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Nr. 80 Ministerrat, Wien, 22. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw. Doblhoff, Wessenberg; BdE. Pillersdorf (23. 6.).

MRZ. 1216 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 22. Junius 1848 unter dem Vorsitze des interimistischen Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Rücktritt Wessenbergs von der Stelle des Außenministers

Aus Anlaß eines vom Staatsrate Baron Lebzeltern dem Ministerpräsidenten mitgeteilten Schreibens des Ministers Baron Wessenberg, worin er die Notwendigkeit seiner baldigen Enthebung von den anstrengenden Ministerialgeschäften bespricht1, brachte der Kriegsminister Graf Latour in Anregung, daß möglichst dahin getrachtet werden sollte, den Freiherrn v. Wessenberg zu vermögen, daß er das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten mindestens noch bis zu dem nicht mehr fernen Zeitpunkte der Bildung eines neuen Ministeriums beibehalte, da es in dem gegenwärtigen Augenblicke bedenklich wäre, wegen der Leitung des wichtigen Departements des Äußern eine provisorische Vorkehrung zu treffen. Sämtliche Minister traten dieser Ansicht bei, und der Ministerpräsident erklärte, bei seinem nächsten – wahrscheinlich heute Abend stattfindenden – Zusammentreffen mit dem Freiherrn v. Wessenberg alles versuchen zu wollen, um den letzteren zum längeren Verweilen im Ministerium zu bestimmen. Das Resultat dieses Versuches werde dann zur Ah. Kenntnis gebracht werden2.

II. Wiedereroberung Venedigs

Über die von dem Ministerpräsidenten zur Sprache gebrachte Wichtigkeit, die Stadt Venedig wiederzuerobern, um unseren Ansprüchen auf die venezianischen Provinzen bei den Unterhandlungen wegen der Pazifikation ein größeres Gewicht zu verleihen, bemerkte der Kriegsminister , daß es für das österreichische Armeekorps unter FML. Baron Weiden, welches weder von einer Flotte unterstützt ist, noch selbst nur Lagunenschiffe zum Überschiffen von Truppen besitzt, eine völlige Unmöglichkeit sei, die Stadt Venedig mit Gewalt zu besetzen. Die Reokkupation dieser Stadt könne daher vorderhand nur durch einen Aufstand innerhalb ihrer Mauern angebahnt werden, und es sei selbst wahrscheinlich, daß die Gegenwart des siegreichen Armeekorps in und bei Mestre eine Reaktion im österreichischen Sinne werde hervorgerufen haben. Auf jeden Fall aber werde Graf Latour den Feldmarschall Grafen Radetzky im Namen des Ministerrates auffordern, mit aller Kraft dahin zu wirken, daß die Stadt Venedig wiederbesetzt werde3.

III. Berichte zur Lage in Böhmen

Der Ministerpräsident eröffnete den Inhalt einer vom 21. l. M. datierten, aber erst am 22. hier eingelangten telegraphischen Depesche aus Prag4, wonach die Verhältnisse in dieser Stadt sich immer beruhigender gestalten, und die Berichte vom flachen Lande fortwährend günstig lauten. Graf Leo Thun stellt jedoch das Ansinnen, daß keine Amnestie vom Ministerium erteilt werde, weil dadurch seine Bestrebungen, die Fäden der den letzten Ereignissen zum Grunde liegenden Konspiration zu entdecken, leicht vereitelt werden könnten.

Dieselbe Bitte enthält auch ein Bericht des Grafen Thun vom 21. d. M.5 über die Begebenheiten am 18. und 19.6 In diesem Berichte – der im ganzen beruhigend lautet, aber nur sehr wenig historische Daten enthält und manchen wichtigen Punkt gar nicht berührt – wird die Organisation des Aufruhres hauptsächlich den Wiener Studenten zugeschrieben. Das nach Prag gesendete Publikandum des Ministerrates7 habe der Gubernialpräsident nicht veröffentlicht, weil die dortige Nationalgarde die ihr im Publikandum erteilten Lobsprüche über ihre Haltung nicht verdient. Wegen Erhaltung der Ruhe auf dem flachen Lande, nötigenfalls unter Anwendung des Standrechts, seien die erforderlichen Weisungen an die Kreisämter erlassen worden. Der Ministerrat beschloß, einen vom Minister des Inneren vorgelesenen Auszug aus diesem Berichte in die Wiener Zeitung vom 23. einrücken zu lassen8.

Ein hierauf vorgelesener Bericht des Czaslauer Kreishauptmannes David über die Stimmung auf dem flachen Lande und in den Städten lautet auch im ganzen beruhigend9.

IV. Programm für die „Wiener Zeitung“ als Regierungsorgan

Der Minister v. Baumgartner übergab dem Ministerpräsidenten ein vom dermaligen Mitredakteur der Wiener Zeitung v. Stubenrauch verfaßtes Programm über die Stellung, welche die neue Redaktion dann einzunehmen hätte, wenn dieses Blatt ein ministerielles Blatt wird10. Dieses Programm wurde von dem Ministerpräsidenten , mit welchem sich auch die Minister der Justiz, der Finanzen und des Krieges vereinigten, den Absichten der Regierung nicht ganz entsprechend gefunden, weil es dahinaus läuft, alle Artikel ohne Unterschied als ämtliche Artikel erscheinen zu lassen || S. 464 PDF || und die Redaktionsgeschäfte bloß auf das Sammeln von Material und das Formulieren gewisser Publikationen zu beschränken, so daß das Ministerium, und nicht die Redaktion, alle und jede Artikel über innere und äußere politische Zustände zu vertreten hätte, ein Verhältnis, was bei den Staatszeitungen des Auslandes überall nicht besteht und auch gewichtigen Bedenken unterliegen würde.

Der Ministerpräsident behält sich vor, ein den Absichten des Ministeriums entsprechendes Programm über die Redaktion des ministeriellen Blattes zu entwerfen, welches dem Professor Stubenrauch zur Berichtigung seiner irrigen Auffassung und zur weiteren Äußerung mitgeteilt werden wird11.

V. Militärische Auszeichnungen

Der Kriegsminister überreichte schließlich einen au. Vortrag vom 21. l. M. 12, womit er den Antrag Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Johann wegen Ah. Anerkennungen für mehrere Offiziers vom Truppenkommando des FML. Grafen Lichnowksy, welche sich im Val Arsa ausgezeichnet haben13, in der Art unterstützt, daß dem Obersten Melczer vom Schwarzenberg-Infanterie das Ritterkreuz des Leopoldordens und dem Kaplan Amon das goldene geistliche Verdienstkreuz Ag. verliehen, dem Hauptmann Kopal aber und den Unterleutnanten Baron Holzschuher und v. Wunschheim die Ah. Zufriedenheit über ihr tapferes Verhalten bezeigt werde.

Für den Fall Ew. Majestät diese Anträge des Grafen Latour, mit welchen sich auch der tg. Ministerrat vereinigte, Ag. zu genehmigen geruhen, werden die Entwürfe der entsprechenden Erlässe hierneben angereiht14.

Erzherzog Johann. Wien, den 26. Juni 1848.