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Nr. 75 Ministerrat, Wien, 17. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw. Doblhoff, Wessenberg; BdE. Pillersdorf (17 6.).

MRZ. 1145 et 1146 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 17. Juni 1848 unter dem Vorsitze des mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Ernennung Erzherzog Franz Karls zum Stellvertreter des Kaisers in Wien

Schreiben des Ministers Baron Doblhoff vom 14. Juni mit der Nachricht von der beschlossenen – leider durch Unwohlsein Ew. Majestät wieder aufgeschobenen – Abreise Ew. Majestät und von der sofortigen Absendung Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herr Erzherzogs Franz Karl als Ah. Stellvertreter mit der ausgedehntesten Vollmacht zur Besorgung aller Staatsangelegenheiten und Regierungsgeschäfte1.

Der Ministerrat hat beschlossen, diese höchst wichtigen Nachrichten sogleich mittelst besonderer Kundmachung2, dann Verständigung des Sicherheits- und Gemeindeausschusses3 zur öffentlichen Kenntnis zu bringen, dem Minister Baron Doblhoff aber in Erwiderung seines Schreibens mittelst desselben Kuriers, der es überbrachte, nachstehende Mitteilungen zu machen4:

1. Der Ministerrat glaube, daß die Übertragung der Regierungsgeschäfte während des Unwohlseins Ew. Majestät an Se. k. k. Hoheit den Herrn Erzherzog Franz Karl durch einen feierlichen Akt mittelst einer von Ew. Majestät Allerhöchsteigenhändig zu unterfertigenden Vollmachtsurkunde zu geschehen hätte, wozu der Justizminister den angeschlossenen, dem Baron Doblhoff in Abschrift mitgeteilten Aufsatz entworfen hat5.

2. Der Ministerrat halte sich für verpflichtet, Se. k. k. Hoheit den Herrn Erzherzog Franz Karl aufmerksam zu machen, Höchstderselbe geruhe in seine Begleitung keine Person aufzunehmen, welche vermöge ihrer im Publikum vorausgesetzten Gesinnung dessen Meinung gegen sich hätte.

3. glaube er nicht, daß für Se. k. k. Hoheit ein feierlicher Empfang ämtlich vorbereitet werden sollte, daß er also – ohne besondern ausdrücklichen Befehl Sr. k. k. Hoheit – diesfalls keine Veranstaltung treffen, sondern den Ausdruck der Freude der Bevölkerung selbst überlassen würde, welcher, wie der Ministerrat zuversichtlich hofft, umso lebhafter und herzlicher sein wird, wenn, wie das Ministerium vermeint,

4. ein Mitglied der durchlauchtigsten Familie, als welches der Ministerrat Se. k. k. Hoheit den Herrn Erzherzog Franz Joseph vorzuschlagen sich erlaubt, Se. k. k. Hoheit || S. 440 PDF || begleitet oder nachfolgt, bei welcher Gelegenheit der Kriegsminister unter Beistimmung der übrigen nicht umhin kann, den Wunsch auszudrücken, daß der – eben zum General vorgeschlagene – Oberst Hauslab (MRProt. v. 14. Juni, sub VI), ein allgemein geachteter Mann, zum Ajo6 Sr. k. k. Hoheit bestimmt werden möchte.

5. erbitte sich der Ministerrat die höchsten Befehle Sr. k. k. Hoheit über den Ort und die Zeit, wann Höchstdieselben ihn zu empfangen geruhen, und

6. biete für den höchsten Dienst Sr. k. k. Hoheit Ordonnanzoffiziere der Nationalgarde an.

7. endlich kam noch die Frage zur Sprache, ob nicht, nachdem die beiden am Ah. Hoflager befindlichen Minister7 mit Sr. k. k. Hoheit Innsbruck verlassen, der Ah. Person Ew. Majestät ein andrer verantwortlicher Minister beizugeben sein dürfte – wie Freiherr v. Pillersdorf meinte –, um Allerhöchstdieselbe in steter Übersicht der Staatsgeschäfte zu erhalten und das Ministerium über das Ah. Wohlbefinden fortwährend in Kenntnis zu setzen.

Die Justiz-, Kriegs- und der Minister der öffentlichen Arbeiten glaubten die Frage verneinen zu sollen, weil Ew. Majestät während Allerhöchstdero Unpäßlichkeit die Leitung aller Staatsgeschäfte Sr. k. k. Hoheit übertragen haben, die Reservierung von Regierungsgeschäften also mit der ausgedehnten Vollmacht nicht im Einklang stehen, den Minister in eine schiefe Stellung bringen und nur Anlaß zu dem Gerede über den Bestand zweier Regierungen geben würde. Der Finanzminister entgegnete zwar, daß Ew. Majestät während der bloß zeitlichen Vertretung durch Se. k. k. Hoheit fortan in der Kenntnis aller Regierungsgeschäfte bleiben müßten, Deputationen und Gesuche annehmen würden, daher umso mehr der Beihilfe eines verantwortlichen Ministers bedürften, als eben nur durch einen solchen, der zugleich Mitglied des Gesamtministeriums ist und nur in dessen Sinn handeln darf, dem Vorwande des Bestands zweier Regierungen begegnet werden kann.

Der vorsitzende Minister des Inneren fand sich bei dieser Meinungsdifferenz zu dem – auch von den übrigen Stimmen angenommenen – Beschlusse bestimmt, diesen Gegenstand vorderhand auf sich beruhen zu lassen und hierwegen mit Sr. k. k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Franz Karl mündlich zu konferieren8.

II. Maßnahmen zur Eindämmung des Prager Pfingstaufstandes

Die neuesten telegraphischen Depeschen aus Prag vom 16., 9 Uhr 15 Minuten abends9: „Prag ist in größtem Aufruhr“, „Ich (Telegraphist) kann nicht bleiben“, dann vom selben Tage 11 1/4 Uhr nachts10: „Prag ist an mehreren Orten in Flammen“, endlich die Meldung vom hiesigen telegraphischen Amt11, daß der Prager Telegraphist seit 5 Uhr morgens den 17. Juni – ungeachtet aller Aufforderung – keine Zeichen mehr gibt, was also [auf] die Verlassung des Telegraphen schließen läßt, haben den Minister || S. 441 PDF || des Inneren zu folgenden – vom Ministerrate vollkommen gebilligten – Maßregeln bewogen:

1. Zu einer Aufforderung des hiesigen Telegraphenamts, jenes in Olmütz anzuweisen, sich von den aus Prag ankommenden Trains das Neueste von Prag melden zu lassen und solches sogleich nach Wien zu telegraphieren12.

2. Zur Erlassung eines Aufrufs, sowohl an das Landvolk Böhmens als auch an die Bevölkerung Prags, worin zur Ruhe und Ordnung und zur Rückkehr unter die Herrschaft des Gesetzes aufgefordert und bezüglich Prags unter dieser Bedingung Verzeihung des Vergangenen zugesichert wird13. Dieser Aufruf würde, nach dem Antrage des Ministers der öffentlichen Arbeiten, den – bereits in Prag befindlichen – bevollmächtigten Hofkommissären Graf Mensdorff und Klezanzky zuzustellen sein14.

3. Zur Anweisung der Kreisämter, daß sie zur Pazifizierung des Landes tätigst mitwirken und bis zur Reorganisierung respektive Reaktivierung der Landesstelle unmittelbar mit dem Ministerium bei allen ihren Wirkungskreis übersteigenden Amtshandlungen sich in Verkehr setzen15.

4. Zu dem Beschlusse, die Truppenmacht in Böhmen vorderhand nicht zu vermindern und die aus derselben für das italienische Heer zu ziehende Verstärkung16, die nun, wenn der Waffenstillstand abgeschlossen wird17, ohnehin minder dringend ist, womöglich wo anderwärts herzuziehen.

5. Von allen diesen Nachrichten, Vorgängen und Verfügungen, das hiesige Publikum durch eigene Kundmachung mit der Aufforderung in die Kenntnis zu setzen, daß es übertriebenen Gerüchten aus Prag keinen Glauben schenken möge18.

III. Maßrnahmen des Sicherheitsausschusses auf die Forderungen der Arbeiter

Eine Anzeige des Ausschusses der Bürger, Nationalgarden und Studenten für Ordnung und Sicherheit19 über die aus Anlaß der überspannten Forderungen der hiesigen Arbeiter (um Erhöhung des Taglohns, Auszahlung der Sonn-, Feier- und || S. 442 PDF || Regentage)20 von demselben am 16. und 17. Juni getroffenen Vorkehrungen, als: Belehrung derselben durch öffentliche Anschläge21 über das Unbillige ihrer Forderungen, Aufbietung eine Teils der Nationalgarde etc., wurde zur befriedigenden Nachricht genommen, und der Minister des Inneren behält sich vor, hierüber dem Ausschusse die entsprechende Antwort zu erteilen22.

IV. Vertrag mit der Wiener Zeitung

Der Finanzminister meldet das Endresultat der mit den Ghelenschen Erben puncto der Wiener Zeitung gepflogenen Unterhandlung23. Nach derselben bitten die Unternehmer um Aufrechthaltung des bisherigen Pachtverhältnisses mit Bezahlung des Pachtschillings von jährlichen 32.000f. und den 600 Freiexemplaren wie bisher und einer Vergütung von jährlichen 10.000f. für Redaktionsauslagen – gegen dem, daß die Redaktion des historischen Hauptblattes ganz von der Staatsverwaltung übernommen werde, die ämtlichen Bekanntmachungen zuerst ihr und per extensum nur ihr mitgeteilt werden, der Titel „K. k. privilegierte“ wegbleibe und das – dem Publico anstößige dermalige – Format sich verkleinere24.

Da das Anerbieten für die Staatsverwaltung vorteilhaft ist, so erklärte sich der Ministerrat einstimmig für dessen Annahme, und zwar schon vom 1. Juli an, als dem Tage, wo der bisherige Kontrakt zu Ende geht25.

Der Minister der öffentlichen Arbeiten übernahm es, wegen Anstellung des einen der bisherigen Redakteure, Dr. Stubenrauch, welcher bei der Redaktion bleiben zu wollen erklärt und von der Unternehmung bisher 1800f. jährlich bezogen hat, dann wegen Bestellung eines andern tüchtigen Individuums für die Redaktion der Zeitung im Sinne der Regierung Sorge zu tragen26.

Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolls dient Mir zur Kenntnis. Erzherzog Johann.