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Nr. 59 Ministerrat, Wien, 2. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour; abw. Doblhoff, Lebzeltern; BdE. Pillersdorf (3. 6.), Franz Karl (6. 6.).

MRZ. 968 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 1. Juni 1848 unter dem Vorsitze des interimistisch mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Baron v. Pillersdorf.

I. Bericht Doblhoffs vom kaiserlichen Hoflager

Schreiben des am Ah. Hoflager verweilenden Ministers Baron Doblhoff vom 29. Mai1 mit Notizen über den tiefen Eindruck, welchen die durch einen Kurier des Fürsten Esterházy am 28.2 und durch die Post am 29. eingelangte Nachricht von den Ereignissen des 26. Mai in Wien3 am Ah. Hoflager hervorgebracht; über die Stellung des Ah. Hofstaates zum Ministerium; über eine Konferenz in kroatischen Angelegenheiten mit Sr. k. k. Hoheit Erzherzog Palatin und dem ungrischen Minister Baron Eötvös4 und Staatsrat Zsedényi5; über Einwirkungen des Gouverneurs Graf Brandis in der Religionsfrage6; endlich über Baron Doblhoffs täglich erneute Bitte an Ew. Majestät und Se. k. k. Hoheit den Herrn Erzherzog Franz Karl, von Innsbruck bald abreisen und sich in die Nähe Wiens begeben zu wollen.

II. Provisorische Regierung in Prag

Über das Gerücht wegen Bestellung einer provisorischen Regierung in Prag7 unter dem dortigen Gubernialpräsidenten Graf Thun ward an den letztern durch den Telegraphen die Anfrage gestellt, was es damit für ein Bewandtnis habe8.

Die Antwort9 erfolgte nur auf demselben Wege ganz kurz dahin: „Die Aufklärung über das Gerücht wegen der provisorischen Regierung enthält die Prager Zeitung.10

|| S. 363 PDF || Hierauf fand sich der Minister des Inneren zu folgender Erwiderung im gleichen Wege veranlaßt: „Gegen die Bildung einer provisorischen Regierung in Prag lege ich im Namen Sr. Majestät des Kaisers nach der mir zustehenden Vollmacht Protest ein. Diese Verwahrung ist bekanntzumachen und für alle nachteiligen Folgen, welche aus der obigen Verfügung entspringen, bleiben alle Behörden und Staatsdiener verantwortlich, welche diesem Beschlusse Folge geben.“11

Außerdem gedenkt der Minister dem Grafen Thun schriftlich zu eröffnen, daß diese Maßregel illegal, bedenklich und den Ah. Absichten Ew. Majestät entgegen sei; daß die Voraussetzung, worauf sie sich gründe, als ob nämlich das Ministerium in seinen Beschlüssen nicht frei und der Verkehr mit dem Ministerium durch die Ereignisse in Wien unterbrochen sei, alles Grundes entbehre; daß die Unruhen in Wien eine gleichmäßige Vertretung der Interessen der einzelnen Provinzen beim und durch das Ministerium nicht hindern; daß daher diese Verfügung des Gubernialpräsidenten für null und nichtig erklärt werden müsse und der Präsident aufgefordert werde, derselben – vor Erteilung der Ah. Schlußfassung Ew. Majestät hierüber – keine Folge zu geben und sich durch eine getreue Darstellung der Motive über seinen Vorgang zu rechtfertigen; daß er für alle Folgen desselben verantwortlich sei, und falls er sich dennoch an den Beschluß für gebunden hielte, er von seiner Stelle als Gubernialpräsident abzutreten und die Leitung der Gubernialgeschäfte dem Vizepräsidenten zu übergeben habe12.

Von dieser Verfügung an den böhmischen Gubernialpräsidenten werden nicht nur an alle Ministerien Abschriften mitgeteilt13 (in welcher Beziehung der Finanzminister sich vorbehielt, sogleich das Erforderliche an die Kameralbehörden zu erlassen), sondern es wurde auch, um ähnlichen Versuchen von Seite anderer Provinzen schon von vornehinein zu begegnen, an alle Länderchefs die Weisung zu erlassen beschlossen, daß dieselben, wenn aus Anlaß der zu ihrer Kenntnis gelangenden Vorgänge in Prag in den ihrer Leitung unterstehenden Provinzen ähnliche Versuche gemacht werden wollten, sie dieselben mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu vereiteln und alles zu vermeiden haben, was die Einheit der Regierung zu stören oder zu schwächen geeignet wäre14.

Hievon wird Ew. Majestät zugleich in einem besonderen Vortrage15 au. Bericht abgestattet und darin eventuell von der Notwendigkeit der Enthebung des Grafen Thun vom Gubernialpräsidium gesprochen für den Fall, daß er weder von seinem Beschlusse abginge, noch den diesfälligen Vorgang zu rechtfertigen vermöchte. Zugleich stellte der Minister des Inneren die Frage, ob und was von diesen Erlässen des Ministeriums zur öffentlichen Kenntnis zu bringen wäre.

Der Finanzminister erklärte sich für eine auszugsweise Mitteilung derselben durch die Zeitung, nachdem vom Gubernialpräsidenten Grafen Thun noch ein Rechtfertigungsbericht abverlangt wird, mithin die Akten in dieser Beziehung nicht geschlossen, || S. 364 PDF || auch die Ah. Beschlüsse Ew. Majestät hierüber noch nicht erflossen sind; wogegen der Minister der öffentlichen Arbeiten einen besonderen Wert darauf legte, daß wenigstens die an die übrigen Länderchefs erlassene Weisung wörtlich veröffentlicht werde, damit über die Ansichten des Ministeriums in dieser wichtigen Angelegenheit kein Zweifel erhoben werden könne. Obwohl nun Baron Krauß eine solche partielle Kundmachung ämtlicher Akte weder für gewöhnlich noch für unbedingt nötig hielt, so glaubte er doch die Art der erwähnten Kundmachung dem Ermessen des Ministers des Inneren überlassen zu sollen, womit auch die übrigen Stimmen einverstanden waren.

Hiernach entschied sich Freiherr v. Pillersdorf für die Ansicht des Ministers der öffentlichen Arbeiten, und es ward beschlossen, im Eingange der diesfälligen Verlautbarung kurz zu erwähnen, daß der Ministerrat, sobald er die offizielle Bestätigung der in der Prager Zeitung enthaltenen Nachricht von der Bildung einer provisorischen Regierung in Prag erhalten hatte, sogleich eine Vorstellung an Ew. Majestät gemacht, den Akt für ungültig erklärt und den böhmischen Gubernialpräsidenten aufgefordert habe, demselben keine Folge zu geben; sodann aber den Inhalt der an die übrigen Länderchefs erlassenen Weisung wörtlich folgen zu lassen16.

III. Flugblatt über die Ereignisse vom 26. Mai 1848

Der Justizminister erwähnte eines seit mehreren Tagen zirkulierenden Flugblatts „Geschichte der Freiheitserhebung vom 26. Mai“17, worin unter den heftigsten und aufreizendsten Schmähungen der Regierung die versuchte Auflösung der Akademischen Legion als „ein Bubenstück, Verrat am Vaterlande etc.“ vorgeworfen und die sie begleitenden Tatsachen aufs ärgste entstellt werden. Er hätte geglaubt, diesem Machwerke durch eine getreue Darstellung des wahren Hergangs der Sache und der Absichten der Regierung im Wege der Presse ämtlich oder außerämtlich entgegentreten zu sollen, und verlas einen zu diesem Endzwecke entworfenen Aufsatz18.

Allein, der Minister des Inneren gab zu erwägen, ob es itzt nach acht Tagen, nachdem der Sturm sich gelegt, ihn wieder aufzuregen angemessen sei. Und was könnte der Zweck einer solchen Rechtfertigungsschrift sein? Sie würde auf den Vorwurf der Illegalität entweder des Beschlusses jener Maßregel oder der Ausführung derselben antworten müssen. Aber der Beschluß der Regierung in dieser Beziehung ist von der öffentlichen Meinung bereits verurteilt; was immer zu dessen Rechtfertigung vorgebracht werden wollte, man würde es nicht gelten lassen; der Zweck wäre also nicht erreicht. Eine Rechtfertigung der Art des Vollzugs stünde dem Ministerium, welches mit dem Vollzuge nichts zu tun gehabt, nicht zu; ja, es ist die Art desselben nicht einmal ämtlich konstatiert, und ein denselben näher darstellender Artikel würde vielleicht mehrere Personen in Verwicklungen bringen, die bisher davon frei geblieben sind. Darum, und nachdem der Ministerrat schon früher gegen eine ämtliche Darstellung der Vorgänge des Morgens vom 26. erklärt hat, glaubte derselbe auf den Antrag || S. 365 PDF || des Barons Sommaruga umso minder eingehen zu sollen, als es ihm überlassen bleibt, sich eines öffentlichen Blattes außer dem ämtlichen Wege zu bedienen19.

IV. Einschränkung der körperlichen Strafe in der Armee

Der Kriegsminister übergab seinen Vortrag vom 2. Juni 1848, KZ. 184820, wegen nachträglicher Ah. Genehmigung der zur Einschränkung der körperlichen Strafen in der k. k. Armee getroffenen provisorischen Verfügungen21.

Dieselben wurden im Ministerrate nach dem dem Vortrage beigelegten, unter einem hinauszugebenden Entwurfe mit der einzigen Modifikation angenommen, daß im Eingange des Entwurfs statt „bis zur Erscheinung des der Ah. Sanktion Sr. Majestät vorliegenden Militärstrafgesetzes“ gesetzt werde „bis zur Erscheinung eines neuen Militärstrafgesetzbuches“22.

V. Deputation des Sicherheitsausschusses zum Kaiser

Der Minister des Inneren kündigte an, daß der Sicherheitsausschuß von Wien beabsichtige, eine große Deputation aus seiner Mitte, welcher sich auch Deputierte aus Mähren anschließen wollen, an Ew. Majestät mit der Bitte um Beschleunigung der Ah. Rückkehr in die Residenz abzusenden und den Adel zur Teilnahme daran aufzufordern.

Der Minister hat dem Ausschuß, jedoch nur als seine Privatmeinung, eröffnen lassen, daß der bisherigen Erfahrung zufolge Ew. Majestät großen Deputationen den Zutritt zu Allerhöchstihrer Person nicht zu gestatten geruhen, daß daher die Beschränkung der Zahl der Abgeordneten angemessener sein dürfte.

Indessen läßt sich hierin nichts vorschreiben, und es erübriget dem Ministerrate nur, diese Absicht des Ausschusses einstweilen mittelst des gegenwärtigen Protokolls zur Ah. Kenntnis Ew. Majestät zu bringen, bis hierüber im legalen Wege die Anzeige an das Ministerium gelangt, und die au. Bitte anzufügen, Ew. Majestät geruhen die Deputation Ag. zu empfangen und ihr eine huldreiche Antwort zu erteilen. aDa der Ministerrat die Überzeugung hat, daß nur die baldige Zurückkehr Ew. Majestät und die Entfernung der Personen, welchen die Abreise Ew. Majestät zugeschrieben wird, großes Unglück hintanhalten und der Verwirrung Einhalt tun kann, welche außerdem unvermeidlich sich über die Provinz und alle Teile der Monarchie auf eine höchst bedrohliche Weise verbreiten wird.a,23

Ges. 6. Juni. Franz Karl. Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolles dient Mir zur Wissenschaft. Ferdinand. Innsbruck, am 7. Juni 1848.