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Nr. 65 Ministerrat, Wien, 8. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw. Doblhoff, Wessenberg; BdE. Pillersdorf (8. 6.). Franz Karl (14. 6.).

MRZ. 974 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 8. Juni 1848 unter dem Vorsitze des interimistisch mit dem Präsidio des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Baron Pillersdorf.

I. Schreiben Doblhoffs über a) Wahlordnung für die Reichstagswahlen, b) provisorische Regierung in Prag, c) böhmische Landtagswahlen

Schreiben des Ministers Baron Doblhoff vom 5. Juni 1848 an den Ministerrat1. Den darin berührten Punkten wegen Bekanntmachung der Wahlordnung behufs der Wahlen für den Reichstag2, dann in Ansehung der in Prag entstandenen provisorischen Regierung3 ist bereits von Seite des Ministers des Inneren entsprochen worden. Die Mitteilung des Baron Doblhoff, daß der Gubernialpräsident in Böhmen Graf Thun von Ew. Majestät bereits die Ermächtigung erhalten habe, mit der Vornahme der Wahlen zum böhmischen Landtage vorzugehen, steht in Verbindung mit der vom Minister des Inneren vorgetragenen4.

II. Schwierigkeiten bei der Wahlausschreibung zum böhmischen Landtag

Eingabe dieses Gubernialpräsidenten, worin derselbe anzeigte, die Wahlen für den Reichstag in Böhmen nicht ausgeschrieben zu haben5, weil dieselben eben für den böhmischen Provinziallandtag im Zuge sind6 und die Vornahme von Wahlen in doppelter Richtung nur zu Kollisionen Anlaß gäbe; der Gubernialpräsident bäte daher, den allgemeinen Reichstag aus den für den böhmischen Landtag angeordneten Wahlen beschicken zu dürfen.

Hierüber gedächte der Minister des Inneren den Grafen Thun zu erinnern, daß das Ministerium nicht ermächtigt sei, von der für alle Provinzen gleichmäßig vorgeschriebenen || S. 391 PDF || Wahlordnung behufs des Reichstages7 bezüglich der einzelnen Provinz Böhmen abzugehen, und daher nicht nur auf deren Beobachtung und der wirklichen Vornahme der Wahlen nach derselben bestehen, sondern auch (nachdem mit Rücksicht auf die obgedachte Ah. Ermächtigunga die Ausschreibung des böhmischen Landtages nicht mehr rückgängig gemacht werden könnea )8 für höchst wünschenswert erkennen müsse, daß wenigstens der Provinziallandtag bis zum Schlusse des fast zu derselben Zeit berufenen Reichstages verschoben oder wenigstens vertagt werde9.

III. Administrative Teilung Galiziens

Der Minister des Inneren teilte mit das Resultat einer Besprechung mit dem von Ew. Majestät ans Ah. Hoflager berufenen Grafen Stadion10, infolgedessen ersterer behufs der vom Grafen Stadion angetragenen Trennung der Provinz Galizien in zwei Gouvernementsgebiete11 dem Hofrate Zaleski einstweilen die nötigen Vorarbeiten aufgetragen hat und bezüglich der einstweiligen Verwaltung des Landes durch den Vizepräsidenten in politicis und den Kommandierenden General als Oberleiter der Provinz der weiteren schriftlichen Mitteilung entgegensieht12.

IV. Zulassung der Arbeiter zu den Urwahlen; studentische Vertretungsansprüche im Reichstag

Der Minister des Innerenb machte ferner auf einige Bemühungen aufmerksamb wegen Reklamationen gegen das Wahlgesetz und zwar bezüglich der durch die Presse und selbst im Gemeindeausschusse der Stadt Wien zur Sprache gebrachten Ansprüche der Arbeiter auf Zulassung zu den Urwahlen13 sowie bezüglich der von den Studenten beanspruchten Vertretung auf dem Reichstage14.

Dieselben würden jedoch nach dem Erkenntnisse des Ministerrates, als nur von Wien ausgehend, eine Berücksichtigung in dem allgemein vorgeschriebenen Wahlgesetze nicht finden dürfen15.

V. Ausdehnung der Wechselbeschränkung von Banknoten in Silber und des Gesetzes über Annahme von Banknoten start Silbergeldes auf Tirol und Dalmatien

Bei der Ausführung der im Ministerrate vom 21. Mai beschlossenen Beschränkung der Umwechslung von Banknoten in Silbergeld und des Gesetzes, welches die unbedingte || S. 392 PDF || Annahme der Banknoten anstatt Silbergelds bei allen Zahlungen vorschreibt16, sind die Provinzen Tirol und Dalmatien, ersteres wegen der Anwesenheit Ew. Majestät in dessen Hauptstadt, letzteres wegen seiner mindern Bedeutung außer Anschlag geblieben. Gegenwärtig zeigt sich ein auffallendes Zuströmen der Banknoten zur Verwechslung nach Tirol, welches den Bankschatz ernstlich bedroht.

Die Bank hat daher um Ausdehnung der Verwechslungsbeschränkung und jenes Gesetzes auch auf die genannten Provinzen gebeten17, welchem Ansuchen der Finanzminister nunmehr – mit Zustimmung des Ministerrates umso lieber entsprechen wird, als der Zweifel, ob Ew. Majestät der ganzen Maßregel die Ah. Sanktion zu erteilen geneigt seien, durch die unbeanständete Ah. Erledigung des Ministerratsprotokolls vom 22. Mai behoben18, mithin gegen die Ausdehnung derselben auf Tirol kein Anstand mehr ist, und das Ärar in Ansehung der Militärverpflegslieferungen gerade in Tirol so große und lästige Verpflichtungen übernommen hat, daß es nur durch unverweilte Publizierung jener Maßregeln auch in Tirol vor großer Verlegenheit bewahrt bleiben kann19.

VI. Abzüge bei Gehalten und Pensionen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen

Die großen finanziellen Verlegenheiten der gegenwärtigen Zeit, wo monatlich zehn Millionen durch außerordentliche Mittel aufgebracht werden müssen, machen die möglichste Einschränkung der Ausgaben des Staates zur dringendsten Pflicht.

Um in dieser Beziehung mit einem, der Staatsverwaltung bereits durch den wiederholten Ausspruch der öffentlichen Meinung nahegelegten Gegenstande zu beginnen, brachte der Finanzminister in Vorschlag, daß die Gehalte der Beamten, dann die Pensionen, so aus dem Kameralärar oder aus politischen Fonds bezahlt werden, angemessenen Abzügen unterzogen werden. Gehalte und Pensionen bis 1000f. würden frei bleiben, höhere mit gewissen Perzenten belegt, Pensionen überhaupt in keinem höheren Betrage als bis 8000f. ausgezahlt, Möbelentschädigungen bei Übersiedlungskostenvergütungen dem für die Gehalte der Betroffenen festgesetzten Abzugsperzente unterworfen, endlich auch der bisher mit ein Fünftel der Diäten bestehende Abzug auf ein Viertel erhöht werden (mit Ausnahme der drei untersten Klassen).

Der Ministerrat, hiermit einverstanden, vereinigte sich in Ansehung der Abzugsperzente dahin, daß selbe bei Gehalten oder Pensionen über 1000 bis 3000f. mit 5, bei höheren mit 10 vom Hundert festgesetzt werden mögen, und erklärte sich in der Rücksicht, daß hiermit der Übergang zu einer – unter den itzigen Verhältnissen kaum mehr zu vermeidenden – allgemeinen Einkommensteuer angebahnt würde, für die sofortige Einbeziehung aller geistlichen Pfründner, aller Stifter und Klöster, der Malteser und Deutschen Ordenspfründner sowie der städtischen und ständischen Beamten, insofern || S. 393 PDF || bei ihnen die Bedingungen der Abzugsqualifikation eintreten, in die in Rede stehende Maßregel20.

VII. Anzustrebender Waffenstillstand in Italien

Eben die finanziellen Bedrängnisse der Monarchie, der auf Industrie und Handel lastende Druck, die ungünstigen neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatze, die bei der vom Kriegsminister selbst bestätigten augenblicklichen Unmöglichkeit, Truppenverstärkungen nachzusenden, kaum eine bessere Wendung erwarten lassen, bestimmten den Minister der öffentlichen Arbeiten , die Ansicht auszusprechen, daß aus allen Kräften an der Pazifikation Italiens gearbeitet und womöglich gleich ein Waffenstillstand in Italien unterhandelt werden möge; nur dann, meinte er, wäre ein Aufhören der Stockung der industriellen Unternehmungen und eine Erleichterung des von der Masse brotloser Arbeiter fast erdrückten Staatsschatzes zu hoffen.

Der Ministerrat glaubte, diese Bemerkungen mittelst dieses Protokolls zur Kenntnis des Ministers des Auswärtigen mit dem Wunsche der tunlichsten Berücksichtigung derselben bringen zu sollen21.

VIII. Verhalten der lombardischen Geiseln in Salzburg

Der Kriegsminister teilte einen Bericht des Militärkommandanten in Salzburg über Versuche der dort befindlichen lombardischen Geiseln, die Garnison, namentlich das Regiment Ferdinand d‘Este zu verführen22, mit und erbat sich die Ermächtigung, den Kommandanten zur strengen Behandlung der Schuldigen, welche ihre Freiheit also mißbrauchen, anweisen zu dürfen23.

Ges. 14. Juni. Franz Karl. Vidi. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Ferdinand. Innsbruck, am 15. Juni 1848.