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Nr. 79 Ministerrat, Wien, 21. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; BdE. Pillersdorf (22. 6.).

MRZ. 1214 et 1215 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung vom 21. Juni 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten, Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Reise des kaiserlichen Stellvertreters Erzherzog Johann nach Wien; Beendigung der Mission Doblhoffs; Lage in Kroatien und Italien

Der Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf brachte das Ah. Kabinettschreiben zur Kenntnis des Ministerrates, womit Ew. Majestät Se. kaiserliche Hoheit den durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Johann zu Allerhöchstihrem Stellvertreter mit der ganzen Machtvollkommenheit in Regierungsgeschäften auf so lange zu bestellen geruhet haben, bis es Allerhöchstdenselben möglich sein wird, nach Wien zurückzukehren1.

Gleichzeitig wurde ein Bericht des Ministers des Handels, der Industrie und des Ackerbaues Freiherrn v. Doblhoff mitgeteilt2, worin derselbe anzeigt, daß mit dieser Ah. Bestimmung seine Sendung und Aufgabe vollendet sei3, daß er den 19., und der Minister des Äußern, Baron Wessenberg, zwei Stunden vor ihm, von Innsbruck abreisen und am 22. d. M. in Wien eintreffen werden.

In Ansehung der Reise Sr. kaiserlichen Hoheit des Herrn Erzherzog Johann bemerkte Baron Doblhoff, daß Höchstsie mit dem Dampfschiffe nicht ankommen werden, daß Se. kaiserliche Hoheit ganz incognito reisen wollen, und am 23. d. M. um 7 Uhr früh die Minister in der Burg erwarten werden.

Weiter erwähnte Baron Doblhoff in seinem Berichte, daß er mit dem Banus Jellačić in Innsbruck gesprochen und aus seiner Rede entnommen habe, daß zu einem Vergleiche der Kroaten mit den Ungarn wenig Hoffnung und Aussicht vorhanden sei, daß die Kroaten nur von dem deutschen Ministerium abhängen wollen, daß sie 60.000 Mann ins Feld stellen können, und aus den dermaligen Wirren dort der blutigste Bürgerkrieg entstehen dürfte4.

|| S. 457 PDF || In den italienischen Angelegenheiten sei eine neue Phase eingetreten. Die Lombardie wolle sich mit Piemont vereinigen und habe bereits auch Abgeordnete zur Konstituante nach Turin abgesendet5.

II. Wessenberg zur Lage in Italien

Diesen letzteren Gegenstand bespricht gleichfalls ein vom Minister des Inneren mitgeteiltes Schreiben des Baron v. Wessenberg, worin erwähnt wird, daß sich eine Deputation von Mailand, den Casati an der Spitze, in das Lager des Königes Karl Albert begeben habe, um die Vereinigung der Lombardie mit Piemont anzubieten und daß gleichzeitig eine andere Deputation nach Turin gegangen sei, um wegen Einrichtung der Verwaltung zu sprechen6.

Hierdurch sei eine neue Störung in die italienischen Verhandlungen gekommen. Die Anerkennung des Königes Karl Albert als König der Lombardie sei eine sehr schwierige Sache und hänge von Österreich allein nicht ab. Baron Wessenberg meint, daß Graf Montecuccoli der geeigneteste Mann wäre, um die italienischen Verhandlungen zum Ziele zu führen7. Er stellte diese Andeutung der Erwägung des Ministerrates mit dem Beisatze anheim, daß es am besten wäre, die italienischen Verhandlungen nach Wien zu ziehen.

Der Ministerrat bemerkt dagegen, daß, wenn die erwähnten Verhandlungen in Mailand gepflogen würden, Graf Montecuccoli allerdings ein zu deren Führung ganz geeigneter Mann wäre; nachdem diese Verhandlungen aber in Wien geführt werden sollen, so dürfte dem besagten Grafen das in der letzteren Zeit hier Vorgefallene und das gegen ihn Verfügte bei diesen Verhandlungen sehr hinderlich sein8. Hierauf wird Baron Wessenberg aufmerksam gemacht werden9.

III. Empfang Erzherzog Johanns

Der Minister des Inneren zeigte dem Ministerrate an, daß er in der Meinung, Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Johann würden die Reise von Innsbruck über Linz und dann zu Wasser nach Wien machen, Höchstdemselben den Regierungsrat Reich nach Linz entgegengeschickt habe, welche Sendung nun nach den neueren Nachrichten den beabsichtigten Zweck nicht erreichen kann. Indessen hat der Minister des Inneren nach dem Empfange dieser neueren Nachrichten nicht || S. 458 PDF || gesäumt, den Hofrat Böhm nach Mürzzuschlag, und wenn es die Umstände gestatten, bis Bruck an der Mur Sr. kaiserlichen Hoheit entgegenreisen zu machen10.

Da es hiernach von dem für morgen beschlossenen Besuche bei Sr. kaiserlichen Hoheit von selbst abkommt, so werden die Minister am 23. d. M. um 7 Uhr früh in corpore und in Uniform ihre ehrfurchtsvolle Aufwartung Sr. kaiserlichen Hoheit dem Stellvertreter Ew. Majestät machen11.

IV. Erledigung der Prager Deputation

Derselbe Minister eröffnete, daß er in der gestern beschlossenen Art12 die böhmische Deputation beschieden13 und auch dem böhmischen Gubernialpräsidenten Grafen Leo Thun geantwortet habe14.

V. Passives Verhalten der Minister bei der Abgeordnetenkandidatur zum Reichstag

In Ansehung der Kandidatur zu Abgeordneten für den bevorstehenden Reichstag wollen sich die Minister ganz passiv verhalten.

VI. Verzeichnis der Reichstagsabgeordneten aus Galizien

Baron Pillersdorf teilte ein ihm aus Galizien zugekommenes Verzeichnis über mehrere, für den Reichstag gewählte Abgeordnete mit, aus welchem hervorgeht, daß einige Landleute, ein Ortsrichter, ein Kämmereivorsteher, ein Pfarrvikar und ein Anteilsbesitzer gewählt worden sind15.

VII. Gemeindespenden für die Armee In Italien

Der Kriegsminister Graf Latour zeigte mehrere für die Armee in Italien eingegangene Geschenke (darunter das von der Gemeinde Gumpendorf von 700f.), dann den Umstand an, daß die Gemeinden des Dominiums Jaslowitz sich bei ihm angefragt haben, ob sie nicht zu demselben Zwecke 4000f. aus dem Kontributionsfonds einschicken dürfen.

Der Minister erbat sich die Weisung, was er den Gemeinden bezüglich dieses patriotischen Anbietens erwidern soll, und erhielt die Zustimmung des Ministerrates dahin, ihnen ohne weiters zu gestatten, einen entsprechenden Betrag aus dem Kontributionsfonds zu dem gedachten löblichen Zwecke einzuschicken16.

VIII. Ausfolgung von Kanonen an die Nationalgarde

Derselbe Minister bemerkte, daß er sich in Ansehung der Ah. Entschließung, womit Ew. Majestät ihn ermächtigen, der Nationalgarde 24 Geschütze auszufolgen17, in einiger Verlegenheit befinde.

|| S. 459 PDF || Die Bürger besaßen bereits sechs Kanonen, zwölf wurden der Nationalgarde unter Anhoffung der Ah. Genehmigung von dem Ministerium bewilliget, und nun sollen ihr noch 24 Geschütze ausgefolgt werden, was zusammen 42 Geschütze ausmachen würde, während doch nur stets von sechs Batterien (36 Geschützen) die Rede war.

Der Ministerrat glaubt, daß der Nationalgarde nur noch 18 Geschütze auszufolgen wären, weil nie von mehr als 36 Geschützen die Rede war, die Nationalgarde bereits im Besitze von 18 Stücken ist und die neuen 18 die Zahl von 36 vollmachen. Die Erledigung wäre indessen wegen der jüngsten Prager Ereignisse18 einige Zeit zu verzögern und die Übergabe und Übernahme hätte seinerzeit womöglich ohne alles Aufsehen zu geschehen19.

IX. Verleihung des Kürassierregimentes Graf Ignaz Hardegg Nr. 8 an Graf Carl Auersperg

In dem ehrerbietigst angeschlossenen au. Vortrage vom 20. d. M., Z. 230920, unterstützt der Kriegsminister das Ansuchen des FML. Grafen Carl Auersperg, Kommandierenden in Niederösterreich21, daß ihm unter gleichzeitiger Enthebung von der zweiten Inhaberstelle von König von Preußen-Husaren das vakante Kürassierregiment Graf Ignaz Hardegg Nr. 8 als erster Inhaber Ag. verliehen werden möge.

Dieser Bitte spricht die mehr als 50jährige erprobte Kriegsdienstleistung des Bittstellers das Wort.

Der Ministerrat erlaubt sich auf die Ag. Gewährung der in der Rede stehenden Bitte des FML. Grafen Carl Auersperg ehrfurchtsvoll anzutragen22.

X. Nichtanerkennung des Titels „Woiwode“ für Stephan Suplikatz v. Vites

Der Feldmarschall Graf Radetzky brachte zur Kenntnis des Kriegsministers23, daß eine serbische Deputation aus Ungarn in seinem Hauptquartier in Verona in der Absicht erschienen sei, um den von den Serben als ihren Woiwoden erwählten Stephan Suplikatz [v.Vites] (k. k. Generalen und Brigadier in Italien)24 zu begrüßen.

Da ein Woiwode der Serben bei uns nicht existiert, dieser Charakter daher ein illegaler ist und der Woiwode eine ungesetzliche Autorität wäre, so einigte sich der Ministerrat in der Ansicht, daß dem Feldmarschall zu erwidern wäre, der gedachten Deputation keine Folge zu geben25.

XI. Zulage für Vincenz Freiherrn v. Augustin

Durch die über den au. Vortrag des Kriegsministers vom 27. Mai d. J. Ah. genehmigte Beförderung des Kommandanten des Feuerwerkkorps in Wiener Neustadt Vinzenz Freiherrn v. Augustin an die Stelle des Hermann Grafen Künigl beim Artilleriehauptzeugamte mit Belassung seiner Anstellung in Wiener Neustadt26 tritt eine Änderung || S. 460 PDF || in den Genüssen des besagten Freiherrn v. Augustin ein, insbesondere ist ihm die im Jahre 1830 bewilligte Zulage von 1200f. eingestellt worden.

Um die Belassung dieser Zulage bittet nun Freiherr v. Augustin, indem er geltend macht, daß die vielen Reisen, die er im Jahre mit seinem Adjutanten in Amtsgeschäften nach Wiener Neustadt zu machen hat, durch diese Zulage kaum gedeckt werden27.

Es wurde für notwendig erkannt, den Kostenbetrag der gedachten Reisen näher nachweisen zu lassen, weil, wenn dargetan werden könnte, daß die Reisen des Freiherrn v. Augustin nach Wiener Neustadt einen gleichen oder höheren Betrag als jene 1200f. in Anspruch nehmen, diese Zulage dann die Natur eines Reisepauschale annehmen würde, welches Pauschale dann im Einverständnisse des Kriegsministers mit dem Finanzminister ohne weiters und ohne einen au. Vortrag zu erstatten, bewilliget werden könnte28.

XII. Ministerielle Vorlagen an den bevorstehenden Reichstag

Der Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf brachte mit Rücksicht auf den nahe bevorstehenden Reichstag und den Umstand, daß, wenn die Abgeordneten auch am 26. d. M. zusammenkämen29, die Vorarbeiten für den Reichstag (Prüfung der Vollmachten, Festsetzung einer Geschäftsordnung u. dgl.) immerhin 10–12 Tage in Anspruch nehmen dürften, die feierliche Eröffnung des Reichstages daher erst um den 10. Juli herum statthaben könne30, jene Gegenstände in Anregung, welche von Seite der Minister dem Reichstage zur Verhandlung vorgelegt werden wollen.

Er seinerseits werde zur Vorlage bringen: die Reglung der Petitionen und Assoziationen, Reglung der Armee-Ergänzung, das Wahlgesetz, die Organisierung der Provinzialstände, die Gemeinde- und Munizipalverfassung und das Nationalgardegesetz.

Der Justizminister Freiherr v. Sommaruga wird das provisorische Gesetz über das öffentliche und mündliche Verfahren in Strafsachen, die Einrichtung der Gerichtsbehörden, den Entwurf zu einer Konkursordnung und zu dem Seerechte, und als provisorischer Minister des öffentlichen Unterrichtes den Entwurf einer besseren Einrichtung der Volksschulen und die Verbesserung der Lage der Volksschullehrer vorlegen.

Der Finanzminister wird das Staatsbudget vorlegen, womit er in kurzer Zeit fertig zu werden hofft. Er bemerkt schon vorläufig, daß sich ein sehr bedeutendes Defizit herausstellen werde.

Die Bedeckung des ordentlichen Staatsaufwandes werde durch indirekte und direkte Besteuerung zu erzielen getrachtet, und er werde in wenigen Tagen ein Einkommensteuergesetz zustande bringen. Für die Bedeckung des außerordentlichen Staatsaufwandes werde durch Anleihen auch schon für dieses Jahr gesorgt werden müssen, und es werde eine der ersten Vorlagen sein, die er diesfalls dem Reichstage werde machen müssen.

|| S. 461 PDF || Der Kriegsminister Graf Latour wird das Militärjustizgesetz zur Vorlage bringen. Der Minister der öffentlichen Arbeiten wird die Fortsetzung der Staatseisenbahnen mit einem Aufwande von 10 Millionen in Antrag bringen und dabei von dem Grundsatze ausgehen, daß keine neuen Bahnen begonnen, sondern die bereits im Angriffe befindlichen teils vollendet, teils fortgesetzt werden. Die Bahn von Brünn bis Böhmisch-Trübau zur kürzeren Verbindung Wiens mit Prag soll schon heuer fertig werden, die sächsische gegen Dresden im künftigen Jahre, und auf der Südbahn gegen Triest soll im künftigen Jahre Laibach erreicht, dann die Bahn von Gloggnitz nach Mürzzuschlag in Angriff genommen werden.

Ferner beabsichtigt er die Regulierung der Donau von Nußdorf bis Schwechat, dann die Erbauung einer steinernen Bogenbrücke über die Donau (für den gewöhnlichen Verkehr und für den Gebrauch der Eisenbahnen) zur Sprache zu bringen, welche Brücke vor der Regulierung der Donau im Trockenen gebaut werden könnte. Die Kosten dieser beiden Projekte dürften sich auf 8 Millionen belaufen31.

XIII. Redaktionelle Besetzung der „Wiener Zeitung“

Schließlich bemerkte der Minister der öffentlichen Arbeiten hinsichtlich der bereits in früheren Protokollen erwähnten Errichtung eines ministeriellen Organs in der gegenwärtigen Wiener Zeitung32, daß es ihm vorteilhaft zu sein schiene, wenn den zwei Hauptredaktoren dieser Zeitschrift, Stubenrauch und Tomaschek, noch ein dritter, ihnen übrigens in den Genüssen nicht gleichzustellender in der Person des Schmidl beigegeben würde, um für die Fälle des Unwohlseins oder der Verhinderung des einen oder des anderen vorgesorgt zu haben.

Dagegen erinnerten die übrigen Stimmführer, denen zuletzt auch der Minister Baumgartner beitrat, daß die Redaktoren Stubenrauch und Tomaschek genügen dürften, zumal, wenn ihnen gestattet würde, sich jüngerer Männer zur Verfassung von Aufsätzen als Mitarbeiter zu bedienen, welche zu honorieren wären.

Der Minister Baumgartner wird nun den Redakteur Stubenrauch anweisen, das Programm vorzulegen, welches er morgen zur Besprechung des Ministerrates bringen werde33.

Erzherzog Johann. Wien, 26. Juni 1848.