand einer sorgfältigen Beratung des Ministerrates sein, sobald das Memoire des Fürsten Schwarzenberg eingelangt sein wird, vorderhand legt er diese Notizen zur Ah. Kenntnisnahme in diesem Protokolle nieder, welchem der Kriegsminister nur die Bemerkung beifügt, daß der Feldmarschall nach den letzten Depeschen nur eine Verstärkung um 20.000 Mann verlangt22, und daß der Minister hoffe, die Hälfte binnen drei Wochen, die andre Hälfte aber später zur Disposition des Feldmarschalls stellen zu können, nachdem die Rekrutierung in Galizien einen sehr guten Fortgang nimmt, daher von den dort in Aufstellung begriffenen 13 Bataillons acht, aus Mähren zwei, aus Böhmen sechs und aus Komorn zwei Bataillone (nach einem Schreiben des ungrischen Kriegsministers23) werden herausgezogen werden können24.

VI. Schlechte Behandlung der österreichischen Geiseln und Gefangenen durch die Italiener

Der Kriegsminister verlas ein Schreiben eines k. k. Offiziers aus der Gefangenschaft in Mailand über die elende Behandlung der dortigen Gefangenen und Geiseln und kündigte ein weiteres aus S[an] Lazzaro bei Venedig an25, wo sogar Frauen und Kinder unter den Angehaltenen sich befinden. Er hätte gewünscht, daß die Freigebung der italienischen Geiseln unsererseits26 dazu wäre benützt worden, um für die österreichischen eine bessere Behandlung zu erwirken.

Der Minister des Inneren erwartet zwar, daß jene Maßregel unaufgefordert die gewünschte Wirkung machen werde, indessen ist er bereit, durch Freiherrn v. Wessenberg bei Casati in Mailand sich für die bessere Behandlung jener Gefangenen tätigst zu verwenden, obwohl er nicht umhin kann zu bemerken, daß zwischen Geiseln und Kriegsgefangenen, von denen das vorgelesene Schreiben allein Erwähnung macht, ein wesentlicher Unterschied bestehe27.

VII. Aufstellung eines Freikorps aus der galizischen Finanzwache

Der Kriegsminister trug vor ein vom kommandierenden General in Galizien einbegleitetes Einschreiten des dortländigen Kameralgefällsverwaltungsvorstands wegen Errichtung eines Freikorps von 1000–1200 Mann aus der Finanzwache28.

Ganz einverstanden damit, der Armee mit diesem wohldisziplinierten Korps einen erwünschten Zuwachs zu gewähren, glaubte der Kriegsminister nur in Ansehung des Kostenpunkts die Wohlmeinung des Finanzministers sich erbitten zu sollen, nachdem die Militärdotationsmittel nicht gestatten, diesen Leuten die gewünschte Beibehaltung ihrer, gegen den Sold in der Armee bei weitem höheren Löhnung zuzusichern. Der Finanzminister knüpfte seine Zustimmung zu der beabsichtigten Widmung an die Bedingung, daß der Gefällendienst in Galizien eine Reduktion des Standes um soviel Mann gestatte, und daß bei Bemessung der Löhnung dasjenige in Anrechnung gebracht werde, was der Soldat nebst seinem Solde an Naturalbezügen erhält, der Finanzwachmann dagegen aus seiner höhern Löhnung bestreiten muß, oder – was wohl das Zweckmäßigste wäre –, daß diese Leute als Unteroffiziere in die in der Aufstellung begriffenen Bataillons eingeteilt werden.

In diesem Sinne würde der Kriegsminister dem Kommandierenden zur Erstattung seines Gutachtens in Einvernehmung mit dem Gefällenverwaltungsvorstande anweisen29.

VIII. Adresse der Tiroler Stände

Adresse der landtäglich versammelten Stände Tirols vom 10. Juni, KZ. 1977, mit dem Ausdrucke ihrer treuesten Anhänglichkeit und Ergebenheit30.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Erzherzog Johann. Wien, den 26. Juni 1848.